Protokoll der Sitzung vom 04.02.2004

Jetzt kommt das, was im Moment besonders viel Ärger macht. Deshalb – in aller Offenheit – finde ich den Brief der SPD-Fraktion an die Damen und Herren Bürgermeister in diesem Land – nachdem wir heute so viel von Redlichkeit geredet haben, darf ich diesen Begriff auch verwenden – schlicht und ergreifend unredlich.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Drautz FDP/DVP: Unglaublich! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Um nicht zu sagen: scheinheilig!)

Denn aufgrund der Änderungen – um nicht zu sagen: der Kürzungen – in § 45 a des Personenbeförderungsgesetzes und § 6 AEG hat die Bundesregierung beschlossen, genau diese Ausbildungsverkehre in Stufen um 4, 8 und 12 % zu kürzen.

(Staatssekretär Mappus)

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Jetzt sagen Sie schon mal dazu: Koch/Steinbrück, Vermittlungsaus- schuss! Woher kommt der ganze Mist? Der kommt von den Ländern!)

Deshalb empfinde ich es als einen gespielten Witz, wenn man sich dann hier hinstellt und sagt: „Das Land BadenWürttemberg haut den ÖPNV zusammen, und die Bundesregierung gibt ja so viel Geld.“ Dies ist die Kürzung, die auf uns zukommt.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Es sind allein in diesem Jahr 10 Millionen €, im Jahr 2006 20 Millionen € und im Jahr 2007 30 Millionen €, die wir nun jeweils pro Jahr weniger zur Verfügung haben. Das ist die Tatsache. Das muss einfach auch einmal gesagt werden.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Haben Sie denn zu- gestimmt im Vermittlungsausschuss, ja oder nein?)

Jetzt kommt ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren. Machen wir uns nichts vor: Im Jahr 2007 läuft das Regionalisierungsgesetz aus. Ich bin zwar guter Hoffnung, dass es bis dahin keine rot-grüne Regierung mehr gibt, jedenfalls nicht mehr im Bund.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Aber klar ist auch: Eine wie auch immer geartete Bundesregierung wird nicht über Nacht deutlich mehr Geld für den ÖPNV haben. Deshalb muss doch klar sein, dass es wohl Aufgabe einer Landesregierung ist, mit Blick über das Jahr 2007 hinaus darüber nachzudenken: Wie machen wir Politik, wenn im Zweifel die Mittel noch etwas weniger werden könnten? Es wäre doch unredlich, jetzt das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen, wenn wir ganz genau wüssten, dass ab dem Jahr 2007 das Geld nicht mehr da ist. Deshalb ist es doch wohl legitim, zu sagen: Es muss vorsichtig hausgehalten werden.

Die Konsequenz lautet: Das Land muss kurzfristig – jetzt, für diesen Haushalt bereits – reagieren, um auch langfristig eine verlässliche ÖPNV-Politik gewährleisten zu können. Deshalb heißt die Devise in der Tat: Übergang vom Steigflug in den kontrollierten Gleitflug.

Frau Schmidt-Kühner, ich will Ihre physikalischen Kenntnisse nicht über Gebühr strapazieren. Aber um zu begreifen, dass man in einem Gleitflug, auf Dauer jedenfalls, nicht an Höhe gewinnt, sondern eher an Höhe verliert, braucht man nicht unbedingt den Nobelpreis für Physik zu haben.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Wir sind aber im Sturzflug! – Abg. Göschel SPD: Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht in den Sturzflug kommen! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wir brau- chen Auftrieb!)

Insofern heißt das klipp und klar: Kontrollierter Gleitflug wird bedeuten, dass es in bestimmten Bereichen weniger Mittel gibt, vor allem in den konsumtiven Bereichen;

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Es geht hier aber um Sturzflug! – Abg. Junginger SPD: Geier Sturzflug!)

aber auch die investiven Aufgaben müssen neu justiert werden.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das Bild vom Gleitflug ist auch nicht von mir, sondern vom Mi- nister!)

Deshalb: Beim SPNV-Angebot – das hat der Minister verschiedentlich gesagt; ich will das nochmals wiederholen – haben wir nicht nur die Grenzen des Mengenwachstums erreicht, sondern wir werden in manchen Bereichen auch im Volumen zurückgehen müssen. Wir werden durch Mittelkürzungen gezwungen sein, auch über maßvolle Abbestellungen im Leistungsbereich des SPNV nachzudenken und diese im Zweifel auch noch in diesem Jahr zu vollziehen. Wir werden bei der Investitionsförderung eine maßvolle Korrektur der Förderkonditionen vornehmen, weil sie unvermeidlich ist.

Außerdem: Bei steigender Eigenbeteiligung, meine Damen und Herren, steigt in der Zwischenzeit auf wundersame Art und Weise das Interesse der Projektverantwortlichen an einer wirtschaftlichen Umgangsweise und Umsetzung der Maßnahmen enorm.

Ich möchte Ihnen in aller Offenheit die Eckpunkte darlegen, die wir in Kürze auch umsetzen werden.

In der Tat werden wir die Fördersätze bei Großvorhaben von bisher 85 % auf künftig 80 % und bei reinen Landesvorhaben auf 75 % absenken. Wir werden einen Selbstbehalt von 500 000 € bei Großvorhaben und von 100 000 € im Landesprogramm anstelle der bisherigen Bagatellgrenze von 100 000 € einführen. Meine Damen und Herren, die Bagatellgrenze hat schlicht und ergreifend dazu geführt, dass auf wundersame Art und Weise alle Projekte mindestens bei einem Finanzvolumen von knapp über 100 000 € angesiedelt waren. Sie können sich ausrechnen, warum. Insofern hätte man die Bagatellgrenze auch wegfallen lassen können; dann hätte sich auch nichts verändert. Deshalb ist es, glaube ich, sinnvoll, mit einem maßvollen Eigenbehalt in Höhe von 100 000 € zu arbeiten.

Der nächste Punkt – ich halte ihn für zentral –: Wir werden bei nachträglichen Mehrkosten in Zukunft nur noch mit 60 % fördern. Ich sage Ihnen schon heute voraus: Die Mehrkosten werden rasant – im Sturzflug – nach unten gehen,

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

weil der Zwang zur Wirtschaftlichkeit wesentlich höher als bisher ist.

Wir werden pauschale Verfahrensweisen vorantreiben. Das heißt, wir werden nicht mehr für jedes Bushäuschen eine Untersuchung über die Höhe der Förderkonditionen einleiten, sondern für bestimmte Bereiche wird es Fixbeträge geben. Dann kann die Kommune machen, was sie will – nobel hoch drei oder bescheiden –, und wird einen einheitlichen Betrag dafür bekommen.

(Staatssekretär Mappus)

Wir senken die Fördersätze bei den Schienenfahrzeugen von 50 auf 35 %. SPNV-Fahrzeuge für bestellte Verkehre werden nicht mehr zusätzlich gefördert.

Ferner gibt es eine Stichtagsregelung: Antragstellung bis zum 30. November 2003, Baubeginn bis 30. Juni 2004 im Sinne einer ordentlichen Umsetzung.

Deshalb unter dem Strich, meine Damen und Herren: Wir brauchen mehr Effizienz, und zwar nicht nur wegen der knappen Mittel, sondern auch wegen der Verantwortlichkeit für einen noch optimierteren Einsatz der uns anvertrauten Mittel.

Wir hatten bisher die Grundphilosophie, dass wir mit unseren Angebotsverbesserungen in Vorleistung gegangen sind. Entscheidend muss aber sein, ob die Fahrgäste dieses Angebot auch annehmen oder ob sie im Prinzip durch Nichtnutzung dafür stimmen, dass nach einer Eingewöhnungsphase der Betrieb optimiert wird.

Deshalb haben wir ein Controllingsystem eingeführt. Wir sind seit dem 31. Dezember des letzten Jahres in der Lage, für jede Strecke genau zu ermitteln, wie viel sie kostet, wie viel sie bringt, wie hoch die Förderkonditionen sind und wie groß die Beteiligung der Kommunen ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn bei einzelnen Strecken die Rendite im einstelligen Prozentbereich liegt und der Zuschussbedarf über 90 % beträgt, dann muss es doch erlaubt sein, einmal darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, weiterhin kalte oder warme Luft zu befördern, oder ob in bestimmten Lagen nicht auch Strecken abbestellt werden könnten. Genau das werden wir tun.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Strecken oder Fahr- ten? Wovon reden Sie gerade?)

Darüber hinaus, meine Damen und Herren – –

(Abg. Boris Palmer GRÜNE meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Palmer, Sie singen immer das gleiche Lied vom Verkehrsvertrag. Ich kann es allmählich nicht mehr hören. Sie wissen ganz genau, dass das hinten und vorne nicht stimmt.

Gestatten Sie trotzdem eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Palmer?

Gerne.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Wenn es der Wahrheits- findung dient! – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: Das wohl kaum! – Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Staatssekretär Mappus, meine Frage bezieht sich auf Ihren vorhergehenden Satz. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie von einem Abbestellen von Strecken, das heißt über Streckenstilllegungen, gesprochen haben?

Nein, nicht über das Abbestellen von Strecken – ich korrigiere mich –, sondern natürlich von Lagen auf diesen Strecken, jedenfalls bisher, wobei es – Kollege Palmer, damit wir uns da auch richtig verstehen –, wenn sich eine meinetwegen auch reaktivierte Strecke auf

Dauer als völlig unwirtschaftlich herausstellen würde oder wenn eine unwirtschaftliche Strecke zum Beispiel durch Busverkehre effizienter betrieben werden könnte, auch erlaubt sein muss, darüber zu diskutieren, ob eine Strecke irgendwann stillgelegt werden kann. Klar ist: Es gibt keine Tabus. Ich glaube, bei einer sinnvollen ÖPNV-Politik darf es auch keine Tabus geben, weil es nicht verantwortbar ist, auf Dauer Geld hinauszuhauen, während in anderen Bereichen – und es gibt manche Projekte, die wir gern noch machen würden, aber wahrscheinlich nicht mehr machen können, auch solche, die wir eigentlich vorgesehen hatten – Geld fehlt. Dann muss es erlaubt sein, darüber nachzudenken, ob das Geld nicht lieber in neue Projekte gesteckt werden sollte, statt es für unrentable Strecken zu verheizen. Auch das wird in den nächsten Monaten und Jahren auf den Tisch kommen.

Aber jetzt zum Verkehrsvertrag. Sie erzählen immer das gleiche Märchen. Heute haben Sie einmal eine Zahl gegriffen: 250 Millionen €. Da würde mich einmal die Berechnungsgrundlage interessieren. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir hatten vor dem Abschluss des Verkehrsvertrags eine Anhörung aller privaten Bahnen ohne die DB Regio, und alle privaten Bahnen haben gesagt – kein Einziger hat etwas anderes gesagt –, sie sähen ein, dass wir die Strecken zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschreiben könnten.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Haben wir doch auch nicht verlangt!)

Die NE-Bahnen haben das selbst gesagt, aber Sie verlangen von uns, die Strecken auszuschreiben,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ja, in 13 Jahren wird man die doch einmal ausschreiben können! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Er glaubt es uns halt nicht!)

weil sie angeblich durch die DB Regio AG völlig unwirtschaftlich betrieben würden. Deshalb haben wir beschlossen, in den nächsten Jahren sukzessive Strecken auszuschreiben. Genau das werden wir tun, auch wenn Sie es nicht begreifen wollen oder nicht begreifen können. Das ist so.

Tatsache ist auch, dass wir mit derzeit 23 % bundesweit den höchsten Anteil an NE-Bahnen haben. Kein anderes Land hat so viele private Bahnen wie Baden-Württemberg.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Deshalb ist es absurd, uns vorzuwerfen, wir würden der Deutschen Bahn AG quasi das Geld hinterherwerfen.