Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

In den grenzüberschreitenden Regionen sehen wir das ebenso.

Sind die Regionen bürgerfern? Natürlich ist auch diese Behauptung völliger Unsinn. Im Gegenteil, wir wollen, wie das auch Ministerpräsident Wulff vorhat, die Regierungspräsidien abschaffen. Die Mittelbehörden rücken weiter nach unten.

Zweitens: „Bürgernah“ heißt heute nicht nur örtliche Nähe, sondern auch Transparenz gegen den Wildwuchs der Zweckverbände. „Bürgernah“ heißt klare Zuständigkeiten, heißt Bündelung. Auch das haben Sie mit Ihren Verwaltungsfachleuten alles zitiert.

Deswegen wollen wir ja Regierungspräsidium und Landkreis zu einer einzigen Mittelbehörde zusammenlegen und damit zu einem zweistufigen Aufbau kommen. Das heißt

aber auch demokratische Kontrolle und Mitgestaltung. Im Gegensatz zu den Regierungspräsidien, die da völlig ohne demokratischen Unterbau in der Luft hängen, haben die Regionalkreise einen Unterbau, in dem diejenigen, die gewählt sind, auch etwas zu entscheiden haben – anders als in den heutigen Landkreisen, wo das andere tun und den Landkreisen nur ein kläglicher Rest übrig bleibt.

Weiter haben wir dann eine Direktwahl des Regionalpräsidenten bzw. des Landrats und eine Rückverlagerung der dienstleistungsnahen Verwaltungstätigkeiten auf die Kommunen. Auch dazu hätten wir heute doch erwarten können, Herr Ministerpräsident, dass Sie einmal erläutern, was da nach unten verlagert werden soll. Sie haben das nur angekündigt und wieder nicht dargelegt, was das sein soll.

Ich glaube, dass wir Zuständigkeiten etwa für Wirtschaftsförderung, öffentlichen Schienenpersonennahverkehr, Landesstraßenbau durchaus vom Land nach unten auf die Regionalkreise verlagern können und dementsprechend von den heutigen Landkreisen wieder auf die Kommunen.

Um zu gewährleisten, dass die dienstleistungsnahen Verwaltungstätigkeiten von den Bürgern wahrgenommen werden können, wollen wir in Kommunen ab 7 000 Einwohnern als Kernstück Bürgerzentren einrichten, in denen die Bevölkerung ihre Ansprüche an die Verwaltung sehr ortsnah wahrnehmen kann.

Die Landkreise in ihrer heutigen Form sind zu klein; sie bilden ein Zwangskorsett. Bei Ihrem Reformvorschlag müssen Sie die Zahl der Ämter erhöhen. Aus 30 Schulämtern machen Sie 44, aus 35 Polizeidirektionen 44, aus 35 Landwirtschaftsämtern 44 usw. Das ist unsinnig und führt zu einer Vermehrung und nicht zu einem Abbau von Verwaltung, ist teurer und nicht billiger.

Wenn Sie das nicht tun, sondern Ihre Vor-Ort-Lösung realisieren wollen – das heißt, dass einzelne Landkreise Tätigkeiten für mehrere andere wahrnehmen –, landen Sie genau bei den von uns vorgeschlagenen Regionen.

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Damit geben Sie zu, dass die Einheiten zu klein sind und Sie größere brauchen. Aber das Ganze ist eben ungeordnet, undurchschaubar, uneinheitlich, verursacht einen riesigen Koordinationsbedarf und führt nicht zur Effizienz von Verwaltung.

(Beifall bei den Grünen)

Wir dagegen sagen klar und eindeutig: Zwölf Kompetenzzentren für den ländlichen Raum, in denen bisherige Flächenbehörden zusammengefasst sind, die für Naturschutz, Landwirtschaft, Vermessung, Flurneuordnung zuständig waren.

Zweitens: Zwölf Kompetenzzentren für die ganze wirtschaftliche Entwicklung und den Tourismus, zwölf Polizeidirektionen und zwölf Schulämter.

(Abg. Blenke CDU: Das soll bürgernah sein?)

Das ist, glaube ich, die richtige Größenordnung, die wir brauchen.

Ich möchte Ihnen jetzt noch einmal anhand des Beispiels Schule erläutern, wie eine solche Verwaltungsreform eigentlich aussehen soll, was der Weg und was das Ziel ist.

Wir haben im Schulbereich bereits eine Aufgabenanalyse, zu der auch die PISA-Studie beigetragen hat. Das erste Ergebnis dieser Aufgabenanalyse lautet: Unser Schulwesen ist zu schlecht und bringt keine Leistungen, die dem internationalen Vergleich standhalten.

Weiter erfolgt daraus eine Aufgabenkritik. Diese Aufgabenkritik lautet: mehr Selbstständigkeit für die Schule und, Herr Ministerpräsident, die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Kein Widerspruch!)

dass also Entscheidungen erst dann auf höherer Ebene getroffen werden, wenn die Schule die Entscheidungen nicht treffen kann. Selbstständige Schule heißt: Die Schulen erhalten Personalbudgets und entscheiden darüber, sie erhalten globalisierte Haushalte, sie haben Freiräume für Leistungserbringung und Leistungsbewertung. Dazu gehören Schulprogramme zur fächerübergreifenden Unterrichtsplanung. Die Schulen sollen das Ergebnis selbst bewerten und sich miteinander vergleichen. Sie brauchen eine demokratische Mitsprache und neue Leitungsstrukturen, die diese Entscheidungen fällen können.

(Beifall bei den Grünen)

So etwas kann man natürlich nur gemeinsam mit den Betroffenen neu gestalten. Es sollte nicht so geschehen, wie dies bei Ihrer Reform der Fall ist, bei der die Betroffenen aus der Zeitung erfahren, was am Vortag beschlossen wurde. Das ist das Entscheidende.

Dieser Reformansatz, den ich jetzt am Beispiel der Schule erläutert habe, ist mit der Bürgergesellschaft vernetzt. Eine Schulreform funktioniert nur, wenn sich die Eltern wieder stärker am Schulleben beteiligen, wenn sie dort mitarbeiten, mitgestalten, selber Verantwortung, aber auch Einfluss haben, wenn die Vernetzung mit den Vereinen stattfindet und wenn die Schule in die kommunale Selbstverwaltung eingebettet ist.

Nach der Aufgabenkritik und der Ableitung von Vorschlägen daraus kommt die Aufgabenreduktion und -beschreibung für die Verwaltung. Im Ergebnis heißt das: Eine zweistufige Verwaltung mit einem Ministerium und den Mittelinstanzen, also zwölf Schulämtern, reicht völlig. Sie haben zwei Aufgaben: erstens die Bildungsstandards zu gewährleisten und zweitens die Kontrolle darüber sicherzustellen, dass diese Standards auch erfüllt werden. Das ist das, was der Verwaltung im Kern bleibt. Das ist das Konzept einer Gewährleistungsverwaltung, bei der die Verwaltung nicht alles selber von oben nach unten macht, sondern die subsidiär angelegt ist, wo die Betroffenen vor Ort selber gestalten und der Staat die Standards festsetzt und sicherstellt, dass sie kontrolliert und eingehalten werden.

Wenn ich dieses Konzept verfolge, komme ich zu einer Aufgabenreduktion. Ich kann dann das Wissenschaftsministerium und das Kultusministerium zusammenlegen, weil kein so hoher Verwaltungsbedarf mehr besteht. Es genügen

die zwölf Regionalschulämter. Ich kann dann mit Sicherheit auch das Personal drastisch reduzieren. Der Effizienzgewinn, der dabei herauskommt, ist unmittelbar einleuchtend, weil dadurch Aufgaben an andere delegiert werden, die diese sehr viel besser erledigen können.

Das, was ich Ihnen am Beispiel der Schule darstellen konnte, ist das richtige Vorgehen. Im Ergebnis sind damit Qualität und Einheitlichkeit gesichert. Es ist tatsächlich von den Bürgerinnen und Bürgern her gedacht und gemacht. Es ist kommunal eingebettet. Der Freiheitsraum der Bürgergesellschaft ist erweitert, weil alle, die dort sind, mehr entscheiden können. Und es ist bezahlbar. Dann komme ich tatsächlich zu einem fiskalischen Effizienzgewinn, der unsere Verwaltung auch in Zukunft bezahlbar macht.

Ein solches Verfahren, wie ich es Ihnen gerade für die Schulreform skizzieren konnte, wäre das Richtige für die ganze Verwaltungsreform gewesen.

(Beifall bei den Grünen)

Denn, Herr Ministerpräsident, Legitimation durch Verfahren macht eine moderne Demokratie aus. Eine Verwaltungsreform regelt Zuständigkeiten neu. Sie stellen die Zuständigkeiten auf den Kopf. Das Parlament soll sich um die Details kümmern, und die Exekutive gibt die Grundrichtung an. Herr Ministerpräsident, Sie haben einen Coup gelandet, und zwar auf Kosten Ihrer Fraktion, die sich entmachten ließ. Da in diesem Parlament die Mehrheitsfraktionen entscheiden, geht das natürlich auch auf Kosten des Gesamtparlaments – das können wir überhaupt nicht verhindern –, also des ganzen Landtags. Sie haben Ihr Anliegen des Föderalismus durch Ihr Verhalten konterkariert, indem Sie so etwas in zwei Tagen durchgezogen haben. Ich sage Ihnen: Das ist eine bonapartistische Attitüde und keine starke Führung.

(Beifall bei den Grünen – Lachen bei der CDU)

Führung in der Demokratie bedeutet Führen durch Überzeugen und nicht Führen durch Überrumpelung. Deswegen ist Ihre Verwaltungsreform kein großer Wurf, sondern nur eine große Reparatur.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Mit der Regierungserklärung hat Erwin Teufel seine beabsichtigte Verwaltungsreform für Baden-Württemberg in einen größeren Zusammenhang gestellt. Ich nehme auf die wesentlichen Schwerpunkte Bezug.

Erstens: die europäische Dimension. Der Landtag hat in seiner Debatte in Karlsruhe vor einem Jahr auf gutem Niveau über die künftige Aufgabenstellung Europas diskutiert. Wir waren uns damals eigentlich darüber einig, dass Europa kein zentral ausgerichtetes Gebilde werden soll. Damals haben wenige geglaubt, dass der föderale, dezentrale Gedanke Struktur annimmt: Vielfalt, Subsidiarität, Verantwortung in den Kommunen, in den Regionen und Ländern. Wir sind

Erwin Teufel und seinen Mitstreitern ausdrücklich dafür dankbar, dass sich für die künftige Lösung eines europäischen Verfassungsvertrags abzeichnet, dass die dezentrale, subsidiäre, föderale Struktur Gestalt annimmt und dort verankert wird und damit die Kommunen Baden-Württembergs, die Selbstverwaltung, die Idee der Länder in Europa nicht überrollt werden, sondern dass dies gehalten und verstärkt werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens: Der Landtag hat Anfang dieses Jahres über das Thema Föderalismusreform eine gute Debatte geführt. Ich bin allen Partnern, auch den Kollegen der SPD, der Grünen und der FDP/DVP, dafür dankbar, dass wir uns auf dem Weg dorthin einig sind. Es liegt an uns, die Bundesregierung und die Bundespolitik generell davon zu überzeugen, dass es um nennenswerte Kompetenzverlagerung aus der Bundespolitik in die Landtage geht, dass es um Aufgabenentflechtung geht und dass hier der bisherige Zwischenstand zwischen den Ländern sehr einheitlich ist und mit dem Bund eher unbefriedigend bleibt.

Drittens: Wir, die CDU-Fraktion, halten eine starke kommunale Selbstverwaltung, starke, in Kompetenz und Finanzen verantwortliche Kommunen – Stadtkreise und Gemeinden – in Baden-Württemberg für zukunftsfähig und legen deswegen auf eine kommunale Selbstverwaltung mit starker Eigenverantwortung auch bei dieser Verwaltungsreform großen Wert. Allerdings, ohne ausreichende Finanzausstattung, ohne eine bessere Haushaltsgrundlage wird die kommunale Selbstverwaltung entleert, und deswegen unterstützen wir als CDU-Fraktion die Position der Landesregierung. Nicht die Ausweitung der Gewerbesteuer – dies wäre ein Weg zurück in die Steinzeit –,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

sondern andere Steuerarten und die Mitwirkung an den Gemeinschaftssteuern sind der Weg dafür, dass den Kommunen die notwendige Finanzausstattung in Zukunft auch konjunkturunabhängig zukommen kann.

Wirtschaft, Gesellschaft – wir alle spüren die Veränderung. Die Strukturreformen in unserem Land sind in den Betrieben und bei den Bürgern weit gediehen, und sie machen vor Verwaltung und Staat nicht Halt. Verwaltung und Staat haben Handlungsbedarf, haben Nachholbedarf, wenn es um eine Reform unserer Arbeitsstrukturen im Bund und in den Ländern geht. Deswegen sind wir dankbar, dass der Ministerpräsident beim Thema Verwaltungsreform nicht aussitzt, sondern anführt.

Lieber Kollege Kretschmann, natürlich war das Vorgehen des Ministerpräsidenten eine Überraschung für Sie und für uns, aber keine Überrumpelung. Wir glauben, dass dieser Überraschungscoup überzeugend ist und zielführend sein wird.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

In der Landesverfassung steht: Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Politik. Genau dies tut er hier. Er setzt sich nicht dem Vorwurf aus, nichts zu tun, er macht nicht nur Tagesgeschäft, er repräsentiert nicht nur, sondern er regiert und handelt über den Tag hinaus.

(Abg. Birzele SPD: Jetzt fehlt nur noch der Satz: „Deshalb tritt er erneut an“!)

Ich sage Ihnen für die CDU-Fraktion ganz offen: Diese Reform beweist Handlungsfähigkeit und Mut einer Regierungskoalition, und ich glaube, dass die Dimension auch für Sie überraschend gewesen ist.