Protokoll der Sitzung vom 27.11.2003

Auf der Tagesordnung in der Psychiatriepolitik sollte seit langer Zeit nicht die Diskussion zwischen Wirtschaftsministerium und Sozialministerium stehen, sondern eigentlich sollte darauf die längst fällige Reform des alten Landesunterbringungsgesetzes und damit die Schaffung eines modernen Landesgesetzes für Psychiatrie stehen. Über die Qualität in der Psychiatrie müssen wir uns unterhalten. Das steht seit langem an.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das wäre eine Weiterentwicklung der Psychiatriepolitik, die tatsächlich auch diesen Namen verdient hätte.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Repnik.

(Abg. Hauk CDU: Herr Minister, wir freuen uns auf Ihre Worte!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das so weitergeht, brauchen wir in der Tat auch im Bereich Stuttgart eine Cannstatter Psychiatrie.

(Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Gut, dass wir die ambulante Psychiatrie ausgebaut haben.

(Abg. Kiefl CDU: Landtagspsychiatrie brauchen wir!)

Meine Damen und Herren, die ehemaligen Psychiatrischen Landeskrankenhäuser wurden 1996 als Zentren für Psychiatrie in rechtsfähige Anstalten umgewandelt. Das war kein einfacher Weg. Die Diskussionen und Gegenargumente, die wir heute bei mehreren Zusammenschlüssen hören, sind fast die gleichen wie damals. Aber diese Rechtsformänderung war erfolgreich und hat den Krankenhäusern mehr Flexibilität und mehr Eigenverantwortlichkeit gebracht. Damit wurden die Weichen richtig gestellt. Die Zentren haben alle ihre Chancen genutzt. Aus den ehemaligen Staatsbetrieben sind hochmoderne Unternehmen geworden.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Sie besitzen heute große Akzeptanz bei den Patienten und den Angehörigen. Sie gelten als Kompetenzzentren. Das ist gut so. Diese positive und erfreuliche Entwicklung ist aber keinesfalls ein Grund, uns zurückzulehnen.

Es wurde schon angesprochen: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und der Veränderung. Angebot und Organisationsformen werden und müssen sich verändern, wenn das Ganze wirtschaftlich betrieben werden soll. Markt und Wettbewerb treten anstelle von Reglementierung und Bürokratie. Das Gesundheitskonsensgesetz sagt das Gleiche. Wenn Sie ein bisschen in die sozialen Bereiche hineinschauen, sehen Sie, dass wir es mehr und mehr auch mit der Zusammenlegung von großen sozialen Betrieben zu tun haben.

Auch die Psychiatrie ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Die psychiatrischen Krankenhäuser sind seit Jahren streng budgetiert.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das muss man ansprechen; manche wissen es nicht mehr. – Die Budgetsteigerungen fallen immer geringer aus. Für 2004 hat die Bundesgesundheitsministerin eine Zuwachsrate von 0,02 % festgelegt.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Zurufe von der CDU)

Das ist eine Nullrunde, und das bei Personalkostensteigerungen um 3 bis 4 %.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Zurufe von der CDU)

Der Skandal liegt nicht darin, dass wir als Landesregierung gemeinsam mit der Koalition versuchen, die richtigen Wege zu gehen. Da brauchen wir etwa ein halbes Jahr länger. Der Skandal läge im Nichtstun.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Genau!)

Der Skandal liegt auch darin, dass Sie, Frau Wonnay, mit Ihrer Rede heute im Prinzip Patienten verunsichern. Heute ist kein Patient verunsichert, denn er weiß genau, dass er in unseren psychiatrischen Kliniken gut untergebracht ist. Aber Sie verunsichern das Personal und hetzen das Personal auf. Das kann auf Dauer nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei der CDU – Abg. Marianne Wonnay SPD: Da müssen Sie einmal die Patientenfürspre- cher hören, Herr Repnik!)

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser – auch die psychiatrischen Krankenhäuser sind Krankenhäuser – Jahr für Jahr größer wird. In dieser Situation müssen wir auch bei den Zentren den Mut zu Veränderungen aufbringen.

Meine Damen, meine Herren, der Antrag der SPD verteidigt doch den Status quo:

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es!)

„Lasst alles, wie es ist, und nachher richten wir es schon!“ Das kann nicht der Weg der Zukunft sein.

(Zuruf von der CDU: Augen zu und durch! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Wollen Sie doch einen Verkauf?)

Da wären auf Dauer die Patienten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschädigt. Man kann also nicht alles so lassen, wie es ist. Die SPD will offensichtlich die Hände in den Schoß legen und auf bessere Zeiten hoffen. Aber ich glaube, auf diese Zeiten brauchen wir in diesem Fall nicht zu hoffen. Es wäre unverantwortlich, bei der Frage nach der Zukunft der Zentren für Psychiatrie den Kopf in den Sand zu stecken. Das wäre unverantwortlich gegenüber den Zentren und den dort Beschäftigten und unverantwortlich gegenüber den Patienten, die auf eine gute Versorgung angewiesen sind.

(Minister Dr. Repnik)

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Sagen Sie das mal dem Wirtschaftsminister!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Stillstand bedeutet Rückschritt. Das gilt auch für die Psychiatrie.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Kein Mensch will Stillstand!)

Sie müssen Ihren Antrag lesen. Da steht nur „Stillstand“ drin.

(Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Macht nichts.

(Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Frau Wonnay, ich habe zugehört. Sie haben von „Skandal“ gesprochen. In Ihrem Antrag steht, was Sie alles nicht wollen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Sie wollen die bei- den Formen auch nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich müssen wir, wenn der Koalitionspartner eine Teilprivatisierung in die Diskussion bringt, auch darüber sprechen, ob das sinnvoll wäre oder nicht. Deswegen haben wir im Mai dieses Jahres gemeinsam eine Anhörung zum Thema „Teilprivatisierung der Zentren für Psychiatrie“ durchgeführt. Diese Veranstaltung ist in der Fachöffentlichkeit auf großes Interesse gestoßen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber passiert ist seither nichts!)

Alle maßgeblichen Verbände und Institutionen waren vertreten. Es wurde dabei sachkundig und auch leidenschaftlich diskutiert. Experten aus Thüringen haben ihre Erfahrungen eingebracht. Sie mussten ihre alte Psychiatrie aus DDR-Zeiten aufnorden; unsere ist Gott sei Dank in einem besseren Zustand, deshalb können wir davon nicht unbedingt lernen.

Wir vom Sozialministerium kamen zu dem Schluss, dass die Zentren für Psychiatrie keine Kandidaten für eine Privatisierung sind.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Da hat er Recht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür gibt es mehrere Gründe. Die psychiatrische Versorgung unterscheidet sich von der übrigen, somatischen Versorgung in der Medizin. Psychisch Kranke haben einen speziellen Hilfebedarf und sind oft schutzbedürftiger als manche somatische Patienten. Sie können verwahrlosen oder sich selbst gefährden – ich denke an Selbstverstümmelung oder Suizidgefahren.

Für mich ist vor allen Dingen das Stichwort Maßregelvollzug sehr wichtig. Im Maßregelvollzug werden psychisch kranke und suchtkranke Straftäter therapiert. Das ist bekanntermaßen eine hoheitliche Aufgabe, die sich für eine Privatisierung nicht eignet.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Der Maßregelvollzug ist unstrittig!)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, schlagen wir eine organisatorische Weiterentwicklung der Zentren für Psychiatrie vor und halten diese auch für notwendig. Wir haben hierzu Eckpunkte erarbeitet, die noch besprochen und mit den Beteiligten erörtert werden müssen.

Nach Abwägung aller Argumente und unter Berücksichtigung der Hinweise des Rechnungshofs – auch diese müssen natürlich aufgenommen werden – haben wir ein Konzept erstellt, das vorsieht, die Zentren zu einer Krankenhausgruppe zusammenzuführen. Sie bleiben dezentral, aber es gibt viele Punkte, an denen man durch zentrale Organisation Synergieeffekte nutzen kann, wenn die Zentren zu einer Zusammenarbeit ein Stück weit gezwungen werden: vom Kompetenzzentrum bis hin zum gemeinsamen Einkauf und was sonst alles denkbar ist.