Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion bei gestaffelten Redezeiten festgelegt.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs und auch in der Diskussion im Wirtschaftsausschuss sind vor allem drei Teilaspekte ausführlich diskutiert worden. Ich werde das jetzt nicht alles wiederholen. Die Protokolle kennen wir. Ich darf deswegen zu Anfang kurz auf den Gesamtzusammenhang und vor allem auf die Zielsetzung des Ganzen eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wirtschaft und Gesellschaft ändern sich ja kontinuierlich. Traditionelle Industrien und Gewerbe sind bei uns im Land geschrumpft oder wurden ganz aufgegeben, neue Arbeitsplätze sind vorzugsweise im Dienstleistungsbereich oder an neuen Standorten entstanden. Hierbei hat die Telekommunikation großen Einfluss auf die Wirtschaft und auch auf unsere Lebensweise genommen.
Alle diese Entwicklungen haben sehr deutliche räumliche Auswirkungen. Die Städte sind gewachsen, immer mehr Fläche für Wohnungen und Gewerbebauten wird gebraucht, die Entfernungen zwischen Wohnungen und Arbeitsplätzen sind gestiegen, und diese Dezentralisierung von Wohnungen und Arbeitsplätzen wird noch durch neue Verkehrstechnologien und auch durch die Telekommunikation unterstützt. Dieser Prozess wird weitergehen und sich noch steigern.
Gleichzeitig werden landwirtschaftlich genutzte Flächen in Bauland umgewandelt oder fallen brach, weil sich ihre Bewirtschaftung nicht mehr lohnt. Bei uns im Nordschwarzwald wachsen zum Beispiel immer mehr Freiflächen zu, weil sie niemand mehr bewirtschaftet, und sie werden dann immer öfter einfach aufgeforstet. Zunehmende Flächeninanspruchnahme durch Wohnen, Industrie, Gewerbe und Verkehr gefährdet langsam, aber sicher die Qualität unserer natürlichen Ressourcen.
Im Wettbewerb um Investoren konkurrieren deutsche und ausländische Städte und Regionen. Auch wir tun das ja in Baden-Württemberg mit unserem Standort-Marketing. Das kann dann allerdings zur Folge haben, dass Regionen, die einen hohen Anteil an so genannten alten Industrien haben oder auch abgelegene ländliche Räume sind, davon bedroht sind, hinter die allgemeine Entwicklung des Wohlstands und auch der Lebensqualität zurückzufallen.
Gleichzeitig prägen die Bürger die Siedlungsstruktur, und zwar durch die Wahl ihres Wohnortes und ihres Arbeitsplatzes und durch ihr Freizeit-, Erholungs- und Versorgungsverhalten. Ein typischer Fall: Wenn in Stuttgart das Bauland zu teuer ist – und das ist es ja –, kommen die Leute zu uns ins Gäu oder in den Schwarzwald, und plötzlich ist der neue Teil eines Ortes doppelt so groß wie der alte Ortskern, und schon fangen die Probleme an. Dann ist der Kindergarten zu klein, die Schule zu klein, nimmt der Verkehr zu. Doch die Neubürger können öfter mit dem dörflichen Leben nicht viel anfangen, und man bemerkt sie kaum.
Bürger und Wirtschaft stellen auch Anforderungen an eine räumliche Struktur, die sich häufig widersprechen. Sie möchten eine gute Versorgung mit Wohnfläche, sie möch
ten Ruhe und Grün am Wohnort, sie wollen Erholungsgebiete und möglichst auch unberührte Landschaften in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie wünschen sich aber Arbeitsstätten sowie Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen, die sie schnell und bequem erreichen können. Dazu gehören dann wiederum gute Verkehrsverbindungen. Aber gleichzeitig möchten sie Ruhe vor Lärm und Abgasen.
Der Staat soll nun über die Raumentwicklung möglichst viele dieser Ansprüche erfüllen. Das Bundesraumordnungsgesetz aus dem Jahr 1998, das wir mit diesem Gesetzentwurf umsetzen möchten, gibt jedoch keinen verbindlichen oder festen Raumordnungsplan für das gesamte Gebiet Deutschland vor. Raumentwicklung wird vielmehr durch Leitbilder und Handlungskonzepte bestimmt, die der Bund und die Länder gemeinsam erarbeiten, die Landes- und Regionalplanungen – und bei denen sind wir jetzt – konkretisieren diese Leitbilder und Konzepte für ihre jeweiligen Gebiete, und die Gemeinden setzen sie schlussendlich in rechtsverbindliche Pläne um.
Wir werden morgen über einen wichtigen Aspekt der Raumordnung und der Landesplanung reden, und zwar über den zunehmenden Flächenverbrauch und mögliche Gegenmaßnahmen. In diesem Entwurf geht es um viel mehr als um die Punkte, die in der ersten Lesung einen sehr breiten Raum eingenommen haben. Das war zum einen die Windenergie als eine Energieform unter vielen; bei uns im Binnenland übrigens die unzuverlässigste. Ich darf hier erwähnen: Eine Planungspflicht – und das wurde ja diskutiert – heißt natürlich auch, dass nichts verzögert werden darf. Das wollen wir ja alle.
Dann ging es um die Einwohnerrichtwerte für die Kommunen. Die haben sowieso noch nie gestimmt, und die will vor Ort niemand mehr. Und es ging um Zuständigkeitsfragen zwischen Regierungspräsidium, Regionalverband, dessen Planungsausschuss; das kann man nun wirklich so oder so regeln. Wir haben uns in diesem Entwurf für eine Möglichkeit entschieden, von der wir glauben, dass sie sehr flexibel ist, sodass auf regionale Gegebenheiten richtig eingegangen werden kann.
Wir wollen mit diesem neuen Planungsgesetz anhand der aktuellen Erfordernisse von Wirtschaft und Gesellschaft einen modernen und auch flexiblen Rahmen setzen, und zwar bei der Wohnbebauung, bei der gewerblichen und industriellen Nutzung, bei einem modernen Energie- und Verkehrsmanagement, bei der Versorgung der Bevölkerung – Stichwort Einkaufen und Supermärkte –, beim Schutz der landwirtschaftlich genutzten Flächen und bei deren Nutzung, wenn sie niemand mehr nutzen will.
Wir wollen auch die natürlichen Ressourcen schützen – unsere einzigartige Landschaft, die Tiere, die Pflanzen –, wir wollen Erholungsgebiete für die eigene Bevölkerung und auch als Attraktion für die Touristen – viele Menschen bei uns im Land leben ja vom Tourismus – erhalten.
Folgerichtig werden in der Landesplanung deshalb Entwicklungsachsen ausgewiesen. Es gibt eine Aufteilung in die Verdichtungsräume, in Zentren von verschiedener Klassifikation und auch mit sehr verschiedenen Aufgaben, und
Es kann nicht überall alles geben. Wer sich als Privatmensch oder als Entscheidungsträger in der Wirtschaft für einen Standort entscheidet, muss genau wissen, welche Vorteile und welche Nachteile dieser bietet. Er muss wissen, dass eine Landesplanung, eine Regionalplanung und auch eine Bauleitplanung bestimmte spezielle Wünsche zulassen, andere aber auch nicht. Nicht an jedem Ort gibt es alles. Aber man muss zuverlässig wissen, was geht und was nicht geht, ganz gleich, ob man nun ein Häusle, eine Fabrik oder einen Supermarkt baut.
Deshalb: Was sollen eigentlich Richtwerte? Sie funktionieren nicht. Also weg damit! Der Grund ist auch der: Schwarzwald und Hohenlohe sind nicht miteinander vergleichbar, schon gar nicht mit der Rheinebene oder dem Bodenseebereich. Selbst gleich große Städte sind nicht miteinander vergleichbar. Öhringen ist halt anders als Freudenstadt oder Aalen. Unsere Gemeinderäte und Kreistage sind sehr kompetente und vernünftige Gremien; die schaffen das wirklich auch selbst. Keiner wird seine wertvolle Fläche vergeuden.
Regionalkreise, meine Damen und Herren, passen auf die Region Stuttgart sehr gut, aber sonst, meine ich, eher nicht. Bei uns im Nordschwarzwald wäre ein Regionalkreis viel zu weitläufig und unbeweglich, vor allem auch sehr uneinheitlich in Struktur und Topographie. Bei uns sind Zweckverbände eine wesentlich bessere Lösung und auch eine sehr flexible Lösung. Vor allem kann man diese zeitlich und auch aufgabenbezogen begrenzen und wieder auflösen.
Ich glaube, dass solche kreis- und regionsübergreifenden Lösungen auch zeitlich befristet Sinn machen, zum einen bei der Abfallentsorgung, bei Wasser, Abwasser und auch der Energie und zum anderen, was inzwischen öfter der Fall ist, beim ÖPNV und sicher auch beim Tourismus. Alles muss geordnet sein, meine Damen und Herren. Man kann also nicht wie ein Eichhörnchen die besten Nüsse herauspicken und sie dann dort vergraben, wo man gerade will.
Mit flexiblen und modernen Lösungen – so, wie es nötig ist – werden wir einem Land wie Baden-Württemberg gerecht, das derart vielfältig ist. Dazu braucht man auch für lokale und regionale Lösungen eine gewisse Freiheit. Dazu brauchen wir, meine Damen und Herren, weder eine grüne Zwangsjacke, die alle mit Richtwerten und Bußgeldern beglückt,
noch brauchen wir einen sozialistischen Einheitsbrei für unsere Städte, wobei jedem ein uniformes Glück mit einheitlichem Mietwohnungsbau aufgezwungen wird.
(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Jeder Regionalverband soll selbst entscheiden können! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)
Baden-Württemberg ist ein vielfältiges Land; es ist ein interessantes Land. Wir brauchen einen sehr flexiblen Rahmen,
der dies alles erhält. Diesen Rahmen legt die Landesregierung mit dem Entwurf des neuen Landesplanungsgesetzes vor. Die CDU-Fraktion trägt diesen Entwurf mit.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der ersten Lesung ausführlich diskutiert und im Ausschuss sehr ausführlich miteinander gerungen, sodass ich mich heute angesichts der fortgeschrittenen Zeit hinsichtlich der allgemeinen Worte, die zu sagen wären, kurz fassen kann.
Frau Kollegin Brenner, Sie haben dargelegt, dass die Änderung des Landesplanungsgesetzes überfällig und eine notwendige Anpassung an die Vorgaben des Raumordnungsgesetzes des Bundes sei. Schon aus diesem Grund würden wir ja eigentlich gerne freudig zustimmen.
Deshalb muss ich leider ankündigen: Wenn es in dieser Sitzung nicht gelingt, den Murks zu beseitigen, handwerkliche Fehler zu reparieren
Beginnen wir mit dem Murks. Das Inhaltsverzeichnis ganz am Anfang wird gestrichen. Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass künftig bei allen Gesetzen – egal welchen Umfangs – auf das Inhaltsverzeichnis verzichtet werden soll.
Der Minister, in der Ausschusssitzung befragt, warum denn das Inhaltsverzeichnis entfallen sei, hat sich nach hinten gewandt – tuschel, tuschel, tuschel –, und dann kam heraus,
irgendeine der hoch gelobten Entbürokratisierungsinstitutionen in der Landesregierung habe das empfohlen, und da hat man es halt gemacht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Entbürokratisierung am Ende bedeutet, dass man dem Leser von Gesetzen das Leben dadurch erschwert, dass man ihn auf die Suche nach den entsprechenden Kapiteln schickt, anstatt ihm durch ein Inhaltsverzeichnis einen Anhaltspunkt zu geben, wo man denn fündig werden könnte, dann ist eine solche Entbürokratisierung wohl verfehlt. Das bedeutet mehr Geschäft für alle, die damit umzugehen haben. Deshalb beantragen wir heute die Wiederaufnahme eines Inhaltsverzeichnisses auch in dieses Gesetz.
(Heiterkeit des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Bei- fall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der CDU: Jetzt aber zum Inhalt!)
Das hat mit dem Gesetzentwurf inhaltlich nichts zu tun; das ist einfach Murks, der beseitigt werden muss.
Handwerkliche Fehler finden wir im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin Brenner, bei der Streichung der Richtwerte. Es ist ja nicht so, wie Sie jetzt gerade suggeriert haben, als gebe es für das ganze Land angesichts völlig unterschiedlicher Strukturen Einheitsrichtwerte für die Entwicklung. Im Gegenteil: In den jeweiligen Regionalplänen werden sinnvollerweise für die einzelnen Verwaltungsräume unterschiedliche Richtwerte für die Siedlungsentwicklungen vorgegeben. Und uns sagen die Regionalplaner, die handwerklich damit umgehen müssen, dass man ohne verbindliche Richtwerte eigentlich die Siedlungsentwicklung nicht steuern kann.
Wir wissen doch, wie schwierig es insbesondere in den Ballungsräumen ist, die Entstehung eines „Siedlungsbreis“ zu vermeiden. Wir wissen, wie schwierig es ist, Entwicklung auf die Entwicklungsachsen zu konzentrieren, und wir wissen alle, dass wir die ewigen Staus auf unseren Straßen durch rein verkehrslenkende Maßnahmen nie beherrschen werden, sondern dass wir Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur zusammenbringen müssen. Dazu brauchen wir die Richtwerte. Deshalb ist es ein großer handwerklicher Fehler, auf die Richtwerte zu verzichten. Wir beantragen daher, die Richtwerte wieder einzuführen.