Protokoll der Sitzung vom 01.10.2003

Ich kann dem nur zustimmen, und zwar aus eigener Erfahrung. Die sich zurzeit in der Diskussion befindende Ausbildungsabgabe ist sicher nicht der richtige Weg, um mehr Lehrstellen zu schaffen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Sondern? Wie machen Sie es denn, Herr Schuhmacher? – Abg. Alfred Winkler SPD: 60 % der Betriebe bil- den nicht aus! 60 %!)

Wir sind uns einig, dass die Versorgung junger Menschen wirklich ein zentrales Thema ist. Es tut mir in der Tat weh, wenn wir jungen Menschen keine Perspektive geben können.

(Abg. Capezzuto SPD: Jetzt sagen Sie einmal, wie Sie es machen!)

Ich sage nachher noch ein paar Dinge dazu. Ich lasse mich jetzt auch nicht mehr von Ihnen stören, sondern ich rede jetzt halt einfach weiter.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Schuhmacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller?

Ja, meinetwegen, Herr Zeller.

Herr Schuhmacher, teilen Sie die Auffassung einiger Unternehmer, unter anderem auch die von Herrn Hundt, dass es einen eindeutigen Trend gibt, von der dualen Ausbildung stärker in die schulische Ausbildung und damit in die öffentliche Ausbildung zu gehen?

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wer sagt das? Hundt?)

Es gibt eine ganze Reihe von Ansätzen. Es kommt auch auf die Größe der Betriebe an. Natürlich brauchen wir eine starke schulische Ausbildung.

(Abg. Zeller SPD: Nein! Es geht um etwas anderes! Es geht darum, dass sozusagen nicht mehr die Un- ternehmen ausbilden, sondern künftig die öffentli- che Hand! Das ist ein Trend! – Abg. Pfister FDP/ DVP: Also Abschaffung des dualen Systems!)

Nein, der Meinung bin ich nicht. Das sage ich Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Zeller SPD: Wie wollen Sie dem begegnen, ohne dass Sie eine Ausbildungsplatzabgabe einführen?)

Ich nenne Ihnen nachher ein paar Ansätze, die wir in der Praxis auch ausprobiert haben und die auch funktionieren.

Ich möchte mich noch bei unserem Wirtschaftsminister bedanken. Denn es ist nicht so, dass er nichts tun würde, wie Sie gesagt haben, Frau Weckenmann.

(Abg. Capezzuto SPD: Der ist aber gar nicht da!)

Er ist einer der Ersten gewesen, als er schon im Frühjahr dieses Jahres die Wirtschaft zusammengerufen hat und dort wirklich Appelle an unsere Wirtschaft gerichtet hat. Ich kann dies nur unterstreichen. Er hat auch zugesagt, in diesem Herbst noch ein weiteres Gespräch zu führen. Ich meine, dass jede Unterstützung hilfreich ist.

Welche Punkte machen uns Probleme? Auch Sie, Frau Weckenmann, haben den Mangel an geeigneten Bewerbern angesprochen. Dies ist sicher ein großes Thema; darüber kann

ich reden. Unsere Betriebe urteilen derzeit nicht nur nach den Noten, sondern auch nach den Kopfnoten, beispielsweise Verhalten und Mitarbeit oder auch nach sprachlicher Ausdrucksfähigkeit. Entscheidend ist auch, ob überhaupt eine abgeschlossene Schulbildung vorliegt.

Ein Zweites, was sicher Probleme macht, sind erhöhte Anforderungen. Ich betrachte mit Sorge, dass beispielsweise Mechatroniker, die ausgebildet werden wollen, mit einer Hauptschulausbildung nicht mehr zurande kommen, sondern eine höhere Schulausbildung brauchen. Bei Industriemechanikern und Zerspanungsmechanikern reicht es noch. Es gibt eine ganze Reihe von Themen. Wir haben hier ja eine Anfrage dazu initiiert, für welche Berufe ein Hauptschulabschluss noch ausreicht.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Was ist nun zu tun? Grundsätzlich sage ich: Wir brauchen wieder mehr Jugendliche in technischen Berufen.

(Abg. Zeller SPD: Aber das setzt voraus, dass wir Ausbildungsplätze haben!)

Das sage ich nicht an uns, sondern vor allem an die Eltern und an die jungen Menschen gerichtet. Wir brauchen wieder mehr junge Leute in den technischen Berufen. Ich weiß, dass Eltern ihre Kinder lieber dorthin schicken wollen, wo man mit der Krawatte zur Arbeit gehen kann und nicht eventuell schmutzige Hände bekommt.

(Abg. Dr. Birk CDU: Sind Sie deshalb im Landtag, Herr Kollege?)

Um eine Krawatte zu tragen?

Ein Weiteres: Es gibt eine Karlsruher Studie, die mir sehr viel Sorge macht und in der die Tendenz festgestellt wird, dass Schüler die Wirtschaft kalt lässt. Deshalb ist die Frage: Machen wir hier alles richtig? Tun wir alles, was wir können? Ich meine jetzt nicht nur die schulische Ausbildung; auch dazu gibt es eine Bankenstudie.

Von wem erwarten junge Menschen eigentlich Informationen zu ihrer Berufsausbildung? Von wem bekommen sie Hinweise? In erster Linie werden die Medien und in zweiter Linie die Schulen genannt. Die Eltern werden von den jungen Menschen nicht mehr genannt. Dies macht mir große Sorgen. Wir müssen die Eltern wieder stärker in Bildung und Ausbildung einbeziehen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP – Abg. Capezzuto SPD: Wie wollt ihr das machen?)

Ich habe gerade in den letzten Tagen bei uns an der Hauptschule an einer Veranstaltung zum Thema „Berufe live“ teilgenommen, wo 18 Firmen ihre Ausbildungsberufe vorgestellt haben. Es sind Schüler gekommen, aber fast keine Eltern. Wenn ich mit Schulleitern rede, berichten sie, dass es Elternabende gibt, die von zwei oder drei Eltern besucht werden. Dies kann nicht unser Weg in die Zukunft sein. Deswegen dürfen wir nicht alles auf den Staat verlagern, sondern müssen in der Tat einiges wieder dorthin zurückgeben, wohin es eigentlich gehört: in die Familie und zu den Eltern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Theurer FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wie wollen Sie das machen? – Abg. Alfred Wink- ler SPD: Wollen Sie das Rad zurückdrehen?)

Ich sage ein Weiteres: Wir müssen beispielsweise auch die schulischen Werkstätten besser nutzen, auch Werkstätten in den Betrieben, damit eine wechselseitige Nutzung möglich ist. Dies ist möglich, wenn man miteinander redet. Dann können auch schichtweise Kurse veranstaltet werden.

Ein letztes Beispiel möchte ich Ihnen zum Stichwort Sozialhilfeempfänger nennen: Bei uns im Kreis Tuttlingen haben wir in einer Untersuchung festgestellt, dass es bei uns 450 jugendliche Sozialhilfeempfänger gibt. Dies hat uns große Sorgen gemacht, und wir haben deswegen auch untersucht, wie viele von ihnen in Ausbildung oder Beruf stehen. Wir haben festgestellt, dass 160 dieser Jugendlichen keinen Beruf haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Und deshalb haben Sie die Beschäftigungsprogramme im Land ge- kürzt! Das passt doch nicht zusammen!)

Wir haben dann tatsächlich das „JUMP plus“-Programm der Bundesregierung mit verwendet, um diese jungen Menschen in unsere Betriebe hineinzubekommen.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Ja, meine Sprechzeit ist zu Ende. – Die Koordinationshelfer auf unserem Landratsamt gehen in die Betriebe und versuchen, diese jungen Menschen dort unterzubringen. Dies ist zu großen Teilen schon gelungen.

Was möchte ich abschließend sagen? Ich zitiere Peter Hahne, der gesagt hat, wir müssten von der „Ich-AG“ wieder zu einer GmbH kommen. GmbH deutet er als eine „Gesellschaft mit begründeter Hoffnung“.

(Heiterkeit des Abg. Fleischer CDU)

Ich denke, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, dann haben wir auch für unsere Jugend eine gute Entwicklung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Blenke CDU: Bravo!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Leider haben wir auch in BadenWürttemberg einen Rückgang bei den Ausbildungsplätzen zu beklagen. Die Ursache dafür, dass es auch bei uns inzwischen zu wenig Lehrstellen gibt, liegt allerdings nicht in mangelnder Aktivität der Landesregierung.

(Abg. Fischer SPD: Jetzt Achtung! „Sondern in Berlin“ kommt jetzt!)

Es wurde ja schon angesprochen, dass sich gerade der Wirtschaftsminister, seit er im Amt ist, bei diesem Thema intensiv und auch erfolgreich einsetzt.

Der Lehrstellenmangel ist auch nicht in einer Böswilligkeit der Wirtschaft begründet. Deshalb ginge auch eine Ausbildungsabgabe als Abstrafungsaktion wirklich völlig daneben. Sie würde die Falschen treffen. Ich würde es auch nicht einsehen, wenn die dabei eingesammelten Gelder dann auch noch deshalb in andere Bundesländer flössen, weil die Situation dort noch schlechter ist.

Baden-Württemberg hatte – das muss man doch bedenken – in den letzten Jahren stets zusammen mit Bayern immer noch die beste Angebot-Nachfrage-Relation, was Lehrstellen und Bewerber betrifft. Das Problem ist allerdings, dass zwar das Gesamtangebot sogar stärker als die Nachfrage gestiegen ist, dass es aber strukturell starke Unterschiede gibt. In einem relativ saturierten Land, wie es Baden-Württemberg immer noch ist, sind zu wenige bereit, von ihrem Wunschberuf abzugehen und eventuell zunächst einmal auch etwas zu lernen, was nicht direkt ihrem Wunsch entspricht, aber vielleicht auch eine solide Basis für ein Berufsleben wäre.

Deutlich wird auch – das wurde schon angesprochen –: So mancher vorhandene Ausbildungsplatz kann wegen unzureichender Eignung der Bewerber oder wegen eines Mangels an geeigneten Bewerbern nicht besetzt werden.

Aber, Frau Weckenmann, jetzt muss ich schon sagen: In all unseren Lehrplänen steht, dass die Schüler Lesen, Rechnen und Schreiben lernen sollen. Liegt es denn dann an der Landesregierung, wenn diese Fähigkeiten nicht vermittelt werden?