Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Minister Palmer, und Ihrem Team für die umfangreiche Information im Europabericht danken, aber auch für Ihre Arbeit während des Jahres.
Europapolitik beschränkt sich im Landtag nicht nur auf den Ständigen Ausschuss, sondern zieht sich durch alle Ausschüsse. Meine Damen und Herren, wir sind dafür offen, dass der Ständige Ausschuss besser und früher informiert wird. Wir sind aber der Meinung, dass wir heute schon einen Europaausschuss haben. Wir brauchen kein neues Gremium, sondern wir sollten den Ständigen Ausschuss als den Europaausschuss mit den entsprechenden Kompetenzen ausstatten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab aus aktuellem Anlass zu zwei Dingen Stellung nehmen.
Erstens: Selbstverständlich bedauern wir, was den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrifft, dass Finanzminister Eichel und der französische Finanzminister durchgesetzt haben, dass dieser Stabilitätspakt – das kann man einfach nicht wegdiskutieren – durch ihr Verhalten aufgeweicht wurde. Das sind sicher keine günstigen Signale dafür, sich zukünftig an diesen Stabilitätspakt zu halten. Man merkt eben, dass Finanzminister Eichel ohne Oswald Metzger im Rücken kein „eiserner Hans“ mehr ist.
Aber wer gar keinen Grund hat, das zu kritisieren, sind Sie von der CDU. Sie haben verhindert, dass mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz
die Einsparungen vorgenommen wurden, die genau dazu geführt hätten, dass wir in näherer Zukunft die Verschuldungsgrenzen nicht sprengen. Sie hocken im Glashaus und sollten nicht mit Steinen auf andere schmeißen. Sie sind direkt dafür verantwortlich, dass wir im Bund in dieser Situation sind, weil Sie sich den entscheidenden Konsolidierungsmaßnahmen widersetzt haben, ohne damals irgendwelche eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen.
Die Türkei ist jetzt Ziel schrecklicher terroristischer Anschläge in einem Ausmaß, von dem wir nicht geglaubt haben, dass es so nahe an Europa heranrückt. Ich glaube, dass das noch einmal ein Hinweis darauf ist, dass nicht solche Debatten angezettelt werden sollten, wie es der CDU-Bundestagsabgeordnete Bosbach in unsäglicher Weise gemacht hat. Die Türkei dafür zu instrumentalisieren, dass sie jetzt so schreckliche Terroranschläge erfährt, ist bei der Frage, ob die Türkei Mitglied der EU werden soll, nicht richtig, sondern dies ist gerade Anlass dazu, noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken und sachlich zu erörtern, wie es mit der Beitrittsperspektive der Türkei steht. Hoffentlich ist das für Sie der Schuss vor den Bug aus den eigenen Reihen gewesen, dass Sie in Zukunft vielleicht etwas deutlicher der Versuchung widerstehen, diese Frage innenpolitisch im Europawahlkampf zu instrumentalisieren.
Ich glaube, es besteht Konsens darüber, dass die Türkei gegenwärtig weder die Kopenhagener Kriterien erfüllt noch auf dem ganzen Feld der Menschenrechtsdurchsetzung ein aktueller Beitrittskandidat für die EU ist. Wir müssen ihr gegenüber auch ehrlicherweise sagen, dass der Beitritt mit Sicherheit nicht so schnell erfolgen kann, wie sich das die Türkei vorstellt. Aber wir müssen ihr auch deutlich das Signal geben, dass sie uns dann, wenn sie die Voraussetzungen erfüllt, und zwar im ganzen Bereich der Wirtschaft, aber insbesondere auch der Menschenrechte, ein willkommener Partner in der EU ist und dass die Türkei auf lange Frist, wenn sie sich zu einem liberalen und modernen Verfassungsstaat entwickelt, in der EU willkommen ist. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die wir klar aussenden sollten, gerade in einer solchen Situation.
Der Europabericht der Landesregierung macht zum wiederholten Mal deutlich, wie sehr die Landespolitik durch Euro
pa geprägt ist. Bedauerlicherweise bekommen das im Land nur wenige Menschen mit. Eine Mehrheit der Bevölkerung steht der Osterweiterung ja nach wie vor skeptisch gegenüber. Dabei haben sich die meisten damit gar nicht befasst. Erstaunlicherweise ist die Mehrheit der Deutschen dafür, dass man über den Entwurf für eine europäische Verfassung abstimmen soll. Beides ist, glaube ich, für uns eine Herausforderung, mehr dafür zu tun, um die europäischen Ziele und die europäische Integration, worüber in diesem Hause ja eine erstaunliche Übereinkunft zwischen den Fraktionen besteht, noch stärker in der Bevölkerung zu verankern.
Schwerpunkt der Arbeit der Landesregierung war jetzt die Mitarbeit im Europäischen Konvent zur Erarbeitung eines Verfassungsentwurfs. Ministerpräsident Teufel, der ja im Auftrag aller Bundesländer dort mit verhandelt hat, hat dort gute Arbeit geleistet. Wir haben ihn dafür im Rahmen der letzten Europadebatte ausgiebig gelobt und jetzt allerdings auch genug gelobt.
Alle Fraktionen im Haus plädieren dafür, dieses Paket mit dem mühsam errungenen Kompromiss eines Entwurfs der europäischen Verfassung nicht wieder aufzuschnüren. Wir sehen aber, dass Vertreter verschiedener Staaten dies wegen einzelstaatlicher Interessen versuchen. Gerade die Diskussion über den Stabilitätspakt hat gezeigt, dass es kein erfolgreicher Weg sein kann, solche Grundsätze zugunsten einzelner nationaler Interessen wieder aufzuweichen. Das wird nur dazu führen, dass wir auf das Niveau von Nizza zurückfallen, und das wäre eine Katastrophe, weil mit dessen Grundlage eine EU mit 25 Mitgliedern nicht mehr regierbar ist.
Deswegen stehen wir klar hinter diesem Kompromisspaket, und wir hoffen, dass es letztlich nicht zu einer Aufschnürung kommt. Wir glauben, dass insbesondere die EU als eine einheitliche Rechtspersönlichkeit, die Kompetenzordnung, mit der klar wird, was Europa macht, wo seine Stärken sind und wo sich Europa heraushalten soll, die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips als eines fundamentalen Strukturelements und nicht zuletzt die Einbindung der Europäischen Charta der Grundrechte in diesen Verfassungsentwurf deutlich machen, dass es sich lohnt, diesem großen Fortschritt zuzustimmen.
Das Konventsverfahren hat sich, glaube ich, zweimal bewährt, und es wird auch möglich sein, diesen Konvent nach einer gewissen Zeit, nachdem man gesehen hat, welche Erfahrungen man gemacht hat, wieder zusammenzurufen, um die Verfassung dann weiter zu verbessern.
Ich denke da insbesondere daran, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik im Laufe der nächsten fünf Jahre aufgehoben wird, dass aber – und das ist, glaube ich, ganz wichtig für die steuerpolitischen Diskussionen, die wir zurzeit im Land führen – auch das Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen mittelfristig aufgehoben wird, weil wir die Gerechtigkeitslücken, die wir in unserem eigenen Steuersystem haben, die beispielsweise darin bestehen, dass wir die Kapitaleinkünfte zu wenig zur Finanzierung des Gemeinwohls und der Aufgaben, die der Staat nun einmal hat, heranziehen können, nur dann beseitigen können, wenn wir vom Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen wegkommen
und Mindeststeuerbedingungen in allen europäischen Ländern erreichen. Sonst können wir den Wettlauf mit den großen Unternehmen, die sich teilweise über unser Steuersystem hinwegsetzen und die Infrastrukturmaßnahmen hier in Anspruch nehmen, aber keine Steuern zahlen wollen, nicht gewinnen. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass in Zukunft auf diesem Gebiet etwas geschieht.
Ich möchte noch etwas zu Ihrer Präsentation des Europaberichts sagen, Herr Minister Palmer. Ich glaube, dass die Überschrift „Ran an die Fleischtöpfe der EU“ etwas daneben gegriffen war. Denn wir dürfen bei der Bevölkerung nicht den Eindruck erwecken, als könnte da jeder ran an irgendwelche Fleischtöpfe der EU, die es in Zukunft so natürlich auch nicht mehr geben wird. Wir müssen der Bevölkerung vielmehr deutlich machen, dass Europa für Integration steht, für Frieden, für solidarischen Ausgleich und für einen großen Wirtschaftsraum, der wirtschaftliche Prosperität für alle verspricht. Ich glaube, das ist die richtige Botschaft. Sie dürfen nicht die Hoffnung wecken, es stünden große Fleischtöpfe bereit, die man nur plündern müsse, sondern Sie haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir etwa zum Europäischen Sozialfonds die Komplementärmittel aus dem Landeshaushalt bereitstellen, damit wir die Fördermittel der EU abrufen können. Das haben Sie bisher nicht zustande gebracht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch begründen, warum wir einen Europaausschuss brauchen. Wir sind bekanntlich ein Spezialistenparlament und haben deswegen für die politischen Fachbereiche Ausschüsse. Jedem wird klar, dass durch den europäischen Verfassungsentwurf eine klare Kompetenzordnung formuliert ist, dass das Subsidiaritätsprinzip präzisiert worden ist und dass wir als Landtag in Zukunft in ganz anderer Weise gefordert sein werden als bisher. Die Zuständigkeiten der Union sind jetzt sortiert nach ausschließlichen, nach geteilten und nach ergänzenden Zuständigkeiten, und wir müssen darauf achten, dass dem Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene nachhaltig gefolgt wird. Deswegen brauchen wir letztlich einen Europaausschuss, den Kolleginnen und Kollegen, die sich hauptsächlich mit Europapolitik beschäftigen, besetzen und der darauf achtet, dass das Subsidiaritätsprinzip in Zukunft eingehalten wird, und uns ermöglicht, die Regierung in entsprechender Weise zu kontrollieren. Jeder muss zugeben, dass das mit der jetzigen Konstruktion nicht möglich ist und nicht erfolgreich gemacht werden kann, und zwar aus dem einfachen Grund, weil im Ständigen Ausschuss Kollegen primär aus völlig anderen Gründen sitzen als wegen der Zuständigkeit für die Europapolitik. Wir sind im Übrigen das einzige Landesparlament, das keinen solchen Ausschuss hat.
Wenn die Kollegin Gräßle, die ja wahrscheinlich bald Europaparlamentarierin sein wird, fordert, dass wir auch hier im Landtag Europabüros haben sollten, dann können wir dem nur zustimmen. Aber dem muss doch vorausgehen, dass wir uns endlich einmal im parlamentarischen Verfahren europapolitisch richtig aufstellen – dafür ist jetzt nach dem Verfassungsentwurf der richtige Zeitpunkt da – und endlich einen solchen Ausschuss einrichten.
Um noch einmal die Gelegenheit zu geben, darüber ausführlicher vorzudiskutieren, schlagen wir vor, dass unser Antrag an den Ständigen Ausschuss überwiesen wird. Ich hoffe, dass Sie Zeit haben, die Diskussion unter Führung der Kollegin Gräßle noch einmal zu führen und es dann vielleicht doch dazu kommt, dass wir diesen Europaausschuss endlich einrichten und damit auch nach außen das Signal setzen: Der Landtag von Baden-Württemberg nimmt Europa ernst.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kretschmann, ich möchte Ihnen zusichern, dass wir im kommenden Europawahlkampf keine Instrumentalisierung des Themas Türkei betreiben werden. Die Türkei hat ihren Platz im Ring der Freunde Europas. Es ist im Übrigen auch gar nicht so sicher, dass die Türkei nicht eine ähnliche Organisation und Anbindung an die EU anstrebt wie die Schweiz. Daher glaube ich, dass es jetzt ein Fehler wäre, die Türkei sozusagen in eine Diskussionsrichtung zu drängen, für die sie selbst innenpolitisch noch überhaupt nicht vorbereitet ist.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, die Frage, ob wir uns einen eigenen Europaausschuss leisten und zulegen wollen, hängt zusammen mit der grundlegenden Frage, welche Rolle wir Europa beimessen. Ich glaube, dass das Europathema ein Thema der Fachausschüsse ist, bleiben wird und bleiben muss. Wir wollen eine Gettoisierung des Europathemas gerade verhindern. Diese Gettoisierung zeigt sich sowohl im Bundestag, wo wir diffuse Ergebnisse haben, als auch in den anderen Landtagen.
Meine Damen und Herren, ich bin beeindruckt, wenn ich die Berichte über die Beratungen in den Fachausschüssen lese. Ich war beeindruckt von der Beratungstiefe, von der Aufarbeitung der jeweiligen europapolitischen Beiträge der verschiedenen Häuser. Ich war auch beeindruckt von dem Versuch, das, was dort europapolitisch gemacht wird, in die weitere Arbeit zu integrieren. Ich glaube, all dies würden wir verlieren, wenn wir Europa in das Getto abdrängen würden, in dem es in anderen Ländern durchaus ist.
Ich habe mir angesehen, was in anderen Ländern gemacht wird. Das treibt eben, wie das in Gettos der Fall ist, immer seltsame Blüten. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel wurde das Projekt einer grenzüberschreitenden Keltenstraße behandelt, in Niedersachsen der Erwerb des europäischen Computerführerscheins als Standardzertifikat. Wer solche Formen der Arbeitsbeschaffung braucht, braucht diesen Weg auch nur weiter zu beschreiten.
Ich glaube nicht, politischen Eunuchen gegenüberzusitzen, die dies wollen, die dies mit sich machen lassen würden.
(Abg. Boris Palmer GRÜNE: In den Fachausschüs- sen nimmt man zur Kenntnis, und dann ist es vor- bei!)
Gerade weil Europa immer wichtiger wird, gerade weil das Thema Europa immer tiefer beraten werden muss, brauchen wir den Sachverstand der Experten in den einzelnen Ausschüssen, weil – das zeichnet sich auch schon ab – das Thema Europa sonst den Ständigen Ausschuss überfordern würde, was die jeweilige Beratungstiefe angeht.
Ich glaube, dass das die einzelnen Länder inzwischen genauso sehen. Der Bayerische Landtag zum Beispiel schreibt ganz unbefangen zu den Zuständigkeiten seines Europaausschusses:
Der Ausschuss berät über Gesetzentwürfe und Anträge, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Eingaben sind selten, da in der Regel der Bundestag oder die Europäische Union die Ansprechpartner sind.
Prompt hat man im Bayerischen Landtag den Grünen den Ausschussvorsitz überlassen. Der Ausschuss kann also so wichtig nicht sein.
Wenn man sich die Europaausschüsse der einzelnen Länder ansieht, fällt einem auf, dass die Opposition häufig zur Besetzung des Ausschussvorsitzes bemüht wird. Ich verstehe ja, dass Sie vielleicht gern ein Amt unter sich zu verteilen hätten. Aber ich glaube nicht, dass dies ein Kriterium für uns sein kann.