Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

(Beifall bei der CDU)

Dies gilt im Bereich der beruflichen Bildung generell.

Das ist ein Thema für sich. Der Bund antichambriert ja unentwegt bei den Kultusministern um irgendwelche bildungspolitische Partizipation. In diesem Bereich hat der Bund eine wirkliche Gestaltungsmöglichkeit. Das Berufsbildungsgesetz sieht sehr wohl in der beruflichen Bildung wie in keinem anderen bildungspolitischen Bereich eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern vor.

Nun frage ich Sie: Wo ist denn Frau Bulmahn, wenn es um berufliche Bildung geht? Was ist denn in den letzten Monaten geschehen, außer dass man hin und her gelaufen ist und dass Briefe geschrieben worden sind?

(Abg. Wintruff SPD: Riesenprogramme mit viel Geld!)

Ha, ha, Riesenprogramme! Briefe an Unternehmen, denen das Wasser bis zum Hals steht, Drohung mit einer Ausbildungsplatzabgabe – das führt nicht zu neuen Ausbildungsplätzen,

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

das verdirbt vielmehr die Stimmung in der Wirtschaft in Bezug auf die berufliche Bildung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Wintruff SPD: Das ist doch blanke Ideologie!)

Ein guter Rat – und da spreche ich gleichzeitig auch für SPD-Kollegen in Landesregierungen –: Raten Sie Ihrer Kollegin im Bund und allen, die ebenfalls dafür verantwortlich sind, sich um das zu kümmern, was wirklich dramatisch ist und wofür wir Lösungen und Zusammenarbeit brauchen, und nicht um irgendwelche Werbegags, die jungen Leuten keine Perspektive bieten.

Damit komme ich zum nächsten Punkt. Es ist eben zitiert worden: In keinem anderen Bundesland in Deutschland ist die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schularten und zwischen allgemein bildender und beruflicher Schule so gut wie in Baden-Württemberg. Herr Wintruff, wenn Sie mir sagen, es müsse noch viel mehr Klassen geben, dann antworte ich Ihnen: Das ist ein Satz, der nie falsch ist.

(Abg. Wintruff SPD: Ja, dann machen Sie doch endlich etwas!)

Das ist wahr. Man muss immer wieder im Leben feststellen: Vom Guten kann man gar nicht genug bekommen und braucht immer mehr.

(Minsterin Dr. Annette Schavan)

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Christine Rudolf SPD: Haben Sie die Zeit verschlafen?)

Apropos Schlafen. Jetzt lassen Sie uns einmal über das Schlafen reden.

(Zuruf von der CDU: Pädagogische Evergreens!)

In welchem anderen Bundesland wird Realschulabsolventen die Möglichkeit geboten, ein berufliches Gymnasium zu besuchen?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

In der PISA-Studie kann man nachlesen, dass diese wunderbare – –

(Abg. Zeller SPD: Das ist doch unbestritten! Das ist doch gar keine Frage! Sie lenken ab!)

Ich rede darüber, dass Sie sagen, wir würden im Bereich der beruflichen Gymnasien und der Durchlässigkeit von der Realschule zum Gymnasium schlafen. Ich sage Ihnen: In keinem Land gibt es flächendeckend die Durchlässigkeit. Nirgends gibt es so viele berufliche Gymnasien. Und deshalb, Herr Zeller, sind nirgends die Chancen für junge Leute, in einem durchlässigen System ihre Begabungen zu entfalten, so gut wie in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist in Baden-Württemberg die Zahl der Schüler und Schülerinnen in den letzten fünf Jahren im Bereich der beruflichen Gymnasien deutlich gestiegen. Im Bereich des technischen Gymnasiums stieg in den letzten fünf Jahren die Zahl der Schüler und Schülerinnen um annähernd 30 %. Im Bereich der beruflichen Gymnasien insgesamt gab es in den letzten fünf Jahren einen Zuwachs von rund 14 %.

(Abg. Wintruff SPD: Durch Klassenauffüllung!)

Zum neuen Schuljahr werden wir 110 zusätzliche Klassen an Berufskollegs und beruflichen Gymnasien einrichten. Die beruflichen Schulen werden 240 zusätzliche neue Lehrerstellen im Haushaltsplan verankert bekommen. Zusätzlich gibt es 370 Deputate, die die Lehrer in der Tat selbst erbringen.

(Abg. Wintruff SPD: Das ist so, ja!)

Das ist eine Lastenverteilung, die jedem, der sie veranlasst, schwer fällt, aber die angesichts der dramatischen Lage der Haushalte nicht zu vermeiden ist. Das wissen Sie genauso gut wie wir.

(Beifall der Abg. Wacker CDU sowie Pfister und Kleinmann FDP/DVP)

Das heißt, den beruflichen Schulen stehen zum nächsten Schuljahr insgesamt 610 zusätzliche Deputate zur Verfügung. Das ermöglicht die 110 zusätzlichen Klassen. Sie werden feststellen, dass manche Klasse, wegen der Sie mir aus Ihren unterschiedlichen Regionen geschrieben haben, eingerichtet wird.

(Abg. Pfister FDP/DVP zu Abg. Wintruff SPD: Das ist doch gut! Freu dich doch! – Gegenruf des Abg. Wintruff SPD: Das ist unser Verdienst! – Ge- genruf des Abg. Pfister FDP/DVP: Freu dich doch, Peter! Sei nicht so kleinkrämerisch! – Gegenruf des Abg. Wintruff SPD: Ich freue mich doch! Ich be- stätige das auch!)

Damit, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir auf das nächste Schuljahr gut vorbereitet. Zur Vorbereitung gehört nicht nur die Schaffung zusätzlicher Lehrerstellen und zusätzlicher Deputate, sondern natürlich gehört dazu auch, dass wir in den nächsten Monaten noch jede Situation nützen müssen, um zu zusätzlichen Ausbildungsplätzen zu kommen. Ich habe Gespräche mit den Präsidenten der Handwerkskammern und mit sehr verschiedenen Unternehmergruppen geführt, weil wir natürlich auch für die kommenden Jahre Vorsorge treffen müssen; denn die Zahl der Schulabgänger wird steigen, und alle 16 Länder werden sehr genau eine Perspektive für die nächsten fünf Jahre in Deutschland entwickeln müssen, damit nicht am Ende dieser fünf Jahre die duale Ausbildung eine Nischenexistenz im Bereich der beruflichen Bildung bekommt. Das dürfen wir nicht zulassen, weil das letztlich die Zukunftschancen junger Menschen verringert.

Ich gehe jetzt nicht noch auf all die Vorwürfe von wegen Schlafen, nicht reagiert zu haben, Deckelung von Vollzeitklassen usw. ein. Die Zahlen sprechen dagegen. Es ist eine gute Vorbereitung auf das neue Schuljahr. Sie können davon ausgehen, dass auch zum Beginn des Schuljahres 2003/ 2004 für uns der Grundsatz gilt: Wir lassen keinen Jugendlichen auf der Straße stehen, wir schaffen Vorsorge. Vor allem können wir uns nach wie vor auf viele Partner in unseren Unternehmen und in den Kammern verlassen. Das Ganze ist ein Netzwerk, an dem wir für die kommenden Jahre knüpfen müssen.

Unser Ziel bleibt: europaweit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit durch eine innovative Gestaltung der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Wintruff.

Meine Damen und Herren! Es ist leicht nachzuweisen, dass die Frau Ministerin sich selbst widerspricht. Man kann uns nicht einerseits schriftlich mitteilen, was ja Fakt ist, dass das Kultusministerium versuche, durch eine zurückhaltende Genehmigungspraxis für neue Klassen gegenzusteuern, und sich andererseits hinstellen und sagen: Es gibt keine Deckelung; wir haben die Schülerzahlen erhöht.

Ich habe Ihnen doch gesagt, dass die Schülerzahlenerhöhung, die über zehn Jahre 1,5 % ausmacht, nur aus den voll gepackten Klassen, die es da gibt, kommt.

(Ministerin Dr. Annette Schavan schüttelt den Kopf.)

Zweiter Punkt: Sie verniedlichen hier schon wieder. Sie sagten eben, Frau Bulmahn habe lauter falsche Zahlen, es gebe nur 20 000 bis 30 000 Lehrstellen zu wenig. Wissen Sie, was der Vertreter der CDU am 3. Juni im Bundestag gesagt hat? Er hat gesagt: Im Ausbildungsjahr 2003/2004 fehlen inzwischen 170 000 Lehrstellen. Das sind die wahren Zahlen!

Sie können das auch nicht mit den Berufskollegs und beruflichen Gymnasien verniedlichen. Sie sagen ja selbst in der Stellungnahme zu unserem Antrag, dass sich 60 000 Schüler, hauptsächlich Realschüler, um 30 000 Plätze bewerben. Wie wollen Sie das in die Reihe bringen? Sie haben außerdem in Wirklichkeit gar kein Recht zu einer dirigistischen Lenkung, wie sie auch Herr Wacker hier vertreten hat. Das dürfen Sie nicht. In unserem Schulsystem hat jeder Schüler ein Recht auf Durchlässigkeit der Schularten, und jeder Schüler kann, wenn dies möglich ist, wählen, ob er einen Ausbildungsplatz annehmen oder einen höheren Schulabschluss erwerben will.

(Abg. Zeller SPD: Darum geht es! Genau!)

Mit Ihrer Deckelung verstoßen Sie gegen die Regelung der Durchlässigkeit innerhalb des Schulsystems, die jedem Schüler garantiert ist.

(Beifall bei der SPD)

Zum Abschluss sage ich: Sie haben die Entwicklung verschlafen. Natürlich wollen wir das duale System nicht aushöhlen, aber das duale System muss sich eben auch weiterentwickeln, und die beruflichen Vollzeitschulen sind ein Teil dieser Weiterentwicklung. Sie hätten früher reagieren müssen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Sehr richtig!)

Wenn Sie jetzt auf unseren Druck und auf Druck der Öffentlichkeit verkünden, dass aus den 20 zusätzlichen Klassen, die Sie hier noch schriftlich niedergelegt haben, 90 geworden sind, so bekenne ich, Herr Pfister: Ich freue mich, dass das unter anderem ein Erfolg unserer Aktivitäten ist.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Wieser CDU – Abg. Wieser CDU: Sehr gut! Wenn Sie sich freuen, ist mir das einen Beifall wert!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen deshalb zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der vorliegenden Anträge.