Protokoll der Sitzung vom 26.09.2001

Das Wort in der Aussprache erhält nun Herr Abg. Dr. Glück.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorschlag der EU, welcher Staat für einen gestellten Asylantrag letztlich zuständig sein soll – ich erspare mir die lange Überschrift –, ist die Fortschreibung der Verträge von Dublin und von Amsterdam – letztlich zur Harmonisierung der Flüchtlings- und

Einwanderungspolitik in der EU. Künftig ist nur noch der Staat für einen Asylsuchenden zuständig, in dem der erste Antrag gestellt worden ist. Durch den Kommissionsvorschlag soll unter anderem Asylmissbrauch verhindert werden; deutliche Defizite des Dubliner Abkommens sollen durch ihn beseitigt werden, und schnell soll der jeweils zuständige Staat gefunden werden. Nicht entscheidend dabei – und das ist ganz wichtig – ist der Wille des Asylsuchenden. Der Staat, der für ihn verantwortlich ist, wird ihm letztlich vorgegeben.

Positiv an dem Vorschlag ist nach unserer Auffassung, dass neue Kriterien eingeführt werden. So werden die Staaten, die illegale Einwanderung nicht entsprechend bekämpfen, bestraft und zu Konsequenzen gezwungen; denn für den Asylsuchenden ist letztlich der Staat zuständig, in dem ein Drittstaatenangehöriger länger als zwei Monate geduldet worden ist bzw. illegal sechs Monate und länger gelebt hat.

Problematisch erscheint uns, dass die Länderforderung nicht erfüllt wurde, ein Verteilungssystem nach Quoten einzuführen. Das haben die anderen Staaten, leider aber auch die Bundesrepublik abgelehnt. Umso wichtiger war daher die Errichtung eines EU-Flüchtlingsfonds, mit dem die Europäische Union Projekte für die Aufnahme und die freiwillige Repatriierung von Flüchtlingen und Vertriebenen, von Asylbewerbern finanziert.

Um eine gleichmäßige Belastung aller Mitglieder zu erreichen, muss weitestgehend ausgeschlossen werden, dass sich Asylbewerber ihren Aufenthaltsstaat selbst suchen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung – Feinabstimmungen müssen selbstverständlich noch vorgenommen werden –, dass dies insgesamt zur Rechtssicherheit beiträgt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, wem darf ich für die Fraktion GRÜNE das Wort erteilen? – Frau Abg. Bauer, Sie erhalten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die vorliegende Verordnung der EUKommission soll künftig regeln, welches EU-Land für einen Drittstaatenangehörigen, der einen Asylantrag stellt, jeweils zuständig ist. Mit dieser neuen Verordnung soll das Dubliner Abkommen abgelöst werden.

Was unterscheidet eigentlich in der Substanz die vorgeschlagene neue von der alten Regelung? Unseres Erachtens hat sich die Zielrichtung grundlegend verändert. Das bisher geltende Dubliner Abkommen sollte – und darin entsprach es den Interessen vieler Mitgliedsländer in der EU und auch den Interessen von Baden-Württemberg – dafür sorgen, dass Asylbewerber möglichst gleichmäßig auf die EULänder verteilt werden. Das ist bislang nicht erreicht worden. Die neue Verordnung zielt dagegen in eine ganz andere Richtung. Wir Grüne begrüßen das; denn die Intention des Entwurfs der EU versucht, neue Schwerpunkte zu setzen, die sinnvoll sind. Im Vordergrund stehen jetzt vier Ziele.

Erstens: Es soll garantiert werden, dass jeder Asylbewerber tatsächlich Zugang zu einem Asylverfahren innerhalb der EU hat.

Zweitens: Das Verfahren der Klärung, welches EU-Land für einen Asylantrag zuständig ist, soll transparenter gestaltet werden.

Drittens: Die Zuständigkeiten sollen eindeutiger festgelegt werden, und damit soll eine größere Schnelligkeit sichergestellt werden. Insgesamt zielt die Verordnung also auf mehr Effizienz. Durch diesen Gewinn an Effizienz sollen Möglichkeiten zum Missbrauch reduziert werden.

Der vierte Punkt: Dem Recht auf Familienzusammenführung soll auch für Asylbewerber ein größeres Gewicht als bisher zukommen, indem das Asylverfahren in dem Land durchgeführt werden soll, in dem schon Familienangehörige des Asylbewerbers leben.

Die EU-Kommission zielt mit diesem Entwurf auf eine Anhebung humanitärer Standards bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Effizienz. Das hilft sowohl den Asylbewerbern als auch den Aufnahmeländern. Daher begrüßen wir Grüne diesen konstruktiven Vorschlag der EU-Kommission; denn es ist sinnvoll, dass bei weniger Bürokratie gleichzeitig den legitimen Interessen der Betroffenen besser entsprochen wird.

(Beifall bei den Grünen)

In diesem Zusammenhang äußert die Landesregierung die Befürchtung, die so genannten Belastungen seien ungleich verteilt, weil Länder unterschiedlich viele Flüchtlinge aufnehmen. Dem möchte ich zwei Argumente entgegenhalten.

Zum einen: Deutschland ist – das ist auch eben von der SPD-Kollegin erwähnt worden – nicht mehr in der Position, dass es im EU-Vergleich besonders viele Flüchtlinge aufnimmt. Wir befinden uns inzwischen im EU-Vergleich auf Position 9. Die von Ihnen gewünschte so genannte gleichmäßige Verteilung würde also dazu führen, dass wir mehr Asylbewerber als bisher aufnehmen müssten.

Zweitens: Um mögliche Ungleichheiten, die zwischen den EU-Ländern entstehen könnten, auszugleichen, ist es doch allemal sinnvoller, finanzielle Ausgleichsmechanismen einzuführen, anstatt Menschen über die EU zu verteilen und zu verschicken. Für Ausgleichszahlungen ist der EUFlüchtlingsfonds ein gutes Beispiel. Von diesen Geldern hat ja auch schon Baden-Württemberg für die Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen profitiert.

Insgesamt halten wir Grüne den vorgelegten Entwurf für einen guten Beitrag auf dem Weg zu einem gemeinsamen Asylsystem der Europäischen Union.

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Diskussion und zu der Vorlage aus dem Innenministerium machen. In dieser Diskussion ist ein Begriff aufgetaucht, den wir so nicht unkommentiert stehen lassen wollen. Das Innenministerium spricht davon, dass auch künftig „Asylshopping“ verhindert werden müsse, um eine möglichst gleichmäßige Belastung der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Wir finden,

dass ein solcher Sprachgebrauch zutiefst zynisch und beleidigend für die Menschen ist, die Schutz vor Verfolgung suchen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Döpper CDU: „Hopping“!)

Das ist nicht nur eine Zumutung gegenüber den betroffenen Menschen, sondern das ist auch eine Diskreditierung des gesamten Grundrechts auf Asyl. Ich meine, wir sollten eine solche Verrohung der Sprache nicht zulassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dieser Vorschlag für eine Verordnung der Kommission bringt uns nicht das Problem, dass damit im Vergleich zur bisherigen Rechtslage eine bedeutende, wesentliche Verschlechterung einherginge. Unser Problem besteht vielmehr darin, dass die Verordnung die Erwartungen, die wir an sie gerichtet haben, überhaupt nicht erfüllt.

Es geht – das ist schon gesagt worden – um Folgendes: Bisher – und das ist auch schon nach dem Dubliner Übereinkommen so, daran ändert auch der Entwurf dieser Verordnung nichts – richtet sich die Zuständigkeit für einen Asylbewerber innerhalb der Europäischen Union danach, in welchem Staat der Europäischen Union der Asylbewerber zuerst angekommen ist. Dies ist schon nach dem Dubliner Übereinkommen so, und daran ändert sich auch nach der jetzt vorgeschlagenen Verordnung nichts.

Wir hingegen hatten die Hoffnung – vor allem hatten wir gehofft, dass sich die Bundesregierung mit allem Nachdruck dafür einsetzen würde; das hat sie leider nicht getan –, dass die neue Verordnung eine andere Regelung, einen anderen Verteilungsmaßstab einführen würde, wonach sich die Zuständigkeit nach einer angemessenen, fairen Quote für die Aufnahme von Asylbewerbern innerhalb der Staaten der Europäischen Union richtet. Das war unser Kernanliegen, und dieses Kernanliegen wird mit der Verordnung bedauerlicherweise nicht erfüllt. Damit ist die Verordnung – um das noch einmal zu sagen – kein Rückschritt im Vergleich zum Dubliner Übereinkommen – dort war ja die Regelung auch schon so –, aber sie ist eben auch nicht der Fortschritt, den wir eigentlich erhofft hatten.

Vor allem die Damen Utzt und Bauer haben schon angesprochen: Wenn wir uns die Verteilung der Asylbewerber innerhalb der Europäischen Union so wünschen, wie zum Beispiel auch die Verteilung der Asylbewerber unter den deutschen Bundesländern erfolgt – also nach einem bestimmten Schlüssel –, dann kann dies natürlich für uns auch einmal nachteilig sein. Das ist ganz klar. In der Vergangenheit wäre es zugegebenermaßen immer ein Vorteil gewesen, momentan – das ist aber eine Momentaufnahme; Frau Utzt hatte das, glaube ich, erwähnt; da haben Sie Recht – liegen wir pro Kopf bei der Aufnahme an neunter Stelle. Aber, wie gesagt, das ist eine Momentaufnahme.

Nur – und deshalb hat die Landesregierung schon mit Absicht die Bewertung dieses Vorschlags abgegeben –: Wenn man wie wir der Auffassung ist, dass ein klarer Schlüssel für die Aufnahme von Asylbewerbern unter den Staaten der Europäischen Union das einzig Faire ist, dann muss man dieses Prinzip gegebenenfalls auch einmal gelten lassen, wenn es für uns – wenigstens zeitweise – ungünstig wäre. Allerdings ist klar, dass Deutschland – zwar nicht aktuell, aber in der Vergangenheit – bis zum Jahr 2000 die größte Last getragen hat. Deshalb unsere Forderung nach einem Schlüssel, nach einer Quote, vergleichbar mit der Regelung, die wir innerhalb Deutschlands haben.

Ich habe schon im Innenausschuss gesagt, dass ein anderes Thema dahintersteckt. Wir können dem Prinzip der Einstimmigkeit eines Tages nur beitreten – – Herr Kollege Heinz, es ist übrigens nicht so, dass automatisch mit Ablauf des Jahres 2004 das Einstimmigkeitsprinzip nicht mehr gilt. Beim Flüchtlingsthema ist davon ja eine Ausnahme gemacht worden. Aber wir kommen bei diesem Thema „Flüchtlinge, Asylbewerber“ überhaupt nur zu einem Einstimmigkeitsprinzip, wenn die Europäische Union vorher eine klare, faire Lastenverteilung vorgenommen hat. Sonst wird man nie zu diesem Einstimmigkeitsprinzip kommen. Deshalb ist es schon außerordentlich wichtig, für die Frage, wie Asylbewerber verteilt werden, innerhalb der Europäischen Union eine faire Lösung zu finden. Sonst wird es dabei nie zu einer Einigung kommen können.

Ich will Ihnen jetzt noch ein paar Zahlen mit auf den Weg geben, die das vielleicht noch einmal verdeutlichen.

Frau Bauer, zuvor darf ich an Ihre Adresse noch etwas sagen. Das hätte Ihnen eigentlich der Kollege Oelmayer schon sagen sollen. Der Ausdruck „Asylshopping“ – –

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Habe ich, Herr Minis- ter!)

Aber Sie haben nichts bewirkt. Dann geht es Ihnen wie mir zu Hause mit meiner Frau: Sie hört nie auf mich.

Der Ausdruck „Asylshopping“ wird erstens von der Bundesregierung und zweitens auch von der Kommission verwandt. Er kommt nicht von uns.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Der Ausdruck trifft auch den Kern der Sache, weil nach dem bisherigen Modus etliche Asylbewerber natürlich dazu neigen, in den Staat zu gehen, in dem die Sozialleistungen am höchsten sind. Das ist erwiesen, und es ist richtig, dass auch die Europäische Kommission dies noch einmal betont. Der Ausdruck kommt von dort.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Sie hat nicht behauptet, dass er von Ihnen komme! Aber Sie verwenden ihn!)

Normalerweise dürfte eigentlich die Fraktion GRÜNE nichts dagegen haben, dass wir die Terminologie der Bundesregierung hier im Land Baden-Württemberg verwenden.

(Beifall bei der CDU)

(Minister Dr. Schäuble)

Allerdings haben wir im Innenausschuss schon gesagt: Der Ausdruck wird wahrscheinlich mehr von Herrn Schily als von Herrn Trittin verwendet werden.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Sehr gut!)

Ich darf aber – wir stehen ja kurz vor dem Ende der Plenarsitzung; ich will sie nicht unnötig verlängern – noch zwei, drei Zahlen nennen, die unser Anliegen belegen.

Wenn sich heute die Zuständigkeit danach richtet, in welches Land innerhalb der Europäischen Union der Asylbewerber zuerst gekommen ist, dann haben wir ja auch immer wieder den Fall, dass Deutschland sagt: Bevor er nach Deutschland kam, war er zum Beispiel schon in Italien oder in Spanien oder in Frankreich. Doch in einer solchen Situation müssen wir an den betreffenden Staat ein Rückübernahmeersuchen richten, und dann haben wir die Beweislast. Da liegt im Grunde genommen der Hund begraben.

(Abg. Teßmer SPD: Welcher Hund?)