Protokoll der Sitzung vom 07.10.2004

Es ist auch ein Gebot der Wirtschaftlichkeit und dient der Schonung der öffentlichen Ressourcen, wenn wir so frühzeitig wie möglich an individuelle Sprachprobleme herangehen.

(Beifall bei der CDU sowie des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Wir haben seit Jahren Maßnahmen im vorschulischen und schulischen Bereich. Denken Sie an Grundschulförderklassen, Sprachförderklassen und an die Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfe, kurz HSL genannt. Die Landesstiftung fördert seit 2003 im Rahmen ihres Projekts „Sprachförderung im Vorschulalter“ Kinder mit intensivem Sprachförderbedarf. Nicht weniger als 11 000 Kinder werden bisher gefördert. Die zweite Runde ist zurzeit in modifizierter Form ausgeschrieben. So können bald noch mehr Kinder erreicht werden.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben das Problem erkannt und rechtzeitig gehandelt. Vieles ist schon umgesetzt und wirksam. Das zeigt übrigens auch die IGLUStudie, die den Grundschulen in Baden-Württemberg ein ausgezeichnetes Zeugnis ausgestellt hat. Weitere Schritte

sind vorgesehen. Denn nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Aber für unsere Fraktion stellt sich dabei auch immer wieder die Frage: Wie kann das finanziert werden? Daher sollten wir, wenn es die Ressourcen zulassen, diesen Bereich weiter ausbauen und Mittel umschichten.

Wir haben hier eine große Chance zu nutzen. Das ist eine Chance, die sich dann, wenn sie konsequent genutzt wird, für die betroffenen Kinder ein Leben lang auszahlt. Hier gilt in besonderer Weise: Der künftige Wohlstand unseres Landes hängt ganz entscheidend davon ab, dass wir Bildung, Ausbildung und Fortbildung fördern. Anders gesagt: Was wir in Bildung investieren, das investieren wir in eine gute Zukunft unseres Landes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Schüle CDU: Sehr gut! Hervorragend!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bildung ist d i e soziale Frage unserer Zeit. Denn wer schon vom Start weg keine Chancen oder nicht die gleichen Chancen wie die anderen hat, hat keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in unserer Gesellschaft, in unserer Arbeitswelt, in unserer globalisierten Welt. So viel dürfte, glaube ich – da gab es am Anfang auch einhelligen Beifall –, unbestritten sein.

Die Antwort der Landesregierung auf die vorliegende Große Anfrage der SPD hat sehr deutlich gemacht, dass wir Bildungspolitik eben nicht, wie es hier manchmal leider passiert, auf die Frage von Lehrerzahlen, Deputatsstunden usw. reduzieren dürfen. Vielmehr müssen wir den Bildungsbegriff sehr viel breiter auch als soziales Thema behandeln, und zwar schon vor Schulbeginn und übrigens auch nach Schulabschluss, nämlich als lebenslanges Lernen. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig.

Der Spracherwerb spielt natürlich eine zentrale Rolle. Denn ohne Sprache sind schlicht und einfach keine Kommunikation, kein Lernen und auch keine soziale Integration möglich. Dies gilt nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund, sondern zum Beispiel auch für Kinder, die in einer Einzelkindfamilie aufwachsen. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch alle einig.

Deswegen kommt es darauf an, schon den Beginn des Spracherwerbs in der Familie zu fördern; Frau Brunnemer, da bin ich mit Ihnen völlig einig. Auch da wissen wir, ohne irgendwelche Schuldzuweisungen vornehmen zu wollen, dass zum Beispiel bei Doppelverdienern, bei Menschen, die abends gestresst nach Hause kommen, das, was früher in einem großen Familienverband selbstverständlich war – dass man gemeinsam noch etwas liest, dass man vorliest, dass man Geschichten erzählt, gemeinsam singt –, möglicherweise eben nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspricht.

(Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Deswegen darf diese Funktion oder diese Aufgabe der Familie niemals im Gegensatz zu zusätzlichen Maßnahmen gesehen werden, sondern nur im Zusammenspiel mit ihnen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Punkt besonders herausstellen. Denn bei allem, was wir sagen, müssen wir natürlich auch an den Haushalt denken. Das ist völlig klar. Denn ohne Geld wird vieles nicht zu realisieren sein.

Gerade, was den Bereich Familienbildungsstätten betrifft, möchte ich mit Blick auf die Haushaltsberatungen schon jetzt sagen: Wenn Sie sich einmal die Programme, die Arbeit dieser Familienbildungsstätten anschauen, erkennen Sie, dass damit genau diese familienunterstützende Arbeit geleistet wird – übrigens mit wenig Geld vom Land. Deswegen wird es beim schönen Wort vom Umschichten künftig gerade im Sozialetat an solchen Stellen zum Schwur kommen. Da wird sich zeigen, ob man bei kleinen Maßnahmen wieder einsammelt und nicht an die großen Themen herangeht. Ich verweise auf die gestrige Diskussion.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Schmiedel: Kon- kret, was meinen Sie?)

Ich verweise auf das Thema Landeserziehungsgeld.

(Abg. Schmiedel SPD: Wollen Sie es abschaffen? Raus damit!)

Da sagen Sie: „Ja, wir brauchen das alles, aber alles zusätzlich.“ Das wird eben nun einmal nicht gehen. Deswegen müssen wir auch an dieser Stelle darüber reden.

Zu den Kindertageseinrichtungen, speziell den Kindergärten wurde auch schon gesagt: Wir haben diesen Bildungsauftrag – er bestand schon immer – bei der letzten Novellierung des Kindergartengesetzes noch konkretisiert. Nun kommt es natürlich darauf an, dass wir diesen Auftrag auch tatsächlich in die Realität umsetzen. Dazu sind zwei Voraussetzungen genannt worden, auch in der Antwort der Landesregierung. Man sollte nun nicht so tun, als hätte sich da in letzter Zeit überhaupt nichts entwickelt. Daran wird gearbeitet. Manchmal gilt eben: „Gut Ding will Weile haben.“ Aber manchmal wird einem die Weile ein bisschen lang.

Der erste Punkt lautet jedenfalls: Erzieherinnenausbildung. Denn wenn wir uns einig sind – wir sind uns wohl einig –, dass für die Mehrzahl der Kinder zunächst einmal die ganzheitliche Integration des Spracherwerbs in den Kindergartenalltag zentral wichtig ist, dann muss im Bereich der Erzieherinnenausbildung diesem Thema natürlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Wer wie ich als Jugendzahnarzt ab und zu in Kindergärten kommt, der sieht, dass da auch heute schon sehr viel getan wird. Man soll nicht so tun, als müssten wir da an jeder Stelle das Rad neu erfinden. Aber aus den vielen Einzelmaßnahmen, die schon vom Land, von den Kommunen, von den Erzieherinnen und von den Eltern in Eigenverantwortung gemacht worden sind, können wir doch Schlüsse für ein stimmiges Gesamtkonzept ziehen, das wir dann gemeinsam mit den Trägern, den Erzieherinnen und den Eltern umsetzen müssen.

Unbestritten bleibt aber, dass es immer einen Teil von Kindern geben wird, die einen besonderen Förderungsbedarf haben. Dieser wird möglicherweise sinken, wenn wir ganzheitliche Spracherziehung im Rahmen der musischen Bildung, der Bewegungsbildung und, und, und zustande bringen. Trotzdem, glaube ich, wird man nicht um solche Sondermaßnahmen herumkommen. Da haben wir nun – jetzt mag man sagen, das sei viel zu wenig – immerhin einen Einstieg über die Mittel der Landesstiftung geschafft. Das ist ein lernendes System, wo wir versuchen wollen, aus den Erfahrungen, die wir bisher gesammelt haben, ein Konzept für die Zukunft zu entwickeln. Ich sage hier aber auch noch einmal: Wenn wir die Kommunen verpflichten, dann müssen wir irgendwo Farbe bekennen, wie wir solche Fördermaßnahmen künftig finanzieren wollen. Die Träger müssen mit im Boot sein, und das Land muss meiner Meinung nach auch finanziell mit im Boot bleiben.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Aber Sie gehören schon der Regierung an?)

Das ist ein Appell an uns selber, den begonnenen Weg gemeinsam weiterzugehen und an keiner Stelle Tabus aufzurichten und zu sagen: Nur da kann es gehen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Konkret! Was wollen Sie denn?)

Letzte Bemerkung, weil das häufig auch in der Öffentlichkeit falsch gesehen wird: Es gibt natürlich noch einen dritten Teil. Das ist der Bereich, wo durch drohende oder schon manifeste Entwicklungsverzögerungen Behinderungen und Defizite vorhanden sind. Dieser Bereich ist nicht originäre Aufgabe der Landesstiftung, sondern dafür haben wir im Land das gute Netz der Frühförderstellen, auch mit Landesförderung. Ich weise darauf hin, dass es bei Haushaltsberatungen darauf ankommen wird, auch da mit relativ geringem Zuschuss dafür zu sorgen, dass dieses gute Netz für solche Kinder, die aufgrund psychischer oder körperlicher Defizite besonderer Behandlung – übrigens dann ärztlich verordneter Behandlung – und nicht einfach der Sprachförderung bedürfen, von den Erzieherinnen und den Eltern angenommen werden muss. Wenn die Erzieherinnen erkennen, dass eine solche besondere Behandlung erforderlich ist – da sind wir wieder beim Thema Erzieherinnenausbildung –, sollten sie rechtzeitig solche Maßnahmen einleiten.

Zusammenfassend: Wir haben viele positive Ansätze. Sicherlich ist nichts so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Ich glaube, wir sind da gemeinsam auf einem richtigen Weg. Ich jedenfalls bin froh, dass dieses Thema jetzt verstärkt in den Blickpunkt der Bildungs- und Sozialpolitiker gerückt ist; denn ich glaube, es darf nicht zu einer auf einen Punkt fokussierten Diskussion kommen.

(Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Letzter Punkt: Auch bei dem Thema Gewaltprävention geht es wieder um die Frage: Wo setzen wir Gelder zielgenau ein, um nicht später, wenn die Kinder in den Brunnen gefallen sind, mit sehr viel mehr Mitteln wieder reparieren zu müssen? Jeder weiß aus den Modellen zur Gewaltprävention, dass häufig da, wo eine verbale Auseinandersetzung nicht mehr möglich ist, die Fäuste fliegen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: „Fäuste fliegen“! – Zuruf von der SPD: Was fliegt hier?)

Das ist ein sehr ganzheitliches Thema.

Aber schöne Worte nützen nichts. Wir müssen weiter an der Umsetzung arbeiten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Sprachförderung im Vorschulalter“ kann man auch unter der Überschrift „Der Kindergarten ist das Tor zur Bildung“ diskutieren. Die Sprache ist der Schlüssel für die Bildung, und deshalb kann das Thema Sprachförderung nicht unabhängig vom Bildungsauftrag und den Bildungszielen in den Kindertageseinrichtungen diskutiert werden. Selbstverständlich sind für die Bildung nicht nur Erzieherinnen, Lehrerinnen und die Träger verantwortlich, sondern natürlich sind auch die Eltern bei der Bildung gefordert. Die Kindertageseinrichtungen müssen aktiv auf die Eltern zugehen, sofern sie es noch nicht tun.

Die Ausgangssituation ist bekannt: Mangelnde Deutschkenntnisse und mangelnde Artikulationsfähigkeiten von Kindern beim Schuleintritt sind heute keine Ausnahme. Sprachliche Defizite haben aber nicht nur Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, sondern vor allem Kinder, die einen Kindergarten besuchen.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

95 % der Kinder zwischen drei und sechs Jahren besuchen einen Kindergarten, trotzdem kommen 80 % aller ausländischen und sogar fast 30 % der deutschen Kinder mit Sprachdefiziten in die Schule.

Deshalb muss vor allem eher über eine Verbesserung der Sprachförderung und der Qualität im Kindergarten nachgedacht werden als über einen verpflichtenden Besuch.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

Eine Kindergartenpflicht bei gleich bleibenden, schlechten Bedingungen würde in diesem Fall keine Verbesserung bringen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wie Recht sie hat!)

Der Kindergarten ist das Tor zur Bildung. In unserer Gesellschaft entscheidet Bildung über die Möglichkeit der Gestaltung des eigenen Lebens. Bildung beginnt nicht erst am Tag des Schulbeginns oder ein Jahr bevor man in die Schule kommt, sondern sie sollte am ersten Tag, an dem ein Kind den Kindergarten besucht, beginnen. Wenn man den Kindergarten als „Bildungsgarten“ sieht, der sich immer mehr zu einem Ort des spielerischen Lernens entwickelt, dann müssen folgende Punkte berücksichtigt werden:

Zum einen müssen der Bildungsauftrag und die Art der Sprachförderung klar definiert und weiterentwickelt werden. Kultusministerin Schavan und Sozialministerin Gönner

haben am 30. Juli eine Vereinbarung für einen Orientierungsplan für Kindertageseinrichtungen vorgelegt, der im kommenden Jahr starten soll. Da muss man jetzt genau hinhören: Sie haben nicht den Orientierungsplan selbst vorgestellt, sondern nur die Vereinbarung, dass es einen Orientierungsplan geben soll,

(Abg. Zeller SPD: Die Ankündigung für einen Plan!)

dessen Implementierung immerhin schon im Sommer 2005 starten soll. Wie er konkret aussehen soll, wissen wir noch nicht.

(Abg. Schmiedel SPD: Das wissen auch die beiden noch nicht!)