Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

Viel zu kurz ist dagegen der Punkt abgehandelt worden, bei dem es um die Mehrfachbelastung geht. Das ist, glaube ich, wirklich ein Angelpunkt. Frauen halten viel aus und werden auch durch die Mehrfachbelastung trainiert. Aber wie oft so etwas bei all den intensiv diskutierten Krankheiten im Hintergrund steht, ist leider bisher viel zu wenig erforscht. Das wäre aber wichtig.

Auch das Thema der psychosozialen Einflüsse, das indirekt damit zusammenhängt, und der psychischen Erkrankungen

vermisse ich schmerzlich, weil dies sehr oft im Hintergrund von schweren Erkrankungen steht. Nur zwischen den Zeilen steht in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage – zum Beispiel beim Thema Brustkrebs –, dass der Verlust von nahe stehenden Partnern eine starke Einflussgröße darstellt. Da wäre, glaube ich, noch viel zu tun, damit auch wir in Europa doch ein Stück weiter nach vorn kommen.

Nächste Anmerkung: Eine Schwangerschaft ist für mich keine Störung der Gesundheit.

(Beifall der Abg. Dr. Noll FDP/DVP und Selten- reich SPD)

Bedenklich stimmt mich allerdings, wenn drei Ultraschalluntersuchungen vorgesehen sind und der Durchschnitt schon vier beträgt, obwohl es auch Frauen gibt, die das nicht machen lassen. Da habe ich schon Sorge, dass manche eine Schwangerschaft inzwischen doch mehr als Krankheit ansehen. Wir sollten überlegen, wie wir da wieder ein Stück Normalität einkehren lassen. Genauso sind die Wechseljahre grundsätzlich zunächst einmal eine völlig normale Phase im Leben einer Frau. Wir sollten auch da nicht ein schlechtes Gewissen bei all denen verursachen, denen es komischerweise, obwohl sie in dem Alter sind, trotzdem noch prächtig geht.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Und bei Männern!)

Zu den drängenden Gesundheitsfragen wie bei Brustkrebs und anderen Krebsarten ist in der Antwort der Regierung viel Statistik enthalten. Als Konsequenz daraus – was tun wir denn? – heißt es allerdings nur: Es sind keine gesicherten primären Präventionsstrategien bekannt. Das, meine Damen und Herren, ist mir zu wenig. Ich vermisse zum Beispiel auch Aussagen zum Einfluss des Stillens auf Brustkrebs sowie zum Einfluss des Radfahrens darauf. Kürzlich stand in der Zeitung, man hätte da einen Einfluss festgestellt, man könne sich aber noch nicht erklären, warum. Jede Frau, die öfter Rad fährt, kann Ihnen das sagen: Da wird der Brustmuskel trainiert, wenn man sich am Lenker festhält.

Zum Thema Krebsregister hat die Kollegin Dr. Stolz das Richtige gesagt. Wir müssen schauen, dass wir bei vernünftigen Kosten zu guten Erkenntnissen kommen. Auch in den Ländern, Frau Haller-Haid, in denen eine Meldepflicht besteht, sind die Meldungen leider nicht so, dass man vernünftige Konsequenzen daraus ziehen könnte.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Eben! Das ist es!)

Fazit: Wir haben hier eine lobenswerte ausführliche Datensammlung, die sich allerdings aus meiner Sicht – ebenso wie das Gesundheitswesen insgesamt – viel zu sehr auf die technische Analyse beschränkt. Neben der Beschreibung des Ist muss das Hauptanliegen der Politik auf dem Punkt liegen, der nach dieser Analyse erst anfängt, nämlich auf der Frage: Was lernen wir daraus? Wie erhalten wir mehr Männer und Frauen gesund, und was kann das Land dazu tun? Das muss nicht immer mit Geld zu tun haben.

Dazu gehören zum Beispiel Aktivitäten gegen die mentale Überforderung durch unrealistische Leitbilder.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Barbie!)

Diese gibt es sowohl von konservativer als auch von linker Seite. Beide sind in ihrer Extremität falsch. Man müsste einmal sagen, dass es normal ist, dass man/frau nicht alles leisten kann.

Es geht darum, die Leistung von Frauen anzuerkennen – nicht nur zum Beispiel am Muttertag, sondern auch durch eine gleichwertige Berücksichtigung bei Gremienbesetzungen, Ehrungen – das ist ganz wichtig – oder bei der Besetzung von Führungspositionen.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen. Sie haben um eine Minute überzogen.

Ich komme zum Schluss.

Wir brauchen Respekt vor Leistungen von Frauen, zum Beispiel in der Altenpflege. Da wünsche ich mir demnächst eine Aktion „Männer in Frauenberufe“. Altenpflege ist ein körperlich richtig schwer belastender Beruf. Früher hat man gesagt, den Bergleuten zahlt man mehr Geld, weil sie schwere körperliche Arbeit verrichten. Gehen Sie einmal in ein Altenheim und sehen, was da zu tun ist! Da gehören Männer hin genauso wie Frauen. Gesundheit betrifft den ganzen Menschen und nicht nur seinen Körper. Im Sinne von Gender Mainstreaming für Männer und Frauen sollte das so auch Grundlage der Gesundheitspolitik unserer Landesregierung sein.

Frau sein kann höchst erfreulich sein. Lasst es uns genießen! Das ist der erste Teil einer guten Vorbeugung gegen Krankheiten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Das gehört in Stein gemeißelt!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheit von Frauen in BadenWürttemberg. Die Erkenntnis der Tatsache, dass die gesundheitlichen Bedürfnisse und Probleme der Frauen erheblich andere sind als die von Männern, hat zu einer neuen Betrachtungsweise der Gesundheit von Frauen und auch der Gesundheit von Männern geführt. So stand heute in der „Stuttgarter Zeitung“, dass die Stadt Stuttgart im Rahmen des „Forums Gesunde Stadt“ zu einer Konferenz zur Männergesundheit einlädt. Warum? Männer haben Angst vor dem Arzt,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ach!)

sind häufiger krank,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ach!)

gehen weniger oft zum Arzt, leben risikoreicher und sterben früher.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ja, und stimmt das jetzt?)

Deshalb ist es in der Tat wichtig, dass man den Bereich Gesundheitspolitik geschlechterdifferenziert betrachtet, das heißt, die Auswirkungen auf Frauen und die Auswirkungen auf Männer differenziert betrachtet. In der Medizin ist die unterschiedliche Krankheitsausprägung von Frauen und Männern leider nach wie vor sehr unzureichend berücksichtigt. Immer noch überwiegt der Mann in den besten Jahren. Er ist die Norm, weil in den meisten medizinischen Studien ausschließlich männliche Probanden untersucht werden. Zum Beispiel wurde die Wirkung von Aspirin bei HerzKreislauf-Erkrankungen an 22 000 Männern und null Frauen getestet. Das heißt, dass Frauen diejenigen sind, die von der Norm abweichen und für die die daraus erwachsenden gesundheitlichen Gefahren bis hin zu tödlichen Risiken nicht erkannt wurden.

(Unruhe)

Einer geschlechterdifferenzierten Betrachtungsweise muss also in der Gesundheitspolitik verstärkt Rechnung getragen werden. Meine Vorrednerinnen haben es erwähnt: Gender Mainstreaming auch in der Gesundheitspolitik heißt im Endeffekt, einen Zopf mit männlichem und weiblichem Strang zu flechten. Im Augenblick sind die weiblichen Aspekte gerade das Schläufle am Zopf.

(Abg. Pfister FDP/DVP: „Schläufle“! – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Ach!)

Das heißt, wir müssen das noch intensivieren. Das war jetzt ein bildlicher Erklärungsversuch, damit sich all diejenigen Männer, die sich immer noch mit dem Begriff „Gender Mainstreaming“ schwer tun, das auch bildlich vorstellen können.

(Abg. Zeller SPD: Können Sie das noch einmal konkreter sagen?)

Den Kollegen von der SPD erkläre ich es später noch einmal.

(Heiterkeit und Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Die Große Anfrage der Fraktion der CDU gibt die Möglichkeit, die Leute für dieses Thema zu sensibilisieren und jetzt auch darüber zu diskutieren. Das ist aber das einzig Positive, das wir aus dieser Großen Anfrage ziehen können. Sie wiederholen Antworten aus dem Frauengesundheitsbericht aus dem Jahr 2000: Das Suchtverhalten nimmt zu, die Schwangerschaftsabbrüche von jungen Frauen nehmen zu. Alle Themen wurden im Frauengesundheitsbericht des Jahres 2000 aufgelistet. Das war ein sehr guter Frauengesundheitsbericht. Es gibt einen ganzen Korb voll Handlungsempfehlungen.

Der Untertitel dieses Frauengesundheitsberichts lautete: Daten für Taten. Jetzt frage ich Sie: Wo sind denn die Taten geblieben? Was ist denn eigentlich in den letzten zweieinhalb Jahren passiert? Frau Staatssekretärin, was haben Sie gemacht, außer diesen Frauengesundheitsbericht im

Jahr 2000 herauszugeben, außer Zehnpunkteprogramme mit Feigenblattfunktionen? Passiert ist im Endeffekt gar nichts – ich finde, Frauenpolitik muss anders funktionieren – außer diesen Alibi-Geschichten, Frauenplenartagen oder Diskussionen hier. Wenn nichts umgesetzt wird, wenn nichts passiert, dann ist das eine sehr inkonsequente Frauenpolitik. Ich vermisse bei Ihnen, dass außer Worten noch etwas anderes passiert.

(Beifall bei den Grünen)

In Anbetracht der Redezeit möchte ich zwei Punkte herausgreifen, bei denen Handlungsbedarf besteht. In der Großen Anfrage gibt es ja nicht einmal einen Beschlussteil. Sie beschließen ja nicht einmal, dass etwas umgesetzt werden soll.

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Wir sind halt einfach gut!)

Handlungsbedarf: Frauenspezifische Krebserkrankungen. Es ist angesprochen worden: Alle Fraktionen waren am Montag bei der Auftaktveranstaltung des Landesfrauenrats „Kampf dem Brustkrebs“ vertreten. Ich denke, es besteht sehr große Einigkeit zwischen den Fraktionen, und es besteht auch große Einigkeit darüber, dass ein großer Handlungsbedarf besteht. Wir haben jedes Jahr 7 000 bis 8 000 Neuerkrankungen in Baden-Württemberg bei Brustkrebs. Seit dem 1. Januar wird nun auch in Deutschland mit der stufenweisen Einführung von Mammographie-Screenings auf Krankenschein für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren im zweijährigen Rhythmus begonnen. Das Wichtige dabei ist, dass an die Mammographie hohe Qualitätsanforderungen nach den europäischen Richtlinien zur Qualitätssicherung gestellt werden.

Genauso wichtig ist natürlich die psychosoziale Betreuung der Betroffenen. Und genauso wichtig ist auch die Forschung. In der Tat ist es richtig, dass es einen Zusammenhang zwischen der Forschung und letztendlich dem Krebsregister gibt. Eine gute Datengrundlage liefern bevölkerungsbezogene Krebsregister. Gerade Früherkennungsprogramme, also so genannte Screening-Programme, erfordern zur Aufrechterhaltung ihrer Effektivität und auch zur fortlaufenden Qualitätssicherung, dass man konsequent Daten erhebt. Bei diesen Daten sind wir auf das Krebsregister angewiesen. Deshalb möchte ich auch an dieser Stelle die Landesregierung auffordern, nicht aus dem Krebsregister auszusteigen, weil diese Daten wirklich die wesentliche Grundlage für eine Verbesserung der Früherkennung und der Vorsorgesysteme sind. Die Voraussetzung ist, dass man eine Vollzähligkeit der Registrierung von 90 % erreicht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Es gibt doch keine ver- wertbaren Daten!)

Mir ist auch klar, dass wir das bisher noch nicht haben. Aber ich glaube, dass man einem Krebsregister Zeit geben muss,

(Abg. Alfred Haas CDU: Neun Jahre hatten die Zeit!)

sich zu entwickeln. Dieses veraltete Gesetz muss modernisiert werden. Wenn es nicht klappt mit freiwilligen Meldungen – –

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Ende.

Wenn es nicht klappt mit einer freiwilligen Meldung, muss man eine Meldepflicht einführen, damit die Ärzte diese Daten liefern müssen.