Selbst wenn diese Instrumentalisierung für eine große Mehrheit zutrifft, so kann dies doch längst nicht der Maßstab für einen beliebigen Einzelfall sein.
Eine Minderheit oder Einzelperson, die dieses Kopftuch aus legitimen Gründen trägt, nämlich aus religiösen, kann nicht in Kollektivhaftung für eine Mehrheit genommen werden, die dies politisch instrumentalisiert.
Jede Muslima muss doch mindestens die Chance haben, in einer Anhörung oder durch ihr ganzes Verhalten zu beweisen, dass sie mit frauenfeindlichen und islamistischen Deutungen dieser Bekleidungsvorschriften nichts zu tun hat, dass sie allein ihre religiösen Vorschriften befolgt und zugleich eine moderne Bürgerin ist, die die Grundwerte unserer Verfassung uneingeschränkt beachtet. Jede Muslima muss doch zumindest die Chance haben, das klar und deutlich zu machen. Solche Muslimas habe ich in der vergangenen Diskussion durchaus kennen lernen dürfen. Erst mit der Trägerin, wie sie leibt und lebt, entfaltet das Kopftuch seine Wirkung, sei sie nun negativ, neutral oder positiv.
Herr Kretschmann, mich würde interessieren, wie Sie sich diese Beweisführung angesichts des vorliegenden Falles vorstellen, bei dem wir auch schon überlegt haben, wie der Beweis für den Grund, aus dem Frau Ludin das Kopftuch trägt, zu führen ist.
Ja selbstverständlich. Wenn Sie nicht daran glauben, wenn es Sie schon empört, dass in einer demokratischen Gesellschaft bei Konflikten immer der erste Versuch ist, diese mit Gesprächen zu lösen,
Das löst man durch Gespräche, durch Beurteilung des ganzen Auftretens dieser Person. „Gespräche“ bedeutet natürlich auch Gespräche mit den Betroffenen, Gespräche mit denen, die das ablehnen, Offenlegung der Gründe, die sie haben, und Besprechung der Möglichkeiten, wie man diese Konflikte lösen kann.
Es gab einmal einen derartigen Konflikt in NordrheinWestfalen. Der wurde diskutiert; die Lehrerin hat dann in einer anderen Klasse unterrichtet, und damit war der Konflikt gelöst.
Klar muss sein: Letztlich ist das entscheidend, was das Bundesverfassungsgericht als „objektiven Empfängerhorizont“ bezeichnet hat. Wenn letztlich Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern nicht davon abzubringen sind und darauf bestehen, dass ein religiöses Symbol entfernt werden soll – das haben wir parallel genauso nach dem Kruzifix-Urteil –, greift ja zum Schluss die negative Religionsfreiheit. Sie sehen, wir machen da ja selbst ein gewaltiges Zugeständnis. Das heißt, so liberal ist das nun gar nicht.
(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das Kopftuch sieht doch bei allen gleich aus! Man kann doch nicht in die Tragenden hineinschauen!)
Wir machen ja mit der negativen Religionsfreiheit und der Neutralitätspflicht schon ein großes Zugeständnis. Aber wir machen es nicht jenseits des Einzelfalls. Das halte ich für völlig ausgeschlossen und nicht für verfassungskonform. Warum? Kopftuchträgerinnen einen kollektiven Zwang zu unterstellen und zugleich selbst alle Kopftuchträgerinnen mit Zwang davon zu befreien ist doch außerordentlich para
dox. Es kann doch nicht sein, dass wir die Eignung einer Bewerberin für den öffentlichen Dienst davon abhängig machen, wie Dritte irgendetwas instrumentalisieren. Damit machen wir ja die Eignung und die Befähigung einer Bewerberin von dritten Personen abhängig, deren Mehrheitsbild wir dazu nehmen, um damit die Grundrechtsträgerin von vornherein auszuschließen. Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen,
so zu verfahren, ohne jede Rücksicht auf den Einzelfall so in die Grundrechte einer Grundrechtsträgerin, was eine Lehrerin auch ist, einzugreifen.
Unsere Botschaft als Vertreter eines modernen Verfassungsstaats muss genau anders sein. Sie muss heißen: Unterwirf dich in religiösen und weltanschaulichen Fragen n i c h t den Zwängen anderer; du selbst entscheidest über deinen Glauben. So heißt es auch im Koran, dass es in Glaubensfragen keinen Zwang gibt. Wenn wir aber in einem Gesetz selber alle potenziellen Kopftuchträgerinnen unter einen Kollektivverdacht stellen, ruinieren wir die eigene Botschaft und machen uns unglaubwürdig.
Deswegen setzt unser Gesetzentwurf ein Integrationssignal. Wer die Freiheit und die Rechte der anderen achtet, hat dieselben Freiheiten wie alle anderen, sei er nun Christ, Jude, Muslim oder Atheist. Die Alternative ist nur der Weg in den Laizismus, weil wir berechtigterweise unter Gleichbehandlungsanforderungen stehen. Eine Minderheit meiner Fraktion zöge diesen Weg eher vor.
Allerdings haben wir vor der Haustür in Frankreich das Lehrstück dafür, dass ein radikaler Laizismus sein Integrationsversprechen gerade derzeit nicht einlösen kann. Ich und die Mehrheit meiner Fraktion sind der Meinung, dass es eher gut ist, dass bei uns die Religion einen Platz im öffentlichen Raum und im Bildungswesen hat. Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts und die Einrichtung einer islamischen Fakultät wären das Gebot der Stunde.
Hier sind die muslimische Gemeinde und die Landesregierung gleichermaßen gefordert, damit wir hier endlich vorankommen.
Wo, wenn nicht im Kindergarten und in der Schulgemeinschaft, kann Integration gelingen? Wo sollte sie leichter gelingen als hier?
Wir brauchen engagierte Lehrer, die für etwas stehen und die durchaus auch eine eigene Meinung haben, auch in weltanschaulichen, religiösen und politischen Fragen. Das dürfen die Schüler auch merken. Nur solch ein Lehrer, nur solch eine Lehrerin strahlt etwas aus. Man kann sich an ihr orientieren, an ihr reiben und damit lernen, seinen eigenen Weg zu finden, und selbst eine selbstbewusste Persönlichkeit werden, eingebunden in die Gemeinschaft.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kaum ein Thema hat bundesweit so viele Schlagzeilen verursacht wie das geplante Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in BadenWürttemberg. Auch wenn viele andere Bundesländer mittlerweile ebenfalls Gesetzentwürfe vorgelegt haben, bleibt der Fokus auf unser Bundesland gerichtet. Es ist zu erwarten, dass die baden-württembergische Regelung als erste wieder vom Bundesverfassungsgericht überprüft wird.
Das Bundesverfassungsgericht war der Auffassung, dass es die geltende Rechtslage nicht erlaubt, einer kopftuchtragenden Bewerberin die Einstellung in den Schuldienst zu verwehren, sondern dass hierzu eine spezielle gesetzliche Regelung nötig ist.
Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt den Gesetzentwurf der Landesregierung. Wir können bereits heute über einen entsprechenden Gesetzentwurf in aller sachlichen Form diskutieren. Für die zügige und sorgfältige Erarbeitung dieses Entwurfs möchte ich der Landesregierung danken. Sie hat unter Einbeziehung verschiedener juristischer Experten und unter Beteiligung nicht nur der Regierungsfraktionen nach einem einstimmig gefassten Kabinettsbeschluss diesen Entwurf vorgelegt, der unsere politischen Forderungen, die auch von einer breiten Mehrheit im Landtag und in der Öffentlichkeit getragen werden, umsetzt.
Der Gesetzentwurf bewältigt zugleich die schwierige verfassungsrechtliche Gratwanderung zwischen dem Recht auf individuelle Religionsausübung, der Neutralitätspflicht des Staates, unserer christlich geprägten Landesverfassung und anderen elementaren Grundsätzen unserer Verfassung, insbesondere der Gleichberechtigung der Frau.
Worum geht es der CDU-Landtagsfraktion hierbei? Wir wollen grundsätzlich niemanden daran hindern, seine frei gewählte Religion auszuüben. Wir haben auch keine Ungleichbehandlung verschiedener Religionen als Ziel. Unser Anliegen ist es aber, zu verhindern, dass unsere Schülerinnen und Schüler durch Lehrkräfte beeinflusst werden, die durch ihr äußeres Verhalten den Eindruck erwecken, dass sie nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen und gleichzeitig die Gleichberechtigung der Frau ablehnen oder politisch-fundamentalistische antidemokratische Einstellungen vertreten.
Wir wollen außerdem nicht, dass an unseren Schulen durch politische, religiöse oder weltanschauliche Bekundungen der Lehrkräfte der Schulfrieden gefährdet oder gestört wird.
Meine Damen und Herren, die Trägerin eines Kopftuchs kann eine solche Wirkung hervorrufen. Wir in der Fraktion und auch viele Abgeordnetenkollegen von uns haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Briefe und Anrufe hierzu erhalten. Daher wissen wir, dass gerade jüngere muslimische Mädchen, die sich weigern, ein Kopftuch zu tragen, von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt werden, sich gegen ihren Willen der Forderung nach dem Tragen eines
Kopftuchs zu beugen. Eine Lehrerin, die den Kopf bis auf das Gesicht vollständig verschleiert, würde diesen Druck natürlich nur erhöhen.
Hier wirkt das Kopftuch als politisches Symbol gegen die Gleichberechtigung der Frau und gegen unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung. Als solches politisches Symbol wollen wir das Kopftuch an unseren Schulen eindeutig verbieten.
Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann sagte in einem Interview mit der „Welt“ am 31. Januar dieses Jahres – ich zitiere –: