Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

Das heißt, die ganze Reihenfolge

(Abg. Drexler SPD: Ist falsch! Stimmt nicht!)

stimmt überhaupt nicht. Der Wechsel an der Spitze der Regierung macht doch nur dann einen Sinn, wenn der Nachfolger auch neue Akzente setzt. Wenn er das nicht tut und alles gleich bleibt, dann gibt es doch gar keinen Grund dafür, dass Sie zurücktreten. Wegen Ihres physiologischen Alters müssen Sie gewiss nicht zurücktreten; Sie sind ja ein gesunder und fitter Mensch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich finde, die Altersdiskussion ist eine völlig absurde Diskussion.

Wenn ein Übergang Sinn macht, dann doch, wenn in der Zukunft neue Akzente gesetzt werden sollen und auch gesetzt werden müssen. Das ist das ganze Problem auf den

Punkt gebracht. Deswegen befindet sich das Land in der Defensive und in einer Lähmung. Hier passiert nichts außer taktischem Geplänkel.

Wir sehen, dass die Ziele, die Sie in der Koalitionsvereinbarung selbst benannt haben, bis jetzt – wir sind bereits über die Mitte der Legislaturperiode hinaus – nicht erfüllt sind. Sehen wir nur die Haushaltspolitik an: Ihr Ziel war, bis zum Jahre 2006 Haushalte ohne Neuverschuldung hinzubekommen. Davon sind wir weiter entfernt als je zuvor. Wir haben 3 000 € Schulden pro Einwohner. Das ist doppelt so viel wie die Schulden pro Einwohner in Bayern. Zusätzlich haben wir eine Kreditaufnahme von 2,1 Milliarden €. Damit können wir gerade die Zinsen für die alten Schulden bezahlen – und das bei unserer demografischen Entwicklung, bei der wir diese Schulden in Zukunft auf schwächere Schultern laden. Das ist das pure Gegenteil dessen, was Sie angekündigt haben – dazu garniert mit genialen Vorschlägen wie beispielsweise der Abschaffung der Ökosteuer. Das kann ja nur heißen: Entweder steigen die Lohnnebenkosten weiter, oder Sie müssen die Renten weiter senken. Das, was Sie auf diesem Gebiet schon geschrieben haben, ist völlig absurd.

Kommen wir zum nächsten Punkt: Kinder und Familie. In Baden-Württemberg wird am wenigsten für die Kinderbetreuung getan. Es gibt die wenigsten Ganztagsangebote für Kinder bis zum Alter von drei Jahren. Kinderkrippen sind nur zur Hälfte ganztägig geöffnet. Im Gegensatz zum Bund sind die Zahlen in Baden-Württemberg ganz miserabel. Über das Landeserziehungsgeld, eine Fehlallokation, wurde hier schon lange diskutiert, weil es von einem überholten Familienbild ausgeht und der gewandelten Situation nicht mehr entspricht. Das Gebot der Stunde wäre, Familie und Beruf zu vereinbaren. Hier müssen neue und kräftige Akzente gesetzt werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Bei der Bildung gilt dasselbe. Ganztagsschulen gibt es nur durch den goldenen Zügel des Bundes.

(Zuruf des Abg. Kübler CDU)

Dadurch ist in diesen Bereich Dynamik gekommen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Oh Gott, oh Gott!)

Die Selbstständigkeit der Schulen ist nicht der Kern eines Bildungsprogramms, sondern randständig geblieben. Bei den Hochschulen wird die Selbstständigkeit wieder zurückgefahren und wird der Zügel wieder kürzer gemacht.

Der unausweichliche Sparkurs wird nicht so praktiziert, dass wir den Bereich Bildung möglichst davon ausnehmen, sondern auch bei Bildung, Forschung und Entwicklung sind 120 Millionen € eingespart worden – ein fatales Signal! Herr Pfister, zu Ihrem neuen Projekt, Wissenschaft und Wirtschaft besser zu verbinden: Ich habe nicht erkennen können, dass Sie in Ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzender gegen diese Kürzungen aufgestanden wären.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Soll ich jetzt aufste- hen?)

Bei der Umweltpolitik ist es ganz miserabel. Nehmen wir den Klimaschutz: Wir sind meilenweit entfernt von einem nachhaltigen Baden-Württemberg. 77 Millionen Tonnen CO2 hatten wir im Jahr 2000. Diese Menge sollte auf 70 Millionen Tonnen gesenkt werden. Wir sind immer noch bei genau der gleichen Menge von 77 Millionen Tonnen.

Der Flächenverbrauch steigt weiter rapide an. Und der Ministerpräsident hält es auch noch für einen guten Indikator, dass es in der Wirtschaft brummt. Also völlige Verkennung dessen, was auf der Agenda steht.

Die Laufzeit der Atomkraftwerke soll einfach nur verlängert werden. Es ist doch das Ende einer modernen Wirtschaftspolitik, wenn Sie auf die Verlängerung bestehender Industrien setzen, anstatt in neue Zukunftstechnologien zu gehen, die unser Land voranbringen und Arbeitsplätze schaffen könnten.

(Beifall bei den Grünen)

Stattdessen wird ein abstruser Kampf gegen die Windkraft vom Ministerpräsidenten persönlich angeführt.

(Abg. Fleischer CDU: Sie haben einen gestörten Ökologiebegriff!)

Das, was man einmal gemeinsam erreicht hat – und wir können gemeinsam etwas erreichen –, beispielsweise die Große Wasserkraft ins EEG hineinzubringen, indem man hier über die Bande gespielt hat, wird dann noch entgegen einem einstimmigen Votum des Parlaments von der Regierung im Bundesrat blockiert. Das ist doch an Unsinnigkeit nicht zu übertreffen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Birk CDU: Das stimmt doch nicht!)

Ich glaube also: Wer die Überschriften der Koalitionsvereinbarung anschaut und heute daraufhin überprüft, ob sie eingelöst sind, muss sagen: Versprochen – gebrochen!

Herr Teufel, nehmen Sie das Heft in die Hand! Ziehen Sie sich jetzt – das tun Sie ja gerne – drei Tage nach Spaichingen zurück und entscheiden Sie, was Sie tun möchten! Sagen Sie das dann dem Land! Die Situation ist aufgrund der äußeren Umstände, die sich ergeben haben, jetzt genau richtig. Schluss mit dem Schwebezustand, in dem sich das Land befindet! Klare Entscheidungen, klare Verhältnisse fangen bei einem klaren Personaltableau an. Alle im Land, die Regierungskoalition, die Opposition, können sich dann darauf einstellen, wie es weitergeht, wie sie sich positionieren sollen, was die wichtigsten Akzente sind, ob sich etwas ändert oder ob alles so bleibt. Das ist entscheidend wichtig für das Land und für seine Bevölkerung. Das ist insbesondere das, worum es mir geht.

Hier geht es jetzt nicht um irgendwelche taktischen Spielchen – im Prinzip ist es nämlich eigentlich Ihre Angelegenheit, wen Sie als künftigen Ministerpräsidenten wollen –, sondern der Schwebezustand, den wir hier jetzt monatelang haben, der noch einmal verschärft wurde und in dem jetzt kein klares Personaltableau auf dem Tisch liegt – Herr Oettinger versucht immer wieder zu bremsen, den Ministerprä

sidenten zu warnen, eine große Kabinettsumbildung zu machen; das ist ja auch verständlich, wenn er selber Nachfolgeambitionen hat –, betrifft Fragen, die geklärt werden müssen. Diese Fragen können nur Sie klären. Dann sind der Schwebezustand und die Hängepartie zu Ende, dann können sich das Land und seine Institutionen klar aufstellen und hier Vorschläge machen, auch neue Bündnisoptionen seriös prüfen und ausloten, ob da überhaupt Schnittmengen bestehen. Das ist das, was wir haben wollen, was wir machen wollen. Dann wird es mit diesem Land vorangehen, dann entsteht hier eine Aufbruchstimmung,

(Unruhe)

die dazu führt, dass die Menschen wieder Mut fassen, dass sie einsehen, dass Reformen angegangen werden müssen und dass sie sich selber daran beteiligen können.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Blenke CDU: Schwacher Auftritt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wäre es gut gewesen, wenn jetzt Herr Kollege Oettinger das Wort ergriffen hätte. Deswegen werde ich es in der ersten Runde auch kurz machen.

Herr Kollege Kretschmann hat natürlich Recht, Herr Ministerpräsident: Wie Sie es angelegt haben, trägt alles nur zur Verwirrung bei. Sie machen jetzt nicht nur eine Regierungsumbildung – auf drei oder vier Positionen; wir wissen es nicht; die CDU-Fraktion weiß es ja auch nicht –, sondern Sie haben auch noch ein Papier unter dem Motto „Aktion 2004 – Es ist Zeit zum Handeln“ vorgelegt, eine Art Regierungserklärung für die restliche Zeit der Legislaturperiode. Darüber werden wir sicherlich heute, aber auch am 14. Juli diskutieren. Unserer Meinung nach tauchen in diesem so genannten Regierungsprogramm abstruse Ideen auf. Es wäre doch eigentlich im Ablauf vernünftig gewesen, Sie hätten sich entschieden, was Sie machen wollen, und dann hätte es eine Regierungsumbildung gegeben, die Sie, wenn Sie bis 2006 weitermachen wollen, entscheidend beeinflusst hätten.

Mich interessiert ja: Was sagen Sie eigentlich Menschen, die Sie in die Regierung holen wollen? Die werden doch als Erstes fragen: Wie lange bin ich dann noch Minister? Bei FDP/DVP-Ministern ist es vielleicht anders.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Jeder ist auf Zeit ge- wählt! – Zurufe von der CDU)

Die sind vielleicht noch bis 2006 im Amt. Aber im Grunde genommen ist doch die Frage: Bin ich es noch bis Januar 2005 oder bis 2006? Das ist doch zumindest die Frage. Insofern befürchten wir, dass die Regierungsumbildung von der Qualität her genauso ausfallen wird, nämlich dass nichts Gescheites nachfolgen wird, weil Sie im Grunde genommen den Menschen auch nicht sagen können, wie lange sie im Amt sein werden. Genau das wird der Fall sein.

Was Sie nicht machen, was Sie aber machen müssten, ist Folgendes. Ich habe ja noch Verständnis dafür, Herr Minis

terpräsident, wenn Sie sagen, in der Mitte der Legislaturperiode spare man keine Ministerien ein. Dafür habe ich ja noch Verständnis. Aber wenn Sie eine Regierungsumbildung auf zwei oder drei Ministerposten machen, dann kann man doch darüber verhandeln, warum eine Verwaltungsreform mit einer Effizienzrendite von 20 % allen Ebenen zugemutet wird, aber der Regierung nicht.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Das ist die Frage. Man muss auch bei sich selber anfangen zu sparen.

Die Bedeutung der Ministerien nimmt doch nicht zu, die Bedeutung der Ministerien nimmt doch ab. Dass die Aufgaben auf so viele Ministerien verteilt sind, zeigt doch, dass die Ministerien überhaupt nichts zu sagen haben. Ein Landwirtschaftsministerium kann man doch sehr gut aufteilen. Den Teil der Wirtschaft in diesem Landwirtschaftsministerium verlagert man zum Wirtschaftsministerium – das sagen übrigens die Landwirte selber – und das, was mit Umweltschutz zu tun hat – –

(Zurufe von der CDU)

Ja, natürlich! Reden Sie doch einmal mit Ihren Landwirten!

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

Da sieht man einmal, wie weit Sie schon von der Landwirtschaft weg sind!

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE – Lebhafte Unruhe bei der CDU)

Ja, ist klar. Man kann es andersherum machen: Sie verstehen nur etwas von Landwirtschaft. Das zeigt sich auch in der Landespolitik. So kann man es natürlich auch sagen.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU)