Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 66. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Platz in unseren Reihen bleibt heute verwaist: der Platz unseres Kollegen Max Nagel.

Max Nagel ist am Sonntag vor einer Woche nach schwerer Krankheit im 55. Lebensjahr verstorben. Uns eint heute die Trauer um einen leidenschaftlichen, überzeugungsfesten Parlamentarier und um einen allseits geschätzten Menschen, den Tiefgang, Humor und Verlässlichkeit ausgezeichnet haben.

Dem Landtag gehörte Max Nagel als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Mannheim I seit 1992 an. In den ersten vier Jahren widmete er sich der Mitarbeit im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung und im Petitionsausschuss. Von 1996 bis 2001 war Max Nagel Mitglied des Sozialausschusses und zudem stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion.

In der laufenden Wahlperiode trug er als Vorsitzender des Innenausschusses herausgehobene Verantwortung. Nach außen sowie innerhalb des Parlamentsbetriebs vertrat er das Gremium mit großer Souveränität. Die Sitzungen leitete er straff, fair und unparteiisch, obwohl er zu den behandelten Themen immer auch eine eigene dezidierte Meinung hatte.

Die Arbeitsschwerpunkte Max Nagels waren die Sozialund die Innenpolitik. Seine zahlreichen Initiativen spiegelten seinen handfesten Gerechtigkeitssinn und seine gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen wider. Oberste Priorität maß er der Aufgabe bei, Arbeitsplätze zu erhalten und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Mit besonderem Nachdruck vertrat er überdies die spezifischen Interessen seiner Geburtsstadt Mannheim.

In seinem parlamentarischen Wirken hat sich Max Nagel um unser Land und dessen Menschen außerordentlich verdient gemacht. Durch seine konsequente Geradlinigkeit und seinen nimmermüden Einsatz gelang es ihm zugleich, persönlichen Charakter in öffentlicher Verantwortung zu beweisen und so das Ansehen des Landtags zu mehren. Wir werden uns daher mit großem Respekt an Max Nagel erinnern.

Sie haben sich zum Gedenken an unseren Kollegen Max Nagel von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Meine Damen und Herren, Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Seimetz erteilt.

Dienstlich verhindert ist Herr Minister Müller und heute Vormittag Herr Minister Stratthaus.

Ihnen liegen ein Vorschlag der Fraktion der SPD für eine Umbesetzung im Ständigen Ausschuss (Anlage 1) und ein Vorschlag der Fraktion GRÜNE für Umbesetzungen im Petitionsausschuss (Anlage 2) vor. Ich gehe davon aus, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten dann in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Personalbestand der Polizei in Baden-Württemberg – Drucksache 13/2923

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Neuordnung der Posten- und Revierstruktur der Polizei – Drucksache 13/2772

Zu dem Antrag Drucksache 13/2772 unter Buchstabe b liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/3078, vor.

(Abg. Drexler SPD: Wo ist der?)

Zu dem Antrag Drucksache 13/2923 unter Buchstabe a liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/3075, vor. Diese beiden Änderungsanträge sind mit aufgerufen.

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung der Anträge unter den Buchstaben a und b fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag und die Landesregierung haben nach dem verheerenden Terroranschlag vom 11. September 2001 ein Antiterrorprogramm beschlossen, das ca. 48,5 zusätzliche Stellen hoch qualifizierter Spezialisten für den Antiterrorkampf bei unserer Polizei beinhaltet hat. Wir haben diesen Antrag mitgetragen und haben dann im Dezember des vergangenen Jahres bei den Haushaltsberatungen in scharfer Form kritisiert, dass dieses Antiter

rorprogramm in Baden-Württemberg plötzlich eingestellt werden sollte. Die 48,5 Stellen sollten innerhalb von fünf Jahren abgebaut werden. Außerdem sollten die Sachmittel – man höre und staune! – um 90 % reduziert werden, nämlich von 3 Millionen € im vergangenen Jahr auf 300 000 €, und dies bei einer unveränderten Gefährdungslage in unserem Land. Ich habe schon im Dezember gefragt – das hat bei der Regierungskoalition überhaupt keine Rolle gespielt –: Wenn sich die Gefährdungslage nicht verändert, warum baut Baden-Württemberg dann 48,5 Stellen ab? Das ist nicht nachvollziehbar.

Wir haben dann im Januar, also vor knapp drei Monaten, den Innenminister im Finanzausschuss gefragt, warum denn diese Stellen abgebaut würden, ob sich die Sicherheitslage verändert habe. Darauf antwortete er – ich zitiere aus dem schriftlichen Bericht –:

Der Innenminister teilt mit, an der Sicherheitslage habe sich, wie er auch immer wieder im Innenausschuss darlege, im Wesentlichen nichts geändert, sodass er es begrüßt hätte, wenn das Antiterrorprogramm hätte weitergeführt werden können. Doch sei die Finanzlage des Landes derart angespannt, dass dieser Bereich nicht von Kürzungen ausgenommen werden könne.

So weit der Innenminister.

Dann haben Sie gegen die Stimmen der SPD sowohl im Finanzausschuss als auch im Plenum die Streichung des Antiterrorprogramms beschlossen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Und nun kam Madrid. Sie sind erst nach den Terroranschlägen von Madrid aufgewacht. Dann haben wir acht Tage gewartet und haben gedacht, die Landesregierung komme jetzt vielleicht mit dem Eingeständnis, die Streichung des Antiterrorprogramms sei ein Irrtum gewesen. Weit gefehlt! Am 11. März war der Terroranschlag, am 14. März, also drei Tage später, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Oettinger: „Der Terror ist näher an uns als jemals zuvor.“ Schön gesagt.

Dann haben wir gehofft, jetzt komme etwas von der Landesregierung oder von den sie tragenden Regierungsfraktionen. Nichts ist gekommen! Am 15. März gab es eine Pressemitteilung des Innenministeriums mit der Aussage: „Maßnahmenkonzept der Polizei wird fortgeführt.“

Am 16. März, also fast eine Woche später, haben wir dann in einer Presseerklärung deutlich gemacht, wir seien der Auffassung, die Gefährdungslage habe sich nicht verändert, sie habe sich möglicherweise sogar verschärft, und deswegen müsse das Antiterrorprogramm weitergeführt werden. Wir haben dann auch der Landesregierung vorgeworfen, dass sie, so, wie sie gehandelt hat und wie sie handelt, verantwortungslos handle. Das Innenministerium hat die Vorwürfe zurückgewiesen und behauptet, wir würden eine pauschale und problematische Panikmache betreiben. Herr Minister, das hätte man uns nur vorwerfen können, wenn wir dieses Thema nicht bereits vor den Haushaltsberatungen, also vor Madrid, behandelt hätten.

Dann wurde gesagt, der Stellenabbau könne auch durch Streichung anderer Personalstellen in gleicher Wertigkeit

realisiert werden. Das war natürlich schon der absolute Schuss in den Ofen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben einmal ausgerechnet, was das denn bedeuten würde. Wenn Sie die Stellen, die Sie im Antiterrorprogramm in diesem Jahr streichen, in anderer Wertigkeit streichen, würde das zum Beispiel bedeuten, dass das Landeskriminalamt dann weniger Stellen hätte als vor dem Antiterrorprogramm. Das wollten Sie machen. Einen solchen Unsinn wollten Sie tatsächlich umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Erst als wir diesen Unsinn aufgedeckt hatten, gab es – wundersame Veränderung in der Regierung – ein Pressegespräch des Herrn Innenministers mit dem Herrn Ministerpräsidenten unter dem Motto, der Ministerrat werde jetzt prüfen, ob das im Oktober beschlossene Antiterrorsofortprogramm verstetigt werden könne. Was heißt denn „verstetigt“? Die Stellen müssen bleiben, Herr Innenminister, und zwar in diesem Jahr voll sowie in den kommenden fünf Jahren voll. Wenn sich die Sicherheitslage nicht verändert, muss das Antiterrorprogramm weitergeführt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Im Klartext: Sie haben nicht für das Antiterrorprogramm gekämpft, Herr Innenminister. Anders kann ich das gar nicht sehen. Sie haben nicht gekämpft! Ich sage Ihnen: Wenn man sein Geschäft so lustlos betreibt wie Sie, kann man im Grunde genommen das Geschäft des Innenministers gleich dem Ministerpräsidenten oder dem Finanzminister geben. Die machen es dann vielleicht sogar besser. Sie haben weder im Innenausschuss noch im Finanzausschuss, noch im Parlament dafür gekämpft, dass die Stellen bleiben.

Mir scheint im Übrigen – das ist überhaupt das große Problem –, dass auch große Teile der Polizei den Eindruck haben, dass Sie diese Alltagsarbeit eigentlich gar nicht mehr machen wollen und dass Sie im Grunde genommen schon auf dem Sprung an die Spitze des größten Bierkonzerns des Landes sind.

(Abg. Wieser CDU: Billiger geht es wirklich nicht mehr! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das merkt man an der gesamten Arbeit. Was soll man denn sagen? Wir kritisieren die Streichung vor den Haushaltsberatungen; Sie lehnen unser Begehren in den Haushaltsberatungen ab. Dann wirft man uns Panikmache vor. Und jetzt ist die Landesregierung auf genau dem Weg, den wir gefordert haben. Wer macht denn hier Panik? Sie haben die Panik dadurch geschürt, dass Sie das Programm gestrichen haben und nur auf einen weiteren Terroranschlag hin reagiert haben. Nur deswegen nämlich handeln Sie jetzt.

(Beifall bei der SPD)

Wer die Politik im Bereich der inneren Sicherheit nur nach Sachlage der Kassen betreibt, der macht keine richtige Sicherheitspolitik. Sicherheitspolitik muss langfristig angelegt sein; die kann man nicht nach Kassenlage machen. Sicherheitspolitik im Antiterrorprogramm ist eine langfristige Angelegenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Und das ist ja nur die Spitze eines Eisbergs. Sie streichen über 1 600 Stellen bei der Polizei.

(Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Bis 2009 werden über 2 000 Stellen durch Pensionierungen frei. In der Summe sind das 4 000 Stellen. Sie sagen nichts dazu, welche Veränderungen Sie vornehmen wollen. Baden-Württemberg ist ein Flächenstaat und nimmt inzwischen den 15. Platz ein, was die Polizeidichte betrifft.

Auf unsere Frage nach der Polizeipostenreform haben Sie geantwortet, Sie wollten nach Möglichkeit alle Stellen erhalten. Nachdem es Proteste gab, haben Sie der Presse erklärt: „Alle Stellen werden erhalten.“ Sie gehen nach Lust und Laune vor. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie unserem Antrag zustimmen. Wir werden heute beantragen, dass das Parlament den Beschluss, den es vor sechs Wochen gefasst hat, aufhebt und dass es neu beschließt: Das Antiterrorprogramm wird in Baden-Württemberg fortgesetzt. Da können Sie beweisen, ob Sie für den Antiterrorkampf sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Zimmer- mann CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Blenke.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon interessant, wie der Kollege Drexler einen Tagesordnungspunkt, der sich mit der Struktur der Polizeiposten und mit dem Personalbestand der Polizei in Baden-Württemberg befassen soll, hier zu einer Aktuellen Debatte umfunktioniert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Stickel- berger SPD: Mit Recht! – Abg. Schmiedel SPD: Das Thema ist aktueller denn je! – Weitere Zurufe von der SPD)