Protokoll der Sitzung vom 27.03.2003

Das Wort erhält Herr Abg. Hofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir heute Morgen das Schulthema in epischer Breite behandelt haben, nütze ich doch die fünf Minuten für das wichtige Thema Lehrstellen aus. Ich habe mir überlegt, ob das, was in der Diskussion bisher gesagt worden ist, genügt. Ich möchte nur einige zusätzliche Bemerkungen machen.

Zum einen gilt die allgemeine Regel, dass die Zahl der Lehrstellen auch abhängig ist von der Zahl der Arbeitsplätze.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Herr Schmiedel, ich habe vorhin ganz verbindlich gesagt, das Thema eigne sich eigentlich nicht so sehr für Schuldzuweisungen und für parteipolitische Aktionen.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Ich möchte an dieser Stelle bloß sagen: Es wäre gut, wenn Sie unter dem Gesichtspunkt, dass wir alle wissen, wie viel die Konjunktur – und zwar die, die auch von Berlin bestimmt wird – ausmacht, sich selber mit Schuldzuweisungen sehr zurückhalten würden. Das kann ich Ihnen nur empfehlen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Drexler SPD: Wir sind in Baden-Württem- berg!)

Ich darf im Übrigen sagen: Alle Aktionen, die man früher unternommen hat – die Appelle, Bündnis für Ausbildung; ich will das gar nicht im Einzelnen wiederholen –, müssen und werden fortgesetzt werden. Im Bereich der Kammern wird im Moment außerordentlich viel gemacht. Derzeit werden zum Beispiel zusätzliche Lehrstellenwerber eingesetzt, weil man weiß, dass es nichts nützt, nur einfach den Fachkräftemangel zu beklagen. Man kann auch das ganze Thema Zuwanderung, um Fachkräfte zu bekommen, vergessen, wenn man nicht die eigenen Jugendlichen zukunftsorientiert ausbildet. Das ist überhaupt keine Frage.

Ich freue mich auch, dass man trotz Finanzknappheit die bisherigen Programme – ob das die Programme für Lehrlinge aus Konkursbetrieben anbelangt oder ob es darum geht, die für das Handwerk so wichtigen überbetrieblichen Ausbildungen vorzunehmen – fortführt. Das Handwerk kann übrigens nicht hinnehmen, dass eine Kürzung der Lehrgangszuschüsse stattfindet. Sonst wird von dort die Bereitschaft noch geringer werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Ich will an dieser Stelle nur einen wichtigen Punkt anschneiden; er wurde vorhin auch schon angetippt: Wenn die Zahl der Lehrstellen knapp ist, dann kann man es sich nicht leisten, Lehrstellen unbesetzt zu lassen, dann kann man es sich nicht leisten, Lehrstellen aufgrund fehlender Qualifikation nicht zu besetzen bzw. eine Lehre abbrechen zu lassen, sondern dann muss man sich insbesondere um die benachteiligten Jugendlichen kümmern. Denn die haben es dort sehr schwer. Dass ist das eine Aufgabe, um die wir uns alle zu kümmern haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Wintruff SPD: Das fordern wir seit Jahren!)

Unsere Fraktion hat erst neulich mit den Gewerkschaften ein Gespräch geführt. Dabei haben wir zur Kenntnis genommen, dass das Offenburger Modell gut ist. Dort macht man eine Grundausbildung, setzt ein optionales Praxisberufsjahr hinzu und sieht dann noch eine Aufbaustufe von eineinhalb Jahren vor, sodass die jungen Menschen wirklich einen vollen Abschluss erzielen können. Wer das nicht erzielen kann, kann vorher mit einem Zwischenabschluss beispielsweise als Teilezurichter aussteigen.

Aber dort – und das hat die Gewerkschaft wieder abgelehnt –, wo wir von vornherein vom Arbeitsamt wissen, dass geringere Qualifikationen in der Theorie, aber dafür außerordentliche Fähigkeiten in Praxisorientierung vorliegen, muss additiv eine Werkerausbildung dazukommen. Sonst ist man auf dem einen Auge blind und sieht nur auf dem anderen. Das können wir uns im Interesse der Jugendlichen nicht mehr leisten, wenn alle einen Ausbildungsplatz kriegen sollen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr richtig!)

Letzter Punkt, zum Thema Ausbildungsplatzabgabe, damit da kein Zweifel entsteht. Wir sind strikt gegen eine Ausbildungsplatzabgabe, und zwar deshalb: Das wäre ein Freibrief für alle, sich freizukaufen. Machen wir uns doch nichts vor: Es wird kaum eine zusätzliche Ausbildungsplatzstelle geschaffen werden. Im Gegenteil wird Betrieben, die kurz vor dem Aufgeben stehen, weil sie gerade noch ein bisschen flüssige Mittel haben, durch eine Ausbildungsplatzabgabe vollends das Wasser abgegraben, sodass sie auch noch in Insolvenz gehen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Klein- mann FDP/DVP)

Damit das auch klar ist – es ist ja immer gut, wenn man bei aller Verbindlichkeit noch weiß, woran man ist –: Wir sind auch dagegen, Aufträge vorrangig an Ausbildungsbetriebe zu vergeben. Das ist alles wunderbar, Gerechtigkeit usw. Aber man muss einmal sehen, wie sich so etwas auswirkt. Wir haben eine ganze Reihe von Betrieben, die selbst nicht ausbilden können. Die sind auf jeden Auftrag angewiesen, damit sie später vielleicht einmal ausbilden können. Wenn Sie denen nicht einmal einen Auftrag geben, können Sie die gleich zum Insolvenzverwalter schicken.

Das heißt: Das Herz muss sprechen, aber – Entschuldigung! – auch ein ganz klein wenig dazu der Verstand.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Und daran mangelt es manchmal bei den Vorschlägen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wer spricht für die CDU-Fraktion? –

(Abg. Hofer FDP/DVP: Niemand! Ich war der letz- te Redner!)

Herr Abg. Schmiedel.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Wieso denn? Der hat doch gar keine Redezeit mehr! – Abg. Drexler SPD: Wieso? Es gibt doch zweimal fünf Minuten!)

Herr Kollege Hofer, ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass dies eine Aktuelle Debatte ist und dass es zwei Runden mit einer Redezeit von jeweils fünf Minuten gibt.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Dann komme ich noch ein- mal! – Widerspruch bei der SPD)

Ich nehme an, dass alle Abgeordneten dieses Hauses auf zwei zählen können.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ich kann auf drei zählen! – Unruhe)

Herr Abg. Schmiedel.

Herr Minister Döring, es ist schon bezeichnend, dass Sie auf das Bildungspapier des Handwerks mit keinem Wort eingegangen sind. Auch Sie stehen nicht als Gesprächspartner zur Verfügung, wenn es um die Frage geht: Wie schaffen wir es denn, die Ausbildungsfähigkeit von jungen Leuten zu verbessern? Ich hätte schon vom Wirtschaftsminister dieses Landes erwartet, dass er das Handwerk wenigstens ernst nimmt und mit ihm redet.

Zweitens zur Ausbildungsplatzabgabe. Ich sage einmal: Das ist wie das Ungeheuer von Loch Ness.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Immer wenn die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nachlässt, muss das auftauchen, einmal kräftig fauchen, und dann tut sich hoffentlich etwas, und dann kann es auch wieder verschwinden. Aber so verteufeln, wie Sie das tun, das ist nun wirklich völlig abwegig. Denn in einem Bereich der Wirtschaft ist das seit Jahren gang und gäbe: in der Bauwirtschaft. Da gibt es einen kompletten Ausgleich zwischen Betrieben, die ausbilden, und solchen, die nicht ausbilden. Keiner beklagt sich darüber, das ist ein eingespieltes Modell in Selbstverwaltung der Wirtschaft. So verteufeln muss man das also wirklich nicht. Aber wir hoffen ja alle, dass wir das nicht brauchen.

Sie haben gesagt, Sie wollten konkrete Vorschläge. Der Kollege Hofer hat auf das Offenburger Modell hingewiesen. Ich will einmal das Ergebnis schildern: Da haben von 19 Jugendlichen, die es schwerer haben, 16 nach dreieinhalb Jahren die Ausbildung beendet, einer nach zwei Jahren, und zwei wiederholen die Prüfung. Das ist doch ein Ergebnis, das man zur Kenntnis nehmen muss. Und das unterscheidet uns von Ihnen.

Sie sagen: „Da gibt es einen benachteiligten Jugendlichen. Dem bieten wir zwei Jahre an. Das schafft er gerade.“

Wir sagen: Bietet ihm dreieinhalb Jahre an, aber unterstützt ihn dabei, auch sozialpädagogisch. Dann schaffen ein Großteil dieser Leute die dreieinhalb Jahre, und dann haben sie den vollwertigen Abschluss.

Wenn Sie jetzt das Spitzengespräch führen, bieten Sie doch, wenn es diese Partnerschaft zwischen Südwestmetall und IG Metall in diesem Bereich gibt, an, das flächendeckend im Land einzuführen. Sie bringen die sozialpädagogische Begleitung dazu, und dann haben wir einen Riesenerfolg.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das nächste konkrete Thema: In Niedersachsen gibt es Pilotregionen, in denen man kleine Unternehmen, die keine hauptamtlichen Ausbilder haben, dadurch motiviert hat, auch in die Ausbildung einzusteigen, indem man gesagt hat:

Wir unterstützen ein externes Organisationsmanagement dieser Ausbildung, Ausbildungspartnerschaften. Lassen Sie uns doch dieses erfolgreiche Pilotmodell aufgreifen und auch durch das Wirtschaftsministerium unterstützen. Die dortigen Ergebnisse sind: plus 30 % Ausbildungsplatzangebote in diesen Regionen.

Ein Drittes: Wenn Sie daran appellieren, man sollte in diesem Bereich über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden, wäre es natürlich auch geschickt, Sie gingen mit gutem Beispiel voran. An dem Zuwachs der Zahl der Ausbildungsplätze in den letzten Jahren hatte das Land keinen großen Anteil. Aber Sie könnten ja jetzt in dieser Notsituation sagen: Gerade jetzt ist es wichtig, und dann werden wir auch über den Eigenbedarf hinaus selbst Ausbildungsplätze anbieten.

Und das Letzte, das mit der Modernisierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten – darüber haben wir ja schon öfter diskutiert –:

(Abg. Drexler SPD: Ja!)

Sie müssen doch zugeben: Die 15 Millionen €, die über die Stiftung weitergegeben werden sollen, können erstens nur ganz schwer weitergegeben werden und landen zweitens dort, wo man sie nicht braucht; denn jedenfalls die allermeisten erfüllen nicht den Anspruch der Gemeinnützigkeit. Deshalb sitzen Sie bei der Modernisierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten wieder in der Stiftungsfalle. Sie haben theoretisch Geld und haben es dem Handwerk auch zugesagt, praktisch können Sie es aber nicht abrufen. Deshalb sagen wir: Raus mit den 15 Millionen € aus der Stiftung, rein in den Haushalt. Kämpfen Sie dafür; unsere Unterstützung haben Sie.

Dann haben Sie vier konkrete Punkte, zu denen Sie bei dem nächsten Spitzengespräch, von dem Sie jetzt so tun, als sei dies ein ganz einmaliger Vorgang – alle Ihre Vorgänger haben das auch schon gemacht –, sagen können: Lassen Sie uns das Thema gemeinsam aufgreifen; auch wir leisten einen wichtigen eigenen Beitrag, damit jeder junge Mensch in Baden-Württemberg eine Chance auf eine qualifizierte Berufsausbildung erhält.

(Beifall bei der SPD und Abg. Boris Palmer GRÜ- NE)

Das Wort erhält Frau Abg. Sitzmann.