Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Es geht nicht um die Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme insgesamt. Das ist ein ganz anderes Themenfeld. Es geht vielmehr darum, dass wir als Land, als europäische Region in eigener Kompetenz das tun können, womit Probleme abgebaut werden können. Das betrifft – wir sind ein großer Flächenstaat, und wir haben lange Grenzen zu europäischen Nachbarn – in erster Linie Grenzgebiete zur Schweiz, zu Frankreich, betrifft im politischen Raum aber auch unsere Kooperation mit den Partnern der „Vier Motoren für Europa“.

Wir werden – das ist hier schon angeführt worden – im Oktober gemeinsam mit unseren französischen und Schweizer Partnern am Oberrhein in einer Konferenz Modelle und Möglichkeiten der Verbesserung der Leistungserbringung über die Grenzen hinweg diskutieren. Auf dieser Grundlage – diesen Erfahrungen, dieser Diskussion – sollen weitere Konzepte und Partnerschaften entwickelt werden, die auch dazu dienen können, Schwierigkeiten und Hindernisse für die Bürger abzubauen, die eben Gesundheitsleistungen jenseits der Grenze suchen. Auch das ist okay.

Ein Vorläufer dieser Bemühungen ist ebenfalls am Oberrhein zu finden. Das ist das Modell NETLINK, das bereits etabliert ist. Es ist ein gutes Beispiel für nachbarschaftliche Beziehungen in einem Grenzgebiet. Andere wichtige Modelle sind beispielsweise die Lörracher Vereinbarung oder die Kooperationen zwischen Krankenhäusern. Da zeigt sich, dass die Beteiligten im Land durchaus in der Lage sind, für den Bürger greifbare Lösungen passgenau zu erreichen. Wir haben bei den „Vier Motoren für Europa“, bestehend aus den Regionen Rhône-Alpes, Katalonien, Lombardei und Baden-Württemberg, diese Fragen aufgeworfen. Wir wurden als Land initiativ. Diese Initiative ist bei unseren Partnern auf großes Interesse gestoßen. Diese Fragestellungen werden wir im nächsten Frühjahr im Rahmen unserer Präsidentschaft zum Leitthema für die „Vier Motoren“ machen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Gut! Sehr gut!)

Mit diesen Beispielen wollte ich zeigen, dass wir zu den zum Teil hoch abstrakten Diskussionen auf der europäischen Ebene im Gegenstromverfahren einen konkreten Beitrag der Regionen einbringen und auch zeigen, welche Fragen für die Länder relevant sind und wie wir sie eigenständig und mit regionalen Kooperationen und Besonderheiten lösen können. Ich denke, das wird dazu beitragen, dass die Strukturen, die wir in unterschiedlichen rechtlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen verantworten müssen, dann für die Bürger auch die effizienteste und effektivste Angebotspalette bieten. Ich denke auch, das wird dazu beitragen, dass wir die großen Freiheiten, die Europa auch bringt, für unsere Bürger sichern können. Ich denke, so müssen wir unsere Aufgabe zu dem Thema „Gesundheit in Europa“ sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Hoffmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wissen Sie, worunter Europa leidet? Europa leidet nicht darunter, dass man zu viel darüber spricht. Europa leidet darunter, dass die Menschen nicht wissen, dass eine Situation, bevor sie sich ändert, über Europa geregelt wird. Über Europa wird viel zu wenig gesprochen. Die heutige Debatte soll und kann auch dazu beitragen, dass ein ganz wichtiges Thema nicht wieder unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, sondern dass Gesundheit ein Thema wird, vielleicht das erste Thema überhaupt, bei dem man die Bevölkerung mit einbezieht, auch über die Auswirkungen.

Frau Kollegin Haußmann, Sie haben vorhin gesagt, der Europäische Gerichtshof habe dieses und jenes bestimmt. Der Europäische Gerichtshof hat eines getan, was wir versäumt haben: im richtigen Moment Politik zu machen. Das Gericht hat hier Politik, politisches Handeln ersetzt. Ich denke, das sollte uns als Abgeordnete eigentlich zu denken geben. Wenn der EuGH Gesetze macht, dann ist das nicht im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger. Vielmehr muss es im Sinne von uns sein, dass wir vorzeitig Entwicklungen erkennen und es nicht den Gerichten überlassen, für uns Regelungen zu treffen.

Herr Noll, Sie haben gesagt, es störe Sie nicht, wenn man im Ausland Versicherungen abschließt oder Behandlungen in Anspruch nimmt. Ich garantiere Ihnen, dass Sie einer der Ersten sind,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein!)

der hier vorne steht, wenn neben Ihnen ein slowenischer Zahnarzt seine Praxis eröffnet,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein, nein!)

wenn nicht vorher geregelt ist, dass die Qualität für die Bürgerinnen und Bürger gleich ist. Nur darum geht es. Wenn wir uns über Qualitätsstandards einigen – das wird die EU machen, wenn wir dazu mit unserer Diskussion beitragen –, dann werden wir es auch schaffen, dass die Akzeptanz zunimmt, und dann habe auch ich nichts dagegen, wenn sich die Grenzen in alle Richtungen öffnen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Ganz im Gegenteil, das finde ich eine gute Sache.

Herr Schmiedel ist ja wieder im Raum. Er hat vorhin einen Zwischenruf zum Thema EU gemacht. Ich freue mich auch darüber, dass Frau Lösch gesagt hat, dass die EU als Chance verstanden werden muss und dass man der EU keine Steine in den Weg legen darf.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Positiv!)

Ganz große Klasse, Frau Lösch! Die Bundesregierung macht im Moment gerade das Gegenteil.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ach!)

Wir verabschieden im Gesundheitswesen gerade die so genannte vierte Säule der Arzneimittelprüfung. Das ist ein europaweiter Alleingang. Kein anderes europäisches Land hat diese Säule.

Jetzt komme ich auf Baden-Württemberg und Herrn Schmiedel zu sprechen, weil wir im Wirtschaftsausschuss dieses Thema schon berührt haben. 135 Betriebe in BadenWürttemberg forschen im Arzneimittelbereich. Wir sind das größte, forschungsstärkste Land mit Kleinbetrieben, Kleinstbetrieben und dem Mittelstand. Die vierte Säule bedeutet eine weitere Verzögerung und wesentlich mehr Kosten für diese Unternehmen. Viele dieser Unternehmen machen sich im Moment Gedanken über den Standort und überlegen sich, ob sie nicht – einige haben das schon gemacht – ihre Forschung ins benachbarte Ausland verlegen, wo EU-weit geforscht werden kann, ohne dass eine neue Prüfsäule und Prüfinstanz entsteht. Das sind ganz konkrete und praktische Auswirkungen, die zeigen, wie eine falsche EU-Politik auch zu einer Benachteiligung des Wirtschaftsstandorts führt.

Weiterhin zum Thema Wirtschaft: Wir setzen in BadenWürttemberg auf Biotechnologie. Da sind in der Regel lauter kleine Betriebe mit einem einzigen Produkt tätig. Bis die die Zulassung der drei Hürden haben, brauchen die schon sehr lange. Die vierte Hürde wird viele Produkte und viele Unternehmen an der Markteinführung hindern, weil es viel zu lange dauert. Das sind ganz praktische Auswirkungen, die die EU für uns mit sich bringt. Da können auch wir als Landtag von Baden-Württemberg sehr wohl mit überlegen, wie verhindert werden kann, dass wir uns selber einseitig in der EU mit entsprechenden Zulassungshemmnissen benachteiligen.

Frau Staatssekretärin Lichy hat erfreulicherweise gesagt, dass die Landesregierung bereit sei, auch weiterhin entsprechende Modelle zu fördern. Wir freuen uns über die vielen Grenzprojekte der Oberrheinkonferenz, der Internationalen Bodenseekonferenz und des Bodenseerats. Ich will noch einmal – ich habe es vorhin schon einmal gesagt – ganz herzlich und ganz direkt dazu ermuntern – ich bin selber Anwohner eines Grenzbereichs –, dass der Landtag von Baden-Württemberg häufiger über Modelle im Gesundheitswesen mit den Nachbarn spricht und diese Modelle dann auch möglichst fraktionsübergreifend begleitet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Abg. Wieser CDU: Das ist aber schade!)

Sie sind mit der Feststellung einverstanden, dass die Große Anfrage durch diese Aussprache erledigt ist.

Punkt 3 der Tagesordnung ist damit abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD – Gesetz zur Änderung des Ministergesetzes – Drucksache 13/1567

Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses – Drucksache 13/1911

Berichterstatter: Abg. Dr. Reinhart

Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion, gestaffelt, festgelegt.

Das Wort erhält Herr Abg. Stickelberger.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter diesem Tagesordnungspunkt verbirgt sich das Thema „Altersversorgung der Mitglieder der Landesregierung“ – ein sicher spannendes und wichtiges Thema.

Ich darf vielleicht zuerst Kritik daran anbringen, dass der Herr Ministerpräsident nicht anwesend ist. Bei diesem wichtigen Thema hätten wir uns seine Anwesenheit gewünscht. Natürlich haben wir Verständnis dafür, dass Mitglieder der Landesregierung aus dienstlichen Gründen an der Teilnahme an einer Debatte verhindert sind; aber wir haben kein Verständnis dafür, dass, wenn sich die Fraktionen im Präsidium darauf verständigen, die Tagesordnung für den heutigen Tag entsprechend zu strecken, und dann heute Morgen überraschend eine sehr lange Regierungserklärung abgegeben wird und sich alle auf dieses Prozedere einigen, dann der Herr Ministerpräsident an einer Festveranstaltung teilnimmt, während die Fraktionen auf die Teilnahme an dieser Festveranstaltung verzichten. Das kritisieren wir ausdrücklich und empfinden es als Affront gegenüber dem Landtag.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, heute Morgen sind wir insbesondere durch die Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten mit sehr vielen Zitaten namhafter Philosophen konfrontiert worden, mit Äußerungen und wissenschaftlichen Beiträgen renommierter Rechtslehrer aus Verwaltungswissenschaft und Verwaltungslehre. Ich will mich deshalb heute Nachmittag ausdrücklich in Bezug auf Zitate beschränken, nämlich im Wesentlichen auf ein Zitat, das lautet: Wo wir zuständig sind, handeln wir. Dieses Zitat gewinnt besonderen Sinn vor dem Hintergrund der Debatte, die wir jetzt zu führen haben. Gefragt ist das Handeln der Landesregierung und das Handeln der Regierungsfraktionen.

Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht und sind gespannt, wo die Beiträge der Landesregierung und der Regierungsfraktionen hierzu bleiben. Der Herr Ministerpräsident hat ja heute Morgen sehr ausführlich dargelegt, wie er sich die Verwaltungsreform in diesem Land vorstellt. Ich glaube, er hat – Herr Oettinger hat es vorsichtig formuliert – auch die CDU-Fraktion sehr überrascht. Einige von Ihnen reiben sich, glaube ich, jetzt noch die Augen. Er hat die Frau Justizministerin – noch nicht sehr lange im Amt – aufgefordert, innerhalb kürzester Zeit einen Entwurf vorzulegen, der sich mit der Qualität und der Güte der Verwaltungsreform messen lässt. Sie hat das auch vorgelegt. Sie hat zumindest den Zeitplan eingehalten.

(Heiterkeit des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD)

Über die Inhalte werden wir zu gegebener Zeit noch sprechen.

Was fehlt, ist eine ähnliche Dynamik bei diesem Thema „Altersversorgung der Mitglieder der Landesregierung“.

Wenn ich die Radiobeiträge im Südwestrundfunk von vor zwei Tagen Revue passieren lasse – Frau Lichy, ich sehe Sie gerade –, erinnere ich mich, dass auch Sie sich dort in einer Sendung geäußert haben, wenn auch nicht so dezidiert wie Ihr Kollege, der Herr Wirtschaftsminister, der gesagt hat, jetzt sei es an der Zeit, dass auch die Landesregierung entsprechende Vorschläge unterbreite und zu entsprechenden Beschlüssen komme. Diese vermissen wir nach wie vor.

Was wir auf dem Tisch haben, ist der Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion eingebracht hat und der im Rahmen der ersten Lesung hier im Dezember diskutiert wurde.

Der Herr Ministerpräsident hat heute Morgen beklagt, dass in einer Demokratie, wie wir sie haben – –

(Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Herr Hauk, ich verstehe Sie doch nicht, wenn Sie nur dazwischenreden. Es tut mir Leid. Ich verstehe Sie so schlecht.

(Abg. Hauk CDU: Ich habe gesagt: Sie haben sich schon in die ewige Opposition begeben!)