Protokoll der Sitzung vom 26.11.2003

Bis zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war immer das Grundrecht nach Artikel 12, Recht auf freie Berufswahl, das jedem die Möglichkeit gibt, ein Unternehmen zu gründen und sich dem Wettbewerb zu stellen, oder nach Artikel 14, Recht auf Eigentum, höher bewertet worden als das Grundrecht nach Artikel 2 Abs. 2, Recht auf körperliche Unversehrtheit. Damit hat das Urteil aber jetzt kräftig aufgeräumt. Der Staat hat das Recht auf eine aktive Informationspolitik nicht nur bei Gesetzesverstößen gegen das LMBG, nicht nur bei der Abwehr gesundheitlicher Gefahren, nicht nur bei nicht verkehrsfähigen oder ekelerregenden Produkten im Markt, sondern der Staat hat das Recht auf marktbezogene Information ganz allgemein. Der Anbieter hat Informationen über seine Produkte zu dulden, sofern sie der Wahrheit entsprechen. Unter besonderen Voraussetzungen kann der Staat sogar dann Informationen verbreiten, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist.

Dabei zielt das Urteil erstens auf Markttransparenz und zweitens auf die Stärkung des Gleichgewichts zwischen Anbieter und Verbraucher. Das bedeutet mehr Informationen für die Verbraucher, um sie im Marktgeschehen zu stärken. Dazu gibt es eine Fülle von Sätzen in der Urteilsbegründung; die fortgeschrittene Zeit verbietet es mir, daraus zu zitieren.

Beispielhaft möchte ich aber einen Satz zitieren:

In einer auf ein hohes Maß an Selbstverantwortung der Bürger bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme ausgerichteten politischen Ordnung ist von der Regierungsaufgabe auch die Verbreitung von Informationen erfasst, welche die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der Problembewältigung befähigen.

Die Möglichkeit, die der staatlichen Informationspolitik durch dieses Urteil gegeben ist, geht weit über die Informationsmöglichkeiten dieses AGLMBG hinaus und stellt einen völligen Paradigmenwechsel dar. So kann zum Beispiel eben nicht die Rede davon sein, dass Anbietern vor einer Information der Öffentlichkeit Gelegenheit zu geben ist, Maßnahmen zu treffen oder Produkte vom Markt zu nehmen, denn dieses führt zu Intransparenz. Der Verbraucher erfährt dann eben nichts über die schwarzen Schafe und ist in seiner Marktmacht geschwächt.

Deshalb fordern wir, dieses AGLMBG zu novellieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen ist dieses Gesetz ohnehin zu novellieren, weil im Zuge der Verwaltungsreform, die die Regierung ja vorhat, die Lebensmittelkontrolle aus dem Bereich der Polizei herauszunehmen sein wird; aber das nur nebenbei.

Soweit in diesem Gesetz Regeln getroffen werden, die die Information oder Warnung der Öffentlichkeit regeln könnten, könnten diese Regeln sogar ganz entfallen. Denn ein Gesetz muss nicht die Grundlage staatlicher Information sein; das steht auch in diesem Urteil.

Staatsleitung wird nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch durch die Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit.

Insgesamt also ist die Informationspolitik des Staates und auch des Landes neu zu gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da dieses Urteil bereits über ein Jahr alt ist und auch unser Antrag schon ein Jahr alt ist, stellen wir uns also nun zum einen die Frage, ob die Landesregierung, Herr Minister, dieses Urteil wirklich zur Kenntnis genommen hat und wie sie dieses bewertet, und zum anderen, inwieweit die Landesregierung, wie Sie in der Stellungnahme zu unserem Antrag ausführen, die Zeit zu einer intensiven Beratung genutzt hat, um das Verbraucherinformationsgesetz neu auf die Schiene zu setzen. Der von der Landesregierung abgelehnte Gesetzentwurf datiert vom 8. April 2002, also vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Im Lichte dieses Urteils kann man nachträglich sagen – das gestehe ich gerne zu –, dass es aus heutiger Sicht gar nicht so schlecht war, dass dieses Gesetz gescheitert ist, weil es sich in Teilen auch an das baden-württembergische Gesetz angelehnt hat und sich jetzt zeigt, dass dieses Gesetz überholt ist.

Wir fordern Sie deshalb auf, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirklich Konsequenzen zu ziehen, das AGLMBG zu novellieren und aktiv, Herr Minister, an einem neuen Verbraucherinformationsgesetz mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Gurr-Hirsch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! „Was soll das Ganze?“, fragte ich mich, als ich die Vorlage und die Tagesordnung gelesen habe.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Also wenn Sie das nicht wissen!)

Das Urteil ist über ein Jahr alt, wie Sie selbst festgestellt haben, Frau Kipfer.

(Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Auch Ihr Antrag ist ein alter Antrag, der allenfalls dazu geeignet ist, die Untätigkeit der rot-grünen Regierung auf dem Gebiet der Verbraucherinformation zu dokumentieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Flei- scher CDU: Sehr schön! – Abg. Walter GRÜNE: Mei oh mei! Wer hat den Gesetzentwurf denn im Bundesrat abgelehnt?)

Es ist eine Bringschuld der rot-grünen Bundesregierung, dass sie einen neuen Gesetzentwurf vorlegt, nachdem ihr alter ein unüberlegter Schnellschuss war. 10 Paragraphen und 77 Änderungsanträge dokumentieren die Qualität dieses Gesetzentwurfs.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Man kann doch nicht glauben, dass ein schlechtes Gesetz durch lange Lagerung besser wird. Das ist bei einem Gesetz ebenso wenig der Fall, wie sich ein Semsakrebsler durch lange Lagerung zu einem Selektionswein entwickelt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Fleischer CDU: Sehr gut!)

Es wird auch dann nicht besser, wenn die Grundlage für die verfassungsgemäße Zulässigkeit eines Verbraucherinformationsgesetzes der Glykolskandal war.

Niemand stellt hier, denke ich, die elementare Wichtigkeit von Verbraucherschutz und Verbraucherinformation infrage. Wie sollte man auch? Erst vor wenigen Wochen haben wir einen erschreckenden Babynahrungsfall vor Augen geführt bekommen. Dieser hat gezeigt, dass die Verbraucherinformation von einer besonderen Dringlichkeit ist.

Ein Verbraucherinformationsgesetz sollte aber auch vor dem Hintergrund der Praktikabilität und der Arbeits- und Kostenbelastung für die Unternehmen einerseits wie auch für den Staat andererseits betrachtet werden. Darüber hinaus gibt es ein rechtliches Spannungsfeld zwischen dem Eingriff in das Eigentum des Gewerbetreibenden und der Stärkung der Individualrechte des Verbrauchers, die Sie breit ausgeführt haben.

Nun warten wir also auf einen neuen Entwurf. Da Sie zu Ihrem Antrag vor allem auch substanzielle Antworten erwarten, möchte ich in drei Gesichtspunkten auf Ihren Antrag eingehen.

Nach dem Verbraucherinformationsgesetz soll die Information der Öffentlichkeit durch die Behörden erfolgen. Es soll

gewarnt werden. Zur gesundheitlichen Gefahrenabwehr verfügt Baden-Württemberg als einziges Bundesland über eine spezielle Rechtsgrundlage für Warnungen oder Informationen der Öffentlichkeit mit Namens- und Produktnennung im Bereich des Lebensmittelrechts, nämlich mit dem § 13 – „Öffentliche Warnung“ – und dem § 15 – „Information der Öffentlichkeit“ – in dem schon von Ihnen, Frau Kipfer, erwähnten Ausführungsgesetz zum Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, diesem AGLMBG.

Die bisher vorliegende Konzeption des Verbraucherinformationsgesetzes geht im Hinblick auf den Gefahrenbegriff weit über eine gesundheitliche Gefahr hinaus. Vielmehr wird in jedem Rechtsverstoß gegen eine Verbraucher schützende Norm eine Gefahr gesehen. Das können auch bezeichnungsrechtliche Vergehen sein. Dies führt im Hinblick auf die öffentliche Warnung zu erheblichen Problemen.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Wenn die öffentliche Warnung der Behörde an erhebliche Restriktionen gebunden ist, so stellt sich die Frage, warum dann eine Information unter Nennung des Produkts oder einer Dienstleistung mit der gleichen faktischen Wirkung in der Öffentlichkeit unter den genannten und geweiteten Begriffen erlaubt sein soll.

Der zweite Problemkreis ist die Auskunftspflicht der Behörden gegenüber dem Bürger. Diese Auskunftspflicht hat es in sich. Hier wird die Vertraulichkeit des Verwaltungshandelns zugunsten des Auskunftsanspruchs verlassen. Hier findet also eine rechtliche Güterabwägung zugunsten des Verbrauchers statt. Wenn es um die Gesundheit geht, denke ich, gibt es hier kein Fragezeichen – für keinen von uns.

Problematisch ist auch der Anspruch, dass dem Bürger Daten „in einer allgemein verständlichen Form“ zur Verfügung gestellt werden sollen. Neben einem höheren Verwaltungsaufwand, der so genannten Verständlichmachung, tut sich dann bei aufbereiteten Daten auch noch ein Haftungsrisiko für den Staat auf: Erläuterungen können nämlich zweifelsfrei das Verhalten des Verbrauchers erheblich beeinflussen und unter Umständen auch zu Schäden führen, weil die Erläuterung wegen der Vereinfachung unter Umständen missverständlich war. Eine Haftung gegenüber dem betroffenen Unternehmen ist nicht auszuschließen und in dem Entwurf nicht ausreichend erläutert.

Nach Erfahrungen in der Vergangenheit begehren die Verbraucher gerade dann Informationen von den Behörden, wenn aufgrund umfangreicher Untersuchungen – wir haben es bei Nitrofen gesehen – ein Missstand zutage gefördert wird. In der Praxis bedeutet dies, dass eine größere Zahl von Erzeugnissen beanstandet und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten oder Strafverfahren eingeleitet werden. Gerade über diese für den Verbraucher interessanten Ergebnisse kann der Verbraucher aufgrund § 4 des Entwurfs des Verbraucherinformationsgesetzes nicht informiert werden.

Nun der dritte Bereich: Auskunftspflicht der Unternehmen gegenüber dem Bürger.

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Ende Ihrer Rede.

Ich will gerade noch wenige Sätze ausführen. – Die Unternehmensauskunft ist im Grundsatz zu begrüßen, da letztlich das Unternehmen die Verantwortung für sein Produkt trägt – das sagt auch das Produkthaftungsgesetz – und über wesentlich vielfältigere Informationen über sein Produkt verfügt als eine Behörde. Behördeninformationen sind in der Regel rudimentär und nicht so umfassend. Die Schaffung des Anspruchs auf Auskunft gegenüber dem Unternehmen darf aber nicht dazu führen, dass ausländische Unternehmen Wettbewerbsvorteile im gemeinsamen Binnenmarkt erlangen oder durch einen gespaltenen Rechtszustand ohne sachlichen Grund privilegiert werden.

(Abg. Fischer SPD: Wie lange kann die noch re- den? – Glocke der Präsidentin)

Frau Gurr-Hirsch, bitte kommen Sie zum Ende.

Durch isoliertes Verhalten von Deutschland wird in diesem Fall wie auch bei anderen Maßnahmen von Frau Künast, denke ich, kein sachgerechter Zustand erreicht.

Ich beende meine Rede mit dem Versprechen, dass wir uns der Verbraucherinformation mit der gebotenen Verantwortlichkeit stellen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Sehr staatstragend!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drautz.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Jetzt kommt der Hö- hepunkt: Richie!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mehr Informationen und mehr Transparenz für die Verbraucher wollen wir alle hier in diesem Hause. Deshalb brauchen wir ein Verbraucherinformationsgesetz.

Bereits vor eineinhalb Jahren hat der Bundesrat klargestellt, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf nicht praktikabel ist und weder Verbrauchern noch Produzenten nützt. Hinzu kommt, dass die Behörden nicht in der Lage sind, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen.