Protokoll der Sitzung vom 01.10.2003

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Wer hat denn die Kultushoheit, Frau Berroth? Sie oder wir?)

Vielleicht müssen Sie auch einmal mit der GEW reden oder auch einmal überlegen, ob das nicht ein Versagen von Politikern ist, die ständig nur eine Anspruchshaltung pflegen

(Lachen bei der SPD)

und die Selbstverantwortung und Eigeninitiative damit massiv niedrig halten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Der von der SPD angeführte Grund, dass zu viele ohne Schulabschluss seien, stimmt einfach nicht. Das kommt in der Drucksache deutlich zum Ausdruck.

(Abg. Wichmann SPD: Sie sollten das Volk auflö- sen und sich ein neues wählen!)

Im Gegenteil: Das Land gibt viel Geld aus für Ehrenrunden wie berufspraktisches Jahr, BVJ, Berufskolleg und andere Vollzeitangebote. Herr Kollege Zeller, ich bin überhaupt nicht dafür, dass diese ausgeweitet werden. Erstens sind sie teuer und zweitens nicht so gut wie das duale System, das nach wie vor unsere volle Unterstützung genießt.

(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Da sind wir uns einig!)

Deswegen sage ich Ihnen für unsere Fraktion deutlich: Wir sind für das duale System.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Was reden Sie denn vom Dualen System? Das funktioniert doch nicht!)

Wir hatten dazu im Mai einen Kongress, der gute Ergebnisse erbrachte. Aber diese müssen halt auch von verantwortungsbewussten Politikern der hiesigen Opposition wahrgenommen und umgesetzt werden.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Denn es fehlt nicht nur an fachlichen Kompetenzen, sondern es fehlt auch an sozialen Kompetenzen.

(Abg. Alfred Winkler SPD: So ein Schwachsinn!)

Wenn am 26. September in der „Stuttgarter Zeitung“ in der Überschrift eines Artikels über Lehrstellenmangel „unpünktlich, unkonzentriert, unfreundlich“ steht, dann ist es keine Regierungsaufgabe, sondern Aufgabe der gesamten Gesellschaft, dass wir unsere junge Generation wieder dazu erziehen, dass das die Ausnahme bleibt.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Und das hilft jetzt, was Sie da sagen?)

Die SPD fordert in ihrem Antrag, dass das Land mehr Ausbildungsstellen zur Verfügung stellt. Ich halte das für problematisch in Berufen, in denen gerade in Landesdiensten sehr häufig nur gezielt auf eine bestimmte Laufbahn hin ausgebildet wird. Das ist dann der direkte Weg in die Arbeitslosigkeit, wenn man weiß, dass in dieser Laufbahn künftig keine Stellen vorhanden sind.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Ausbildungsplätze haben Sie doch nicht in Laufbahnen, Frau Berroth!)

Moment! Wir haben im Land sehr wohl Ausbildungsplätze, die nur für eine bestimmte Position ausbilden. Schauen Sie einmal genau nach.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Was meinen Sie denn? Beispiele!)

Meine Redezeit geht zu Ende. Das können wir nachher separat erörtern.

Auch in der freien Wirtschaft kann ich von einem Betrieb, der in wirtschaftlichen Problemen steckt oder gerade in einer schwierigen Marktsituation ist, nicht verlangen, dass er sich dann auch noch mit Ausbildung abgibt. Dieser Betrieb muss dann zunächst einmal schauen, dass er die bei ihm bestehenden Arbeitsplätze rettet.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Richtig!)

Bei dem Thema sind allerdings auch die Tarifpartner gefragt. Hinderlich für die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze sind nämlich genauso die leider seit Jahren in vielen Tarifverträgen festgeschriebene Übernahmepflicht sowie die stetig angewachsenen Ausbildungsvergütungen. Da ist politisch nichts zu tun, sondern da müssen sich die Tarifpartner bewegen. In unserem Antrag haben wir erneut zu solidarischer Anstrengung aufgefordert. Dazu gehört aber auch eine Umorientierung hin zu einer Investition der Gesellschaft in Werteerziehung.

Wir brauchen auf Bundesebene dringend wirksame Maßnahmen für einen wirtschaftlichen Aufschwung; dann kommen die Ausbildungsplätze nämlich von selber, und dann brauchen wir nicht so halbherzige und kontraproduktive Aktionen der Bundesregierung wie gerade bei der Meisterprüfung.

Frau Weckenmann, Sie haben Recht: Die Verantwortlichen sind zum Handeln gezwungen. Mich würde einmal interessieren, wie viele Ausbildungsplätze im Moment deshalb nicht angeboten werden, weil die Betriebe massiv verunsichert sind, zum Beispiel durch die jahrelange Diskussion über die Ausbildungsabgabe. Eines ist klar: Ausbildungsplätze werden nicht durch politische Sommerreisen geschaffen.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Aber das hat doch Ihr Wirtschaftsminister gemacht!)

Nein, das hat Ihr Wirtschaftsminister gemacht. Herr Clement ist mit großem Tamtam durch die neuen Länder gewandert.

Unser Dank gilt ausdrücklich den vielen, die sich aktiv für mehr Ausbildungsplätze eingesetzt haben, zum Beispiel bei den Kammern. Die Kammern haben auf Gebühren verzichtet und sind sehr unbürokratisch vorgegangen, damit auch da, wo nicht alle Voraussetzungen gegeben waren, neue Ausbildungsplätze entstehen konnten. Dafür sagen wir danke.

Frau Kollegin Berroth, bitte kommen Sie zum Ende. Ihre Redezeit ist überschritten.

Das mache ich gleich.

Ich bin froh über die heutige Presseinformation der IHK Stuttgart und des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags. Diese Presseinformation beginnt mit dem Satz:

Die vielfach prophezeite Lehrstellenkatastrophe ist in Baden-Württemberg nicht eingetroffen.

Ich sage: Gott sei Dank. Hoffentlich bewegt sich bald etwas beim Wirtschaftsklima, damit es wieder aufwärts geht.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Sitzmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 15 730 junge Bewerber ohne Ausbildungsplatz Ende August – das heißt, dass jeder Einzelne dieser 15 730 Bewerber zwei oder mehr Versuche machen muss, einen Ausbildungsplatz zu finden, dass er abgewiesen wird und dass er keinen Einstieg ins Berufsleben findet, was auch für seine berufliche Zukunft massive Konsequenzen hat. Sie wissen, ohne Ausbildung wird es immer schwieriger, sich auf diesem Arbeitsmarkt zu behaupten. Ich finde, dass dies auf jeden Fall Anlass ist aufzuhören, das Problem mit Appellen regeln zu wollen. Das geht weder mit Appellen an die Eltern noch mit Appellen wie dem im vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Lediglich die Unternehmen aufzufordern, die Bemühungen fortzusetzen, finde ich in Anbetracht der Situation und in Anbetracht der Aufgabe des Landes, nämlich seiner Zuständigkeit für alle schulpflichtigen Jugendlichen bis zu einem Alter von 18 Jahren, wirklich ein Armutszeugnis.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Ausbildungsplätze werden weniger, die Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, werden sehr viel mehr. Zum Beispiel ist die neue Präsidentin des Landesarbeitsamts in Interviews immer wieder gefragt worden, ob es denn nicht toll sei, jetzt in Baden-Württemberg zu sein, in einem Land mit einer so geringen Arbeitslosenquote. Sie hat das immer verneint, weil es nämlich zwei gravierende Schwächen gebe: dass erstens die Langzeitarbeitslosigkeit und zweitens die Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren massiv zugenommen habe.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Frau Berroth, was bringt denn das?)

Also, hier in Baden-Württemberg müssen wir mehr tun, als Appelle an Eltern, an Unternehmen, an Betriebe zu richten.

Das, was wir tun müssen, liegt ganz eindeutig im Bildungsbereich. Wenn Sie einmal den neuen Geschäftsbericht des Baden-Württembergischen Handwerkstags zur Hand nehmen und dort die Antwort auf die Frage suchen, warum es denn so wenig Ausbildungsplätze gibt, warum das Angebot sinkt, dann sehen Sie, dass auch hier ganz klar steht, dass einfach die Schulbildung, die Ausbildungsreife der Jugendlichen mangelhaft ist. Wir haben das Problem, dass die Ausbildungsreife nach dem Schulabschluss nicht vorliegt, nicht nur bei den allgemein bildenden Schulen, sondern selbst noch nach dem BVJ.

Jetzt macht auch unser Wirtschaftsminister hier im Land, Frau Kollegin Berroth, Sommerreisen und schöne Pressespiegel mit Bildern auf der Schaukel.

(Abg. Fischer SPD: So ist es! – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Er macht auch viele Reformvorschläge im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit.

(Abg. Alfred Winkler SPD: „Schauinsland-Poli- tik“!)

Aber all diese Vorschläge sind erstens weder neu noch originell, und zweitens liegen sie alle nicht im Zuständigkeitsbereich des Landes Baden-Württemberg.