Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

(Abg. Teßmer SPD: Hoffentlich versteht der etwas davon!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe nicht ganz die Aufregung, die das von der CDU auf ihrem Parteitag noch zu beratende Konzept bei der Opposition hervorruft.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Ungelegte Eier! – Abg. Döpper CDU: Das ist noch kein Ge- setz!)

Die SPD will die Belastungen, die durch dieses Papier kommen könnten, heute thematisieren. Ich finde, ein bisschen mehr aufregen müsste uns das, was die Menschen draußen aufgrund dessen, was derzeit schon beschlossen ist, als Belastung empfinden.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Dieses Papier regt sie auf!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich warne einfach davor,

(Zurufe der Abg. Döpper CDU und Drexler SPD)

in dieser Diskussion, die jetzt Gott sei Dank vertieft geführt wird und die genau Ihre Regierung über die Rürup-Kommission mit angestoßen hat – –

(Abg. Drexler SPD: Die Sie dauernd kritisieren! Sie kritisieren alles!)

Diese Diskussion hätte man sehr viel früher anstoßen müssen. Rürup zeigt genau diese beiden Wege auf: entweder Bürgerversicherung oder in Richtung Gesundheitsprämienmodell gehen.

(Abg. Drexler SPD: Das stimmt doch gar nicht! Das ist nicht wahr! Erzählen Sie doch keinen Mist!)

Das ist das Y-Modell, das von Ihrer Regierung über Rürup in die politische Diskussion eingebracht worden ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Doch nicht das Kopfprämienmodell!)

Jetzt will ich einmal zu Ihrer Wortwahl und zu dem kommen, was Sie in dieser Diskussion versuchen: von vornherein einen denkbaren Weg – ich werde nachher sagen, warum und in welcher Form er denkbar ist –

(Abg. Drexler SPD: Er ist nicht denkbar! Er ist höchstens für Sie denkbar!)

mit Totschlagargumenten wie „ungerecht und unsozial“ kaputtzumachen. Ich möchte Sie jetzt einmal an etwas erinnern. Ich erinnere mich gut an Debatten hier im Landtag zur Gesundheitspolitik, die wir auch wieder stellvertretend für Bundestagsdebatten geführt haben. Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion,

(Abg. Drexler SPD: Es ist gut, dass Sie sich erin- nern!)

in der es darum ging, ob es nicht solidarisch ist, dass man einzelne Leistungspakete, die vielleicht nicht existenziell notwendig für die Menschen sind, aus dem Leistungskatalog der paritätischen und solidarischen Finanzierung herausnimmt. Und da haben Sie – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das macht man doch schon! – Abg. Drexler SPD: Ja! Das tut man doch!)

Was tun Sie, Herr Kretschmann? Sie haben den Zahnersatz – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE und Abg. Drexler SPD: Das tut man doch schon!)

Ja, sage ich doch. Deswegen warne ich jetzt davor, schon wieder so zu beginnen.

Frau Haußmann, Sie haben plakatiert, am Gebisszustand der Menschen werde man künftig ihren sozialen Status erkennen, als unsere damalige Koalition darüber nachgedacht hat

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

und begonnen hat, Teile aus dem Leistungskatalog auszugliedern, um die Solidarität da, wo es um existenzielle Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger geht, erhalten und auch finanzieren zu können. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem dies plötzlich Konsens ist.

(Abg. Drexler SPD: Sie sind doch aus der Gesund- heitskommission ausgeschieden!)

Nicht deswegen, sondern aus anderen Gründen.

(Abg. Drexler SPD: Weil Ihre Klientel betroffen ist! – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Bei der Definition, was gerecht ist, warne ich sehr vor Folgendem – gestern ist es in der Debatte um die Studiengebühren auch gesagt worden –: Gerechtigkeit ist ein so absoluter Begriff, dass wir ihn da, wo es um Beitragssätze geht, überhaupt nicht benutzen sollten.

(Abg. Drexler SPD: Ah! – Weitere Zurufe von der SPD)

Lieber Herr Drexler, der von mir sehr verehrte Kollege Weinmann

(Abg. Drexler SPD: Kommen Sie mir nicht mit to- ten Sozialdemokraten! Die können sich nicht weh- ren!)

doch! – hat mehrfach davor gewarnt, den Begriff Gerechtigkeit überzustrapazieren. Denn das, was Sie vorgestern noch für ungerecht gehalten haben, muten Sie jetzt den Menschen zu,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Döpper CDU: So ist es!)

nämlich dass sie mehr Eigenverantwortung betreiben, weil bestimmte Bereiche, die nicht existenziell notwendig sind, ausgegliedert werden.

Jetzt aber zum Kernpunkt. Worum geht es denn in dieser Debatte? Es geht um die Frage: Wie organisieren wir künftig Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung?

(Abg. Drexler SPD: Das ist doch keine Solidarität mehr!)

Das ist die Frage. Es wird Solidarität zwischen Gesunden und Kranken verlangt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Solidarität gilt auch in der privaten Versicherung. Das ist nämlich das Versicherungsprinzip, dass der, der gesund ist, Prämien zahlt für den Fall, dass er krank wird.

(Abg. Drexler SPD: Sie wollen sie doch reduzie- ren!)

Die zahlt er auch, wenn er Gott sei Dank nie krank wird. Die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken wird also in keinem System angetastet.

(Abg. Drexler SPD: Natürlich!)

Jetzt geht es um die Solidarität zwischen den Generationen. Der entscheidende Punkt ist ja, ob wir wie bei der Rentenversicherung künftig der erwerbstätigen Generation zumuten können, all das, was bisher durchaus üblich war, über solidarische Beiträge mitzufinanzieren. Letztendlich geht es in der politischen Diskussion darum, ob wir diese Finanzierung künftig in diesem Versicherungssystem integriert lassen mit allen Gefahren, die das beinhaltet, nämlich dass man unter dem Deckmantel der Solidarität Verschiebebahnhöfe eröffnet, oder ob wir eine ordnungspolitisch saubere Lösung finden, den solidarischen Teil über Steuern zu finanzieren. Zu diesem Thema werde ich in der zweiten Runde noch etwas sagen.

(Abg. Drexler SPD: Mit 25 % Spitzensteuersatz! Da wünsche ich viel Spaß! 25 %!)

Ich werde in der zweiten Runde dazu etwas sagen. Lassen Sie uns aber bitte sachlich diskutieren und ohne die Leute schon wieder verrückt zu machen und auf die Bäume zu jagen, wo Sie nachher selber Mühe haben – –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Drexler SPD: Ja, ja! Immer dann, wenn Sie über Solidarität reden, geht es bei uns da unten raus!)

Sie sehen doch jetzt, dass Ihnen Ihre eigenen Mitglieder und die Bevölkerung insgesamt von der Fahne gehen. Warum? Weil Sie ihnen jahrelang Maßnahmen, die jetzt zwingend notwendig sind und die Sie jetzt durchführen, als unsolidarisch und ungerecht verkauft haben.

(Abg. Drexler SPD: Sie kommen doch gar nicht mehr in den Landtag!)

Das sollten Sie in der jetzigen Diskussion nicht wieder versuchen.