Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

Aber, meine Damen und Herren, den vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung des achtjährigen Gymnasiums lehnen wir aus zwei Gründen ab.

(Abg. Röhm CDU: Das ist aber schade! – Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

Wir haben den einen Grund schon von Vorrednern gehört: Mit diesem Konzept des achtjährigen Gymnasiums wird das Gymnasium von den anderen Schularten – ich nenne hier die Hauptschule und die Realschule – völlig abgekoppelt. Das bewährte Prinzip der Durchlässigkeit, geregelt durch die schulartabhängige Orientierungsstufe und durch die multilaterale Versetzungsordnung, wird faktisch abgeschafft. Ich war an einer Realschule Lehrerin und kann mir nur schlecht vorstellen, dass eine Schülerin oder ein Schüler nach der sechsten Klasse nach Ihrer Konzeption mit der Verkürzung in der Unterstufe noch ins allgemein bildende Gymnasium überwechseln kann.

(Abg. Röhm CDU: Doch! Ist jederzeit möglich! – Gegenruf des Abg. Zeller SPD: Das ist schlichtweg nicht möglich!)

Ich finde, dass dies ein radikaler Systembruch ist.

(Abg. Röhm CDU: Jederzeit möglich!)

Das ist eine Verschärfung der Selektion

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nehmen Sie doch nicht dieses böse Wort!)

und das Gegenteil dessen, was die Konsequenz aus der PISA-Studie sein müsste, nämlich eine Verbesserung der Durchlässigkeit und ein Abbau von Selektivität im Bildungswesen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Zeller SPD: So ist es!)

In dem heute – –

(Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin Rastätter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Röhm?

Aber sehr gerne, Herr Röhm.

Bitte schön.

Frau Kollegin, es ist angedacht, dass jede einzelne Entscheidung Sache der Schule sein wird. Die Schulleitungen sind also verantwortlich, wenn der erklärte Wille der abgebenden Schule und der Eltern vorliegt, eine Möglichkeit zu schaffen.

(Abg. Zeller SPD: Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Durchlässigkeit nicht mehr mög- lich ist! Trauen Sie uns das zu oder nicht? Abg. Renate Rastätter GRÜNE: In pädagogischer Hin- sicht traue ich den Lehrerinnen und Lehrern viel zu, wenn man sie lässt und entsprechend unterstützt (Abg. Döpper CDU: Bravo!)

und in Zeiten großer Bildungsplanreformen nicht mit Maßnahmen wie einer Arbeitszeiterhöhung kommt.

(Abg. Wacker CDU: Eine billige Antwort! – Abg. Seimetz CDU: Der erste Halbsatz hat so vernünftig angefangen!)

Aber, Herr Röhm, zu diesem Punkt muss ich eines sagen: Bei Eingangsklassen im Gymnasium mit 33 Schülern, bei fehlenden Stütz- und Förderangeboten nützen selbst die besten pädagogischen Möglichkeiten der Lehrer wenig. Wie sollen sie denn in der Lage sein, Kindern, denen dann faktisch ein Schuljahr fehlt, die Anschlussmöglichkeit zu vermitteln? Es sei denn, es würde sich um extrem hochbegabte Schüler handeln.

(Abg. Röhm CDU: Es sind immer fleißige! – Abg. Zeller SPD: Das ist eine Verschlechterung! Eindeu- tig!)

Aber ich will diese Möglichkeit für alle und nicht nur für die Höchstbegabten.

Insofern sind faktisch jedenfalls die Ausgangsmöglichkeiten schlechter; das müssen Sie zugeben. Die Ausgangsmöglichkeiten für die Durchlässigkeit sind schlechter, als sie bislang waren, als in der Unterstufe des Gymnasiums keine Verkürzung stattgefunden hat.

(Abg. Seimetz CDU: Dafür muss noch der Beweis erbracht werden!)

(Renate Rastätter)

Wir beantragen deshalb mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag, das Konzept des achtjährigen Gymnasiums so zu ändern, dass die Orientierungsstufe, aber auch die generelle Durchlässigkeit bis einschließlich Klasse 8 erhalten bleibt. Wie das mit der Fremdsprache zu machen ist, darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

Wir beantragen, die Verkürzung in den Klassen 9 bis 11 durchzuführen. Dass das Sinn macht, zeigt ja schon allein die Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler heute während dieser drei Jahre ein Auslandsjahr machen und trotzdem den Übergang in die gymnasiale Oberstufe gut bewältigen. Von daher würde sich dieser Zeitraum sehr gut anbieten, um eine Verkürzung zum achtjährigen Gymnasium durchzuführen.

Frau Kultusministerin, Herr Wacker, es müsste Ihnen doch zu denken geben, dass diese Argumente auch von Ihren wichtigsten Beratungsgremien, nämlich vom Landeselternbeirat und vom Landesschulbeirat, geteilt werden. Diese Gremien sprechen sich aus diesem Grund für eine Einführung der zweiten Fremdsprache ab Klasse 6 aus. Der Landeselternbeirat bittet ja gerade inbrünstig darum, die Orientierungsstufe wenigstens noch ein Jahr zu lassen, damit nicht bereits nach der vierten Klasse eine endgültige Entscheidung getroffen werden muss.

Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja! Wo sind wir denn? Selbstverständlich! Wir sorgen für ein biss- chen Wasser! – Abg. Kleinmann FDP/DVP verlässt den Plenarsaal, um für die Rednerin ein Glas Was- ser zu holen. – Unruhe)

Von daher muss das Konzept geändert werden. Dann können wir Grünen auch der Schulzeitverkürzung, die von Ihnen vorgeschlagen wird, zustimmen – aber nicht mit diesem Gesetzentwurf.

Der zweite Grund ist: Wir plädieren dafür – wie das auch alle Beratungsgremien tun –, eine schrittweise Einführung vorzunehmen und die generelle Einführung dann im Jahr 2007 vorzunehmen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP bringt der Rednerin ein Glas Wasser. – Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So reicht die FDP/DVP den Grünen das Wasser! – Abg. Hei- ke Dederer GRÜNE: Wasserträger!)

Vielen Dank, Herr Kleinmann.

Es ist auch sinnvoll, die generelle Einführung spätestens im Jahr 2007 vorzunehmen, weil die Grundschulfremdsprache dann an allen Grundschulen eingeführt ist und es gar keinen Grund mehr gibt, noch weiter damit zu warten.

Die Gründe, die für die Verschiebung sprechen, sind ausreichend bekannt. Ich will noch einmal die wichtigsten nennen:

Erstens: Das Zeitfenster bis zum Jahr 2007 gibt den Schulen die Möglichkeit, sich pädagogisch gut auf die Schulzeitverkürzung einzustellen. Das gilt gerade jetzt, wo die Schulzeitverkürzung mit der Bildungsplanreform verbun

den wird. Statt die Schulen zu unterstützen und ihnen Zeit zu gewähren, agieren Sie mit Zeitdruck und mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Lehrer und Lehrerinnen

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wir wollten jetzt ein- fach mal schnell sein!)

durch eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung.

Zweitens: Ein Zeitfenster bis zum Jahr 2007 gibt auch den Schulträgern die Möglichkeit, räumliche Bedingungen für ein achtjähriges Gymnasium zu schaffen, zum Beispiel mithilfe der Bundesmittel und mit pädagogischen Konzepten der Schulen Ganztagsschulen zu entwickeln. Auch das ist ein Reformschub, für den Zeit erforderlich ist und in den vor allem auch ein Kollegium eingebunden werden kann.

Last, but not least muss ich sagen: Das, was Sie in Ihrer Begründung zum Schulgesetzentwurf auf den Einwand der Angehörten erwidern, ist wirklich dürftig. Sie haben überhaupt keine Lösung für das Problem, dass im Jahr 2012 zwei Abiturjahrgänge die Schule verlassen. Denn das wird ja in den Hochschulen für die beruflichen Ausbildungsgänge, gerade im dualen System, zu massiven Problemen führen. Es wird zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen Abiturienten und Schulabgängern aus Haupt- und Realschulen kommen, die dann natürlich befürchten müssen, dass die Lehrstellen im dualen System von Abiturienten besetzt werden.

Diese Einwände, Frau Kultusministerin, wischen Sie einfach vom Tisch mit der Erklärung: „Ja, ja, wir kennen das Problem. Wir wissen das, haben aber jetzt schon eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Lösung des Problems gebildet.“

(Abg. Zeller SPD: Das ist zynisch!)

Da kann ich nur sagen: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. So kann Modernisierung des Bildungswesens nicht laufen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Jetzt komme ich zur zweiten Fremdsprache. Dazu habe ich nun in der Tat eine andere Auffassung als der Landeselternbeirat und auch andere Angehörte, zum Beispiel der Landesschulbeirat. Sie wollen die Möglichkeit der Einführung einer zweiten Fremdsprache ab Klasse 5, allerdings nur im Gymnasium, verankern.

(Abg. Röhm CDU: Günstiges Lernalter! Jawohl!)

Wir Grünen treten dafür ein, für alle weiter führenden Schularten die Möglichkeit im Schulgesetz zu verankern, die zweite Fremdsprache ab Klasse 5 einzuführen. Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, die Hauptschule und die Realschule von einer Möglichkeit, die zweite Fremdsprache ab Klasse 5 einzuführen, auszunehmen. Der Schulausschuss war gerade in Finnland, ich war vorher in Schweden.

(Abg. Wieser CDU: Oi! Sie sind aber viel unter- wegs! – Gegenruf des Abg. Zeller SPD: Aber nicht so viel wie der Herr Wieser! – Abg. Seimetz CDU: Wir fahren nach Schottland!)

(Renate Rastätter)