Protokoll der Sitzung vom 28.07.2004

Wer, wie die „Stuttgarter Zeitung“ schreibt, in einem Rhythmus von 48 Stunden den Arbeitsmarkt, die Tarifautonomie, die Betriebsverfassung und den Kündigungsschutz immer radikaler ändern will, als gelte es, in einer Auktion das Meiste zu bieten, der macht in Wirklichkeit diesen Standort kaputt, schädigt ihn und tut nichts dafür, dass es wieder aufwärts geht.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hofer?

Bitte schön, Herr Hofer.

Herr Kollege Kretschmann, mir ist nicht bekannt, dass die FDP jemals die 50-Stunden-Woche gefordert hat. Könnten Sie mir bitte nachhelfen und sagen, wo sie das getan hat.

Jedenfalls haben sich auch Ihre Leute daran beteiligt,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wo denn?)

zum Beispiel die Kollegin Homburger mit dem Vorschlag, Feiertage zu streichen. Ich habe das in ihrer Parteitagsrede nachgelesen. Es gilt zwar das gesprochene Wort, aber ich nehme mit Sicherheit an, dass sie das gesagt hat.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber nicht die 50-Stunden-Woche! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Ach, Sie wissen doch nichts!)

Ja, ja. Genau so war es.

Jeder sucht sich da, wo er glaubt, dass genau seine Klientel nicht betroffen ist, etwas anderes heraus, wie zum Beispiel

jetzt die FDPler, bei denen es vielleicht weniger Kirchgänger als bei der CDU gibt. So sucht sich jeder das aus, was ihm passt, um in Radikalitäten den anderen zu übertreffen.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Ich glaube, dass wir da eine Politik mit Augenmaß brauchen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Theurer?

Toll, dass er es wagt, jetzt auch noch Zwischenfragen zu stellen.

Herr Kollege Kretschmann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die FDP vor allem für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit ausspricht?

Für eine Flexibilisierung treten wir alle ein. Aber daran, dass Sie in der Vergangenheit ständig durch marktradikale Forderungen im gesamten Arbeitsbereich glänzten, besteht kein Zweifel. Das brauchen Sie hier nicht zu vertuschen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Marktwirtschaft! Wir suchen einmal Ihre Forderungen aus der Vergan- genheit, Herr Kretschmann!)

Es ist höchst interessant, dass Sie dazu auf einmal nicht mehr stehen.

Das gilt natürlich auch für die Unternehmensführung. Das Schlimme an dem Kompromiss bei Mercedes ist, dass die Arbeitnehmerschaft zum Teil schwere Managementmängel ausbaden musste und dass wir beim Dieselrußfilter gesehen haben, wie sich die Industrie wichtigen Neuerungen verschließt. Wir haben an der Position von Mercedes in der Pannenstatistik gesehen, dass der Betrieb nicht mehr gut aufgestellt ist.

Was heißt das eigentlich für uns? Für uns heißt das, dass einer der wichtigsten Wachstumsmärkte der nächsten Jahre das Thema „Energie und Umwelt“ sein wird. Wir brauchen nur nach China zu schauen. China kauft auch im gesamten technischen Bereich, was die Umweltauswirkungen betrifft, nur Spitzenprodukte. Also müssen wir uns auf diesem Gebiet richtig aufstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wir haben auf diesem Gebiet allein in den Beitrittsländern der EU ein Investitionsvolumen von 400 Milliarden €, das im ganzen Umweltbereich eingesetzt werden kann. Heute finden wir niemanden mehr, der zwei Jahre darauf wartet, einen Daimler kaufen zu können. Hier müssen wir uns gut aufstellen. Wir sind auf die Ausführungen des neuen Wirtschaftsministers Pfister dazu, was die Politik auf diesem Gebiet tun kann, gespannt. Wir werden dies dann in der zweiten Runde bewerten.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ich erteile das Wort Herrn Wirtschaftsminister Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie gestatten, möchte ich mich zunächst bei allen Seiten dieses Hauses bedanken, bei all denjenigen, die mir für mein neues Amt gute Wünsche mit auf den Weg gegeben haben. Ich will Ihnen allen im Gegenzug gerne zusagen, dass Sie in mir einen verlässlichen Partner finden werden, der gerne und gut mit Ihnen zusammenarbeiten möchte.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Sie gestatten, dass ich auch an dieser Stelle an meinen Amtsvorgänger Walter Döring erinnern möchte. Ich bedauere sehr, dass er unter unglücklichen Umständen aus diesem Amt gewichen ist.

(Zurufe von der SPD)

Dies führt aber nicht daran vorbei, dass Walter Döring in der Vergangenheit eine gute und für unser Land BadenWürttemberg verdienstvolle Wirtschaftspolitik betrieben hat. Ich finde, hierfür hat er Respekt und Dankbarkeit verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Da Baden-Württemberg gut aufgestellt ist, wie wir gehört haben, möchte ich zu Beginn auch gerne sagen, dass es durchaus wichtige Grundlinien gibt, an denen sich auch der neue Wirtschaftsminister orientieren wird.

Herr Kollege Schmiedel, Sie haben vorhin den Punkt Gemeindewirtschaftsrecht herausgepickt, also die berühmten Verona-Fahrten mit Vertretern von Betrieben in städtischer Regie. Das ist, für sich allein genommen, natürlich noch keine ausreichende aktive Wirtschaftspolitik für unser Land.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Thermoselect!)

Aber wenn es darum geht, die Staatsquote an allen Ecken und Enden zu senken und Vorfahrt für private Betriebe und für private Initiativen zu schaffen, dann ist das, glaube ich, auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten durchaus ein wichtiges Beispiel dafür, wie in der Zukunft auch mittelständischen Betrieben in diesen Bereichen wieder mehr Beschäftigung zukommen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und das kostet kein Geld!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wirtschaftsminister wäre sehr unglücklich gewesen, wenn er praktisch am ersten Tag seiner Amtsführung hätte feststellen müssen, dass in Sindelfingen 6 000 Arbeitsplätze verloren gehen. Deshalb bin ich sehr froh, dass jetzt für alle Seiten – wenn man das Ergebnis richtig liest – ein tragbarer Kompromiss erzielt worden ist. Nicht mehr und nicht weniger als 6 000 Arbeitsplätze, die im Land zunächst einmal verbleiben, und eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2012: Das ist eine gute Nachricht für uns alle, das ist eine erfreuliche Nachricht auch für den neuen Wirtschaftsminis

ter. Es ist aber auch ein wichtiges Signal dafür, dass der Standort Baden-Württemberg durchaus Substanz hat, und es ist ein Signal dafür, dass Baden-Württemberg gegenüber nördlichen Bundesländern wie Bremen absolut konkurrenzfähig ist. Das ist aber auch eine gute Nachricht insbesondere für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den vergangenen Wochen doch Phasen der Unsicherheit durchleben mussten. Das alles hat jetzt ein glückliches Ende gefunden. Ich möchte ausdrücklich allen Beteiligten sehr herzlich dafür danken, dass dieser Kompromiss ermöglicht wurde.

Ich weise aber auch darauf hin, dass allein mit diesem Kompromiss die Welt, auch die baden-württembergische Welt, nicht für alle Zeiten in Ordnung ist. Es ist gut – Kollege Hofer hat zu Recht darauf hingewiesen –, dass jetzt 6 000 Arbeitsplätze gesichert worden sind. Aber in der Zukunft darf nicht nur, wie Sie es gesagt haben, ein Betrieb mit 6 000 Arbeitsplätzen in unserem Interesse stehen, sondern müssen uns 60 Betriebe mit jeweils 100 Arbeitsplätzen genauso wichtig sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Darum gilt selbstverständlich schon: Sindelfingen findet sich in gewisser Hinsicht überall, im ganzen Land. Herr Kollege Schmiedel, da will ich schon deutlich eine andere Meinung äußern als Sie. Ich weiß, dass die Politik für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg eine große Verantwortung trägt. Ich komme nachher noch auf einige Beispiele zurück. Aber wenn es um beschäftigungspolitische Verantwortung geht, möchte ich die Tarifpartner aus dieser Verantwortung nicht entlassen, ganz im Gegenteil.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Verfassung garantiert die Tarifautonomie; sie garantiert den Tarifpartnern umfangreiche Rechte. Ich sage: Sie haben nicht nur Rechte, sondern sie haben selbstverständlich auch Pflichten. Sie haben zum Beispiel die Pflicht, die Stellschrauben – das gilt nicht nur für das Beispiel Sindelfingen, sondern auch an anderer Stelle – so zu justieren, dass die einzelnen Unternehmen in ihrer jeweiligen Situation und Größe und damit auch der jeweilige Wirtschaftsstandort auf veränderte Rahmenbedingungen flexibel reagieren können. Mein Appell an die Tarifpartner lautet, in der Zukunft diese Flexibilität an den Tag zu legen.

(Beifall des Abg. Hofer FDP/DVP)

Ich halte sie für die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg in der Zukunft auch an einen globalisierten Markt anpassen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Was zeigt Sindelfingen?