Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir müssen unseren Schulen etwas zutrauen. Es darf nicht ein randständiges Thema sein, sondern es muss das Kernthema für unsere Schulen sein.

(Unruhe)

Die Lehrerinnen und Lehrer müssen in allen wichtigen Fragen, die die Schule betreffen, Verantwortung bekommen.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Der Staat ist lediglich dafür zuständig, die Standards zu bilden und ihre Einhaltung zu überprüfen und zu gewährleisten. Das ist seine Aufgabe.

Wenn wir das machen, wenn wir den Mut haben, da endlich kräftig zu deregulieren, dann – davon bin ich überzeugt – erwirtschaften wir Ressourcen, weil wir dann nur noch 20 % der Schulverwaltung brauchen. Wir schaffen aber auch eine neue Verantwortungskultur, weil dies Lehrer und Eltern wieder zusammenbringen wird.

Ich mache Ihnen jetzt einmal einen Vorschlag. Wir können die Schulreform nur dann erfolgreich durchführen, wenn wir eine motivierte Lehrerschaft haben. Wie können wir die Lehrerschaft motivieren? Mein Vorschlag ist: Wir schaffen

eine neue Arbeitszeitregelung, die klar gegliedert ist in Deputat, Anwesenheit an der Schule und Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Das wird bedeuten: Die Lehrerinnen und Lehrer sind den ganzen Tag an der Schule. Das brauchen wir sowieso;

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

das ist Voraussetzung. Wenn wir ihnen dann noch sagen: „In der Sekundarstufe I fällt ein Drittel der Korrekturen weg, in der Sekundarstufe II fällt die Hälfte der Korrekturen weg, und mit der Zeit, die ihr dadurch habt,

(Zuruf des Abg. Röhm CDU)

macht ihr an der Schule einmal eine individuelle Betreuung der Kinder, eine Diagnose ‚Warum hast du so eine schlechte Note, und was musst du tun, damit du besser wirst?‘ “‚ wenn wir mit einer solchen Maßnahme, die die Eltern mit einbezieht, den Lehrerinnen und Lehrern klar machen: „Wir entlasten euch,“ – das wird die Lehrerschaft ungeheuer motivieren – „und ihr habt die Zeit, um euch ganz individuell um die Schülerinnen und Schüler zu kümmern“, dann erzeugen wir eine Aufbruchstimmung an der Schule, dann tun wir etwas gegen die soziale Selektion, dann tun wir etwas für den Wettbewerb der Schulen untereinander, dann tun wir dabei etwas für Exzellenz, aber auch für die Breitenförderung. Das ist genau das, was wir brauchen.

(Beifall bei den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wieser?

Immer, gerne, klar.

Herr Kollege Kretschmann, haben Sie das, was Sie jetzt gesagt haben, in Ihrer Schullaufbahn nicht alles auch schon gemacht?

Ich war ja selbst Lehrer, und Sie waren es auch. Ich wüsste nicht, was Sie Neues gesagt hätten. Das habe ich alles zu machen versucht. Was ist jetzt das Neue an Ihrer Reform?

Ich habe es gemacht im Rahmen der Bedingungen, die ich damals hatte. Es gab einen wahnwitzigen Korrekturaufwand, um das nur einmal als Beispiel zu sagen.

(Zuruf von der CDU: Haben wir bereits gekürzt!)

Das müssen wir alles ändern. Das, was wir – Sie und ich – gemacht haben, meistens nämlich außerhalb unserer Verpflichtung, muss ins Zentrum gerückt werden und darf nicht am Rande bleiben und dem Einzelnen überlassen bleiben.

Ich nehme den nächsten Punkt auf, Herr Kollege Oettinger, Ihren Vorschlag mit der Kindergartenpflicht. Unsere Kindergärten müssen in der Tat zu Bildungseinrichtungen werden, und wenn sie zu Bildungseinrichtungen werden, dann kommt auch das Pflichtmoment hinein. Das Einzige, was wir kritisieren, ist, dass Sie das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Zuerst müssen wir das, was wir uns erwarten – zum

Beispiel die Sprachfähigkeit der Kinder beim Schuleintritt –, erreichen, indem wir die Kindergärten so ausstatten, dass sie das überhaupt leisten können. Denn heute gehen zwar schon über 90 % der Kinder in den Kindergarten, aber 80 % der Migrantenkinder und 30 % der deutschen Kinder haben trotzdem nicht die ausreichenden Sprachfähigkeiten für den Schulunterricht. Erst wenn wir dafür sorgen, kann am Ende eine Kindergartenpflicht für das fünfte Lebensjahr stehen, aber nicht am Anfang.

(Beifall bei den Grünen)

Bei der Ganztagsbetreuung brauchen wir – auch das ist ganz klar – sehr viel mehr Initiative. Wir brauchen sie flächendeckend; daran führt kein Weg vorbei. Das können wir aber nur schaffen, wenn wir das Landeserziehungsgeld streichen und die dadurch frei werdenden Ressourcen für die Ganztagsbetreuung, für die Kleinkindbetreuung einsetzen. Das ist – bei allen Haushaltsschwierigkeiten, die wir haben – der richtige Weg. Das ist das Gebot der Stunde, weil wir wissen, dass 70 % der Eltern genau das brauchen, und denen ist mit einem Landeserziehungsgeld nicht geholfen. Also auch da erwarten wir neue Akzente und Initiativen. Das alles kann man mit uns machen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Drexler SPD)

Als letzten Punkt, Kollege Oettinger, möchte ich noch die ökologische Modernisierung ansprechen. Ich möchte Sie einfach einmal von Ihrer wirtschaftspolitischen Seite her packen. Ist es denn jemals die Politik der CDU gewesen, die Existenz bestehender Industrien einfach zu verlängern? War das jemals die Politik der CDU? Wollen Sie mit der Verlängerung von Laufzeiten der Atomkraftwerke jetzt eine Politik machen, wie sie die SPD in Nordrhein-Westfalen mit der Kohle macht? Soll das ernsthaft Ihr Weg sein? Wenn wir wirtschaftspolitisch dort angekommen sind, dass wir nur noch Bestehendes schützen wollen,

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

statt zu modernisieren und umzugestalten, dann ist doch der Abstieg vorprogrammiert. Herr Kollege Oettinger, wir nehmen die Bälle auf, die Sie zugespielt haben. Sie haben gesagt, Sie wollten nicht alles reflexartig ablehnen, was von den Grünen kommt. Wir spielen den Ball zurück.

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Warum kann sich die Union nicht für eine mittelstandsorientierte Energiepolitik erwärmen? Warum kann sie nicht mit einsteigen bei unseren Bemühungen, die Energieeffizienz durch Kraft-Wärme-Kopplung zu erhöhen und die dadurch bei der Produktherstellung eingesparten Energiekosten in den Ausbau der regenerativen Energien zu investieren? Der wichtigste Posten ist da die Biomasse. Ich empfehle, bis zum Ende der Legislaturperiode da endlich kräftig einzusteigen.

(Zuruf: Das langt nicht! – Gegenruf des Abg. Drex- ler SPD: Da gibt es ein Wirtschaftsgutachten! – Abg. Schneider CDU: Oh lieber Gott! – Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Tun Sie in dieser Richtung etwas; das ist nicht nur für die Umwelt gut, sondern auch für den ländlichen Raum.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Das ist genau die mittelstandsorientierte Politik, die wir brauchen, die dem Handwerk und dem Mittelstand Aufträge bringt, Arbeitsplätze schafft und der Motor für ein nachhaltiges Wachstum in Baden-Württemberg sein kann. Das ist der Ball, den wir Ihnen zurückgeben. Das ist die richtige Alternative, und nicht das Festhalten an alten fossilen Vorstellungen.

Das ist unser Angebot, und ich kann mir gut vorstellen, dass wir da zusammen eine Politik machen, die Ökonomie und Ökologie verbindet. Allerdings muss dazu die Union natürlich ihre Blindheit, Taubheit und Sprachlosigkeit in der ganzen Ökologie einmal aufgeben, sich vom Ministerpräsidenten mit seiner Gegnerschaft zum Naturschutz und zu den ganzen neuen Energien verabschieden und selbstbewusst diese Geschichten in die Hand nehmen. Dann bringen wir das Land weiter.

Herr Kollege Oettinger, die Grünen sind jetzt fast 25 Jahre in diesem Parlament, haben also bald „Silberne Hochzeit“ mit dem Land Baden-Württemberg.

(Abg. Wieser CDU: Silber! Aber es glänzt nicht al- les! – Abg. Fleischer CDU: Dann habt ihr noch 15 Jahre Zeit, bis ihr gescheit werdet!)

Sie haben „Goldene Hochzeit“ mit dem Land Baden-Württemberg.

(Abg. Wieser CDU: Aber Silber oxidiert stark!)

Es hat etwas lange gedauert, bis Sie gemerkt haben, dass es vielleicht nicht gut ist, alle Vorschläge der Grünen reflexartig abzulehnen. Wir machen das Angebot – zu den Kernbereichen des Landes haben wir jetzt Vorschläge und Linien aufgezeichnet –: Nehmen Sie den Ball auf, dann kommen wir hier entweder zu einer produktiven Gegnerschaft, was das Wahrscheinliche ist, oder wir kommen irgendwann einmal zu einer kooperativen Zusammenarbeit – und sei es nur in einzelnen wichtigen Fragen – mit dem einzigen Ziel, dieses Land voranzubringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Kollege Oettinger, das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Einige Kollegen sind heute aus der Regierung ausgeschieden. Sie verdienen unseren Respekt und unseren Dank. Wir, die CDU-Fraktion, danken den Kollegen Dr. Döring, Müller, Dr. Repnik, Dr. Schäuble und Rückert für eine jahrelange und kompetente Arbeit, die sie in schwierigen Jahren mit Fleiß und mit Erfolg verrichtet haben. Ich glaube, sie haben sich – jeder in seinem Metier – um Baden-Württemberg verdient gemacht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir wünschen den neuen Ministern und Staatssekretären, den Damen und Herren in der neuen Landesregierung unter Führung von Erwin Teufel und Ernst Pfister, guten Erfolg und sagen Partnerschaft, Kollegialität und Unterstützung zu. Wir wollen einen sportlichen Wettbewerb um die besten Ideen. Wir wahren Geschlossenheit. Ich glaube, dass die Regierung, die heute vereidigt wurde, den Aufgaben, den Herausforderungen der nächsten Monate und Jahre gerecht werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Der Kollege Drexler ging in seinem Beitrag auf die Justizministerin ein. Er stützt sich auf Vermutungen, auf Darstellungen der Medien und nicht mehr. Ich sage Ihnen hier eindeutig, dass wir nicht bereit sind, auf Gerüchte, auf Vermutungen, auf Darstellungen der Medien ein Urteil aufzubauen. Vielmehr muss das Ganze einer objektiven Prüfung überantwortet werden. Deswegen haben wir Vertrauen in sie, in ihre Amtsführung. Wir finden es eigenartig, dass Sie die Ministerin einerseits als Zeugin vor den Untersuchungsausschuss laden, um zu erhellen, was war, und gleichzeitig ein Urteil sprechen, das ein blankes Vorurteil ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Drexler SPD)