Ich finde aber, dass in der ganzen pädagogischen Diskussion eine Schieflage entstanden ist. Wenn Sie heute mit jungen Familien sprechen, stellen Sie fest: Es ist wahr – das ist ein uraltes Thema –: Wir haben in Deutschland Nachholbedarf, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Wir haben einen erheblichen Nachholbedarf.
Wir müssen da etwas tun. Es ist aber völlig illusorisch, zu glauben, die Schule sei der erste Ort in unserer Gesellschaft, an dem wir dieses Problem lösen können.
In Wirklichkeit reicht es der berufstätigen Mutter überhaupt nicht aus, wenn wir das nur schulisch lösen, weil auch Kinder, die um 16 Uhr nach Hause kommen, zu früh nach Hause kommen, um dieses Problem zu lösen. Deshalb sage ich Ihnen: Wir leisten unseren Beitrag im Bildungswesen nicht allein mit Ganztagsschulen. Wir leisten es mit Horten, wir leisten es mit vielen anderen Einrichtungen. Das halte ich für richtig. Davon will ich mehr haben. Aber wenn diese Gesellschaft in Wirklichkeit nachhaltig etwas für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun will, dann darf auch die Wirtschaft nicht nur auf die Schule zeigen, sondern dann müssen sich auch unsere Betriebe etwas einfallen lassen, um diese Vereinbarkeit zu verbessern.
(Beifall bei der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD: Schieben Sie die Verantwortung nicht immer auf andere!)
Frau Ministerin Schavan, sind Sie der Meinung, dass irgendwelchen Eltern oder Müttern im Land mit Ihrer Aussage geholfen ist, es sei nicht Aufgabe der Schule, sondern der Wirtschaft, und die Wirtschaft wieder sagt, die Schule müsse ihren Teil erfüllen? Das ist die erste Frage.
Zweite Frage: Teilen Sie die Einschätzung vieler Mütter – da ich einen Sohn in der Grundschule habe, kenne ich wirklich sehr viele Mütter –, dass die Kindergartenzeit noch einigermaßen zu bewältigen ist, die Schulzeit aber das wirkliche Problem darstellt?
Frau Weckenmann, Sie haben doch eben sehr genau gehört, dass ich nicht gesagt habe, es sei nicht Aufgabe der Schule, sondern ich habe gesagt: Wenn man dieses Problem nachhaltig lösen will, kann man es nicht allein auf die Schule wälzen.
Das ist ein Unterschied. Dieser Unterschied ist wichtig, weil wir in Deutschland auch in anderen Bereichen Entwicklungen brauchen, die Familien unterstützend wirken. Dazu gehören auch unsere Betriebe. Wenn wir nicht mehr Unterstützungssysteme für Familien und Eltern schaffen, wird das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gelöst werden. Deshalb werde ich immer wieder, übrigens auch in frauen- und familienpolitischen Diskussionen, darauf hinweisen, dass die Schule ihren Anteil leistet und dass auch andere Anteile notwendig sind, um dieses Problem zu lösen.
Schauen Sie doch nur in unser Nachbarland Frankreich. Da laufen im Moment zwei Diskussionen. Die eine Diskussion ist eine bildungspolitische. Der französische Bildungsminister hat in einem Interview in der „Zeit“ diese Diskussion beschrieben. Sie lautet: Erstens schaffen wir es nicht mehr, Kindern in der Grundschule Lesen und Schreiben beizubringen, trotz Ecole maternelle, trotz Ganztagsschule.
Zweitens: Die Zahl der Jugendlichen, die in Frankreich ohne Schulabschluss die Schule verlassen, ist dramatisch gestiegen – trotz acht Stunden Ganztagsschule. Das ist die bildungspolitische Diskussion.
Die frauenpolitische Diskussion, die in Frankreich gerade läuft, besagt: Das Ganztagsschulwesen reicht überhaupt nicht aus, um unsere Vereinbarkeitsprobleme zu lösen.
(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD – Abg. Seimetz CDU: Frau Bregenzer schreit schon, bevor sie gehört hat, was gesagt wird!)
Ich weiß gar nicht, warum Sie immer so herumschreien und immer unterbrechen. Sie wollen halt immer nur politische Strohfeuer und nicht wirklich nachhaltige Entwicklungen, auch nicht in der Frauenpolitik.
(Beifall bei der CDU – Abg. Seimetz CDU: Sehr gut! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Das sind doch frauenpolitische Sonntagsreden, die Sie halten!)
Deshalb: Wer nachhaltige Entwicklungen in der Bildungspolitik will, wer besseres Lernen will, wer bessere Frauenpolitik will, wer bessere Vereinbarkeit will, darf nicht nur an Schule denken,
(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie das einmal Ihrer Staatssekretärin! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Fangen Sie doch endlich an!)
fortsetzen. Es werden auch im Laufe dieses Schuljahrs neue Ganztagsschulen entstehen. Es entstehen immer mehr Schulentwicklungsprozesse mit einem anderen Umgang mit Zeit. Das ist ein wichtiges Thema.
Es wird keine Landesregierung geben – nicht eine einzige Landesregierung –, die ohne Prioritätensetzung Ganztagsschulen einrichtet.
Und weil wir nicht ohne Prioritätensetzung arbeiten können, bleibt es dabei: Schulen im sozialen Brennpunkt haben Priorität.
(Abg. Wacker CDU: Sehr gut! – Abg. Carla Bre- genzer SPD: Es bleibt bei der Stigmatisierung der Ganztagsschulen! Dann gehen noch mehr Leute in die Privatschulen!)
Sie werden mit zusätzlichen Lehrerstunden versorgt. Andere Schulen werden demgegenüber zunächst einmal zurückstehen müssen. So einfach ist das in Zeiten, in denen die Wirtschaftspolitik, die Finanzpolitik des Bundes und wir alle in der Situation sind,
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD – Glocke des Präsi- denten)