Protokoll der Sitzung vom 29.01.2004

Wir haben Stellen geschaffen. Im Ergebnis heißen wir es natürlich nicht gut, dass man die Verwaltungsgerichtsbarkeit sozusagen anzapft und dort Richter abzieht.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Es sind doch weniger Aufgaben da!)

Aber immerhin, es ist eine Möglichkeit, um der Flut von Prozessen zu begegnen. Die Aufgaben zu erfüllen und die Prozesse zeitnah abzuwickeln, das ist wichtig für den Wirtschaftsstandort, aber auch für die Beteiligteninteressen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die im Arbeitsgerichtsprozess ja als Kontrahenten auftreten.

Wir wünschen allerdings – und das fordere ich von Ihnen heute ein, Frau Ministerin – die Zusage, dass diese neu geschaffenen Stellen nicht einer irgendwie gearteten Stellensperre unterliegen werden. Ich hoffe, Sie können diese Zusage heute geben.

Lassen Sie mich vielleicht kritisch einwenden, dass wir natürlich eine Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten schon genau prüfen müssen. Wir befürchten – das haben wir an anderer Stelle schon diskutiert –, dass wir zwar auf der einen Seite eine immer größere Spezialisierung in der Anwaltschaft haben – das Fachanwaltswesen nimmt zu, die Spezialisierung auf Themenbereiche nimmt zu –,

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Mini-Amtsgerichte sol- len bleiben!)

dass auf der anderen Seite aber der Weg, den Sie gehen wollen, zum Universalrichter, zu einem oberflächlichen Alleskönner und damit für uns zu keiner befriedigenden Entwicklung der Justiz in der Zukunft führt. Da bitte ich Sie, mit uns gemeinsam zu überlegen, wie wir diese Spezialisierung und damit auch die Qualität der Fachgerichtsbarkeiten, wie sie sich bisher darstellt, erhalten können.

Im Strafvollzug sind Sie weiter gefordert. Das heißt, der innere Reformbedarf in der Justiz ist nach wie vor vorhanden. Wir brauchen mehr Haftplätze; da sind wir uns einig. Wir haben das im Finanzausschuss und im zuständigen Ausschuss lange diskutiert. Die Stellensituation beim Gefängnispersonal muss weiter verbessert werden. Und Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht ja bestimmte Anforderungen an die Unterbringung von Strafgefangenen stellt. Diesen Anforderungen der Rechtsprechung werden wir in diesem Land künftig genügen müssen. Sie müssen uns dazu Ihre Vorschläge unterbreiten; das erwarten wir von Ihnen.

Ein weiterer Punkt betrifft die Wirtschaftskriminalität. Wir haben das auch im Finanzausschuss schon angesprochen, und Sie haben ja in Ihrem Bericht zum Haushalt darauf hingewiesen, dass 2 % aller Straftaten 60 % des wirtschaftlichen Schadens ausmachen. So steht es in Ihrem eigenen Bericht. Deshalb ist es umso wichtiger, diesen Bereich auch von der Justiz her zu stärken und über diese Taskforces, die es bisher schon gibt, hinaus entsprechende Verstärkung zu schaffen. Ich kann Sie nur ermuntern, hier auch den Herrn Innenminister mit ins Boot zu nehmen, der nämlich mit den Kürzungen im Polizeibereich gerade die gegenteilige Strategie zu verfolgen scheint. Dazu erwarten wir von Ihnen liberale Profilierung, auch gegenüber dem Innenminister. Die Unterstützung der SPD-Fraktion kann ich Ihnen hier und heute zusichern.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Reinhart CDU: Donnerwetter! Sollen wir konvertieren?)

Lassen Sie mich neben vielen Maßnahmen, die wir mittragen – wir haben das ja im Finanzausschuss durch unser Abstimmungsverhalten gezeigt; ich will das jetzt gar nicht im Einzelnen aufführen –, auch noch auf Ihre Funktion als Ausländerbeauftragte der Landesregierung eingehen. Auch da vermittelt der Haushalt ein solides Wirken, teilweise im Stillen. Aber wir wünschen uns, dass Sie in dieser Funktion gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den Betroffenen klares liberales Profil zeigen. Ich denke da an den Bereich der Zuwanderung.

(Beifall bei der SPD – Abg. Zeller SPD: So ist es! Sehr gut!)

Machen Sie sich stark für die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes. Überlassen Sie das Thema Ausländerpolitik nicht allein dem Herrn Innenminister, der sich auf diesem Feld in der letzten Zeit verstärkt als Hardliner zu profilieren scheint.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Welcher? Schily? – Ge- genruf des Abg. Zeller SPD: Schäuble! – Abg. Schmiedel SPD: Schäuble ist der Täter!)

Ich kann Sie ermuntern, dieses wirklich liberale Profil auch zu beweisen, wenn es um die Kopftuchdiskussion geht. Ich weiß, Sie haben sich da schon eingeschaltet. Es geht zwar vordergründig nur um die Änderung des Schulgesetzes, aber hier stehen verfassungsrechtliche Fragen von elementarer Bedeutung auf der Tagesordnung.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Es ist die vornehmste Pflicht einer Justizministerin, sich hier aktiv in die Diskussion einzuschalten und das Terrain nicht allein Frau Schavan zu überlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Zeller SPD: So ist es! Richtig! – Zuruf des Abg. Oelmay- er GRÜNE)

Wir appellieren an Sie: Bekennen Sie Farbe, und lassen Sie auf diesem Feld den vollmundigen Ankündigungen Ihres Parteivorsitzenden mit der entsprechenden Bandbreite, wie wir es heute auch schon angesprochen haben, Taten folgen. Wir erwarten dazu Ihren Beitrag als Justizministerin.

Ein Letztes, nochmals zum Thema Privatisierung: Wir stellen uns jeder Diskussion. Aber wir machen diese blinde Privatisierungseuphorie nicht mit, wie sie vielleicht noch in den Neunzigerjahren geherrscht hat,

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Rothaus!)

sondern wir sollten bei jedem einzelnen Komplex prüfen, ob eine Privatisierung sinnvoll ist.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Wie war das mit Rot- haus?)

Die Justiz als dritte Gewalt darf nicht allein unter Renditegesichtspunkten gesehen werden. Im Sinne der Gewaltenteilung sind wir als zweite Gewalt und die Ministerialbürokratie als Teil der ersten Gewalt verpflichtet, die dritte Gewalt nicht durch unsere Gesetze zu schwächen. In diesem Sinne mein Appell an Sie – –

(Abg. Dr. Reinhart CDU und Abg. Oelmayer GRÜ- NE: Wir sind die erste Gewalt!)

Sorry! Ja, ja, klar.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Bitte! Darauf legen wir größten Wert! – Abg. Junginger SPD zur CDU: Da sind Sie aufgewacht!)

Herr Oelmayer, iudex non calculat. Deswegen habe ich mich verzählt.

Helfen Sie mit, dass wir auch künftig eine starke und leistungsfähige Justiz in unserem Land haben werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Jetzt kommt die vier- te Gewalt! – Gegenruf des Abg. Junginger SPD: Keine Gewalt! – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Jetzt wird es „theurer“!)

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Justizhaushalt für das Jahr 2004 ist geprägt von der Umsetzung der Justizreform. Kollege Professor Dr. Reinhart hat das bereits angesprochen.

(Oh-Rufe von Abgeordneten der SPD)

Wir haben in der Koalition miteinander um die Frage gerungen

(Abg. Junginger SPD: Gerungen habt ihr? Wer hat gewonnen? – Abg. Carla Bregenzer SPD: Das war aber nicht sehr effektiv! – Zuruf des Abg. Stickel- berger SPD)

inhaltlich gerungen –, was der richtige Weg für die Weiterentwicklung unserer Justiz ist, meine Damen und Herren. Ich denke, wir sind zu einem guten Kompromiss gekommen, der deutlich auch die Handschrift der liberalen Fraktion trägt. Es war mit Sicherheit beim einen oder anderen Punkt auch für die CDU-Fraktion schwer, mitzugehen. Natürlich mussten auch wir im Gegenzug im einen oder anderen Punkt auf einen Kompromiss eingehen. So ist das in einer Koalition.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das stellt sie auf den Kopf!)

Ich denke aber, dass sich der Grundansatz, der von der liberalen Grundüberzeugung getragen wird, dass der Staat auf seine Kernaufgaben zurückgeschnitten werden muss, langsam durchsetzt. Derjenige, der sich einmal anschaut, was es für eine Bürgerin oder für einen Bürger in der Praxis bedeutet, den Rechtsweg in Anspruch nehmen zu müssen und eben nicht schnell Recht zu bekommen, der erkennt sofort, dass die Justiz der Kernbereich, die Kernaufgabe des Staates schlechthin ist.

Insofern, meine Damen und Herren, bin ich sowohl mit dem Kollegen Reinhart als auch mit dem Kollegen Stickelberger darin einig, dass der Justizhaushalt hier auch an Grenzen stößt, was weitere Einsparmöglichkeiten betrifft. Wir können in diesem Bereich nicht einfach die Wirtschaftlichkeit steigern. Man kann nicht einfach die Zahl der Justizangestellten in den Vollzugsanstalten nach unten fahren. Dort geht es auch um die Sicherheit und um eine menschenwürdige Betreuung der Inhaftierten.

Wenn wir eine effektive Strafverfolgung wollen, reicht es eben nicht aus, dass wir, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung für die 13. Legislaturperiode gemeinsam festgelegt haben, beim Schwerpunkt der inneren Sicherheit – dem zweiten Schwerpunkt neben dem Bildungsbereich – zusätzliche Stellen im Bereich der Polizei schaffen. Vielmehr

müssen wir auch dafür sorgen, dass die Tatverdächtigen, die durch die sehr gute Arbeit der Polizei in unserem Land ermittelt werden,

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Es werden zunächst ein- mal Stellen abgebaut, Herr Kollege Theurer!)

auch von leistungsfähigen Staatsanwaltschaften schnell angeklagt werden, damit sie schließlich in einem fairen Gerichtsverfahren ihr Urteil erhalten, sodass sich in der Justiz erweist, ob sie schuldig zu sprechen sind. Deshalb sind wir auch der Meinung, dass über die in der Koalitionsvereinbarung enthaltene Festlegung, die Justiz vom Personalabbau auszunehmen, gemeinsam mit der Frage der Personalentwicklung im Geschäftsbereich des Innenministeriums erneut diskutiert werden muss. Deshalb begrüße ich auch, dass es uns gelungen ist, in diesem Justizhaushalt Schwerpunkte zu setzen, die dazu führen werden, dass die Leistungsfähigkeit unserer Justiz noch erhöht wird.

Kollege Reinhart hat es bereits angesprochen: Es lässt sich ja nachweisen, dass wir in Baden-Württemberg die leistungsfähigste, jedenfalls mit die beste Justiz in ganz Deutschland haben, meine Damen und Herren. Wir haben die kürzesten Verfahrenszeiten,

(Zuruf des Abg. Stickelberger SPD)

und dies bei der geringsten Zahl an Richterstellen. Genau das ist Effizienz. Im Hinblick auf die Effizienz belegt die baden-württembergische Justiz in allen Bereichen, bei allen Gerichten Spitzenplätze – meistens Platz 1, manchmal zusammen mit einem anderen Bundesland, manchmal Platz 2. Aber auf jeden Fall ist die baden-württembergische Justiz immer vorn dabei, was auch auf den hohen Leistungswillen, die hohe Einsatzbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz zurückzuführen ist. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle im Namen der FDP/DVP-Fraktion bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Stickelberger SPD)

Der Anteil des Justizhaushalts am Gesamthaushalt beträgt gerade einmal 4,2 %. Der Justizhaushalt ist außerdem zu 52,7 % durch Gebühren gedeckt. Wenn wir auch in den anderen Haushaltsplänen eine solche Deckung durch Gebühren hätten, meine Damen und Herren, hätten wir mit Sicherheit keine Probleme, die Nettonullneuverschuldung und anderes zu erreichen.

Ich denke, man muss auch berücksichtigen: Wer hier Einschnitte vornimmt, gefährdet die Leistungsfähigkeit der Justiz. Ich bin der Meinung, dass wir im Gegenteil unsere Anstrengungen auch auf Bundesebene weiterhin darauf konzentrieren müssen, durch Rechtsänderungen Verfahrensbeschleunigungen zu ermöglichen. Ich bin ferner der Meinung, dass immer wieder darüber nachgedacht werden sollte, die Gebühren, die von denjenigen verlangt werden, die Leistungen der Justiz in Anspruch nehmen, an die tatsächlichen Kosten anzupassen und über die Prozesskostenhilfe zu ermöglichen, dass bei demjenigen, der die entsprechenden Beträge nicht aufbringen kann, die Kosten übernommen werden. Derjenige, der es sich aber leisten kann, sollte auch