Aber das alleine reicht natürlich noch nicht, meine Damen und Herren. Dort, wo die politische Öffentlichkeit, wo ein Parlament die Chance hat, die Situation für behinderte Menschen und ihre Angehörigen zu verbessern, sollte diese Chance auch wahrgenommen werden. Wir haben mit dem Gleichstellungsgesetz des Bundes eigentlich schon ein Vorbild, ein Modell, das auf das Land übertragen werden kann. Wir brauchen ein solches Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen auch in Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat versprochen, einen Entwurf hierfür vorzulegen,
hat ihn aber noch nicht vorgelegt mit dem Hinweis: Wir arbeiten daran. Das heißt natürlich, dass diese Arbeiten irgendwann auch abgeschlossen werden müssen. Man muss uns einmal erklären, wie das aussehen soll.
Ich kann dazu nur sagen: Dieses Landesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen muss auch ein paar Kernsätze regeln, die für Behinderte im öffentlich-politischen Feld notwendig sind. Dazu gehören die Herstel
lung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr, das Recht auf die Verwendung von Gebärdensprache, von lautsprachbegleitenden Gebärden im Verwaltungsverfahren, eine barrierefreie Gestaltung der Informationstechnik, die behindertengerechte Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken, die Berücksichtigung von besonderen Belangen behinderter Frauen, ein Verbandsklagerecht sowie eine Berichtspflicht der Landesregierung über Ergebnisse und Erfahrungen mit dem Behindertengesetz. Man kann diesen Katalog noch erweitern.
Dabei muss man das Rad nicht neu erfinden; einige Bundesländer haben dieses Gleichstellungsgesetz schon: Berlin, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und natürlich auch Bayern.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Sie können noch einen Schlusssatz anfügen, aber nicht drei Punkte.
Es geht also darum, dass das Land diese Hausaufgabe macht und auch in dem Bereich der Integration mehr tut, als bisher getan wird. Vor allem im Bereich der schulischen Integration ist noch mehr zu tun. Im Bereich der Eingliederungshilfe müssen wir uns noch sehr viel mehr Gedanken machen.
(Abg. Wieser CDU: Loben Sie uns doch auch mal, verdammt noch mal! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Dazu ist die Zeit zu knapp!)
Meine Damen und Herren, abschließend: Es gilt, Verständnis für die Belange Behinderter und ihrer Angehörigen zu gewinnen. Es gilt damit auch, Barrieren in Köpfen abzubauen, die sich diesem Verständnis vielleicht noch verschließen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Thema sich nicht dazu eignet, parteipolitische Kämpfchen auszutragen, dann ist es das Thema, das wir jetzt bei diesem Tagesordnungspunkt besprechen.
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wir lauschen! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Jetzt sind wir aber sehr gespannt!)
Da das ein sehr weites Feld ist, möchte ich versuchen, ein paar Aussagen aus der Beantwortung der Großen Anfrage herauszugreifen, für die ich mich herzlich bedanken möchte bei den Kollegen, die sie gestellt haben,
Ich möchte mit einem Satz beginnen, der richtig ist. Dieser Satz lautet: „Behindert ist man nicht, behindert wird man.“ Ich möchte diesen Satz in zweierlei Hinsicht interpretieren. Das eine ist das Thema „demographische Entwicklung“. Denn in der Tat gilt – das ist, glaube ich, in der Öffentlichkeit gar nicht so bewusst –, dass Menschen mit Behinderungen zum überwiegenden Teil diese Behinderungen erst im Laufe ihres Lebens bekommen und nur wenige Menschen von Geburt an behindert sind. Das ist also ein Thema, bei dem wir der Bevölkerung sagen sollten – ich glaube, hier ist dafür auch ein Forum –: Das ist kein Randthema, sondern es ist ein Thema, das jeden von uns persönlich oder im familiären Umfeld durch Unfall, durch Krankheit betreffen kann.
Die zweite, die eigentliche Bedeutung des Satzes „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ ist natürlich das Problem, auf welche Barrieren der Mensch, der gehandikapt ist, der Behinderungen hat, in seinem Umfeld stößt, und zwar zweierlei Barrieren: Barrieren im Bereich von Gebäuden, von öffentlichem Nahverkehr, aber auch Barrieren in den Köpfen. Es ist, glaube ich, eine sehr wichtige Botschaft, dass wir sagen: Häufig geht es nicht nur oder nicht in erster Linie darum, mit viel Geld irgendwelche Maßnahmen für behinderte Menschen durchzuführen, sondern es geht zunächst einmal darum, überhaupt an die behinderten Menschen zu denken. Manchmal werden einfach aus Unbedachtsamkeit Barrieren errichtet. Der schöne Ausdruck von den „Barrieren in den Köpfen“ trifft da zu. Da stimme ich mit dem Kollegen Staiger sehr überein, dass es deswegen sehr wichtig ist, dass diejenigen, die Experten in eigener Sache sind und die in den Köpfen der anderen bewusst machen können, wo Barrieren sind – das sind die Vertretungen der Behinderten und ihrer Angehörigen, die Selbsthilfeverbände –, möglichst frühzeitig in Planungen baulicher Art, aber auch in politische Planungen einbezogen werden.
Gestatten Sie mir als stellvertretendem Landesvorsitzenden eines solchen Selbsthilfeverbands für Körper- und Mehrfachbehinderte zu sagen – ich glaube, das darf die Opposition auch so zur Kenntnis nehmen –, dass wir hier im Land Baden-Württemberg über die verschiedenen Organisationsstrukturen der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte zusammen mit dem Beauftragten der Landesregierung, Herrn Sozialminister Repnik,
wenn es um politische Entscheidungen geht, um die Weiterentwicklung von Strukturen für Menschen mit Behinderungen, sehr wohl ein Niveau an vertrauensvoller Zusammenarbeit erreicht haben, das sich bundesweit sehen lassen kann. Immer wenn ich sozusagen in Bundeszirkeln mit Selbsthilfeverbänden sitze, dann erhalte ich wirklich – der Minister nickt – immer wieder die Rückmeldung: Ihr habt in Baden-Württemberg in der Zusammenarbeit mit den Betroffenen bisher Hervorragendes geleistet.
Nächster Punkt: Barrierefreiheit. Es wird leider – Frau Dr. Gräßle hat auf die Novellierung der Landesbauordnung hingewiesen – meiner Meinung nach häufig zu sehr die Frage der Kostenauswirkungen gestellt. Diese Frage muss man natürlich stellen.
Wenn ich aber einmal exemplarisch den Bereich des privaten Wohnungsbaus herausgreifen darf, dann möchte ich auch sagen, dass es sicher häufig wirtschaftlicher ist, von vornherein daran zu denken, was wäre, wenn ein Mitglied einer Familie durch Unfall, Krankheit oder was auch immer plötzlich von Behinderung betroffen wäre. Wenn man Mordsumbaumaßnahmen vornehmen muss, wird es nämlich teurer, und es wird auch dann teurer, wenn jemand sein angestammtes Umfeld verlassen und in ein Heim gebracht werden muss. Auch da ist also ein kurzfristiges Wirtschaftlichkeitsdenken nicht sinnvoll. Wir brauchen angesichts der demographischen Entwicklung – man kann es nur immer wieder sagen – ein langfristiges Denken bereits im Planungsstadium, auch bei privaten Planungen. Dem wollen wir mit der Novellierung der Landesbauordnung Rechnung tragen.
Ein Spruch ist sicher richtig: Ohne Moos nix los. Ich glaube, Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen nützt es überhaupt nichts, wenn wir gesetzliche Regelungen treffen, aber das zur Umsetzung dieser Bestimmung erforderliche Geld nicht nachfolgen lassen. Das ist in meinen Augen Augenwischerei. Es ist vielmehr so – dazu stehen wir –: Gleichstellung und selbstbestimmte Teilhabe kosten Geld.
Ich sage noch einmal: In Zeiten knapper Kassen müssen wir in der Tat denjenigen, die leistungsfähig sind, an der einen oder anderen Stelle sicherlich Einschränkungen und mehr Eigenverantwortung zumuten, um das Geld auf der anderen Seite im Bereich der Sozialhilfe für diejenigen, denen man mit Appellen an die eigene Leistungsfähigkeit überhaupt nicht helfen kann, in der Kasse zu haben. Man darf nicht mit der Gießkanne über das Land gehen, sondern man muss sagen: Wenn das Geld knapp ist, müssen wir die Leistungsfähigen ein Stück weit fordern,
damit wir denjenigen, die auf unsere Solidarität angewiesen sind, nach wie vor die erforderlichen Hilfen zur Verfügung stellen können.
Ich möchte kein Schwarzer-Peter-Spiel, sondern möchte das, was ich will, vielleicht an einem Beispiel verdeutlichen: Erinnern Sie sich einmal daran, wie die Situation im
Bereich Pflege war. Da hat man vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung plötzlich gesehen, dass die Pflege, wenn sie vom Einzelnen nicht mehr finanziert werden konnte, weitestgehend über die Sozialhilfe bezahlt werden musste. Die Zahl derjenigen, die sich im Pflegeheim befanden und der Sozialhilfe bedurften, ist also ständig gestiegen. Was hat man daraufhin – und zwar über alle Fraktionen hinweg – politisch gemacht? Man hat gesagt: Wir müssen ein neues System finden. Daraufhin wurde die Pflegeversicherung entwickelt, die die Sozialhilfekassen zunächst einmal deutlich entlastet hat. Leider geht der Trend inzwischen wieder in eine andere Richtung.
An dieses Beispiel anknüpfend sage ich – Frau Gräßle, da stimme ich Ihnen völlig zu –: Wir müssen wirklich darüber nachdenken, ob wir nicht auf Bundesebene ein umfassendes Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen hinbekommen sollten. Ich weiß, das wird, nicht zuletzt wegen der Frage, wer die Kosten tragen soll, schwer. Es kann aber nicht so gehen, dass wir die gesamten Kosten dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe den Kommunen aufhalsen, die ohnehin schon tief in finanziellen Schwierigkeiten stecken.
Das muss man klar sagen. Auch mir hat der Tenor der Aussage, die Behindertenhilfe sprenge die Gemeindekassen, nicht gefallen; denn man muss immer daran denken, wie eine solche Aussage bei den Betroffenen ankommt. Aber andererseits muss man natürlich die Realitäten sehen. Das ist der eine Punkt.
Zweiter Punkt: Schauen wir uns einmal an, wer für die Bedarfsdeckung von Menschen mit Behinderungen zuständig ist. Da gibt es ein ganz breites Zuständigkeitstableau mit Krankenkassen, Pflegeversicherung, Eingliederungshilfe durch die Sozialhilfeträger, Reha- und Rententräger, die Arbeitsverwaltung und, und, und. Sie sehen schon allein daran, dass es für diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, ein Problem ist, überhaupt den richtigen Ansprechpartner zu finden.
Auch aus diesem Grund meine ich, dass es sinnvoll wäre, die Zuständigkeiten für die Hilfen ein Stück weit zu konzentrieren. Aber auch in diesem Gesetz muss das Konnexitätsprinzip absolut gelten: Wer gesetzliche Leistungen beschließt, hat auch dafür zu sorgen, dass das Geld nachfolgt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wieser CDU: Dem Bund die Rech- nung schicken!)
Ich möchte, obwohl die Zeit knapp wird, noch zum Punkt Integration sprechen. Wir sind uns darüber einig, dass wir durch die Novellierung des Kindergartengesetzes im Kindergartenbereich einen Schritt nach vorn getan haben. Lassen Sie mich zu diesem wichtigen Thema nur insofern abkürzend sagen: Man muss sehen, dass von einer gemeinsamen Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung mit Sicherheit beide Seiten profitieren. Was wird denn vielfach beklagt, wenn Schulabgänger in den Beruf eintreten? Mangelnde soziale Kompetenz. Wo könnte man soziale Kompetenz besser lernen als im täglichen Um
Eine weitere kleine Anmerkung. In der Großen Anfrage wird ein bisschen kritisch von dem Trend zur frühzeitigen Ablösung behinderter junger Menschen von der Familie in Einrichtungen hinein, die von der öffentlichen Hand finanziert werden, gesprochen. Das müssen nicht immer große Heime sein; das wäre das Thema der Ambulantisierung. Ich fürchte, dazu komme ich nicht mehr.
Aber ich darf doch einmal fragen: Wenn wir der Meinung sind, dass Gleichberechtigung zu gelten hat, müssen wir es dann nicht auch einem behinderten jungen Menschen wie jedem anderen jungen Menschen ermöglichen, sich ein Stück weit vom Elternhaus zu lösen, wenn er in die Pubertät kommt? Bei aller Verantwortung, die das Elternhaus hat, muss man, glaube ich, bei behinderten Menschen auch den Aspekt sehen, dass man sie nicht zwingen soll, zwangsläufig im familiären Verbund zu bleiben.
Ein letzte Bemerkung. Etwas, was uns besonders wichtig war, kann ich nur noch kurz ansprechen. Da war BadenWürttemberg, nicht zuletzt weil wir es in die Koalitionsvereinbarung geschrieben haben, Vorreiter im Bund; im europäischen Verbund gab es schon entsprechende Modelle. Ich meine das Umsteuern von der Objektförderung zur Subjektförderung unter dem Stichwort „persönliches Budget“. Das heißt: Wir betreuen die Menschen nicht mehr und setzen ihnen Angebote vor nach dem Motto „Nimm dieses Angebot an, friss, Vogel, oder stirb!“ Vielmehr geben wir dem Behinderten Geld und lassen ihn – im Zweifelsfall zusammen mit einer Assistenz – entscheiden, welche Hilfen er sich mit dem Geld besorgen will.
Die Überlegungen sind in einer Modellphase. Das ist sicher schwierig wie immer, wenn man neue Wege geht. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass wir damit über die Modellphase hinaus, die ja wissenschaftlich begleitet wird, einen wirklichen Paradigmenwechsel im Bereich der Behindertenhilfe erreichen.