Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

(Ministerpräsident Teufel: Sehr richtig!)

Eine ganz groteske Umkehrung Ihres Mottos: Nicht die gewählte Volksvertretung bestimmt die Grundlinien einer solchen Reform, sondern die Exekutive, und wir sollen uns dann hier mit den Details und dem „Fiselkram“ beschäftigen. So ist die Demokratie nicht gedacht!

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Drexler SPD)

Erst beschließen, dann begründen, dann diskutieren – das ist eine groteske Umkehrung jedes Verfahrens in der Demokratie.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich bezweifle nicht, dass es gemütlicher ist, sich in der Stube in Spaichingen eine Verwaltungsreform auszudenken,

(Abg. Drexler SPD: Dann wird sie aber auch so!)

aber sie gehört in den öffentlichen Raum, wo sich allerdings die Argumente hart im Raum treffen. Das ist dann natürlich nicht so gemütlich.

(Abg. Hillebrand CDU: Was machen wir denn?)

Unser Gegenvorschlag war der richtige: eine Enquetekommission einzusetzen, in der der Landtag selbst mit Experten von außen entscheidet, was die Grundlinien und Grundlagen einer solchen Verwaltungsneuordnung in Baden-Württemberg sein sollen.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Blenke CDU)

Herr Ministerpräsident, ich empfinde das als umso peinlicher, als Sie hier sehr lange Ausführungen zu Europa und zur Föderalismusreform gemacht haben. Ich kann natürlich Ihre Kritik an der Bundesministerin im Prinzip teilen, wenn sie uns einfach abspeisen will mit Zugeständnissen beim Notariatswesen, beim Jagdwesen und bei der Freizeitlärmbekämpfung.

(Ministerpräsident Teufel: Eben!)

Aber wenn Sie Ihr eigenes Parlament so desavouieren, wie Sie das getan haben – genau das hat der Bundespräsident auf dem Lübecker Konvent angemahnt –, und wenn sich die Mehrheitsfraktionen diese Entmachtung noch gefallen lassen, entzieht Ihnen das auf der Verhandlungsebene mit dem Bund jede Grundlage zur Stärkung des Föderalismus.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Sie haben eine wirkliche Begründung für Ihre Verwaltungsreform nur ganz allgemein und mit allgemeinen Schulbuchweisheiten dargelegt: über die Einhäusigkeit der Verwaltung und Ähnliches. Aber die Antwort auf die Frage, wieso Sie das jetzt konkret so machen, suchen wir in Ihrer Regierungserklärung vergeblich. Im Hinblick auf eine genaue, präzise Begründung, die auf die Kritik eingeht, die in der Öffentlichkeit und in diesem Parlament an Ihren Vorschlägen geübt worden ist, herrscht völlige Fehlanzeige. Sie gehen mit einem einzigen Satz darauf ein.

Sie können zum Beispiel gar nicht begründen, warum die Forstämter besser funktionieren sollen, wenn sie in die Landkreise eingegliedert werden. Wie soll das aussehen? Bleibt die Einheitlichkeit der Forstverwaltung? In welcher Form wollen Sie das machen? Sie nennen überhaupt keine Argumente, warum das gemacht wird, wie das aussehen soll und wie das funktionieren soll.

Das gilt auch für die Polizei und deren Eingliederung in die Regierungspräsidien. Eine dezidierte Kritik erfolgt von kompetenten Menschen – wie ehemaligen Polizeipräsidenten – in der Öffentlichkeit. Sie gehen darauf einfach mit keinem einzigen Satz ein.

(Zuruf des Abg. Döpper CDU)

Die einzige Neuerung in Ihrer Regierungserklärung ist tatsächlich die Zahl von 100 Millionen €, auf die Sie sich jetzt für die Einsparung festgelegt haben.

Unsere Kritik ist also: Sie delegieren die Probleme und nicht die Lösungen. Sie nehmen keine Aufgabenanalyse und -kritik und schon gar keine Aufgabenreduktion vor. Auch dazu, inwieweit das Ganze mit NSI kompatibel sein soll, sind Sie im Nebulösen geblieben.

Im Grunde bleiben die alten Zuständigkeiten. Sie kommen nur in ein neues Korsett. Die Reform ist kein wirklicher Schritt nach vorn. Sie zementiert die schon bestehenden Strukturen. Das ist das eigentlich Gefährliche an dieser Reform.

Zum Verband Region Stuttgart, der nun gewiss keine unwichtige Region in unserem Land darstellt und der eigentlich ein Beispiel dafür wäre, in welche Richtung eine solche Verwaltungsreform gehen müsste, können Sie kein Wort sagen. Eine der wichtigsten Regionen steht in Ihrem Verwaltungsreformkonzept ganz sperrig drin. Sie können damit nichts anfangen. Sie können dazu überhaupt keine Aussagen machen und lassen eine der wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre völlig außer Acht.

(Beifall bei den Grünen)

Wie das Verfahren, so das Ergebnis: Natürlich ist eine 20prozentige Effizienzrendite völlig illusionär. Nach acht Jahren kann Ihre Regierung noch immer nicht beziffern, wie hoch das Einsparpotenzial der Eingliederung der Gesundheitsämter war. Das wollte die SPD-Fraktion in einer Anfrage wissen. Noch nicht einmal nach acht Jahren wissen Sie das, und jetzt erzählen Sie uns mit irgendwelchen gegriffenen Zahlen, dass Sie zu einer Effizienzrendite von 20 % kommen wollen. Wie das zum Beispiel bei der Polizei funktionieren soll, wo der größte Teil der Verwaltungsaufgaben schon gar nicht mehr dort erledigt wird und wo man im Vollzug gar nichts streichen soll, das bleibt Ihr Geheimnis.

In Wirklichkeit steigt die Anzahl der Behörden. Damit steigt auch der Koordinationsbedarf, weil Sie dienstrechtliche und fachliche Aufsicht weiterhin getrennt lassen. Dies treibt die Kosten natürlich in die Höhe, statt sie zu reduzieren.

Das, was Sie für die unteren Behörden, die diese Institutionen jetzt dazubekommen, mit Effizienzgewinn beschreiben, ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Verletzung des Konnexitätsprinzips: Sie bringen ihnen neue Aufgaben in Form neuer Ämter, und sie sollen das erbringen, wozu Sie in den letzten zehn Jahren nicht fähig waren. Das führt im Ergebnis zu einem Präfektenmodell. Das ist das Gegenteil von „Mehr Demokratie wagen“ und von mehr Selbstverwaltung in den unteren Einheiten; denn bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Ihre Reform die kommunale Selbstverwaltung schwächt.

Bei diesen vielen Defiziten in dem ganzen Verfahren, die ich jetzt aufgezählt habe, muss man fragen: Was ist eigentlich das wahre Ziel, das Sie verfolgen? Das ist doch offensichtlich das, was Max Weber gesagt hat: „Herrschaft im Alltag ist Verwaltung.“ Sie wollen damit offenkundig nur Ihre Machtstrukturen zementieren.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Schmid und Käppeler SPD)

Was müssen die Ziele einer Verwaltungsreform sein? Erstens Transparenz und Bürgernähe, zweitens Aufgabenanalyse, Aufgabenkritik und Aufgabenreduktion mit dem Ziel, das, was der Staat nicht effizient leisten kann, an die Bürgergesellschaft einerseits und den Markt andererseits zu delegieren.

Drittens: Bei den Aufgaben, die der Staat für die Gemeinschaft erbringen kann, muss eine Verwaltungsreform eine Effizienzsteigerung sowohl in der Art und Weise der Erfüllung der Funktionen als auch in finanzieller Hinsicht erwirtschaften.

Das Allerwichtigste bei unserem Vorschlag ist uns: keine Verwaltung ohne demokratischen Unterbau und ohne demokratische Kontrolle. Nur so bekommen wir eine leistungsfähige Verwaltung, die dem Demokratieprinzip folgt, also die Gesetze, die wir hier beschließen, umsetzt und sich auf der Kommunalebene selbst verwaltet.

Unser Gegenvorschlag enthält fünf Prinzipien, die es, glaube ich, in sich haben: Erstens: Abschaffung der Regierungspräsidien;

(Beifall bei den Grünen)

zweitens Überführung der Stadt- und Landkreise in zwölf Regionalkreise, die auf den jetzigen Regionalverbänden aufbauen;

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE – Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

drittens Errichtung von Bürgerzentren in Kommunen mit mehr als 7 000 Einwohnern zur Gewährleistung einer bürgernahen Verwaltung; viertens Bündelung der bisherigen Sonderbehörden in Kompetenzzentren auf der Basis der Regionalkreise und Verlagerung von Aufgaben an die Bürgergesellschaft und den Markt; fünftens Demokratisierung der Verwaltung durch Direktwahl des Leiters der Regionalkreise, also des Regionalpräsidenten oder des Landrats, wie auch immer wir ihn nennen wollen.

Die Regierungspräsidien sind überflüssig. Sie stellen mit Ausnahme ihrer Aufsichtsfunktion eine reine Doppelstruktur zu den Ministerien dar. Diese Aufsichtsfunktion kann zum einen an die Land- und Regionalkreise, aber teilweise auch an die Ministerien gehen. Dass dieser Weg gangbar ist, Herr Ministerpräsident Teufel, zeigt Ihr Kollege Wulff in Niedersachsen, der neuer Ministerpräsident eines Flächenstaates ist und dort die vier Bezirksregierungen abschafft. Dieser Reformvorschlag ist also sehr wohl ganz realistisch und notwendig.

Die alten Strukturen unserer Kreise sind überholt. Die Landkreise sind aufgrund ihres räumlichen Zuschnitts inhaltlich und politisch immer weniger handlungsfähig. Sie sind für die meisten ihrer Aufgaben schlichtweg viel zu klein. Die Überforderung betrifft vor allem die brisanten Gestaltungsaufgaben wie die Abfallpolitik,

(Abg. Schneider CDU: Erledigt!)

den Nahverkehr,

(Abg. Schneider CDU: Erledigt!)

Verkehrsverbünde, Wirtschafts- und Tourismusförderung

(Abg. Schneider CDU: Erledigt!)

und den Krankenhausbedarfsplan. Dies wird schon dadurch deutlich, Herr Kollege Schneider, dass wir in zunehmendem Umfang Aufgaben in immer größer strukturierte Zweckverbände, Eigenbetriebe und Gesellschaften auslagern. Es gibt allein 551 Zweckverbände; diese werden also allmählich die Regel und sind nicht mehr die Ausnahme. Herr Ministerpräsident, Sie lassen das, was überholt ist, eben nicht los.

Was ist die richtige Größenordnung für Effizienzgewinn und Wettbewerbsfähigkeit, wie Sie es selber formulieren? Jetzt nenne ich einmal Ihre eigenen Beispiele, Herr Ministerpräsident, die Sie selbst vor einer Stunde hier gebracht haben.

Das gilt zunächst für die Fusion von Banken, von Medieneinrichtungen und Unternehmen der Energieversorgung. Ich verweise auf die Landesbank und den Südwestrundfunk. Das sind jetzt alles größere Einheiten. Als Zweites haben Sie in Ihrer Erklärung auch die erfolgreiche Zusammenlegung der Länder Baden, Württemberg und Hohenzollern zu einem größeren Bundesland dargelegt. Zum Dritten haben Sie in Ihrer Regierungserklärung die Landkreis- und Gemeindegebietsreform genannt. Wörtlich sagten Sie: Dadurch sind „neue, größere, schlagkräftigere Einheiten geschaffen“ worden. Sie haben das als Erfolg hingestellt.

Jetzt frage ich Sie, wieso Sie ausgerechnet beim Zuschnitt einer Mittelverwaltung im europäischen Kontext heute behaupten, die Regionalkreise seien zu groß. Ich glaube, das ist einfach glatter Unsinn.

(Beifall bei den Grünen)

Im Gegenteil, wir brauchen heute länderübergreifende Regionen, wie wir sie in der Kurpfalz oder im Raum Ulm teilweise schon haben. Wir brauchen aber auch grenzüberschreitende Kooperationen und letztlich auch Gebietskörperschaften wie den Oberrheinrat, die Region PAMINA im Karlsruher Raum oder die Bodenseekonferenz. Das ist genau die richtige Größenordnung, weil dabei Dynamik produziert wird und die Musik spielt. Der Regionalkreis Stuttgart zeigt, dass solche Körperschaften genau die Dynamik entfalten können, die wir wollen.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)