Protokoll der Sitzung vom 04.02.2004

Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann sagte in einem Interview mit der „Welt“ am 31. Januar dieses Jahres – ich zitiere –:

Das Kopftuch steht vielerorts für Islamismus. Die Frauen im Iran oder in Saudi-Arabien können ein trauriges Lied davon singen. Die Schule muss ein Raum der Freiheit sein, der den Gleichheitsgrundsatz von Frauen und Männern in unserer Verfassung nicht infrage stellt. Da geht es auch um das Menschenbild, das vermittelt wird.

Diesem Zitat können wir uneingeschränkt zustimmen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Viele muslimische Frauen sehen sich durch islamische religiöse Autoritäten, die das Tragen eines Kopftuchs nicht als verpflichtend ansehen, bestätigt.

Meine Damen und Herren, wir dürfen – damit komme ich jetzt zu einem anderen Aspekt – auch die Auswirkungen auf vielfältige Integrationsbemühungen an unseren Schulen nicht vergessen. Im Spätjahr des vergangenen Jahres schrieb eine Schulleiterin aus Baden-Württemberg unserem Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger eindrucksvoll – ich darf aus diesem Brief zitieren –:

An unserer Schule ist ein muslimisches Mädchen irakischer Abstammung. Seit der ersten Klasse gibt sie keinem Jungen die Hand, setzt sich im Stuhlkreis nur neben Mädchen und ging auf Lerngänge und Ausflüge der Klasse nicht mit. Seit ihrem achten Geburtstag kommt sie mit Kopftuch in die Schule und durfte nicht mehr am erteilten Schwimmunterricht teilnehmen. Am Sportunterricht sollte sie mit einem Kopftuch teilnehmen, das mit einer Nadel unter dem Kinn befestigt war. Im dritten Schuljahr weigerte sie sich, an der Familien- und Geschlechtserziehung im Rahmen des Heimatund Sachunterrichts teilzunehmen. Der Imam der muslimischen Gemeinde hatte sich zu einem Vermittlungsgespräch angeboten, weil er durch Teilnahme am Pflichtunterricht der Grundschule keine religiösen Vorschriften verletzt sieht und auch seine eigene Tochter uneingeschränkt teilnehmen lässt.

Nach den Gesprächen kam es dann zu Kompromissen, auf die ich jetzt nicht eingehe. Aber in diesem Brief heißt es dann am Ende:

Ich bin mir sicher, dass die Schülerin sich in der Rolle bestärkt fühlen würde und unsere Integrationsbemühungen erfolglos geblieben wären, wenn eine Lehrerin mit Kopftuch an der Schule unterrichten würde.

Meine Damen und Herren, dieses Schreiben ist in der Tat ausdrucksvoll und spiegelt in diesem Fall auch die Realität an unseren Schulen wider. So weit möchten wir es nicht kommen lassen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir wollen jedoch keinen laizistischen Staat, wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall ist. In unserem Grundgesetz und in besonderem Maß auch in der Landesverfassung gibt es eine Vielzahl von Verweisungen auf die christlichabendländischen Wurzeln unseres Staatswesens. Die christliche Gemeinschaftsschule, die ebenfalls in der Landesverfassung vorgesehen ist, konkretisiert diese Verfassungsvorgaben noch einmal. Die christlich-abendländischen Werte, auf denen unsere Gesellschaft basiert, müssen an unseren Schulen auch weiterhin ihren Platz haben. Deshalb ist es nur richtig, dass in dem Gesetzentwurf der Landesregierung auf die christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerte verwiesen wird.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass unsere Zielsetzungen von breiten gesellschaftlichen Schichten – völlig unabhängig von ihrer politischen Position – geteilt werden. Nicht nur die Kirchen und viele kirchliche Würdenträger, sondern auch der Bundeskanzler, der Bundestagspräsident und auch Bundestagsvizepräsidentin Vollmer haben ihre Unterstützung kundgetan. Mich freut besonders, dass die Zielsetzungen offensichtlich auch von einer großen Mehrheit in diesem Hause getragen werden.

Auf die rechtlichen Bewertungen geht in der zweiten Runde Kollege Reinhart ein. Deswegen sage ich dazu nur so viel: Die Formulierungen im Gesetzentwurf der Landesregierung gewährleisten die soeben beschriebenen Ziele und wurden gemeinsam mit Verfassungsrechtlern erarbeitet.

Wenn man die Gesetzentwürfe anderer Bundesländer oder anderer Landtagsfraktionen zum Beispiel aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Bremen betrachtet, kommt man zu dem Ergebnis, dass dort, wenn auch nicht identisch, zumindest auf ähnliche Art und Weise formuliert wird.

Meine Damen und Herren, die geplante öffentliche Expertenanhörung im Schulausschuss halten wir für eine sinnvolle Ergänzung des Gesetzgebungsverfahrens. Wir werden den juristischen Rat der Experten und die Stellungnahmen Betroffener aus anderen Bereichen mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen und natürlich sorgfältig prüfen.

Ich darf eines vorausschicken: Bei allem Bemühen, die ideale Formulierung zu finden und den Gesetzentwurf hundertprozentig verfassungskonform zu gestalten, was aufgrund der sehr schwierigen Materie und der nicht sehr konkreten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht gerade einfach ist, wird es schwierig sein, den Gesetzentwurf kritiklos passieren zu lassen. Ich bin sicher, dass auch nach monatelangen Befragungen von Dutzenden von Juristen keine Einigung über die optimale Formulierung zustande käme. Wir werden uns aber alle Expertenmeinungen sehr sorgfältig anhören. Schließlich werden wir jedoch den Mut dazu auf

bringen müssen, uns für eine Formulierung zu entscheiden, von der wir wissen, dass ein abschließendes Urteil darüber letztendlich nur das Bundesverfassungsgericht treffen wird. Wie schwierig die Materie ist, sieht man nicht zuletzt an den unterschiedlichen Formulierungen der anderen Bundesländer.

Meine Damen und Herren, ich zolle dem Gesetzentwurf der Grünen Respekt. Allerdings hoffe ich, sie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch mit ins Boot zu bekommen. Den Gesetzentwurf der Grünen halte ich allerdings nicht für ausreichend. Er lässt doch die gebotene Klarheit vermissen und verlagert Entscheidungen auf die Schulebene, ohne notwendige Orientierungsmaßstäbe vorzugeben. Ich glaube nicht, dass Sie den Schulen damit einen Gefallen tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Pfister FDP/DVP)

Außerdem wollen Sie Verfahrensfragen regeln, bei denen sich das Vorgehen eigentlich schon aus dem allgemein gültigen Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt. Letztendlich ist die Verletzung der Neutralitätspflicht durch eine Lehrkraft eine besondere Form der Dienstpflichtverletzung. Für deren Ahndung gibt es bereits rechtliche Rahmenbedingungen. Somit sehe ich für die von Ihnen vorgeschlagenen Detailbestimmungen keinerlei Notwendigkeit.

Außerdem ist mir unklar, wie Sie die Einstellung einer Lehramtsbewerberin in den Schuldienst, die von vornherein in provokanter Form ein Kopftuch trägt und die weltanschauliche Neutralität nicht wahren will, mit Ihrem Gesetzentwurf letztlich verhindern können.

Meine Damen und Herren, wir unterstützen den Gesetzentwurf der Landesregierung und werben ausdrücklich dafür.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wintruff.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mehrheit der Abgeordneten dieses Parlaments hätte sich sicherlich gewünscht, dass der Kelch einer maßgeblichen Regelung in dem seit Jahren schwelenden so genannten Kopftuchstreit an ihnen vorübergeht. Doch seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im September 2003 haben wir als Gesetzgeber gewusst, dass die Pflicht zu einer eindeutigen Entscheidung zu erfüllen ist, deren hochkomplizierte Materie selbst die Verfassungsrichter entzweite.

Unter diesen Vorgaben werden wir nun damit leben müssen, dass es weiterhin unterschiedliche Landesregelungen geben wird, ebenso unterschiedliche politische und juristische Bewertungen. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 wird uns ausdrücklich das Recht eingeräumt, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die SPD-Landtagsfraktion hat daraufhin die Landesregierung aufgefordert, unverzüglich einen geeigneten Gesetzentwurf vorzulegen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Für geeignet halten wir einen Gesetzentwurf, der Lehrkräften an öffentlichen Schulen zielführend das Tragen eines Kopftuchs untersagt.

(Beifall des Abg. Seimetz CDU)

Trotz der hochkomplexen Abwägung zwischen staatlicher Neutralitätspflicht und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit kommen wir damit dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach, eine klare Entscheidung der Politik herbeizuführen. Wir befürworten einen Gesetzentwurf zur Wahrung der weltanschaulichen Neutralität an unseren Schulen, der den staatlichen Erziehungsauftrag mit dem elterlichen Erziehungsrecht und der negativen Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler in Einklang bringt.

Wir haben die Landesregierung aufgefordert, dazu die im Schulwesen unseres Landes gegebene Gestaltungsfreiheit zu nutzen und unsere politische Willensbekundung im rechtlichen Raum mithilfe von Experten juristisch einwandfrei abzusichern.

Nach unserer Landesverfassung haben wir in unseren Schulen die Verpflichtung, unsere Jugend zur Friedensliebe, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit sowie zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. Alles, was diesem Auftrag entgegensteht, muss hinterfragt und darf nicht als Zeichen falsch verstandener Toleranz geduldet werden.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Deshalb halten wir den Passus der Gesetzesnovellierung, wonach Lehrkräfte an öffentlichen Schulen keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben dürfen, die den Schulfrieden gefährden könnten, für eine selbstverständliche Einfügung. Da man in einen Menschen aber nicht hineinsehen kann, folgt dem im Gesetz die Präzisierung, dass auch ein falscher Eindruck verhindert werden muss, der von einer Lehrkraft in Ausübung ihres Amtes durch ihre äußere Bekundung ausgehen könnte.

Das Kopftuch steht an dieser Stelle als Symbol äußerer Bekundung im Zentrum der Diskussion. Wer wollte das bestreiten? Dabei wäre es natürlich kein Problem, wenn das Kopftuch für seine Trägerin nur als individuelles religiöses Zeichen ihrer inneren Überzeugung stünde. Aber wer wollte in Abrede stellen, dass das Tragen des Kopftuchs mit sehr konkreten politischen Einstellungen in Verbindung steht, die in einer Schule nicht geduldet werden können? Wer wollte bestreiten, dass das Kopftuch Symbol der Anhänger islamistischer Bewegungen ist? In den von ihnen geführten islamistischen Gesellschaften werden Millionen Frauen in eine rechtlich minderwertige Stellung gegenüber dem Mann versetzt, werden Toleranz und Pluralismus ausgeklammert.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Der Zwang zur Verhüllung, dem Millionen muslimischer Frauen ausgesetzt sind, das Züchtigungsrecht des Ehemanns und das Recht, die Ehefrau zu verstoßen, sind für islamistische Fanatiker erstrebenswerte Ziele ihres missionarischen Tuns auch bei uns.

Diesen fundamentalistischen islamischen Kräften, für die das Kopftuch in der Tat ein Symbol zur Durchsetzung eines mit unserem Grundgesetz unvereinbaren Frauenbilds ist, gegenüber Toleranz zu üben, meine Damen und Herren, wäre falsch.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP)

Wir sind ohnehin erschreckt über die schleichende Islamisierung an unseren Schulen. Uns wird berichtet, dass zunehmend türkische Familien Druck auf ihre Kinder zum Tragen des Kopftuchs ausüben. Mädchen dürfen nicht mit auf Klassenfahrten, weil sie dort mit Jungen in Kontakt kommen oder islamische Speisevorschriften verletzen könnten. Mädchen werden im Namen der „Natur der Frau“ vom Sportunterricht abgemeldet oder dürfen kein Berufspraktikum machen. Die Zahl rechtswidriger Zwangsheiraten nimmt auch bei uns wieder zu.

Gerade uns Sozialdemokraten, die seit Jahrzehnten für eine Integration unter Wahrung der eigenen Identität unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger eintreten, erschreckt diese Entwicklung gewaltig. Wir, die wir uns für islamischen Religionsunterricht einsetzen, um die Schülerinnen und Schüler nicht den Koranschulen auszusetzen und eben für alle Religionen eine Gleichheit herbeizuführen, wir, die wir uns unermüdlich für den Spracherwerb einsetzen, müssen auch den Schülerinnen Hilfe leisten, die sich gegen die Indoktrinierung und Beeinflussung durch Fundamentalisten nicht wehren können. Wir sind aufgerufen, auch die Schülerinnen zu unterstützen, die kein Kopftuch tragen wollen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP)

Aus diesen Gründen sind wir uns auch mit dem Landeselternbeirat einig in der Auffassung, dass Lehrkräfte faktisch eine Vorbildfunktion haben. Der Landeselternbeirat sagt, eine „Lehrerin mit Kopftuch würde die Entscheidung muslimischer Schülerinnen für das Kopftuch wesentlich beeinflussen“.

Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung oder Zuschreibung einer politischen Dimension von äußeren Bekundungen halten wir das Gleichsetzen von Kopftuch und Kreuz für nicht zulässig.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Gleichwohl gilt die Neutralitätspflicht des Staates in religiösen und weltanschaulichen Fragen für alle Religionen. Die Gleichbehandlung der Religionen ist zentraler Inhalt der im Grundgesetz garantierten Glaubensfreiheit. Aber die Ausübung der Religionsfreiheit findet insbesondere in unseren Schulen ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, wo durch demonstrative Kundgabe von religiösen oder politischen Überzeugungen die verfassungsrechtliche Wertsetzung des Grundgesetzes, der Landesverfassung und des Schulgesetzes untergraben wird. Es ist dokumentiert, dass sich viele vom islamischen Recht der Scharia geprägte Staaten zur Unterordnung und Unterdrückung der Frau, zu einem Gottesstaat und zum Fundamentalismus bekennen und dafür als äußeres Symbol den Zwang zur Verhüllung gewählt haben.

Anders als das Kopftuch gehört das Kreuz zum abendländischen Kulturkreis, zu unserer Tradition

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)