Protokoll der Sitzung vom 11.03.2004

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Agrarpolitik war ja immer im gleichen Spannungsfeld. Sie war schon ein Baustein der europäischen Integration. Ganz am Anfang stand die europäische Agrarordnung. Aber das Spannungsfeld ist immer das gleiche geblieben: Auf der einen Seite standen der Wunsch und das Bekenntnis, dass wir auch hier bei uns in Europa, in Deutschland, in BadenWürttemberg Nahrungsmittel produzieren wollen und dass wir diese Nahrungsmittelproduktion mit Landschaftspflege, mit Freihaltung und Offenhaltung der Landschaft verbinden wollen. Auf der anderen Seite steht der brutale Druck der Marktpreise, zunächst im Wettbewerb innerhalb Europas, in den letzten zwei Jahrzehnten auch im globalen freien Warenverkehr. Es sind Marktpreise, die sich mit ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen und Sozialstandards begründen, denen unsere Betriebe schier nicht mehr standhalten und damit nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben können.

Die Frage war also immer: Wie weit kann der Staat eingreifen, um angesichts dieser unterschiedlichen Ausgangslagen der Betriebe weltweit hier bei uns Betriebe zu sichern, die wir für die Nahrungsmittelproduktion und die Landschaftspflege wollen und brauchen? Sie wissen, dass man verschiedene Versuche bis hin zur Preisstützung unternommen hat. Die Preisstützung hat man 1992 weitgehend fallen gelassen. Dann kam die Agenda 2000, die zunächst nur zur Vertiefung dessen gedacht war, was 1992 begonnen worden war.

Danach kam jetzt die Zwischenbewertung der Agenda 2000, die zunächst auch nur als eine weitere Vertiefung angedacht war. Aber diese Zwischenbewertung stand dann unter dem nachhaltigen Druck der Welthandelsrunde, die ganz klar gesagt hat, alles, was an Waren produziert und auf den Markt gebracht werde, müsse wettbewerbsfrei sein, müsse also unter gleichen Wettbewerbsbedingungen produziert und auf den Markt gebracht werden. Die Welthandelsrunde hat also gefordert: Ihr müsst überprüfen, ob das Geld, das ihr der Landwirtschaft gebt, diesen freien Warenverkehr nicht behindert. Dann entstand die Entkopplung. Was vormals nämlich Preisstützung war, wurde 1992 in Form der Preisausgleichszahlungen zu einer Art Produktionsprämie. Und ebendiese Prämie, die an die Produktion gekoppelt wurde, durfte – so der Druck der Welthandelsrunde; und diesem Druck konnte man sich nicht entziehen – so nicht mehr sein.

Und jetzt haben wir hier diese Geschichte mit den Luxemburger Beschlüssen. Wir haben ganz früh reagiert, und ich bin stolz darauf, dass unser Haus bereits Anfang des Jahres 2003 Grundlinien für eine weitere Entwicklung erarbeitet hat und dass wir auf diesem Wege schon einen ersten Konsens mit den Agrarministern der Länder erreichen konnten. Ich will an dieser Stelle einmal – ich habe die Entwicklung in den letzten Monaten bis heute weiter beobachtet – ein hohes Lob an die Fachverwaltung sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Teßmer SPD: Deswegen wird sie abgeschafft, oder was? Warum gliedern Sie sie dann in die Landrats- ämter ein? Das ist unlogisch!)

Jetzt stehen wir vor einer ganz entscheidenden ersten Stufe des parlamentarischen Verfahrens. Die Angelegenheit war im Bundestag und kam dann sofort in den Bundesrat. Das

(Minister Stächele)

heißt, ich werde morgen die Ehre haben, unsere Position auch im Bundesrat zu vertreten.

Dass wir eine Entkopplung brauchen, ist im Grundsätzlichen klar. Die Frage ist nur, wie entkoppelt werden soll und vor allen Dingen – wenn denn auch weiterhin staatliches Geld für die Nahrungsmittelproduktion und die Landschaftserhaltung bereitgestellt werden soll – in welches neue Gleis diese Transferleistung gebracht werden soll, damit sie den harten Kriterien der WTO standhalten kann. Das ist der Punkt. Herr Fischler sagt, ein Betriebsmodell wäre das Richtige. Wir haben jedoch von Anfang an gesagt, das könne es nicht sein. Es ist fast undenkbar und gesellschaftlich überhaupt nicht zu vermitteln, dass jemand den Durchschnitt der Prämien von 2000 bis 2003 nur deshalb fortsetzen kann und die Prämien in dieser Höhe pauschal weiter erhält, um Besitzstände zu wahren

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

und keine Einkommenseinbrüche eintreten zu lassen, ungeachtet dessen, was er aktuell produziert. Vor allem kann man auch nicht die Ungerechtigkeit dadurch abmindern, dass man sagt: Egal, ob jemand sich weiterentwickelt oder ob er neu begonnen hat, er wird durch diesen historischen Bezug von vornherein von dieser Prämienzahlung, von dieser Leistung ausgeschlossen. Das ist absolut undenkbar. Es ist auch überhaupt nicht vorstellbar – ich kann diesen Gedankengang in Brüssel bis heute überhaupt nicht nachvollziehen –, dass man einer Gesellschaft, die soziale Sicherungssysteme reißen sieht, vermitteln kann, dass jemand, der die Produktion aufgegeben hat, weiterhin dafür Geld erhält, dass er als „Sofamelker“ irgendwo im Wohnzimmer sitzt.

Insofern ist die Alternative – denn man kann ja nicht nur Nein sagen, wenn man weiß, dass Veränderungen kommen müssen –: Lieber Herr Kollege Walter, wir haben jetzt natürlich nicht einfach nur das Modell von Frau Künast übernommen oder ihre Gedanken verwirklicht. Im Gegenteil: Wir haben Frau Künast mit unserem Kombimodell ein Stück weit einen Zahn gezogen. Denn das, was Frau Künast ursprünglich wollte, war das, was 2013 und später sicherlich einmal ein Endpunkt sein könnte. Aber das, was sie wollte, ist im Grunde genommen ein sofortiger vollständiger Flächenbezug. Der Charme unseres Modells dagegen ist, dass wir diese Zielrichtung, nämlich die Bezogenheit der Prämie auf die Fläche, mit einem Übergang versehen, indem wir Top-ups in gewisse Betriebsbereiche legen, die langsam abgeschmolzen werden, und somit sicherstellen können, dass für diese Betriebe nicht sofort das Aus kommt, sondern dass sie sich mittelfristig und langfristig auf eine neue Marktsituation einstellen können. Das ist das Kombimodell, das hier in Baden-Württemberg erstmals zu Papier gebracht worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Drautz FDP/DVP)

Jetzt will ich aber noch ganz kurz auf das eingehen, was in der ersten Runde gesagt wurde.

Lieber Kollege Drautz – ich sage das ohne eine besondere Ordnung –, die Geschichte mit der Milch 1984 – das wissen nur diejenigen, die schon lange im Parlament sind – –

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Mein verehrter Amtsvorgänger Gerhard Weiser hat in der Tat für die Molkereiquote gekämpft. Das muss man auch wissen.

Wichtig ist auch der Hinweis – damit es nicht zu einer Geschichtsklitterung kommt –:

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Es waren die Molkereien selbst, die sich dieser Verantwortung nicht stellen wollten. Auch das ist interessant.

(Abg. Hauk CDU: Das war der Punkt!)

Es ist interessant – das war 1984 –, ab und zu im Geschichtsbuch zu blättern. Aber wenn wir es dann tun, müssen wir schon die richtigen Seiten aufschlagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Noch eines, Kollege Drautz: Ich finde es nett, wenn man innerhalb der Koalition die Meinungen austauscht. Daran sieht man ja, welchen frischen Diskussionsgeist und welche Diskussionskultur wir haben.

(Zurufe der Abg. Teßmer SPD und Walter GRÜ- NE)

Noch etwas: Die Kulturlandschaftsprämie à la FDP ist das, was wir machen, auch nicht. Denn damals habe ich bei der Kulturlandschaftsprämie überhaupt nichts von BetriebsTop-ups gehört. Vielmehr bestand schon damals der Eindruck, man könnte die ganzen Einkommensbrüche, die mit einer reinen Kulturlandschaftsprämie entstehen würden, in Kauf nehmen. Das war natürlich nicht der Sinn der Sache.

(Zuruf des Abg. Drautz FDP/DVP)

Man müsste also schon das richtige Etikett wählen. Das ist im Grunde ein Weg zwischen Künast und Drautz und anderen. Der von den Bauernverbänden und der Landesregierung vorgeschlagene Weg ist der richtige.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich will zu diesem Weg an dieser Stelle auch noch einmal sagen: Ich glaube, man kann nicht hoch genug einschätzen, dass es uns gelungen ist, eine gemeinsame Position zu erreichen. Ich danke ausdrücklich für das konstruktive Mitgehen der Bauernverbände,

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

dafür, dass Bauernverbände, Regierung und Politik in Baden-Württemberg auf einer Linie sind.

Ich sage das jetzt als Kompliment: Die Bauernverbände standen in dieser Frage bis vor kurzem noch gegen den Deutschen Bauernverband. Das Einlenken des Deutschen Bauernverbands, der mittlerweile ganz andere Töne von sich gibt, ist nicht zuletzt auf die Standhaftigkeit der beiden Bauernverbände in Baden-Württemberg zurückzuführen.

Jetzt noch ein Satz zu dem, was wir wollen. Denn Sie sagen ja, wir sollten jetzt mitgehen und sollten jetzt nicht angreifen. Ich kann jetzt natürlich nicht nur den blauen Himmel

(Minister Stächele)

skizzieren. Es gibt einige Punkte, lieber Kollege Walter, die Sie nach Berlin vermitteln können, bei denen wir Ihre Unterstützung brauchen.

Bei der Milch besteht nach wie vor eine ungelöste Situation. Fest steht: Mit der Entkopplung, mit Cross Compliance und allem Drum und Dran, losgelöst von dieser Frage, ist bei den Verhandlungen über die Milch in Brüssel Schaden für die deutsche Milchwirtschaft entstanden. Es sind 80 Millionen €, die unsere Milchwirtschaft einbüßt durch Beschlüsse, nach denen man die Preise gesenkt hat, aber gleichzeitig mit der Milchprämie nur 50 % von dem ausgeglichen hat, was man zuvor eingestrichen hat. Das kann man bei allem Wohlwollen auch gegenüber der Kollegin Künast nicht vom Tisch nehmen.

Deswegen – ich formuliere es ja nicht nur als Anklage, sondern als Verpflichtung – müssen wir jetzt dort ansetzen, wo wir heilen können. Das Allerschlimmste für mich ist im Moment bei Cross Compliance, dass unserer Grünlandprämie im MEKA der Wegfall droht. Wenn diese 90 € pro Hektar wegfallen, kommt der entscheidende zweite Stoß gegen die Milchwirtschaft.

Also, liebe Frau Künast, wenn es in Brüssel schon nicht geklappt hat,

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

dann versuchen Sie es hier zu flicken, indem Sie Sorge dafür tragen, dass Cross Compliance den Landwirten wirklich zugute kommt, ihnen nicht schadet, dass insbesondere die Modulationsmittel bei den Landwirten verbleiben. Sorgen Sie dafür, dass der Wegfall der Grünlandprämie auf eine andere Weise geheilt wird. Denn andernfalls wäre das in der Tat für manche der Todesstoß. Es wäre der Todesstoß für die Offenhaltung unserer Flächen in Baden-Württemberg.

Ich muss noch kurz eine Erklärung abgeben – das ist ganz wichtig –: Es wird immer wieder argumentiert, BadenWürttemberg sei für das Kombimodell, weil das Land „Kriegsgewinnler“ sei. Einer der Kollegen hat es angesprochen: 20 Millionen € pro Baden-Württemberg und 20 bis 21 Millionen € Verluste für Bayern. Das ist ganz einfach zu erklären. Das hat tatsächlich existenziell und konkret mit dem Systemwechsel zu tun, der jetzt vor uns steht. Vormals waren die Prämien an die Produktion gekoppelt. Da war entscheidend, dass im Norden intensiver produziert wurde als im Süden mit extensiver Produktion.

In dem Moment aber, in dem ich das Kriterium Produktion wegnehme, kann diese Unterschiedlichkeit nicht mehr bestehen. Deswegen – so ist mindestens ein erster guter Ansatz – sollen vom ganzen Prämienplafond Deutschlands 35 Millionen € neu verteilt werden, und zwar gerecht verteilt werden. Damit gibt es für Baden-Württemberg ein Plus von 20 Millionen € und für andere ein Minus. Das heißt also: Es ist nicht eine abgekartete Angelegenheit BadenWürttembergs, sondern das kommt durch den Systemwechsel. Wenn ich den Systemwechsel bejahe, muss ich akzeptieren, dass mehr Gerechtigkeit, insbesondere mehr Gerechtigkeit für Baden-Württemberg, entsteht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie ganz herzlich bitten, den weiteren Weg zu begleiten. Ich möchte jeden einzelnen Kollegen und jede Kollegin auffordern, jetzt draußen ganz intensiv ins Gespräch einzutreten. Die Dinge sind hoch kompliziert und kaum vermittelbar. Trotzdem haben sie mit der Existenz unserer Betriebe zu tun. Bitte nehmen Sie den Dialog auf. Wir haben jetzt noch Zeit. Bis zum 1. August muss es unter Dach und Fach sein. Aber dann wird die Wirkung ab 1. Januar 2005 eintreten. Morgen werden die entsprechenden Anträge im Bundesrat behandelt, insbesondere im Bereich der Milch: Abschmelzen erst ab 2013. Ich versuche, auch noch etwas für den Mais herauszuholen. Wir sollten vortragen, dass es bei Cross Compliance nicht zur Strangulierung kommt.

(Abg. Kiefl CDU: Keine nationalen Alleingänge!)

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bei all dem, was uns im Hinblick auf die Verwaltung vorschwebt, denken Sie daran, dass der Übergang von dem jetzigen System zum nächsten, dieser gravierende Systemwechsel, dieser Paradigmenwechsel zunächst nicht weniger, sondern eher mehr fachkundige geschulte Mitarbeiter der Agrarverwaltung erfordert.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Teßmer SPD: Deswegen lösen wir sie auf!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hauk.