Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Wir stehen doch vor folgenden Problemen: Wir stehen vor der Frage, was wir machen sollen. Wir können erstens am GKV-System in der jetzigen Form festhalten. Das aber würde dazu führen, dass wir in drei, vier oder fünf Jahren an neuen Schrauben drehen müssen und irgendwann zu einer Rationierung von Leistungen kommen müssen; dann müssen wir noch mehr Leistungen herausnehmen. Man kann zwar da und dort noch etwas mehr machen, aber im Wesentlichen sind wir an Grenzen angelangt. Die Einnahmen werden den Ausgaben nicht folgen, wenn wir wollen, dass die Bürger weiterhin an einer guten Gesundheitsversorgung in Deutschland teilhaben dürfen.

Wir können aber auch – das wäre das Zweite – Gesundheitsprämien einführen, wie es jetzt vonseiten der CDU vorgeschlagen und diskutiert wird.

Die dritte Möglichkeit wäre die Bürgerversicherung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man spricht von einer Verbreiterung der Einnahmebasis. Das wäre ein Weg. Aber eine Kopplung der Kassenbeiträge allein an das Arbeitseinkommen darf auf Dauer nicht bestehen bleiben. Eine weitere Ausgliederung von Leistungen wird irgendwann an Grenzen stoßen. Man kann auch den Arbeitgeberbeitrag festschreiben, doch das würde zu weiteren Beitragssteigerungen für die Versicherten führen. Deswegen sollten wir wirklich neue Wege gehen: Wir müssen die Kassenbeiträge vom Arbeitseinkommen entkoppeln, ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Dieser Ansatz wurde von der Herzog-Kommission vorgeschlagen. Es wurde in einer Art Leitlinie vorgeschlagen: Spitzenmedizin für alle – das wird unstreitig sein – und weiter mehr Wettbewerb und Effizienz sowie eine stärkere Eigenverantwortung.

Wie erreichen wir dies, wenn wir nicht rationieren wollen? Wir müssen vom Prämienmodell mit Demographiekapitalstock ausgehen. Wir brauchen – das wird diskutiert und berechnet – einen Ausgleich für Einkommensschwache. Frau Lösch hat die 14 % schon genannt. Die ganzen Zahlen, die Sie hier berechnen und vorlegen, stimmen einfach nicht.

(Abg. Drexler SPD: Natürlich stimmen sie!)

Bei 14 bis 15 % wird für Einkommensschwache gedeckelt, und sie werden aus dem Demographiekapitalstock und eben aus der Steuerumlage finanziert.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Dann sagen Sie „unsolidarisch“ und „ungerecht“.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wie wollen Sie denn das finanzieren, Herr Minister?)

Bis jetzt ist es so, Frau Haußmann, dass nur die GKV-Versicherten für die anderen mit aufkommen, während wir bei einer Steuerumlage alle Einnahmen zu 100 % berücksichtigen; denn über die Einkommensteuer werden alle in den Solidarausgleich einbezogen.

(Abg. Drexler SPD: Bei 25 % Spitzensteuersatz!)

Ich weiß nicht, wie viele der Kollegen hier GKV-versichert sind. Heben Sie mal die Hände! Also, ich bin es noch. Der Anteil ist sehr gering. Die meisten von Ihnen zahlen heute keinen Beitrag in den Solidarausgleich – außer dem Minister und den zwei, drei, die die Hand gehoben haben –,

(Abg. Drexler SPD: Richtig! Deswegen wollen wir ja hinein in die Bürgerversicherung!)

weil Sie alle privat versichert sind und sich woanders versichern lassen.

(Abg. Drexler SPD: Deswegen wollen wir ja alle in die Bürgerversicherung!)

Moment! – Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das ein Weg, den man diskutieren muss. Ein Solidarausgleich über die Steuer ist gerecht, weil dann alle, auch die Besserverdienenden, zahlen. Ferner brauchen wir eine Familienkomponente, die verstärkt eingebaut werden muss. Im Übrigen werden Kinder nach dem Vorschlag der Herzog-Kommission beitragsfrei mitversichert.

Deswegen ist das für mich eine gute Grundlage, darüber zu diskutieren. Wir haben Zeit. Wir werden im Gesundheitswesen in den nächsten zwei, drei, vier Jahren noch auf der sicheren Seite sein, aber wir müssen bis zum Jahr 2007, 2008 oder bis 2013 eine Lösung finden.

Eines sage ich Ihnen auch: Wir reden nicht vom Kopfprämienmodell, sondern wir reden vom Gesundheitsprämienmodell. Auch das Schweizer Prämienmodell ist nicht die

(Minister Dr. Repnik)

Vorlage – vielleicht wird Herr Hoffmann, weil er von der Schweizer Grenze kommt, darauf eingehen –, die wir wollen.

Jetzt sagen Sie auf der anderen Seite: Wir brauchen die Bürgerversicherung. Die Bürgerversicherung wird in vielen Bereichen diskutiert, zum Teil auch von unseren Kollegen. Es ist ja nicht so, dass alle von der CDU und der CSU sagen, das sei das richtige Modell, sondern darüber wird bei uns innerparteilich diskutiert.

(Abg. Drexler SPD: Es ist abgelehnt von euch!)

Der Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen hat darauf hingewiesen, dass das Modell fiskalisch kaum einen Erfolg bringt. Denn erstens kommen zwar alle in die Bürgerversicherung hinein, aber es gibt dann nicht nur mehr Beitragszahler, sondern auch mehr Empfänger. Zweitens wird unterstellt, dass alle, die jetzt nicht versichert sind und in die Bürgerversicherung hineinkommen, Hochverdiener sind, sodass viel Geld hereinkäme.

Ich weiß aber nicht, ob unsere Polizisten – derer gibt es ja viele – wirklich so hoch verdienen und ob der öffentliche Dienst so gut bezahlt, dass alle im öffentlichen Dienst in die Bürgerversicherung kommen und viel bezahlen können. Im Übrigen ist der Krankenstand im öffentlichen Dienst nicht unbedingt geringer als anderswo. Das heißt, dadurch entstehen auch mehr Kosten. Es wurde berechnet, dass das ca. 0,18 Prozentpunkte ausmacht. Damit kommen wir also mit Sicherheit nicht weiter.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Sehr richtig!)

Im Übrigen gibt es geachtete Verfassungsrechtler, die meinen, dass eine Bürgerversicherung mit der Verfassung nicht kompatibel sei.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss. Die Diskussion über die Zukunft unseres Gesundheitswesens kommt, meine ich, zum richtigen Zeitpunkt. Wir sollten jetzt unaufgeregt gemeinsam darüber diskutieren, welches die richtigen Wege sind. Aufgrund der Einsparungen durch das GKG sind wir nicht unter Zeitdruck. Deswegen brauchen wir auch keine Schnellschüsse.

Aber wir müssen wirklich – ohne Schaum vor dem Mund und ohne falsche Vokabeln zu verwenden – darüber diskutieren, ob wir einen Systemwechsel brauchen. Wir sind alle aufgerufen, dies gemeinsam zu tun.

Eines muss uns auch klar sein: Wir können an unserem sozialen System, ob es die Renten-, die Pflege- oder die Krankenversicherung oder das Arbeitslosengeld ist, noch so viele Reformen durchführen: Wenn es in der Demographie keinen Umschwung gibt und wenn vor allen Dingen unsere Wirtschaftskraft weiterhin so bleibt, wie sie derzeit ist, werden wir in den nächsten 10, 15 Jahren mit allen Systemveränderungen mit Sicherheit Probleme bekommen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

(Abg. Alfred Haas CDU: Der Obersozialpolitiker!)

Die letzten zwei Minuten der Rede des Herrn Sozialministers kann man natürlich unterstreichen. Es ist immer so: Wenn man bei Ihnen die Finger in die richtige Wunde legt, puschen Sie sich hoch – aber erst zum Schluss, weil Sie keine Debatte über Ihre unsozialen Vorschläge wollen. Insofern ist die Debatte jetzt richtig.

Ihr Landesvorstand hat einen Beschluss gefasst, und Herr Teufel hat sich mit dem Konzept des Herzog-Modells verbunden. Ihr Bundesvorstand hat dieses Konzept beschlossen. Jetzt heißt es, alles sei offen. Aber zunächst einmal ist gar nichts offen.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Frau Merkel läuft durch die Lande und verteidigt das Modell. Sie haben es beschlossen.

(Widerspruch bei der CDU)

Sie haben das im Bundesvorstand gegen eine Stimme beschlossen.

(Zurufe von der CDU)

Dann müssen wir es Ihnen eben noch einmal vorlesen.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Wir müssen es noch einmal vorlesen, wenn Sie nicht wissen, was Ihr Bundesvorstand beschlossen hat.

(Abg. Seimetz CDU: Der beschließt immer gute Sachen!)

Es ist bei Ihnen immer das Gleiche, wenn wir auf etwas kommen. Hier sind wir darauf gekommen, dass das Kopfmodell sehr unsozial ist. Es ist unsozial, denn Sie stellen die Solidarität in der Krankenversicherung, die es bisher gegeben hat, auf den Kopf.

Wenn Sie jetzt einen Ausgleich über Steuern schaffen, ist das ein ganz neues Modell.

(Zurufe von der CDU)

Wir bestreiten doch gar nicht, dass man in der Rente und bei den Steuern im Grunde genommen mehr Steueranteile braucht.