Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Erstens: Gelingt es uns, einen Nachfolgekonvent hinzubekommen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig!)

in dem die Länderparlamente tatsächlich vertreten sind? Denn jeder weiß: Zum Schluss entscheiden Bundesrat und Bundestag. Da sind wir als Länderparlamente nicht mit am Tisch.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist der Punkt! Ge- nau!)

Nur wenn wir es schaffen, dass ein solcher Nachfolgekonvent eine eigene Dynamik entfaltet – in Europa können wir ja erfreulicherweise erleben, wie sich im europäischen Konvent Dinge entwickelt haben, die vor Monaten noch kein Mensch für möglich gehalten hat –, nur wenn wir in diesem innerstaatlichen Konvent eine solche Dynamik wie auf europäischer Ebene erzielen, können wir unsere hoch gesteckten Ziele erreichen. Das ist die allererste Bedingung: sich in erster Linie auf Verfahrensfragen und darauf zu kaprizieren, dass dieser Nachfolgekonvent stattfindet und dass wir darin repräsentativ vertreten sind.

Ich möchte noch einmal sagen, Kollege Pfister: Da können selbstverständlich auch Elder Statesmen dabei sein. Aber das Entscheidende ist jetzt erst einmal,

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

dass sich die aktiven Politiker, das heißt die Fraktionsvorsitzenden der Länder,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist auch richtig!)

in dem Prozess engagieren.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Völlig richtig!)

Denn nur wenn die Föderalismusreform auf die Ebene der aktiven Politik gelangt, wird sie überhaupt ernst genommen, nicht jedoch, wenn sie auf einer repräsentativen Ebene verbleibt. Das allein kann nicht genügen.

Das Entscheidende ist also, dass sich alle in diesem Prozess engagieren und ihn zu einer öffentlich sichtbar ernsten Angelegenheit der aktiven Politiker in den Fraktionen machen. Das ist das Allererste.

Die zweite wichtige Voraussetzung ist, dass wir die Diskussionen in diesem Fall sehr konsensorientiert führen und dabei nicht polarisieren, dass wir also ein Klima des Konsenses schaffen. Normalerweise lebt ja unsere Demokratie davon, dass wir auch zuspitzend polarisieren, damit die Alternativen klar werden. Aber hier kommt es auf einen konsensorientierten Stil der Debatte an.

Dies also scheinen mir die beiden entscheidenden Voraussetzungen zu sein.

Die dritte Voraussetzung ist, dass dieser Prozess nicht unter parteipolitische Überlegungen und Opportunitätserwägungen gestellt wird. Wenn man jetzt gerade auf Bundesebene an der Regierung ist, neigt man natürlich dazu, da nicht nachzugeben. Wenn man jetzt gerade eine Mehrheit im Bundesrat hat, dann will man dort auch mitreden. Aber nur, wenn man davon ein Stück heruntergeht, kann dieser Prozess überhaupt Erfolg haben; sonst wird er erfolglos bleiben.

Die Föderalismusreform steht auch im Koalitionsvertrag auf Bundesebene – ich möchte nur ganz unbescheiden sagen: ich war daran nicht ganz unbeteiligt –, und wir haben damit auch auf Bundesebene die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass alle in diese Richtung gehen. Alle führenden Politiker aller Parteien haben sich dazu auch in dieser Hinsicht geäußert; die Bedingungen sind also gut.

Ich glaube, es geht hier um viel. Es geht nicht darum, uns als Länderparlamente ein bisschen wichtig zu machen. Es geht wirklich darum, dass wir das Demokratieprinzip für die Menschen in diesem Land lebbar machen. Gemeindefreiheit und Föderalismus sind das, was der deutsche Sprachraum in die europäische Freiheitsgeschichte eingebracht hat. Darauf müssen wir verweisen. Es geht darum, dass Bürgerinnen und Bürger dadurch tatsächlichen Einfluss auf Entscheidungen haben. Das funktioniert jedoch nur, wenn man das Subsidiaritätsprinzip beachtet. Dann fühlen sie sich in der Demokratie zu Hause und beheimatet.

Ich glaube aber auch – lassen Sie mich das zum Schluss sagen –: Das geht nur, wenn wir als entschiedene Europäer – ja, ich möchte sogar sagen: als Weltbürger –

(Abg. Theurer FDP/DVP: Jetzt wird es großartig!)

einen solchen Prozess anstoßen. Denn hier geht es nicht um Kleinstaaterei oder Ähnliches, sondern darum, dass wir auch Kompetenzen nach oben verlagern. Ich glaube, wir sind alle sehr froh darüber, dass sich die EU bei der schwierigen Debatte um den Irakkonflikt jetzt wieder geeinigt hat, weil wir wissen, dass sie nur unter dieser Voraussetzung einen relevanten Einfluss auf solche Fragen haben kann.

Als überzeugte Europäer wissen wir also: Vieles muss europaweit, ja sogar weltweit geregelt werden. Freiheit, die Gleichheit von Menschen, die Menschenwürde, aber auch soziale und ökologische Standards und den Gedanken der Nachhaltigkeit brauchen wir weltweit. Denn nur, wenn wir auf der Welt Frieden und Freiheit haben, können wir auch das, was das Leben erst schön macht, ausleben, nämlich Differenz, Eigenwilligkeit bis hin zum Starrsinn,

(Heiterkeit bei Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

bis hin zur Skurrilität. Das alles ist in einem freien Gemeinwesen erlaubt, auch dass ich eben nur meinen Ort für den schönsten halte und die anderen für minderwertig und dass ich eben ein Anhänger des VfB Stuttgart bin und Bayern München hasse.

(Heiterkeit – Zurufe von der CDU und der SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Das hat doch mit Hass nichts zu tun!)

Das ist alles erst in einer Welt, in der in den grundlegenden Fragen Friede und Freiheit herrscht, möglich.

(Abg. Wieser CDU: Und schaffen müssen wir auch noch!)

Das ist, glaube ich, der Grundgedanke von Gemeindefreiheit, von kommunaler Selbstverwaltung und von Föderalismus, dass wir unsere Differenz und unsere kulturelle Vielfalt, an der uns so viel liegt, ausleben und verwirklichen können, damit wir uns in unserem Gemeinwesen und in Europa zu Hause fühlen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Wir „hassen“ Glasgow, doch nicht Bayern!)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle erleben heute eine bemerkenswerte Debatte im Landtag von BadenWürttemberg. Wir alle haben vier bemerkenswerte Reden gehört. Ich habe in diesem Haus selten ein so hohes Maß an Übereinstimmung erlebt, wie es im Antrag aller vier Fraktionen und in allen vier Reden zum Ausdruck kommt.

Ich muss Ihnen sagen, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg aus Überzeugung die gleiche Auffassung vertritt, wie sie in dieser Entschließung und in diesen Reden zum Ausdruck gekommen ist. Ich füge hinzu, dass es meiner eigenen innersten Überzeugung entspricht, dass wir den Föderalismus stärken müssen, dass wir Fehlentwicklungen

(Ministerpräsident Teufel)

der letzten 50 Jahre Geschichte der Bundesrepublik Deutschland korrigieren müssen und dass wir dafür sorgen müssen, dass das Projekt Europa nicht scheitert.

Dieses Projekt ist noch nicht über den Berg. Denn ein Europa der 25 oder morgen auch 28 oder 30 Staaten wird nicht als Zentralstaat überleben – das ist meine feste Überzeugung –,

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

sondern nur, wenn wir föderativ und nach dem Subsidiaritätsprinzip von unten nach oben so viel Freiheit und Vielfalt lassen wie überhaupt nur möglich und nur so viel Einheit schaffen wie zwingend notwendig. Das gilt wirklich für jeden einzelnen Bereich.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion vom Mai letzten Jahres im Juli breit geantwortet. Darauf beziehe ich mich, weil ich die Themen jetzt nicht in ihrer ganzen Breite hier ansprechen möchte. Sie ersehen daraus – und ich bin gerne bereit, Ihnen weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen –, dass wir noch breiter und tiefer, als es in der – sehr guten – gemeinsamen Entschließung der vier Fraktionen vorgesehen ist, an das Thema herangegangen sind. Wir tun das bereits seit mehreren Jahren und werden uns weiterhin damit befassen. Wir unterstützen Sie also mit allem Nachdruck in dieser Zielsetzung.

Es ist heute für mich so etwas wie ein Aufschrei eines Landesparlaments gewesen, wenn alle vier Fraktionen in einer solchen Einmütigkeit Zielsetzungen formulieren. Das ist auch angebracht, denn ein Landtag des Jahres 2003 ist in seinen Kompetenzen nicht mehr identisch mit einem Landtag Anfang der Fünfzigerjahre, nach der Verabschiedung des Grundgesetzes.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wohl wahr!)

Das muss jeder zugeben, der sich einigermaßen mit diesen Fragen beschäftigt.

Dabei haben wir wirklich allen Grund, am föderativen Aufbau unseres Gemeinwesens festzuhalten. Wir bejahen den Föderalismus. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat haben den Föderalismus nicht nur deshalb bejaht, weil die Länder in Deutschland vor dem Bund da gewesen sind. Das gilt für die Geschichte, aber insbesondere auch für die Nachkriegsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir bejahen den Föderalismus vor allem auch aus der geschichtlichen Erfahrung des Nationalsozialismus. Hitler hat als Erstes die Länder abgeschafft und gleichgeschaltet.

(Zuruf von der FDP/DVP: So ist es!)

Wir bejahen des Föderalismus, weil er Teilung und Kontrolle der Macht bedeutet. Das ist unsere geschichtliche Erfahrung, und daran sollten wir, glaube ich, festhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der Grünen und des Abg. Drexler SPD)

Ich halte eine subsidiäre Ordnung aber auch für eine menschennahe und menschengemäße politische Ordnung. Das

Subsidiaritätsprinzip sagt ja, bevor es etwas zum Staatsaufbau sagt, zunächst einmal, dass jeder Einzelne für sich selber verantwortlich ist

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

und dass die Gemeinschaft der Familie und dass freie Träger Vorrang haben vor öffentlichem Handeln und vor staatlichem Handeln. Subsidiarität ist überhaupt kein Gegensatz zur Solidarität, die selbstverständlich auch unserer Grundüberzeugung entspricht.

Es ist Überzeugendes zum Wettbewerb gesagt worden. Wir wollen und bejahen Wettbewerb in jedem Bereich, aber nur für diejenigen, die unter gleichen Startvoraussetzungen im Wettbewerb mithalten können. All denjenigen, die das nicht können, muss man solidarisch helfen. Auch das gehört zur Grundüberzeugung der Subsidiarität.