Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

(Abg. Walter GRÜNE: Auch nicht immer!)

aber beim Handeln klaffen die Vorstellungen immer noch weit auseinander. Frau Ministerin, Sie wähnen sich ja immer an der Spitze der Bewegung. Da muss man einfach festhalten: Das entspricht schon lange nicht mehr den Tatsachen. Andere Bundesländer haben dieses Thema ohne Schnellschüsse, in großer Ernsthaftigkeit und Qualität aufgenommen und umgesetzt.

Als Beispiel nenne ich das Land Rheinland-Pfalz. Dort gibt es diese Verzahnung zwischen Kindergarten- und Grundschulbereich. Das hat Ihre Kollegin Doris Ahnen angepackt. Dort werden 8 Millionen € jährlich bereitgestellt, die zusätzlich im Bereich der Sprachförderung eingesetzt werden. Das Land Rheinland-Pfalz hat im Laufe des Jahres 2003 einen Orientierungsplan für frühkindliche Bildung und Erziehung in einem ganz breiten Dialog aller Beteiligten erarbeitet. Das wäre eine gute Anregung, Frau Ministerin: Frau Ahnen hat ihren Staatssekretär ein halbes Jahr lang durch das Land geschickt

(Heiterkeit der Ministerin Dr. Annette Schavan)

und gesagt, Praxisanregungen seien ausdrücklich willkommen.

(Zuruf des Abg. Pauli CDU)

Im Herbst 2004 ging dieser Bildungs- und Orientierungsplan, für alle verbindlich, in allen Kindergärten des Landes in die Umsetzung. So sieht es aus, wenn ein Land „Bildung von Anfang an“ ernsthaft unterstützt.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin es auch langsam leid, hier im Landtag alle paar Wochen das Gleiche zu diskutieren. Wir müssen in der Sache endlich vorankommen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es bei den Haushaltsplanberatungen abgelehnt, 6 Millionen € für Sprachförderung einzusetzen. Dann kommen Sie alle paar Wochen und sagen: „Jetzt, in ein paar Wochen, packen wir es aber endlich an.“ Der Ministerpräsident spricht von drei Wochen,

(Zuruf des Abg. Rückert CDU)

jetzt haben wir gehört, das komme im Kindergartenjahr 2005/2006. Das heißt, irgendwann vor der Sommerpause wird ein neues Feuerwerk entzündet.

(Abg. Zeller SPD: Rechtzeitig vor der Wahl!)

Das alles lässt nicht darauf schließen, dass Sie wirklich ernsthaft auf diesen Anfang setzen wollen, denn dafür dauert das alles immer noch viel zu lang. Was in unserem Land Not tut, Herr Kollege Noll, ist nicht, immer nur verbal zu fordern, was zu tun ist, sondern endlich – –

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Man muss Mehrheiten organisieren!)

Ja, genau! Aber ich dachte bisher eigentlich immer, Sie seien in der Regierung.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fischer SPD: Aber nicht bei allen Themen, Frau Wonnay! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Dazu braucht man ein Konzept, das diesen Namen verdient. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Frau Ministerin: Wir haben ausgezeichnete Grundlagen im Land, wir haben aktive Erzieherinnen, wir haben in vielen Einrichtungen hervorragende Ansätze im Bereich Bildung. Aber Sie müssen sich schon auch die Realität anschauen, was sich derzeit im Bereich der Gruppengrößen tut. Es ist ganz schwierig, in Gruppen von 28 und mehr Kindern Sprachförderung zu betreiben.

(Abg. Rückert CDU: Wo gibt es denn das: 28 Kin- der?)

Das gleicht wirklich oft der Quadratur des Kreises.

Was wir im Land Baden-Württemberg brauchen, ist ein entschlossenes Vorgehen und das Setzen auf diesen Anfang, auf diese wichtigste Bildungsphase. Das beinhaltet ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Das haben uns andere Länder vorgemacht, und Baden-Württemberg muss das endlich aufgreifen. Wir brauchen endlich einen Orientierungsplan für frühkindliche Bildung und Erziehung. Wir brauchen zumindest die Umsetzung des ersten Sprachförderkonzepts, das die interministerielle Arbeitsgruppe erarbeitet hat und das ein Anfang ist. Wir brauchen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Erzieherinnen. Wir wollen am mittleren Bildungsabschluss als Voraussetzung für den Beruf der Erzieherin festhalten, aber wir wollen in Stufen Aufbaumöglichkeiten schaffen. Beginnend bei den Leiterinnen, muss die Möglichkeit der Hochschulausbildung ausgebaut werden. Wer es ernst nimmt – und dem kann eigentlich ernsthaft niemand widersprechen –, dass der Bildungsabschnitt im Kindergarten der wichtigste ist, der kann nicht zu der Folgerung kommen: Wir belassen es in der Erzieherinnenausbildung bei dem, was wir haben. Das ist einfach unglaubwürdig im Vergleich mit anderen Bundesländern und mit anderen europäischen Ländern.

Wenn wir dann noch die pädagogische Qualität gestärkt und etwas für kleinere Gruppengrößen getan haben – denn wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass die Relation Kinder/Erzieherinnen ein Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung von Bildungskonzeptionen ist – und dann noch dahin kommen – und das will die SPD –, dass wir sagen, wir wollen die Bereiche Kindergarten und Grundschule noch verbindlicher verzahnen, wir wollen den Kindergarten stufenweise beitragsfrei stellen und damit beim letzten Kindergartenjahr beginnen, wir wollen das Scharnier zwischen Kindergarten und Grundschule verbindlich machen, wenn

wir das alles auf den Weg bringen, dann sind wir in BadenWürttemberg wirklich wieder vorbildlich. Dann zeigen wir, dass wir nicht nur darüber reden, sondern dass wir es anpacken, dass es auf den Anfang ankommt. Dann tun wir etwas dafür, dass alle Potenziale, die in unseren Kindern stecken, entfaltet werden können. Das tut unserer gesamten Gesellschaft gut, und das stärkt auch den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber kein Geeiere, sondern klare Ansagen!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kein Geeier, aber wenn man hier etwas sagt, dann bleibt es anscheinend umgehört. Ich habe vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir Liberale in der ganzen Diskussion über Kompetenzverteilung den großen Posten Landeserziehungsgeld schon lange vorschlagen. Da haben wir die kommunalen Landesverbände und übrigens auch den Landesfrauenrat an unserer Seite,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Warum haben Sie dann unserem Antrag nicht zugestimmt?)

die sagen: Das wäre ein richtiges Programm für die Familien.

Aber die Situation hat sich geändert. Liebe Frau Kollegin Lösch, Sie wissen ganz genau, dass man in Koalitionen einen Konsens finden muss.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Das heißt aber nicht, dass wir das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, sondern das ist ganz klar unsere Zielrichtung.

Weil wir aber wissen, dass das einen zeitlichen Vorlauf braucht, haben wir nicht, wie Sie behaupten, nur schöne Worte gemacht, sondern wir sind konkret geworden. Wir sind uns alle einig, dass das zentrale Thema Sprachförderung der Schlüssel ist. Denn wer ohne ausreichende Deutschkenntnisse in die Grundschule kommt, hat vom Start weg verloren; überhaupt keine Frage. Nun sind wir ja Gott sei Dank in der Lage gewesen, übrigens als erstes Land, mit Landesstiftungsmitteln für Sprachstandsdiagnosen und die spezielle Förderung von entwicklungsverzögerten Kindern tatsächlich einen Einstieg zu schaffen. Nun wissen wir auch, dass dies nicht dauerhaft sein kann. Es gilt aber immerhin für die nächsten Jahre, bis wir hoffentlich den Übergang zu einer ständigen Finanzierung schaffen. Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Abg. Drexler SPD: Nein!)

Bei der Ausweitung des niederschwelligen Angebots, die über die HSL-Maßnahmen möglich sein soll, handelt es sich auch um überschaubare Haushaltsbeträge.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: 6 Millionen €!)

Ja, 6 Millionen €, über drei Jahre.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das haben wir ja bei den Haushaltsberatungen gemerkt!)

Abwarten!

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Wir warten schon sehr lange ab!)

Wir haben einen Doppelhaushalt. Wir werden im Laufe dieser zwei Jahre an der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit noch nachbessern müssen.

(Abg. Drexler SPD: Nach der Wahl oder vor der Wahl?)

Auch da bitte ich einfach um ein bisschen Geduld, damit wir solche Dinge, die in einem überschaubaren finanziellen Rahmen liegen, noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen können.

Jetzt komme ich zum Thema „Qualifikation der Erzieherinnen“. Da darf ich aus dem Landesfamilienbericht der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle zitieren. Dieser Bericht geht allerdings auf das Jahr 2003 zurück; er wurde 2004 veröffentlicht. Da steht ausdrücklich, dass die größte Herausforderung die Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen sei. Dazu zählt natürlich die Förderung der Sprachentwicklung. Wörtlich steht in dem Bericht:

Hierzu müsse das Erziehungspersonal weiter qualifiziert werden. Angesichts der Ansprüche an die Erziehung und Bildung in Tageseinrichtungen schienen Entlohnung und Leistung nicht übereinzustimmen.

Offizieller Landesfamilienbericht, von der Landesregierung vorgelegt.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Fi- scher SPD: Frau Ministerin Gönner, sind Sie nicht damit einverstanden, was er sagt?)

Das zeigt natürlich schon, dass wir dem Thema „Qualifizierung von Erzieherinnen“ – Sie haben Gott sei Dank zugegeben, dass schon heute qualitätsvolle Arbeit geleistet wird – angesichts der zunehmenden Herausforderungen – übrigens nicht nur, was die Kinder betrifft, sondern auch, was die Elternarbeit betrifft – hohe Priorität beimessen. Es ist ja ein zentrales Anliegen, die Eltern auch im Sinne der Integration in die Arbeit einzubinden. Dafür ist wirklich zusätzliche Qualifizierung notwendig. Das gilt sowohl für diejenigen, die schon jetzt im Beruf sind, indem sie weiterqualifiziert werden, als auch für die Integration in die Erstausbildung der Erzieherinnen.

Ich bitte auch darum, diesen ewigen Quatsch von „Akademisierung“ oder was auch immer einmal wegzulassen. Vielmehr muss gesehen werden: Einerseits darf die Hürde des Zugangs zum Beruf der Erzieherin nicht so hoch gelegt werden, dass viele der jungen Menschen bei uns überhaupt keine Chance haben, diesen Beruf zu erlernen.

(Abg. Drexler SPD: Das ist ein guter Satz!)