Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Kübler CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Gaßmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dass es nun zum ersten Mal die Verpflichtung geben wird, barrierefrei zu bauen, ist auch ein Kind der SPD.

(Abg. Röhm CDU: Freuen Sie sich!)

Wir haben im Jahr 2000 zum ersten Mal den Antrag gestellt, barrierefreies Bauen bei Neubauten vorzuschreiben.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Da haben wir aber auch schon Anträge gehabt!)

Damals gab es hierfür noch keine Mehrheit. Im Herbst 2000 gab es allerdings eine Einigung aller Fraktionen, die Regierung zu einem Gesetzentwurf zum barrierefreien Bauen zu bewegen. Die Regierung hat sich damit schwer getan. Es hat lange gedauert. Es musste auch noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit man mit dem Regierungsentwurf nicht am Ende der Liste aller Bundesländer gelandet ist. Sie wissen, damals war vorgeschlagen, erst ab der neunten Wohnung die Barrierefreiheit vorzuschreiben. In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Barrierefreiheit ab der fünften Wohnung vorgeschrieben. Mit dieser Regelung befinden wir uns ungefähr im Mittel

feld. Wir befinden uns hiermit also nicht mehr am Ende aller Bundesländer. Es gibt andere Länder, die strengere Vorschriften machen, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Hamburg, wo ab der dritten Wohnung Barrierefreiheit vorgeschrieben ist.

Ich glaube, das Wesentliche ist nicht die Zahl der Wohnungen, sondern das Wesentliche ist auch, ob eine Wohnung nutzbar ist – nicht nur zugänglich, sondern auch nutzbar. Ich möchte hierzu aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zitieren. Da heißt es:

Die barrierefreie Erreichbarkeit verlangt dagegen nicht, die betreffenden Wohnungen und Räume über ihre Erreichbarkeit hinaus... auszustatten und zum Beispiel entsprechende Bewegungsflächen... vorzusehen.

Genau das ist das Problem. Da hat, glaube ich, Herr Hoffmann, der gerade hier geredet hat, den Gesetzentwurf der von der eigenen Fraktion getragenen Landesregierung nicht gelesen.

(Abg. Röhm CDU: Ha no! – Abg. Hoffmann CDU: Doch! Lesen Sie Ihren Antrag!)

Nein, Herr Hoffmann, Sie haben es nicht richtig gelesen. Die Erreichbarkeit, die Zugänglichkeit steht in Ihrem Gesetzentwurf drin.

(Abg. Hoffmann CDU: Ja!)

Wir wollen nicht nur die Zugänglichkeit, sondern auch, dass die Wohnung hinterher benutzbar ist. Es macht doch keinen Sinn, wenn der Rollstuhlfahrer mit dem Rollstuhl zwar ins Bad gelangt, sich aber dort nicht bewegen kann und nicht waschen und nicht duschen kann. Es macht auch keinen Sinn, wenn er zwar durch die Tür in das Schlafzimmer gelangt, das Schlafzimmer aber so gestaltet ist, dass er nicht zum eigenen Bett kommt, weil die Abstände unzureichend sind. Hier haben die Behindertenverbände die Sache genau nachgerechnet. Sie sagen, für das Bad brauche man 0,5 Quadratmeter mehr und für das Schlafzimmer 3 Quadratmeter mehr, um auch eine Nutzbarkeit zu erreichen.

Die CDU hat gerade das Argument vorgetragen, dies würde ja der Markt regeln. Dieses Argument sticht natürlich nicht. Dann frage ich mich, wieso wir heute überhaupt einen Gesetzentwurf zur Barrierefreiheit beraten.

(Beifall des Abg. Weiß SPD)

Denn wenn dies der Markt regeln würde, bräuchten wir die Barrierefreiheit nicht gesetzlich vorzusehen.

Lassen Sie mich noch ergänzen, dass uns die Barrierefreiheit letztlich auch Kosten spart. Denn was bringt es denn, wenn jemand in seiner Wohnung bestimmte Dinge nicht nutzen kann und dann soziale Dienste in Anspruch nehmen muss, um in sein Bett, in die Badewanne oder in die Dusche gehoben zu werden? Aus diesem Grund haben wir einen Änderungsantrag gestellt und hoffen auf bessere Einsicht.

Wir haben noch einen zweiten Änderungsantrag gestellt. Uns gehen nämlich die großzügigen Ausnahmeregelungen beim Neubau, was die Barrierefreiheit betrifft, zu weit. Aus

gutem Grund hat die große Koalition damals diese Ausnahmeregelungen beim Neubau praktisch unmöglich gemacht. Ausnahmeregelungen gab es nur für den Altbau. Nun wollen Sie die Ausnahmeregelungen für den Neubau wieder einführen – zulasten von Behinderten und zulasten von Alten. Wir beantragen deshalb in unserem zweiten Änderungsantrag, die von Ihnen beabsichtigte Ausweitung der Ausnahmeregelungen zu streichen.

Weil uns allerdings die Barrierefreiheit sehr am Herzen liegt, weil sie auch unser eigenes Kind ist und weil der Gesetzentwurf letztlich ein Schritt in die richtige Richtung ist, werden wir, auch wenn Sie unseren Verbesserungsvorschlägen nicht zustimmen, dem Gesetzentwurf insgesamt zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem Sprecher der FDP/DVP-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich auf der Zuhörertribüne den neuen spanischen Generalkonsul in Stuttgart, Herrn Ricardo Zalacain. Herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Amtszeit in unserem Land. Wir alle freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen.

Das Wort erhält Herr Abg. Hofer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Novellierung der Landesbauordnung in Bezug auf barrierefreies Bauen ist, wie mehrere Sprecher schon ausgeführt haben, sicherlich eine Regelung mit Augenmaß. Augenmaß ist auch erforderlich, denn die Interessen von Behinderten, Bau- und Immobilienwirtschaft und kommunalen Landesverbänden sind ja nicht deckungsgleich. Was dem einen zu weit geht, hält der andere für zu kurz gesprungen. Jedes Einzelinteresse ist für sich im Grunde berechtigt, und doch ist nicht zu verkennen, dass sich eine überzogene Interessenwahrnehmung manchmal kontraproduktiv auswirkt. Das heißt, wenn Anforderungen zu starr und zu unbeweglich sind, kann dies oft zum Gegenteil, nämlich zu einer Ausgrenzung statt zu einer Verbesserung führen. Ich halte es für sehr beachtenswert, dass auch die Behindertenverbände dies bei der Vorbesprechung erkannt und durchaus eingeräumt haben.

Die Neuregelung der barrierefreien Erreichbarkeit von Wohnungen ist angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land mit einem zunehmenden Anteil älterer und behinderter Menschen, die auch zunehmende Ansprüche an ein selbstbestimmtes Leben stellen, und vor allem auch, wenn man an den notwendigen Ausbau ambulanter Dienste denkt, unter Kostengründen unerlässlich. Ich brauche das nicht mehr breit auszuführen.

Diese Regelung ist auch für Baden-Württemberg überfällig. Baden-Württemberg ist ja das letzte Bundesland, das bisher noch keine solche Regelung hat.

Die Bauherren sind in aller Regel selbst daran interessiert, barrierefrei zu bauen, zumal dies auch kostenmäßig meist

nicht sehr ins Gewicht fällt. Die Mustersatzung, die wir jetzt für Baden-Württemberg übernehmen, geht gewissermaßen auf Nummer sicher und begleitet das noch einmal. Da müssen eben Eingangstür, Wohn- und Schlafräume, Toilette, Bad und Küche – da wird ja auch der Rollstuhl erwähnt und nicht differenziert – mit dem Rollstuhl erreichbar sein.

Wenn wir als eines der letzten Bundesländer eine solche Regelung übernehmen, dann war, glaube ich, für alle von vornherein klar, dass wir dann nicht eine Regelung übernehmen können, bei der wir gleich wieder Schlusslicht sind. Deshalb ist es gut, dass im zweiten Anlauf der Vorschlag gemacht worden ist, nach einer Übergangszeit dann ab der vierten Wohnung die Barrierefreiheit sicherzustellen.

(Abg. Stickelberger SPD: Der fünften!)

Ab der vierten Wohnung. Fünf klingt schlechter als vier. Ich sage: ab der vierten Wohnung. Das ist genauso richtig. Ich kann nur sagen: Der Erfolg hat immer viele Väter. Aber ich glaube, das ist letztlich nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Behinderten endlich zu ihrem Recht kommen.

Nun wird von der Opposition gefordert, dass man eben nicht nur barrierefrei erreichbar, sondern auch nutzbar planen müsse, also zusätzliche Bewegungsflächen planen müsse. Das ist ohne Zweifel ein Bedürfnis. Vielfach – auch das räume ich gerne ein – ist das mit geringen Kosten verbunden. Manchmal betrifft es aber die Grundrissgestaltung und wird sehr teuer. Wir gehen davon aus, dass die Bauherren, wenn sie schon barrierefreies Bauen in Angriff nehmen, selbstverständlich all das ausnutzen werden, was mit geringen Kosten bei zusätzlicher Bewegungsfreiheit verbunden ist. Nach unserer Meinung bedarf es dazu keiner weiteren Regelung.

Ein weiterer Punkt der Neuordnung der Landesbauordnung ist die allgemeine Ausnahmeklausel, die wir – das war mir besonders wichtig – auch noch durch die Regelung ergänzt haben, dass bei dem unverhältnismäßigen Mehraufwand auch in die Betrachtung einzubeziehen ist, ob planerische oder organisatorische Ersatzmaßnahmen berücksichtigt werden können. Neu ist diese Regelung in zweifacher Hinsicht – das gilt auch für Neubauten –: Im Gegensatz zu dem, was Sie für die SPD-Fraktion vorgetragen haben, sehen wir nicht ein, warum nicht im Interesse eines auch für die Behinderten unbürokratischen Handelns eine sinnvolle Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sowie Ermessens- und Entscheidungsspielräume der Bauaufsicht nicht ausgenutzt werden können und sollten. Denn hinzu kommt ja noch, dass Ersatzmaßnahmen in organisatorischer und planerischer Weise dabei zu berücksichtigen sind. Bisher musste schon immer der Einzelfall entschieden werden.

(Zuruf von der SPD: Beim Neubau nicht!)

Ja, bei Umbauten. – Aber einen Einzelfall zu entscheiden ist oft etwas sehr Mühevolles für jemanden, der auf der Baurechtsbehörde arbeitet. Deshalb hat man gesagt: Bei 20,1 % geht es nicht, bei 19,9 % geht es. Das ist Bürokratie, und das haben wir abgeschafft.

Ich gehe übrigens davon aus, dass in den Baurechtsreferentenbesprechungen, die ja regelmäßig stattfinden, über das Innenministerium in den Bauaufsichtsbehörden dafür gesorgt wird, dass das nicht nur eine Regelung auf dem Papier bleibt, sondern auch eine Regelung in der Praxis wird.

Schließlich noch die letzte Neuregelung: Es sind ja alle einverstanden, dass barrierefreies Bauen bei gewerblichen Bauten und Handwerksbetrieben eine Anhebung der Mindestgröße erforderlich macht.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Hier sind die Bedürfnisse der Praxis anerkannt worden. Man muss nicht gleich einen Fahrstuhl bauen, wenn man irgendwo noch eine Toilette erweitert. Hier hat man der Praxis Rechnung getragen. Auch das ist im Interesse der Behinderten, damit dann überhaupt etwas geschieht.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zusammenfassend – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Hofer, gestatten Sie, bevor Sie zusammenfassend zum Schluss kommen, noch eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Gaßmann?

Natürlich, gerne!

Herr Kollege Hofer, Sie haben gerade gesagt, dass Sie die starre 20-%-Grenze bei der wirtschaftlichen Zumutbarkeit abgeschafft hätten. Ist Ihnen bekannt, dass Sie in diesem Gesetzentwurf genau das Gegenteil machen und die starre 20-%-Grenze bei der Zumutbarkeit – so zumindest die Begründung Ihres Gesetzentwurfs – jetzt auch beim Neubau einführen?

Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, wie Sie zu dieser entgegengesetzten Betrachtungsweise kommen. Aber ich freue mich, dass ich es dann noch einmal erläutern kann.

(Heiterkeit des Abg. Kleinmann FDP/DVP)