Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

(Beifall bei den Grünen – Abg. Schebesta CDU: Aber es ist ein guter Weg, oder?)

Wenn es ein zusätzlicher Weg ist, dann ist es ein guter Weg. Aber wenn die Projektförderung die Regelfinanzierung ersetzt, ist es kein guter Weg.

Vielleicht noch zwei inhaltliche Bereiche, die beim nächsten Mal, so denke ich, ausführlicher betrachtet werden sollten: Das eine ist das Thema „Kulturelle Jugendarbeit“ – das sage ich als kulturpolitische Sprecherin meiner Fraktion. Wir diskutieren immer darüber, dass Deutschland ein innovationsfähiges und -freudiges Land bleiben muss. Das muss irgendwoher kommen. Das fällt nicht vom Himmel, und da hat die kulturelle Jugendbildung eine entscheidende Bedeutung.

Der letzte Punkt ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Beteiligung kann nicht verordnet werden. Kinder und Jugendliche müssen ihre eigenen Formen finden, wie sie sich politisch und an der Gestaltung ihres Lebensraums beteiligen wollen. Auch das sollte im nächsten Bericht ausführlicher dargestellt werden.

Der Bericht bietet uns also einen gelungenen Überblick, und er ist eine gute Diskussionsgrundlage. Er ist an einigen Punkten verbesserungswürdig, und insbesondere müssen konkrete Taten folgen.

Danke.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Ministerin Gönner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal – auch das wurde angesprochen – legt die Landesregierung dem Landtag einen Landesjugendbericht vor. Sie kommt damit dem gesetzlichen Auftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg nach.

Der erste Bericht aus dem Jahr 2000 hat vor allem eine umfassende quantitative Bestandsaufnahme zur Lage der jungen Menschen und zur Situation und Entwicklung der Jugendhilfe geleistet. Der vorliegende Bericht befasst sich hingegen mit ausgewählten Schwerpunktthemen.

Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Sitzmann und Herr Bayer, dass Sie sagen, er zeige ein umfassendes Bild, obwohl er sich auf Schwerpunktthemen konzentriere. Ich will dazu eines sagen: Weil es ausgewählte Schwerpunktthemen sind, ist der Bereich Bildung – die bildungspolitische Debatte haben wir vorhin geführt – hierin nicht aufgeführt.

Zwei Punkte muss ich schon erstaunt zur Kenntnis nehmen. Der eine ist, dass sich der Landesjugendring jetzt dazu äußert, obwohl er sowohl im Beirat für soziale Jugendhilfe als auch im Landeskuratorium für außerschulische Jugendbildung Mitglied ist. Dort hat im Übrigen auch der fachliche Diskurs mit den Verbänden stattgefunden, die in beiden Gremien, die Stellungnahmen abgegeben haben, vertreten sind. Insofern kann ich nicht sagen, der fachliche Diskurs habe gefehlt. Vielmehr gibt es Stellungnahmen beider Gremien.

Es ist schon erstaunlich, dass der Landesjugendring diesen Aspekt weder dort noch in seiner Stellungnahme eingebracht hat. Ich glaube, es spricht nicht für eine gute Zusammenarbeit, wenn ich meine Haltung dort, wo ich sie einbringen könnte, nicht einbringe, sie aber anschließend über Briefe in die Welt setze. Es gehört dazu, dort fachlich zu diskutieren, wo es angebracht ist. Deswegen, glaube ich, wäre es gut gewesen, sich dort einzubringen. Genau dies ist nicht geschehen.

Der Landesjugendbericht wirft ein Schlaglicht auf den für viele junge Menschen schwierigen Übergang von der Schule in die Ausbildung und in den Beruf. Er benennt Zielgruppen, die hier einer besonderen Förderung bedürfen. Deswegen bin ich sehr froh – Herr Kollege Schebesta hat es vorhin angesprochen –, dass wir trotz unserer schwierigen Haushaltssituation die Möglichkeit haben, aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds ein mit 40 Millionen € ausgestattetes Förderprogramm für genau diese Zielgruppen durchzuführen: für junge Menschen mit Defiziten in der sozialen und kulturellen Integration, für Schulabbrecher, für junge Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht sind, und auch für junge Frauen, die mit geschlechtsspezifischen Hindernissen beim Übergang in den Beruf kämpfen. Das Förderprogramm „AKKU – Wir laden Projekte“ läuft seit Juli 2004 und wird in allen seinen Bausteinen vor Ort hervorragend angenommen.

Mit seinen weiteren inhaltlichen Schwerpunktthemen „Kinder- und Jugendarbeit,“ „Prävention“ und „Qualitätsentwicklung“ gibt der Landesjugendbericht wichtige fachliche Impulse für die Fortentwicklung und Qualifizierung der örtlichen Jugendhilfeplanung. Hier ist in den letzten Jahren schon viel geschehen, insbesondere in Richtung einer sozialräumlichen Ausrichtung der Jugendhilfe. Volker Schebesta hat das vorhin ebenfalls angedeutet.

Aber der Bericht zeigt uns auch, dass die Angebote für Jugendliche weiterentwickelt und verbessert werden können. Deshalb – das ist mir an dieser Stelle besonders wichtig – wollen wir als Land auch weiterhin zur konzeptionellen Entwicklung der Jugendhilfeplanung beitragen.

Der Beirat für soziale Jugendhilfe regt an, im nächsten Landesjugendbericht einen Fokus auf Einzelthemen der örtlichen Jugendhilfeplanung zu richten. Genau diese Anregung,

(Ministerin Tanja Gönner)

die auch im Bericht Ausdruck findet, wollen wir gern aufgreifen, weil wir glauben, dass es notwendig ist, im dritten Landesjugendbericht genau das zusammenzufassen, was vor Ort vorhanden ist. Dies sollte auch im Sinne einer Evaluation geschehen.

Im Rahmen der Verwaltungsreform wird ab dem 1. Januar 2005 das Landesjugendamt beim Kommunalverband für Jugend und Soziales geschaffen. Damit wird auf der überörtlichen Ebene ein landeseinheitliches Kompetenzzentrum geschaffen, das die Organisation vor Ort auf hohem fachlichem Niveau unterstützen wird.

Meine Damen und Herren, in dem Antrag Drucksache 13/3712 – Konsequenzen aus dem Landesjugendbericht – wird die im Landesjugendbericht behandelte Frage nach dem Verhältnis von Regelfinanzierung einerseits und Sonderprogrammen sowie Projektfinanzierung andererseits aufgeworfen. Das ist auch vorhin in den Wortmeldungen deutlich gemacht worden.

Für mich gibt es hier eine klare Trennlinie: Das Land finanziert gesetzlich festgelegte Aufgaben der Jugendhilfe. In meinem Ressort sind das insbesondere die Schulen für Erziehungshilfe und die Kostenerstattung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einem Volumen von insgesamt über 120 Millionen € im Jahr.

Die weiteren Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch VIII fallen grundsätzlich in die kommunale Zuständigkeit. Dennoch hat das Land im Rahmen seiner Möglichkeiten immer auch die kommunale Ebene dabei unterstützt, neue Arbeitsformen der Jugendhilfe zu etablieren und besonderen Aufgaben in sozialen Brennpunkten gerecht zu werden. Dies werden wir auch weiterhin im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten tun.

Aber ich sage auch deutlich, dass diese freiwilligen Leistungen des Landes keinen Anspruch auf eine Dauerförderung begründen können. Eine Projektfinanzierung hat – das sagt schon der Name – einen Anfang und ein Ende. Ich habe zwar volles Verständnis dafür, dass bei erfolgreichen Projekten der Ruf nach einer Dauerförderung laut wird; das ist immer der Fluch der guten Tat. Aber ich bitte im Gegenzug auch um Verständnis dafür, dass wir nicht unbegrenzt Leistungen erbringen können, die eindeutig der kommunalen Ebene zugeordnet sind. Ein Beispiel hierfür ist, wie angesprochen wurde, die Jugendsozialarbeit. Wie Sie alle wissen, mussten wir aufgrund der schwierigen Haushaltslage vorschlagen, die Landesförderung der Jugendsozialarbeit an Schulen ab dem Schuljahr 2005/2006 einzustellen.

Ich freue mich darüber, dass die FDP/DVP-Fraktion glaubt, dass die Wiederaufnahme der Landesförderung dargestellt werden kann. Die Förderung der Jugendsozialarbeit einzustellen ist uns nicht leicht gefallen, weil mit ihr benachteiligte junge Menschen beim Erzielen schulischer Erfolge unterstützt werden konnten. Ich sage aber auch, Jugendsozialarbeit an Schulen ist eine originär kommunale Aufgabe.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Bildung, Schule!)

Auch die Enquetekommission „Jugend – Arbeit – Zukunft“ empfahl nur eine zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung; dies ist Teil der Jugendhilfeplanung. An rund 170 Standor

ten mit so genannten Brennpunktschulen konnte so die Schulsozialarbeit für mindestens drei Schuljahre, zum Teil auch für sechs Schuljahre durch die finanzielle Unterstützung des Landes etabliert werden. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es genügend Kommunen gibt, die ohne den Landeszuschuss Jugendsozialarbeit an Schulen eingeführt haben.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Wenn das die einen können und als kommunale Aufgabe sehen, dann stellt sich schon die Frage, warum die anderen Jugendsozialarbeit plötzlich nicht als kommunale Aufgabe sehen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Also überlegen Sie mal, was Sie gerade gesagt haben!)

Da haben wir immer das Problem, dass man in dem Moment, wenn es dazu kommt, sagt, wir hätten hierfür gern weiterhin Geld. Es ist eine kommunale Aufgabe. Ich freue mich über jede Kommune, die die Arbeit fortführt. Auch vor dem Hintergrund der Frage der Gerechtigkeit gegenüber anderen ist es notwendig, das hier zu sagen. Wir bitten die Kommunen, dies entsprechend aufzunehmen.

(Abg. Fischer SPD: Da schieben wir die Verant- wortung hin und her!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wurde angesprochen, welche Auseinandersetzung es über den Bericht geben soll. Der Landesjugendbericht hat auf den verschiedenen Ebenen und in den unterschiedlichen Fachgremien eine lebendige Diskussion über die Aufgaben und die fachliche Herausforderung der Jugendhilfe ausgelöst. Er wird dies sicher – gerade in den Jugendhilfeausschüssen der Kreise – weiterhin tun, denn auch an diese richtet sich der Jugendbericht. Er leistet damit genau das, was dem Land durch das SGB VIII aufgegeben ist, nämlich die Weiterentwicklung der Jugendhilfe anzuregen und zu fördern. Wir wünschen uns, dass er in diesem Sinne verstanden wird. Wir gehen davon aus, dass dort dann auch die notwendigen Maßnahmen angegangen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, in der Aussprache liegt noch eine weitere Wortmeldung vor.

Herr Abg. Bayer, Ihre Redezeit beträgt noch 2 Minuten und 44 Sekunden.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Ministerin Gönner, wenn Sie aus diesem Bericht lediglich das herauslesen, was Ihnen gefällt und was Sie bestätigt,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

aber aus den formulierten Fragen und Problemen keine Konsequenzen ziehen, spricht dies nicht gerade dafür, dass Sie die Zukunftsaufgaben wirklich angehen wollen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Schebesta CDU: Das ist aber ko- misch, dass das schon vorbereitet ist!)

Wenn Sie den Begriff der Strukturentwicklung, der im Bericht immer wieder vorkommt, ernsthaft und ehrlich aufgreifen würden, wäre vieles völlig neu auf den Prüfstand zu stellen. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Das betrifft etwa die Wirkung der Nachhaltigkeit von Projekten und des Ausbalancierens der Regel- und der Projektförderung. Es ist nicht so, wie Sie gesagt haben, dass die Mittel einfach verteilt würden, sondern viele Verbände und Projekte müssen über die Projekte ihre Pflichtaufgaben finanzieren. Die Kür ist relativ gut und komfortabel ausgestattet. Aber für die Pflicht bleibt oft kein Geld übrig.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Es geht um eine völlig neue Formulierung von formaler, nicht formaler und informeller Bildung innerhalb des gesamten Bildungssystems. Dazu hat die Jugendhilfe einen Beitrag zu leisten. Davon habe ich nichts gehört. Es geht auch um die Frage nach dem Bildungsauftrag von Jugendhilfe insgesamt und in ihrer Verschränkung zur Schule. Auch davon habe ich nichts gehört.

Ich kann Sie nur auffordern, Frau Ministerin, sich vor diesen Herausforderungen nicht einfach nur wegzuducken, sondern auch die Strukturfragen und die Ressourcenfragen zu stellen.

Damit bin ich wieder bei der Schulsozialarbeit,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

deren Förderung Sie inzwischen fast auf eine symbolische Größe zusammengestrichen haben. Aber auch diese symbolische Größe ist lebensnotwendig für die Träger. Sie ist aber auch notwendig, um einen Paradigmenwechsel einzuleiten,

(Abg. Alfred Haas CDU: A wa!)

einen Paradigmenwechsel, den Sie offensichtlich nicht wollen, nämlich die Aussage: Schulsozialarbeit gehört zum Bildungsauftrag der Schule und wird aus diesem Grunde von Landesseite aus mitfinanziert.