Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Die Produktion eines Embryos für Zwecke der Forschung – das ist der entscheidende Punkt – lehne ich generell ab. Aber – das ist das Thema, das Frau Kipfer angesprochen hat – was passiert mit denen, die zum Zwecke der Befruchtung gezeugt worden sind, aber niemals die Chance haben werden, weil sie sich nie werden einnisten können, und zwar bei den Stammzellen zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr totipotent sind, also aus ihnen kein ganzer Mensch mehr entstehen könnte, auch wenn noch vielfache Organe möglich sind?

Abschließend: Ich bin der Meinung, da gibt es wirklich noch sehr viel Diskussionsbedarf. Man kann nicht von vornherein sagen: Das gibt es bei uns nie; das Thema der Aktuellen Debatte bezog sich ja auf Baden-Württemberg. Wir müssen sehen, was in anderen Bundesländern und in benachbarten Ländern passiert, aber, Herr Kretschmann, nicht nach dem Motto: Was man anderswo machen kann, können wir auch machen. Wir dürfen auch nicht überheblich sagen: Nur wir wissen, was ethisch richtig ist. Wir müssen auch sehen, was die Nachbarn um uns herum machen und welche Auswirkungen es möglicherweise gibt. Auch das Thema PID-Tourismus usw. spielt eine Rolle.

Es gibt – das muss man einfach sagen – auch wirtschaftliche Auswirkungen. Ich finde es nicht verwerflich, zu sagen, dass die Bio- und die Gentechnologie als Schlüsseltechnologien dieses Jahrhunderts große wirtschaftliche Potenziale gerade für Baden-Württemberg bieten. Es wäre gerade die falsche Schlussfolgerung, zu sagen: Weil wirtschaftliche Potenziale vorhanden sind, wollen wir das auf gar keinen Fall haben.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Das hat auch keiner gesagt!)

Eine letzte Bemerkung zum Thema Behinderte. Für mich ist es das entscheidende und schwierigste Thema, dass heute schon – ich habe es bei der Pränataldiagnostik mehrfach erwähnt – Selektion stattfindet, und zwar hoffentlich immer mit der ordentlichen Beratung, die ja vorgeschrieben ist. Was passiert, wenn wir an dieser einen Stelle zusätzliche Möglichkeiten zulassen?

Da war für mich – man soll das möglichst konkret machen – eine Zahl wichtig: Mehr als 95 % der Menschen mit Behinderungen, die unter uns leben, sind von diesem Thema überhaupt nicht berührt. Das heißt, weniger als 5 % der Behinderungen sind genetisch so festgelegt, dass man sie mit PID erfassen könnte, und bei 95 % der Menschen mit Behinderungen könnte man gar nicht sagen: Du wärst nicht entstanden, wenn es die PID gegeben hätte.

Deshalb lautet für mich jetzt zum Schluss das Fazit: Ich halte es für gefährlich, das Thema „Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen“ an einem dieser Themen aufzuhängen, weil man unter Umständen wie bei der Abtreibung und bei der Pränataldiagnostik, die ja jetzt möglich sind, zu

dem gemeinsamen Beschluss, ob er ethisch von jedem mitgetragen wird oder nicht, kommt, dass die PID in Ausnahmefällen möglich sein sollte. Dann nämlich wäre die Akzeptanz der Behinderten vollends dahin.

Ich glaube, wir Politikerinnen und Politiker haben in der Gesellschaft wesentlich andere Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass in der Diskussion klar wird, dass es keine Pflicht zum perfekten, schönen und intelligenten Menschen gibt, dass wir durchaus wissen – da sollten wir uns nichts vormachen –, dass es immer Behinderungen geben wird, völlig unabhängig davon, was wir in diesem kleinen Spezialgebiet machen, dass es immer große biologische Unterschiede geben wird und dass wir nicht allein Produkt unseres Genoms sind.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der Grünen)

Das Wort erhält Herr Staatsrat Dr. Beyreuther.

Frau Präsidentin, verehrte Abgeordnete beiderlei Geschlechts, meine Damen und Herren!

(Heiterkeit)

Frau Abg. Kipfer, dies ist eine gute Debatte. Ich denke, dies ist ein sehr wichtiger und sehr guter Satz zu einer sehr, sehr schwierigen Problematik, die Sie sicherlich noch lange beschäftigen wird. Schwere Zeiten werden uns bevorstehen, diese schweren Fragen zu diskutieren. Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand in der Zukunft bei den Fragen, die wir hier andiskutiert haben.

Ministerpräsident Teufel hat am 20. Juni dieses Jahres in diesem Hause von diesem Pult aus die Feststellung gewagt:

Dass wir die verbrauchende Embryonenforschung ablehnen, bedeutet nicht, dass wir das Recht auf Therapie nicht anerkennen. Im Gegenteil: Das Land wird seine Anstrengungen auf dem Gebiet der Zelltherapie verstärken.

Ministerpräsident Teufel fuhr in seiner Regierungserklärung fort:

Wir werden Forschungsvorhaben, die ethisch unbedenklich sind und das gleiche Ziel haben, nämlich Organersatz durch Zelltherapie, nachdrücklich fördern.

Minister Frankenberg hat dies nachdrücklich betont und hier seine Unterstützung dieser Zelltherapie verkündet.

Ich möchte ein Fenster in die Zukunft öffnen und Ihnen damit Ihre Entscheidung – die Entscheidung liegt bei den Politikerinnen und Politikern dieses Landes –, die diese Forschung betrifft, erleichtern.

Ausgangspunkt der Überlegungen von Ministerpräsident Teufel – wir haben es gerade von Herrn Abg. Dr. Noll gehört – ist die Tatsache, dass wir hier im Lande Baden

(Staatsrat Dr. Beyreuther)

Württemberg folgende Situation haben: Jeder Zehnte hat eine Behinderung, viele von ihnen sind alt; eine Million Menschen haben eine Behinderung, viele durch chronische Krankheiten. Auch meine Mutter ist darunter. 40 000 Menschen in diesem Lande sind seit der Geburt gehandicapt, haben eine angeborene Behinderung.

Alle diese Menschen haben ein Recht auf Therapie, und deswegen hat Ministerpräsident Teufel gesagt: Wir wollen unsere Anstrengungen auf dem Gebiet der Zelltherapie verstärken.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Denn da liegen die Hoffnungen.

Dieses Recht auf Therapie bedeutet Forschung in die richtige Richtung. Wie sieht nach meiner Meinung als beteiligter, betroffener Wissenschaftler diese richtige Richtung aus?

Wenn Sie mit Wissenschaftskollegen darüber sprechen, wie sie sich eigentlich die zukünftige Zelltherapie vorstellen, dann werden Sie erfahren, dass einige auf Embryonen zurückgreifen wollen. Mir schaudert eigentlich vor diesem Gedanken. Ich habe als Embryo angefangen, Sie alle haben als Embryo angefangen. Die Wissenschaftler wollen Körperzellen reprogrammieren, umprogrammieren, eine Hautzelle zu einer Zelle machen, die Herz-, Leber-, Nieren-, Blut-, Darm-, Blasen- und auch Gehirnzelle werden kann. Wenn wir Alzheimererkrankungen erfolgreich therapieren wollen – das ist mein Forschungsgebiet –, brauchen wir auch Gehirnzellen. Denn wenn wir einen Patienten, der an Alzheimer erkrankt ist, heilen, hat er ein leeres Gehirn, und dann müssen wir ihm die Zellen wieder geben, damit er die Kontakte ausüben kann, die er braucht, um wieder mit uns sprechen zu können.

Das Reprogrammieren von Körperzellen, eine Hautzelle zu einer Zelle zu machen, die eine Herzzelle werden kann, ist die große Herausforderung. Und diese große Herausforderung glauben einige meiner Kollegen mit embryonalen Stammzellen bewältigen zu können. Das ist sicherlich ein Ausgangspunkt. Ich glaube, dass es auch andere Wege gibt, und diese anderen Wege gehen von Tierexperimenten aus, mit denen man herausfinden kann, wie aus einer tierischen Hautzelle eine Herzzelle wird. Diese Forschungen sind auf gutem Wege.

Wir haben aber auch unter den 800 000 Geburten im Jahr in Deutschland bei 792 000 natürlichen Geburten eine Nabelschnur. Wir haben auch bei 8 000 in vitro erzeugten Kindern eine Nabelschnur. Wir haben 800 000 Nabelschnuren, in denen fetale Stammzellen sind, die auch eine große Potenz haben, zur Herz-, zur Nieren-, zur Darmzelle zu werden. Dies ist für mich die Forschung.

Ich darf noch einmal sagen: Mir schaudert vor dem Gedanken, am Ursprung des Lebens herumzudoktern.

(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Ich darf die Sorge von Frau Abg. Kipfer und Herrn Abg. Dr. Noll aufgreifen: Was machen wir denn mit diesen überzähligen Embryonen oder Eizellen? Sie wissen, eine Invitro-Fertilisation ist ein drastischer Eingriff in die Frau. Sie wird mit Hormonen behandelt. Dabei entstehen fünf bis zehn Eier; wir nennen das Superovulation. Diese Eier müssen aus dem Follikelkörper durch eine Operation herausgeholt werden. Bei den 40 000 In-vitro-Fertilisationen im Jahr in Deutschland gibt es also zwischen 200 000 und 400 000 Eier. Wenn diese Eier mit dem Samen verschmolzen werden, entsteht der Embryo. Das war mal mein Beginn, und das war Ihr Beginn. Was machen wir mit diesen überzähligen Embryonen? Sie haben keine Mutter, sie werden sterben. Gestorbene Menschen werden beerdigt, überzählige Embryonen werden beerdigt. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Nun ein Wort zur PID. Ich möchte keine Wertung treffen. Mir ist ganz klar, dass es etwa 150 Familien in Deutschland gibt, bei denen ein Elternteil eine schwere Erbkrankheit hat und darunter leidet. Dieser Elternteil mit Kinderwunsch will Kinder haben, die dieses Problem nicht haben. Wie wir bei diesen wenigen Familien eine Lösung finden, weiß ich nicht.

Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen PID und Abtreibung. Bei der PID selektionieren wir eines von fünf oder zehn Lebewesen. Bei der Abtreibung machen wir keine Selektion. Da gibt es nur die Ja- oder Nein-Entscheidung.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja, doch!)

Es gibt den Tod, aber es gibt nicht neunfach den Tod, und Sie haben keine willkürliche Entscheidung.

Das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass wir alle erbkrank sind. Das hat das Genomprojekt gezeigt. Wir haben alle eine Veranlagung, die eine oder andere chronische Krankheit zu bekommen, und wir bekommen sie auch: Herz-/Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Alzheimer – Sie kennen die Krankheiten. Was wollen wir selektionieren? Das Problem der PID ist, dass sie eine Selektion darstellt.

Ich habe mich mit dieser Frage, über die ich heute mit Ihnen spreche, seit dem 1. Februar befasst, als mich Ministerpräsident Teufel darauf hinwies, dass es eine meiner Aufgaben sein werde, ihn ethisch zu begleiten. Ich habe mich umgehört: Was für ein Interesse könnte mein Nachbar, mein Gesprächspartner haben, zu selektionieren? Ich habe gefragt: „Wolltet ihr Söhne haben, wenn ihr die Wahl hättet, wenn ihr selektionieren könntet?“ Die meisten haben gesagt: Nein. Wissen Sie, was die gesagt haben? „Wir wollen Töchter haben, denn wenn wir alt werden, können die uns besser pflegen.“ Ich denke, wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass das Selektion ist.

Selektion ist ein gefährlicher Weg, der, wenn er in Erwägung gezogen wird, scharf kontrolliert werden muss und nur in ganz, ganz wenigen Fällen angewendet werden darf. Ob er im Leib der Mutter angewendet wird oder vorher, mag dahingestellt sein. Das ist die Entscheidung der Politiker.

(Staatsrat Dr. Beyreuther)

Ich möchte mit einem Zitat Einsteins schließen:

Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der FDP/DVP und den Grü- nen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist diese Aktuelle Debatte beendet.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses zu den Anträgen der Landesregierung vom 18. und 26. Juni 2001 – Zugehörigkeit von Mitgliedern der Landesregierung zu Organen wirtschaftlicher Unternehmen – Drucksachen 13/12, 13/29, 13/30

Berichterstatter: Abg. Herrmann

Meine Damen und Herren, wird zu diesem neu in die Tagesordnung aufgenommenen Punkt eine Aussprache gewünscht? Falls eine Aussprache gewünscht wird, schlage ich Ihnen eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vor. –

(Abg. Fischer SPD: Nein!)