Protokoll der Sitzung vom 05.02.2004

(Minister Dr. Schäuble)

welchem Umfang man eine Lösung für diejenigen finden kann, die nach Deutschland wollen, die aber nicht hoch qualifiziert sind, sondern sich unterhalb dieser Schwelle bewegen.

Rot-Grün stellt sich ja bisher auch in diesem Bereich eine völlige Aufhebung des Anwerbestopps vor. Da kann ich vorhersagen: Das wird – jedenfalls von der Union – so nicht mitgetragen werden können.

Denkbar wäre – und das stand auch schon in den Medien, weshalb ich das, ohne etwas zu verraten, mit Blick auf die Gespräche schadlos sagen kann – oder, besser formuliert, in der Diskussion steht eine Lösung dergestalt, dass einfach qualifizierte Persönlichkeiten nach Deutschland kommen können, wenn sie erstens einen Beruf ausüben, der in Deutschland ein Mangelberuf ist, wenn zweitens ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt und wenn drittens die Frage, ob es in Deutschland einen Mangel an solchen Berufen gibt, nicht regional unterschiedlich, sondern bundesweit einheitlich beurteilt wird. Wenn dies alles mit Zustimmung des Bundesrats zu einer entsprechenden Verordnung führen würde, wäre hier nach meiner Einschätzung vielleicht eine Lösung denkbar. Aber ich sage noch einmal ganz offen: Das scheint mir von allen Punkten, die ich jetzt aufgezählt habe, der entscheidende und schwierigste zu sein.

Ich fasse zusammen: Die Chancen sind nicht schlecht. RotGrün hat in Aussicht gestellt, sich in zentralen Fragen der Arbeitsmigration zu bewegen, Grün in Rot-Grün – das muss ich relativierend sagen – allerdings nur zum Teil, Kollege Beck – das will ich ausdrücklich festhalten – zum Beispiel nicht; er hat sich mehrfach sehr dezidiert in dieser Richtung geäußert.

Demgegenüber kann ich sowohl für die Landesregierung als auch für die Unionsseite sagen: Ich bin mir sehr sicher, dass ein Zuwanderungsgesetz nicht an einer Härtefallregelung oder an Fragen der Integration scheitern wird. Und die Finanzierung der Integration, die, wie vorhin beschrieben, ein Riesenproblem ist, kann man nur beherrschen, wenn man nicht allgemein jeden mit der Auflage zu der Teilnahme an einem Integrationskurs beglücken will, sondern wenn man sich bei der Integration, bei der Frage, wer einen Kurs machen muss, auf diejenigen konzentriert, die es auch wirklich nötig haben.

(Beifall des Abg. Rech CDU)

Jetzt hoffen wir, dass uns die weiteren Gespräche in der Siebener-Arbeitsgruppe – ihr gehören an: für die SPD die Kollegen Schily und Wiefelspütz, für die Grünen der Kollege Beck, für unsere Seite Kollege Stadler von der FDP, Kollege Bosbach von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kollege Beckstein und natürlich der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, der Ministerpräsident des Saarlands, Müller – in der kommenden Woche einen Schritt nach vorn bringen. Das wird davon abhängen, ob sich Rot-Grün beim Thema Arbeitsmigration noch einmal bewegen kann. Wir haben angedeutet, wo wir uns bewegen können.

Wir werden – das muss ich an die Adresse von Rot-Grün, jetzt eher an die Adresse von Rot anfügen – der SPD innerhalb der Bundesregierung nicht das Geschäft abnehmen

können, die Grünen sozusagen kompromissbereit zu klopfen.

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das versucht Schily immer wieder, indem er sagt, Schwarz und Grün sollten sich einigen. Kollege Hauk hat vorhin einen ersten schüchternen Versuch unternommen.

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE und Hauk CDU – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Wir erwarten schon, dass die Bundesregierung hier insgesamt zu einer gemeinsamen Haltung findet. Wenn dies der Fall ist und wenn im beschriebenen Sinne jetzt noch ein weiterer Ruck beim Thema Arbeitsmigration erfolgt, sind wir am Ziel dieses Gesetzes. Ich persönlich hoffe darauf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Es handelt sich um einen Berichtsantrag. Dieser ist durch die Aussprache erledigt. – Gegen diese Feststellung erhebt sich kein Widerspruch.

Bevor ich mitteile, wie lange die Sitzung unterbrochen wird, weise ich darauf hin, dass sich der Untersuchungsausschuss FlowTex in fünf Minuten im Eugen-Bolz-Saal trifft.

Ich unterbreche die Sitzung bis 13:45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:20 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:46 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir fahren mit der unterbrochenen Sitzung fort.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst – Hochbegabtenförderung und -beratung – Drucksache 13/1808

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Dazu rufe ich den Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/2884, auf.

Das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 13/1808 und zur Aussprache erteile ich Herrn Abg. Dr. Caroli.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Augenblick sieht es in der Tat so aus,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Dass nur Hochbegabte da sind!)

als hätte der Landtag eine gewisse Scheu gegenüber Hochbegabung. Das wird sich aber vielleicht im Lauf meiner Rede noch ändern.

(Heiterkeit)

Es hat uns verwundert, meine Damen und Herren, dass die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu unserem interdisziplinär angelegten Antrag zur Hochbegabtenförderung in Baden-Württemberg zunächst, weil Herr Minister Frankenberg unterzeichnet hat, den Anschein erweckt hat, als ob Hochbegabtenförderung ausschließlich eine Frage der Wissenschaft und der Hochschulen sei. Tatsächlich geht es aber um ein Netzwerk der effektiven Förderung der Hochbegabung und darum, dass hoch begabte Kinder und deren Eltern endlich eine adäquate Beratung in Baden-Württemberg erhalten.

(Abg. Zeller SPD: Richtig! – Beifall des Abg. Zel- ler SPD)

Ich sehe nun, meine Damen und Herren, dass Frau Ministerin Schavan da ist. Das heißt, dass uns dieser interdisziplinäre Ansatz offensichtlich auch vonseiten der Landesregierung noch erwarten wird.

(Zuruf des Abg. Pauli CDU)

Ich will bei meinem Redebeitrag jedenfalls dem einzig sinnvollen, nämlich dem ressortübergreifenden Anliegen gerecht werden.

Meine Damen und Herren, nach Artikel 11 unserer Verfassung hat jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.

(Beifall des Abg. Kretschmann GRÜNE – Heiter- keit)

Ich könnte da auch klatschen, Herr Kollege Kretschmann, in der Tat.

Das trifft für Schwache wie für Hochbegabte gleichermaßen zu.

(Abg. Zeller SPD: So ist es!)

Weder dürfen wir schwächer Begabte allein lassen, noch können wir es uns leisten, die Ideen und Ressourcen von Hochbegabten in unserem Land brachliegen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir uns über den Begabungsbegriff unterhalten. Das wäre, glaube ich, hochinteressant. Was ist eigentlich Begabung? Welche Komponenten gehören dazu? Was ist der Unterschied zwischen Begabung und Intelligenz? Das sind höchst interessante Fragen. Leider zwingt uns die Kürze unserer heutigen Beratung dazu, die Aussagen auf den politischen Teil zu begrenzen. Deswegen stelle ich nur fest, dass bei der Ausprägung von Hochbegabungen eine ganze Reihe von Faktoren zusammenwirken. Neben der individuellen Ausstattung durch Vererbung kommt es entscheidend auf stützende Faktoren wie Interesse, Motivation sowie günstige Sozialisationsbedingungen in Familie, Kindergarten und Schule an.

Meine Damen und Herren, es liegt auf der Hand, dass die entscheidende Förderung von Begabungsreserven in den frühen Jahren der Kindheit beginnen muss. Leider haben wir nicht den Eindruck, dass die Landesregierung die Identifikation der Hochbegabten und ihre entsprechende individuelle Förderung in Kindergarten und Grundschule bisher in den Mittelpunkt der Begabtenförderung gestellt hat.

Starkes Lernbedürfnis, herausragende Denkfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit und vieles andere mehr, was wir den Hochbegabten gemeinhin zurechnen, zeigt sich schon beim Kleinkind. Die Unterforderung beginnt also nicht erst in den weiterführenden Schulen.

Wenn ich den traditionellen Grenzwert für Hochbegabte von 2 bis 3 % – was allgemein üblich ist – bei der Verteilung der Intelligenzkennwerte nehme, die bei den Intelligenztests eine entscheidende Rolle spielen, dann geht es bei uns in Baden-Württemberg um mindestens 25 000 Kinder, die schon vom Kindergarten an stärker gefördert werden müssten.

Meine Damen und Herren, dazu sagen wir: Dies kann nur wohnortnah mit den bekannten Methoden der Anreicherung von Bildungsangeboten – neudeutsch „enrichment“ –,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Hoppla!)

der Beschleunigung der Bildungswege – neudeutsch „acceleration“ –

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der FDP/ DVP und der Grünen – Abg. Pfister FDP/DVP: Hoppla! – Abg. Fleischer CDU: Ja sag einmal! – Oh-Rufe von der SPD)