Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Der Untersuchungsausschuss hat keinerlei verwertbare Ergebnisse gebracht, die nicht schon vorher bekannt waren oder auf einem ganz normalen parlamentarischen Weg hätten geklärt werden können.

(Abg. Drexler und Abg. Fischer SPD: Das glauben Sie auch!)

Ich verweise unter anderem auf unsere Initiative Drucksache 13/553. So hätte man auch die anderen Fragen in einer ganz normalen parlamentarischen Arbeit abarbeiten können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Stickelberger SPD: Den ganzen Rech- nungshof haben Sie aufmarschieren lassen! Das war Ihr Antrag!)

Die einzige zusätzliche Erkenntnis wurde vom Kollegen Hauk auch schon angesprochen. Das war die Erkenntnis, dass es in Deutschland durchaus vergleichbare Kraftwerke mit ähnlichem technischem Standard gibt, in denen sich auch ähnliche Vorfälle ereignet haben, dass diese Vorgänge in anderen Kraftwerken aber nicht meldepflichtig waren, weil die Betriebshandbücher dort andere Grenzwerte vorsehen. Das will ich aber nicht beklagen; ich bin froh, dass wir in Baden-Württemberg strengere Vorschriften haben. Aber man muss schon sagen: Das war eigentlich eine interessante Erkenntnis, dass es in diesem Bereich in Deutschland durchaus Ungleichgewichte gibt.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Der Untersuchungsausschuss hat aber nicht nur Geld, Zeit und Kraft der Abgeordneten gekostet – die Sitzungen dauerten immerhin insgesamt 64 Stunden; hinzu kommt die Zeit für die ganzen Vorbereitungen –, und auch die Zeugen haben viel Zeit, Geld und Kraft gebraucht.

Aber denken Sie einmal an die Umwelt: Ich habe bewusst diesen dicken Wälzer mit nach vorn gebracht. Das ist aber nur das Ergebnis der Sitzungen. Jede Fraktion hat regalweise Ordner mit Untersuchungsausschussunterlagen bekommen; das ist alles kopiert worden. Das, was da allein an Papier bedruckt und verteilt worden ist, hätte ich unserer Umwelt gern erspart.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Lösen Sie doch das Parlament auf!)

Nein, überhaupt nicht. Aber ich denke, wir sollten uns hier mit Sinnvollem beschäftigen und nicht mit Unnötigem.

(Abg. Drexler SPD: Und Sie entscheiden, was sinn- voll ist? – Weitere Zurufe)

Mein ausdrücklicher Dank gilt dem Ausschussvorsitzenden, der Landtagsverwaltung und insbesondere Herrn Hansmann und vor allem dem Stenografischen Dienst,

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Sehr schön!)

der durch diesen Ausschuss in starkem Maße zusätzlich belastet war. Ich habe es einmal hochgerechnet: 30 bis 40 Mann- oder Frautage waren mindestens nötig,

(Abg. Braun SPD: „Frautage“?)

und sie haben die Arbeit solide bewältigt, ohne auch nur einmal zu jammern. Das ist einen Dank wert.

Jetzt zum eigentlich wichtigen Thema, das auch uns wichtig ist, nämlich zur Sicherheit im Kernkraftwerk. Da, meine Damen und Herren, will ich nicht Zeit und Kraft dafür verschwenden, darüber zu sprechen, wer Fehler gemacht hat, vor allem dann, wenn von vornherein klar ist, dass da nichts herauskommt. Ich möchte vielmehr, dass in Zukunft richtiges Verhalten sichergestellt ist.

Eine Konsequenz, die wir auch immer wieder benannt haben, war vorher schon klar: Wir brauchen auf allen Ebenen regelmäßige Rotationen,

(Abg. Stickelberger SPD: Auf allen Ebenen! Eben!)

um Betriebsblindheit und Gefahren, die aus Betriebsblindheit resultieren, zu vermeiden.

(Abg. Stickelberger SPD: Alle Ebenen!)

Ich beschreibe Ihnen die Betriebsblindheit noch einmal an dem ganz einfachen Beispiel: Jedes gut organisierte Unternehmen stellt sicher, dass seine Reinigungskräfte nicht immer in den gleichen Zimmern putzen, sondern dass da gewechselt wird.

(Lachen des Abg. Dr. Witzel GRÜNE – Abg. Dr. Caroli SPD: Ah!)

Denn auch wir wissen aus eigener Tätigkeit: Jeder hat seine Spezialitäten, die er gern macht, und kennt andere Aufgaben, die er nicht so gern erledigt. Durch Rotation wird sichergestellt, dass an allen Stellen einmal sauber geputzt wird. Ähnliches gilt im übertragenen Sinne auch für viel schwierigere technische Verhältnisse.

(Zuruf von der SPD: Gott, oh Gott!)

Übrigens: Auch der Fall, an dem das Ganze aufgehängt worden ist, bestand ja seit langem. Auch da hätte durch Rotation vermutlich früher einer draufkommen können.

Die für diese Rotation allerdings notwendige bundesweite Standardisierung von Betriebshandbüchern und Prüfungsabläufen wird jedoch vom Bundesumweltministerium nach wie vor nicht betrieben. Da ist wirklicher Handlungsbedarf gegeben; da könnte auch vieles vereinfacht werden und damit effizienter gemacht werden. Da könnten auch Kosten gespart werden.

Die Grenze für die Einstufung als Störfall – das wurde schon angesprochen – ist zu Recht niedrig angesetzt, und zu Recht ist auch eine weitgehende Veröffentlichung vorgesehen, um andere zu informieren und die Überwachungspflicht sicherzustellen.

Das ist deshalb richtig, weil es sich bei der Kernenergie um eine Energie handelt, die bei unsachgemäßer Handhabung höchst riskant wäre. Aber ich möchte doch vor einem warnen: Was Sie im Moment tun, ist eine Panikmache anhand der Beurteilung des bürokratischen Ablaufs von rückwärts gewandten Untersuchungen. Das kann eigentlich nicht das Thema sein.

(Abg. Stickelberger SPD: Systemfehler!)

Wichtig ist, dass das Personal vor Ort weiß, was in einem Störfall sofort zu tun ist. Im dritten Teil des Berichts, in der Bewertung, ist auch klargestellt, dass die Gefahrenabwehr zunächst zu Recht im Vordergrund stand.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Wenn die Überprüfung von bürokratischen Abläufen zwei Wochen oder zwei Monate dauert, habe ich damit kein Problem.

(Lachen des Abg. Fischer SPD)

Die tägliche Arbeit und die Kontrolle müssen so solide ablaufen, dass es möglichst keine Störfälle gibt. Die Schulung der Beschäftigten muss entsprechend sein.

Deshalb muss aus meiner Sicht – da gibt es vermutlich nach wie vor noch ein Defizit –

(Abg. Fischer SPD: Ich habe gedacht, es gibt gar keines!)

dem so genannten Human Factor, also dem menschlichen Faktor, der auch im Untersuchungsausschuss eine Rolle gespielt hat, besonderes Gewicht beigemessen werden. Im Moment wird bei allen Abläufen den bürokratischen Abwicklungen – das tun Sie – oder den technischen Abläufen – das geschieht vor allem in den Kraftwerken – großes Gewicht beigemessen. Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt sind aber die Menschen.

Ich sehe nach wie vor ein großes Problem darin, wenn die Arbeit im Kernkraftwerk an irgendeiner Stelle zur Routine wird. Das darf nicht sein. Wenn man zu viele genaue Vorschriften hat und Betriebshandbücher hat, die lange Ordnerreihen füllen, besteht die Gefahr, dass man sich eine Sicherheit vorgaukelt, die dann nicht mehr gegeben ist, wenn der einzelne Mensch, der vor Ort handeln muss, all die Vorschriften nicht mehr überblicken kann.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Das spricht für den Atomausstieg!)

Wenn die Vorschriften nicht genau überblickbar sind, ist nämlich gerade das Gegenteil von Sicherheit gegeben. Deshalb muss die Betriebsführung sicherstellen, dass die Belegschaft stets hellwach und gut geschult ist. Das und nur das muss die Atomaufsicht neben dem technischen Zustand prüfen. Die Einhaltung von Dienstwegen und das monate-, ja fast jahrelange Überprüfen von bürokratischen Abläufen scheint mir nicht die Aufgabe zu sein, auch nicht die dieses Landtags.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Hauk CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Witzel.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen, meine Herren! Zunächst möchte ich mich dem Dank meiner Vorredner an die Mitarbeiter des Landtags im Untersuchungsausschuss anschließen. Insbesondere möchte ich Herrn Hansmann Dank sa

gen, der die Protokolle und anderes gewissenhaft für uns zusammengestellt hat.

Der Untersuchungsausschuss hat jetzt seine Arbeit beendet, und wenn wir die Ergebnisse bewerten wollen, ist zunächst ein Blick zurück wichtig. Wir Grünen hatten im Januar 2002, als der Untersuchungsausschuss eingesetzt werden sollte, nicht für seine Einsetzung gestimmt; denn wir hatten bereits im Vorfeld aktiv zur Aufklärung der unglaublichen Vorfälle in Philippsburg beigetragen. Davon zeugen fast zehn Landtagsinitiativen, zahlreiche Presseerklärungen und viele Debattenbeiträge.

Wir sahen im Januar 2002 keinen zusätzlichen Aufklärungsbedarf. Notwendig war damals vielmehr – das ist es auch heute noch –, dass Konsequenzen aus den vorliegenden Ergebnissen gezogen werden. Dagegen hat sich die Regierungskoalition gesperrt, und das ist das Problem.

Als es bei der Debatte am 31. Januar 2002 um die Einsetzung des Ausschusses ging, habe ich in Richtung SPD gefragt, ob es neue Pfeile im Köcher gebe, um gegen die Atomaufsicht vorzugehen; denn nur dann würde ein solcher Ausschuss Sinn machen. Die Antwort auf die Frage nach neuen Pfeilen im Köcher fällt jetzt, nach Abschluss des Untersuchungsausschusses, für uns klar aus: Es gab keine neuen Pfeile im Köcher und damit auch keine substanziell neuen Ergebnisse.

Der Untersuchungsausschuss hat unsere vorherige Einschätzung in vollem Umfang bestätigt. Wir können zwar jetzt alles mit zusätzlichen Details belegen, aber in der Summe ist die Einschätzung gleich geblieben. Deshalb muss ich in Ihre Richtung, Herr Stickelberger, fragen: Warum haben Sie den riesigen Aufwand eines Untersuchungsausschusses angestoßen? Rechtfertigen die Ergebnisse diesen Aufwand wirklich?

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Sie haben zwar viel über die Fehler der Atomaufsicht geredet – da stimme ich Ihnen ja auch zum größten Teil zu –, aber Sie haben sich um die Beantwortung der Frage gedrückt: Was war schon damals, im Januar 2002, bekannt, und was ist durch den Untersuchungsausschuss hinzugekommen?