Protokoll der Sitzung vom 18.12.2003

(Minister Stratthaus)

Trotz allem glaube ich, dass dieser Kompromiss doch ein Fortschritt für Deutschland ist. Es ist kein so großer, wie wir es vielleicht erhofft hätten, aber es ist ein Forstschritt.

Meine Damen und Herren, warum? Ich war wochenlang in Berlin und habe erlebt, dass wir allmählich Gefangene unserer eigenen Verlautbarungen werden. Über ganz bestimmte Themen ist gestritten worden, weil diese Themen umstritten waren. Andere wichtige Dinge sind ohne große Diskussion gelaufen und deshalb in der öffentlichen Diskussion nicht mehr wahrgenommen worden.

Zum Beispiel wird die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes – das ist im Sozialgesetzbuch III geregelt – ganz beachtlich beschränkt. Natürlich kann man jetzt sagen, wir wollten das aus sozialpolitischen Gründen nicht. Aber für den Arbeitsmarkt ist das eine gute Entwicklung. Das ist überhaupt keine Frage. Darüber hat niemand mehr diskutiert, weil das im Regierungsentwurf stand und unbestritten übernommen worden ist.

Meines Erachtens ist das viel wichtiger als viele andere Dinge, über die diskutiert worden ist. So gibt es eine ganze Reihe von Bestimmungen, von Beschlüssen, die durchaus gut sind aber eigentlich gar nicht mehr richtig zur Kenntnis genommen worden sind.

Lassen Sie mich noch etwas zur Gemeindefinanzreform sagen: In der Tat sind die Gemeinden die Einzigen, die deutlich mit einem Plus aus dem Vermittlungsverfahren herauskommen. Am schlechtesten schneidet der Bund ab, für die Länder in ihrer Gesamtheit läuft es ungefähr auf plus/minus null hinaus, während die Gemeinden gewonnen haben. Der Grund ist ganz einfach: Der Bund stellt von den Privatisierungserlösen in Höhe von 5,3 Milliarden € die Hälfte den Ländern und den Gemeinden zur Verfügung. Darüber hinaus bekommen die Gemeinden vom Bund und den Ländern jeweils noch 4 Prozentpunkte der Gewerbesteuerumlage. Das ist der Grund dafür, dass die Gemeinden in der Tat die Gewinner sind.

(Abg. Göschel SPD: Aber nur im statistischen Mit- tel! Es gibt auch große Verlierer! – Zuruf des Abg. Junginger SPD)

Das ist immer so. – Sie können ganz grob davon ausgehen – jede Gemeinde kann sich das ausrechnen –: Pro Kopf ihrer Bevölkerung werden die Gemeinden ungefähr 35 € mehr haben. Das kann sich nun jeder selbst ausrechnen. Bei einer Gemeinde mit 20 000 Einwohnern macht das etwa 700 000 € aus.

Die Gemeinden haben nicht damit gerechnet; denn ein volles Vorziehen der Steuerreform hätte die Gemeinden natürlich sehr negativ betroffen.

Ich möchte noch einmal sagen: Die Gemeinden sind die Einzigen, die unter dem Strich besser dastehen, als es sich vorher abzeichnete.

Jetzt gibt es immer wieder die Diskussion, ob wir eine, wie Sie sagen, weitgehende Gewerbesteuerreform hätten machen sollen oder nicht. Eines ist ganz klar, Herr Junginger: Das, was Sie vorgeschlagen haben, war eine Steuererhöhung.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: So ist es! – Zurufe von der SPD)

Natürlich!

(Abg. Junginger SPD: Haben Sie es durchgerech- net?)

Ich lege großen Wert darauf, dass ich hier nichts sage, was ich nicht auch beweisen kann.

(Abg. Junginger SPD: Ich habe es aus dem Finanz- ministerium anders gehört!)

Herr Junginger, es wäre eine Steuererhöhung gewesen.

(Abg. Schmiedel SPD: Für wen?)

Für wen? Für den kleinen Mittelständler. Ich will es Ihnen doch sagen. Man wollte die ertragsunabhängigen Bestandteile in die Steuerbemessungsgrundlage einbeziehen,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

und dadurch wäre in der Tat die Gewerbesteuer für den kleinen Selbstständigen gestiegen.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Wir haben zwei weitere Bestimmungen getroffen – ich habe gestern schon einmal davon gesprochen –: Beim „Korb II“ wird auch die Gewerbesteuer steigen, und zwar deswegen, weil bei der Verlustverrechnungsbegrenzung und bei einer anderen Sache in Zukunft auch mehr Gewerbesteuer eingeht, allerdings, wie es richtig gesagt worden ist, nur von Unternehmen, die mehr als 1 Million € verdienen.

(Abg. Junginger SPD: Also!)

Da sind also die Größeren und nicht die Kleineren betroffen. Wir haben also an drei Stellen an der Gewerbesteuer etwas verändert, haben aber den kleinen Mittelstand nicht getroffen. Er wäre hingegen getroffen worden, wenn wir die Bemessungsgrundlage durch die Einbeziehung der ertragsunabhängigen Bestandteile vergrößert hätten.

(Beifall bei der CDU – Abg. Junginger SPD: Sagen Sie das doch nicht uns, sondern Herrn Doll!)

Ich weiß nicht, was Herr Doll gesagt hat. Herr Doll ist normalerweise ein gut informierter Mann.

(Abg. Junginger SPD: Soll ich Ihnen das vorlesen?)

Aber Sie können sicher sein, dass ich mit Herrn Doll sehr bald wieder spreche. Dann werden wir die Sache klären. Das ist überhaupt keine Frage.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Als Nächstes wird immer wieder die Geschichte mit den Freiberuflern genannt. Auch da hat Herr Junginger zunächst einmal das Richtige gesagt. Die Freiberufler wären in den großen Städten zusätzlich belastet worden. In den kleineren Orten hingegen – überall dort, wo der Hebesatz unter 380 oder bei 380 % liegt – wäre das lediglich ein Bürokratieförderungsprogramm gewesen.

(Minister Stratthaus)

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Linke Tasche, rechte Tasche!)

Man hätte nämlich 800 000 Freiberufler gezwungen, eine Gewerbesteuererklärung abzugeben. Das Ergebnis hätte dazu gedient, anschließend die Einkommensteuer in gleichem Maße zurückzuführen.

(Zuruf des Abg. Junginger SPD)

Alles in allem: Ich möchte noch einmal dafür werben. Wir haben gemeinsam diesen Kompromiss geschlossen. Der Kompromiss ist meines Erachtens auf der Arbeitsmarktseite wichtiger als auf der Steuerseite. Auf der Arbeitsmarktseite hat es eine Reihe von Verbesserungen gegeben, die im Augenblick gar nicht mehr diskutiert werden, weil sie unumstritten waren. Wir sollten uns – auch weil Weihnachten ist – hier nicht unnötig zerstreiten, sondern wir sollten anerkennen: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Manche haben sich einen größeren Schritt vorgestellt, aber der Schritt war schon richtig.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Gräßle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir hatten schon gestern den Eindruck, dass die Opposition nicht wirklich versteht, worum es geht. Heute haben wir die Gelegenheit zu kostenlosem Nachhilfeunterricht genutzt. Wir hoffen, dass das nicht ganz umsonst war.

Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zeigt, was eine Opposition alles zuwege bringen kann, wenn sie es denn zuwege bringen will. Von daher ist das Ganze sicherlich zur guten Nachahmung empfohlen, zumal Sie hier auch so großen Wert auf einen bestimmten Umgang mit Ihnen als Opposition legen. Wir wären froh, wenn Sie auch etwas einbringen würden. Im Übrigen ist es nicht verboten, sich auf Debatten vorzubereiten, Herr Junginger. Ihrem Redebeitrag heute Morgen hätte das überhaupt nicht geschadet.

(Beifall bei der CDU – Abg. Wieser CDU: Sehr gut! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Laut Geschäfts- ordnung soll man aber auch nicht ablesen!)

Ich bin ein bisschen enttäuscht darüber, dass Sie das, was seit gestern passiert ist – nämlich 20 neue Beschlüsse, eine Präzisierung der Ergebnisse im Vermittlungsausschuss auf dieses Land Baden-Württemberg hin –, offensichtlich überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Aber der Tag ist noch lang. Kurz vor Weihnachten wollen wir die Hoffnung doch nicht aufgeben.

Sie sollten sich einmal überlegen, was eigentlich das Landesinteresse und was das kommunale Interesse ist. Der Finanzminister hat zum Thema Gemeindefinanzreform hinlänglich Ausführungen gemacht. Herr Junginger, 2,5 Milliarden € sind ein reales Ergebnis aus dem Vermittlungsausschuss, mit dem die Kommunen etwas anfangen können. Für uns ist es eine großartige Sache.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das war die Leistung der Regierung, nicht Ihre!)

Im Übrigen sehen wir die originäre Leistung nicht so sehr im Hin- und Herschieben von Geld oder neuen Einnahmen. Wir sehen die eigentliche Leistung dort, wo Strukturen in diesem Land aufgebrochen werden. Strukturen wurden beim Thema Arbeitsmarktreform aufgebrochen. Sie wurden beim Thema Zumutbarkeit und beim Thema „Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe“ aufgebrochen. Hier sind die eigentlichen Fortschritte zu verzeichnen, und das ist originäre CDU-Handschrift.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Als jemand, der im Ehrenamt eine Organisation mit 200 hauptamtlichen Mitarbeitern leitet, muss ich Ihnen auch sagen: Was im Vermittlungspaket zum Thema Kündigungsschutz enthalten ist, ist eine wirklich gute und wichtige Sache. Die Änderung der Sozialauswahl, die Frage der Abfindung wird allen Betrieben, gerade auch den mittelständischen Betrieben in Baden-Württemberg, mehr Rechtssicherheit bringen. Die Arbeitsgerichte werden in ihrer Spruchfindung berechenbarer für die Betriebe. Das allein ist schon ein sehr großer Fortschritt. Dass das Arbeitszeitgesetz jetzt mehr Flexibilität für die Betriebe erlaubt, ohne dass vorher ein riesiger betrieblicher Akt in Gang gesetzt werden muss, ist für uns ebenfalls ein ganz wichtiges Ergebnis für Wachstum und Beschäftigung in Baden-Württemberg. Nehmen Sie das zur Kenntnis, und setzen Sie sich damit auseinander.

Wir sind auch beim Thema Handwerk zufrieden. Die Berufe und Branchen, die in der Handwerksrolle enthalten bleiben, decken 90 % der baden-württembergischen Handwerksbetriebe ab. Damit sind wir sehr zufrieden, und auch das trägt originäre CDU-Handschrift.

(Abg. Fleischer CDU: Sehr gut! – Beifall des Abg. Fleischer CDU)

Vielleicht sollten Sie über Weihnachten die Gelegenheit nutzen, sich mit dem gesamten Paket auseinander zu setzen.

(Abg. Margot Queitsch SPD: Das würde Ihnen auch nicht schaden!)