Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Das Wort erteile ich Herrn Finanzminister Stratthaus.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen den Nachtragshaushaltsentwurf 2003 vorstellen, bitte Sie um intensive Beratung und werde Sie am Ende bitten, dem Nachtragshaushalt zuzustimmen.

Der Haushalt ist in einer äußerst schwierigen Situation aufgestellt worden. Altgediente, erfahrene Hasen im Finanzministerium haben mir gesagt: „Es war noch nie so schwer, einen Haushalt oder einen Nachtragshaushalt aufzustellen wie den für das Jahr 2003.“ Wir haben ein noch nie gekanntes Maß des Einbruchs an Steuereinnahmen zu verkraften, und wir haben auf der anderen Seite eine Explosion der staatlichen Kosten, vor allem der Sozialkosten, was natürlich mit der Arbeitslosigkeit zusammenhängt.

Neben diesem objektiven Einbruch der Steuereinnahmen hat unsere Aufstellungsarbeit auch darunter gelitten, dass die Zahlen, die uns durch die Steuerschätzungen genannt worden sind, kaum dass sie veröffentlicht waren, nicht mehr gestimmt haben. Ich will nur ein Beispiel bringen: Im Mai des letzten Jahres hat man uns eine Steuerschätzung vorgelegt, die dann ein halbes Jahr später fundamental geändert werden musste. Im November waren die Steuereinnahmen plötzlich um eine volle Milliarde Euro niedriger als noch im Mai. Sie können sich vorstellen, dass man es unter diesen Voraussetzungen äußerst schwer hat, einen Haushalt aufzustellen.

Dass das so schwer war, hat zwei Hauptgründe. Der eine ist ein allgemeiner, der andere ist ein spezieller Grund. Der all

(Minister Stratthaus)

gemeine Grund ist ohne Frage die verheerende Wirtschaftspolitik, die zu einer schlimmen Wirtschaftssituation geführt hat. Der spezielle Grund ist die stümperhafte Steuerreform, insbesondere was die Körperschaftsteuer betrifft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Lassen Sie mich zunächst zur Körperschaftsteuer kommen. Meine Damen und Herren, es ist allgemein bekannt, aber es muss noch einmal gesagt werden: Die Körperschaftsteuer, die im Jahr 2000 bundesweit noch 46 Milliarden DM gebracht hat,

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

hat im Jahr 2001 minus 400 Millionen € gebracht. Das heißt, dies war ein Einbruch um mehr als 100 %. Die gesamten Steuereinnahmen sind damit allein durch das Wegbrechen der Körperschaftsteuer um 5 % niedriger gewesen als im Vorjahr. Sie können sich vorstellen, dass es da praktisch unmöglich ist, einen Haushalt aufzustellen.

Man fragt sich natürlich: Warum diese stümperhafte Körperschaftsteuerreform? Denn Wissenschaftler haben ja gewarnt. Ich habe es selbst im Vermittlungsausschuss erlebt. Da lag ein von 70 Wissenschaftlern unterschriebenes Gutachten vor. Die Opposition hat dagegen gestimmt. Dennoch hat man diese Körperschaftsteuerreform gemacht. Ich habe den Verdacht, das lag unter anderem auch an der Auswahl der Experten im Bundesfinanzministerium. Man hat nämlich mit dieser Steuerreform Experten beauftragt, die ihre ganze Lebensarbeitszeit in Großkonzernen verbracht haben, die für die Steuer in einem internationalen Großkonzern zuständig waren. Dass dann so etwas herauskommt, ist eigentlich kein Wunder.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Da hat man den Bock zum Gärtner gemacht!)

Man kann natürlich auch sagen, der Bundeskanzler ist leider der Genosse der Bosse gewesen. Er wäre besser der Genosse der Bäcker und des Mittelstands gewesen. Dann wäre vielleicht etwas Besseres herausgekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Zum anderen haben wir eine verheerende Wirtschaftspolitik zu beklagen; auch das ist keine Frage. Lassen Sie mich ganz wenige Sätze auch dazu sagen. Sie wissen alle, wo Deutschland heute steht: Im Wirtschaftswachstum sind wir innerhalb der Europäischen Union auf den letzten Platz zurückgerutscht. In der Arbeitslosigkeit sind wir schon im hinteren Drittel. Und die Insolvenzen haben im Jahr 2002 eine Rekordmarke erreicht, insbesondere natürlich bei Handwerksbetrieben, bei Mittelstandsbetrieben.

Die Frage ist: Woran liegt das? Es ist keine Frage, dass es auch Gründe gibt, die in der Außenwirtschaft liegen. Aber der größte Teil der Gründe ist hausgemacht. Die Tatsache, dass es bei uns viel schlimmer ist als in den anderen europäischen Ländern, ist doch ein Beweis dafür. Im Übrigen hat Helmut Schmidt das auch festgestellt. Der allergrößte Teil ist hausgemacht.

Es gab eine fehlende Reformbereitschaft in der Steuerpolitik, beim Arbeitsmarkt, in der Sozialversicherung, im Gesundheitswesen. Dies alles zusammen hat dazu geführt, dass sich in Deutschland nichts bewegt hat und wir beim Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz abgerutscht sind. Wer das nicht glauben möchte, dem gestatten Sie mir, einen Kernsatz aus dem Gutachten des Sachverständigenrats zu zitieren. Ich muss dazusagen, dass vier seiner fünf Mitglieder von der SPD bestimmt worden sind und die Mehrheit davon ein SPD-Parteibuch hat. Es ist also keine einseitige Sache. Die haben schlicht und einfach festgestellt: Grundlegende Reformen werden nicht angegangen – zulasten von Beschäftigung und Wachstum.

Nun kann natürlich jeder fragen – denn jeder weiß, was zu machen wäre –: Weiß das eigentlich der Bundeskanzler nicht? Der weiß es auch. Der hat sich nämlich einmal verraten. Vor ziemlich genau vier Jahren hat es ein SchröderBlair-Papier gegeben. Und in diesem Papier stand ganz genau drin, was hätte gemacht werden müssen. Leider ist kein Satz davon verwirklicht worden. Man hat es nicht nur nicht gemacht, sondern zum größten Teil das Gegenteil. Ich muss hier auch feststellen, man hat wirklich den Eindruck, Schröder hat keine Reformen gemacht, weil ihm das Wohlwollen der Gewerkschaftsbosse wichtiger ist als das Wohl der Arbeitslosen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn ich an die verheerende Steuerdiskussion denke, meine Damen und Herren, muss ich sagen: Die Steuerdiskussion der letzten Wochen und Monate war wirklich eine Kakophonie. Anders kann man das nicht mehr bezeichnen. Da war die Rede von Ehegattensplitting, Dienstwagenbesteuerung, Kontrollmitteilungen, Eigenheimzulage, Organschaft ja oder nein, Werbemittel, Vermögensteuer. Keiner weiß eigentlich mehr, was wann und ob überhaupt etwas kommen soll. Alle verstehen sie nur eines: Es kommt ganz schlimm. Und dadurch ist es eben auch schlimm gekommen. Denn, meine Damen und Herren, unser größtes Problem ist doch, dass niemand mehr glaubt, diese Regierung sei in der Lage, die Verhältnisse zu bessern.

Im ersten Kurs der Volkswirtschaftslehre lernt man, dass für die Wirtschaft die Erwartungen wichtig sind, nicht so sehr die Vergangenheit, sondern die Erwartungen an die Zukunft. Diese Erwartungen sind im Augenblick miserabel. Die Gewerkschaft hat vor einigen Wochen damit renommiert, die Arbeitnehmereinkommen seien im letzten Jahr außergewöhnlich stark gestiegen. Dann müsste doch eigentlich auch der Konsum steigen. Der Konsum ist aber zurückgegangen. Fragen Sie einmal die Einzelhändler. Warum? Weil niemand mehr der Zukunft traut. Das Einzige, was gestiegen ist, ist die Sparquote.

Und was für den Konsumenten gilt, gilt in der gleichen Form natürlich auch für den Unternehmer, insbesondere für den mittelständischen Unternehmer, der auf Deutschland allein angewiesen ist; der Große kann eher einmal sein Glück im Ausland suchen. Der wird natürlich, wenn er vor der Frage steht, ob er investieren soll oder nicht, und täglich in den Zeitungen von neuen Insolvenzen, von der Vermögensteuer und Steuererhöhungen liest, im Zweifelsfall nicht in

(Minister Stratthaus)

vestieren. Deswegen hat diese verheerende Diskussion zu einer noch schlimmeren Wirtschaftslage geführt.

Jetzt stellt sich die Frage, ob sich daran etwas ändern kann. Wir brauchen dringend die Kehrtwende.

Ich muss sagen: Herr Clement hat einiges gesagt und angekündigt, was durchaus unsere Zustimmung finden könnte. Nur ist Herr Clement dafür bekannt, dass er auch in Nordrhein-Westfalen sehr vieles angekündigt, aber wenig umgesetzt hat. Wir sind einmal gespannt, ob das, was er angekündigt hat, tatsächlich kommt. Denn die größten Widersacher in Berlin sitzen nicht in der Opposition oder im Bundesrat, sondern in seiner eigenen Fraktion. Fraktionsvorsitzender Müntefering und der Vize Stiegler sind diejenigen, die bisher den Wirtschaftsminister gebremst haben.

Dieser Wirtschaftsminister – wie gesagt, wenn er alles macht, was er gesagt hat, soll es uns recht sein; wir unterstützen ihn dabei – arbeitet natürlich auch wie sein Chef, der Bundeskanzler, in erster Linie mit Wortgeklingel, mit Wörterdesign. Ich möchte einmal einen Vergleich bringen: Wenn früher die Ärzte mit ihrer Kunst am Ende waren, haben sie Latein gesprochen. Unser Wirtschaftsminister geht dann ins Englische.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen ein paar Beispiele bringen. Er spricht dann vom „Small-Business-Act“, vom „Masterplan für Bürokratieabbau“, vom „Low-Tech-Sektor“, von „Mikrodarlehen“ usw. Das ist zwar alles in Ordnung, auch wenn man es leichter sagen kann. Aber ich habe wirklich den Eindruck: Wer mit seinem Latein am Ende ist, spricht Englisch.

(Abg. Dr. Birk CDU: Wir können alles außer Hochdeutsch!)

Wir werden uns im Bundesrat nicht blockierend verhalten – um das auch noch einmal zu sagen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Dann müssten Sie bei Ihrem Haushalt Kisuaheli reden! – Heiterkeit – Abg. Drexler SPD: Aber völlig, gerade in der mit- telfristigen Finanzplanung!)

Ich habe den Eindruck, dass Sie den Haushalt schon auf Deutsch nicht verstehen. Wie wollen Sie ihn denn dann verstehen?

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kretschmann GRÜNE: Das war ein guter Konter, muss man sagen!)

Wir werden im Bundesrat dort Unterstützung gewähren und nicht blockieren, wo Reformmaßnahmen für die Bevölkerung und für die Wirtschaft angepackt werden müssen. Wir werden auf keinen Fall schädliche Maßnahmen, nur um nicht dem Vorwurf einer Blockadepolitik ausgesetzt zu sein, mittragen. Es wird davon abhängen, ob diese Entscheidungen der deutschen Wirtschaft, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, helfen oder nicht. Blockieren werden wir nicht. Wir werden aber auch nicht alles mitmachen.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Nachtrag muss zwangsläufig ein Sparnachtrag sein. Mit ihm reagieren wir

in erster Linie auf den Einbruch der Steuereinnahmen bereits im Jahr 2002, aber auch im Jahr 2003 und in den Folgejahren.

Wir haben eine Haushaltsstrukturkommission eingerichtet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Haushalt langfristig und strukturell zu konsolidieren.

Ich darf jetzt ein ganz ernstes Wort sagen. Ich habe immer Angst, wenn jemand mit Patentrezepten kommt. Manchmal höre ich, man müsste irgendwo eine Verwaltungsreform machen und dann hätte man morgen gleich ein paar Milliarden gespart. Oder es wird gesagt, die Arbeitszeit müsse verlängert werden. Dadurch ist aber noch kein Euro gespart, sondern das sind nur Möglichkeiten, wie anschließend gespart werden kann. Das ist keine Frage. Aber die politische Entscheidung wird auf jeden Fall notwendig sein.

Ich wollte sagen: Langfristige Strukturreformen, langfristige strukturelle Gesundung des Haushalts – und das benötigen wir – brauchen ihre Zeit.

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Man sollte irgend- wann einmal anfangen!)

Wir haben schon angefangen,

(Abg. Drexler SPD: Wann?)

und ich freue mich auf Ihre Unterstützung. Wir haben bereits angefangen, und Sie können sicher sein, dass wir auf diesem Wege weitermachen.

Es ist keine Frage, dass wir langfristig den Haushalt nur konsolidieren können, wenn wir staatliche Leistungen abbauen, wenn wir die Bürokratie verschlanken. Und es wird auch nicht ohne Personalabbau gehen – um das auch in aller Klarheit zu sagen.

Wir haben im Jahr 2002 Steuermindereinnahmen von netto 1 Milliarde € gegenüber dem Haushaltssoll gehabt. Man muss sich das einmal überlegen: Noch am Ende des Jahres 2001 hat man uns eine Steuerschätzung gegeben, die sich später als um 1 Milliarde € zu günstig dargestellt hat. Wir haben einen Rückgang der Steuereinnahmen um 1 Milliarde € gehabt, und, was vielleicht noch besonders interessant ist, wir hatten im Jahr 2002 netto weniger Steuereinnahmen als im Jahr 1958 – Entschuldigung, 1998.

(Heiterkeit bei der SPD – Abg. Moser SPD: Was war 1958? – Gegenruf des Abg. Pfister FDP/DVP: Fußballweltmeisterschaft in Schweden!)

Wenn Sie vorhin ein Komma bei 21,2 Milliarden € verwechselt haben, darf ich mich auch einmal um 40 Jahre täuschen.

(Abg. Drexler SPD: Sie haben es ja auch gemerkt!)