Protokoll der Sitzung vom 27.04.2005

Meine Damen und Herren, Bildung und Betreuung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Bildung ist Voraussetzung für Arbeit, eine Quelle für Innovation, Qualität und Fortschritt. In die Köpfe der Menschen zu investieren heißt, in die Zukunft zu investieren. Dies werden wir tun. Weil Bildung und Betreuung zusammengehören, streben wir eine stärkere Verknüpfung von Betreuung und Schule an.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Ich beabsichtige, die Zuständigkeit für die Kindergärten und die vorschulische Bildung auf das Kultusministerium zu übertragen. Im Gegenzug bündeln wir die Aufgaben im Bereich der Jugendarbeit beim Sozialministerium.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Wenn wir Bildung und Betreuung als die entscheidende Aufgabe der nächsten Jahre ansehen, brauchen wir eine Aufgabenpartnerschaft von Land, Kommunen, Kirchen und freien Trägern und die Elternarbeit. Dies neu zu justieren wird der Schwerpunkt unserer Arbeit in der Zeit bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Im Grundsatz trägt das Land Verantwortung für die Bildung, und die Kommunen tragen Verantwortung für die Betreuung. Doch die Grenzen sind fließend. Schon im Mai werden wir uns mit den kommunalen Landesverbänden treffen. Mir geht es um die Übereinstimmung beim Konzept, bei der Aufgabenträgerschaft und bei der Finanzierung. Ich will eine faire Kosten- und Aufgabenteilung. Ich will gegen die Kommunen nicht vor Gericht ziehen und von ihnen nicht vor Gericht gezogen werden. Wir wollen das Beste für unsere Kinder. Meine Devise heißt: enge Kooperation zwischen Schulen, Kindergärten und Betreuungskräften vor Ort, Klarheit und Verlässlichkeit bei der Finanzierung auf Landesebene. Ich strebe einen Pakt zwischen Land und Kommunen noch in den nächsten Monaten an.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Was heißt das konkret?)

Ich komme darauf.

Mit dem Konzept „Kinderfreundliches Baden-Württemberg“ hat das Land bereits einen wichtigen Beitrag zum bedarfsgerechten Ausbau der Kleinkindbetreuung in Kindergärten, Krippen und durch Tagesmütter erreicht. Doch wir sind längst noch nicht am Ziel. Wir wollen weitermachen und sicherstellen, dass in den Kommunen die notwendige Feststellung des Bedarfs und der Ausbaustufen für die Kleinkindbetreuung entsprechend den bundesgesetzlichen Vorgaben erfolgen kann.

Wir wollen in Abstimmung mit den Kommunen und den Kirchen das Kindergartengesetz entsprechend anpassen. Wir werden uns nochmals mit den Kindergärten und Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet be

fassen. Ich setze noch immer eine einvernehmliche Lösung voraus.

(Abg. Drexler SPD: Dazu haben wir alles gesagt!)

Wir wollen erreichen, dass Betreuungsangebote im Kindergartenalter, die ortsübergreifend sind – von Kirchen oder von Betrieben getragen, Waldkindergärten, Waldorfkindergärten –, auch in Zukunft die gleiche Bedeutung behalten. Hier stehen die Kommunen in der Verantwortung. Nötigenfalls handelt das Land. Wir warten hier noch einige Zeit ab.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Lachen des Abg. Drexler SPD – Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Die bisherige Regierung hat vor einigen Wochen ein Programm zur vorschulischen Sprachförderung auf den Weg gebracht. Dieses Sprachförderprogramm leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Schulreife unserer Kinder – vor allem von Kindern, die aus dem Ausland kommen. Für alle Kinder insgesamt ist dies ein wichtiges Angebot. Wir werden das Programm in den nächsten Wochen umsetzen und beobachten, wie die Reaktion darauf ist.

Darüber hinaus möchte ich eine breite Debatte über den Bildungsauftrag des Kindergartens anstoßen.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Der Kindergarten ist nicht nur für die Betreuung da. Zu seinen Aufgaben gehört es – in Zukunft verstärkt – auch, die Kinder frühzeitig an die Anforderungen der Schule heranzuführen. Wie dies geschehen soll, werden wir im „Orientierungsrahmen für Bildung und Erziehung“ festlegen, der im Sommer dieses Jahres vorgelegt wird.

Unter der Überschrift „Konzept ,Schulreifes Kind‘“ möchte ich folgenden Gedanken hier einbringen, der debattiert werden muss: Alle Kinder nehmen im letzten Jahr – so mein Vorschlag – vor dem Schuleintritt ein besonderes pädagogisches Angebot wahr, das sich auf die Erlangung der Schulreife ausrichten soll. Dieses pädagogische Angebot umfasst etwa acht Wochenstunden und soll von den örtlichen Kindergärten in Kooperation mit den Grundschulen umgesetzt werden. Da die Teilnahme an diesen acht Stunden pro Woche verpflichtend sein soll, müssen auch die Kinder an diesem Programm teilnehmen, die ansonsten keinen Kindergarten besuchen. Ich glaube, dass diese acht Stunden zielführend sind, wenn es um die Schulreife aller Kinder am ersten Schultag in Baden-Württemberg geht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die acht Wochenstunden sollen zum Teil von den Erziehungskräften der Kindergärten, zum Teil auch von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern erbracht werden. Durch diese personelle Verzahnung hätten wir für die Kinder den großen Vorteil erreicht, dass sie spielerisch und logisch an die Schule herangeführt werden. Dieses schlage ich hiermit ausdrücklich vor.

Den Eltern dürfen durch dieses Konzept keine Kosten entstehen. Deswegen werden wir in den nächsten Jahren für das Konzept „Schulreifes Kind“ Ressourcen aus dem Schul

(Ministerpräsident Oettinger)

bereich bereitstellen, die aufgrund der sinkenden Kinderzahlen in den nächsten Jahren hier im Land Baden-Württemberg zur Verfügung stehen. Wir werden das Konzept „Schulreifes Kind“ ausarbeiten, mit den kommunalen Landesverbänden besprechen und eine breite Diskussion mit Kirchen, Verbänden, der Elternschaft und auch mit Ihnen hier im Landtag führen. Wir wollen dadurch erreichen, dass die Erlangung der Schulreife unserer Kinder in den nächsten Jahren ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Auch in der Schule, in jeder Schulart, für jedes Alter, brauchen wir verstärkt Angebote zur Ganztagsbetreuung. Der erste wichtige Schritt war die Schaffung von Ganztagsschulen in sozialen Brennpunkten. Das haben wir erreicht. Diese Entscheidung war richtig. Zwischenzeitlich bauen wir über die Brennpunktschulen hinaus das Angebot schrittweise aus. Es geht uns darum – –

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Mit Geld vom Bund! Mit Geld von der Bundesregierung!)

Kein Problem, Frau Kollegin, kein Problem. Zu wenig Geld? Falsch gerechnet in Berlin!

(Abg. Drexler SPD: Falsch gerechnet? Sie wollten das Geld vom Bund doch gar nicht nehmen! – Un- ruhe bei der SPD – Zurufe von der SPD)

Aber das Geld ist in Baden-Württemberg sinnvoll eingesetzt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die nächsten Jahre geht es darum, ein flächendeckendes, bedarfsorientiertes Angebot an Ganztagsschulen zu schaffen und die Ganztagsschule konzeptionell weiterzuentwickeln. Dies wird Schritt für Schritt im Rahmen der Haushalte die Aufgabe der nächsten Jahre sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Schule, Bildung und Betreuung – das sind nicht nur Aufgaben des Staates, sondern Aufgaben der gesamten Gesellschaft. Unser Ziel ist es dabei – bei einer Ganztagsschule als Angebot im Land an die Eltern entsprechend der Nachfrage, wobei Wahlfreiheit bestehen muss –, Vereine, Verbände und Kirchen in die Ganztagsbetreuung zu integrieren.

(Abg. Fleischer CDU: Sehr gut!)

An vielen Schulen geschieht das schon heute. Wir wollen unsere Schulen für engagierte Bürgerinnen und Bürger noch viel weiter öffnen. Sie sollen nach einer entsprechenden Schulung und Qualifizierung als „Jugendbegleiter“ in der Ganztagsbetreuung mitarbeiten können. Ich setze auf Hauptamt und qualifiziertes Ehrenamt. Ich baue auf die Jugend-, Vereins- und Verbandsarbeit, auf die Kirchen, die in der Schule ein wichtiger Faktor für die Erziehung, die Bildung, die Betreuung, die Freizeitgestaltung der Jugend sein können. Dies wird unser Konzept sein. Dieses Angebot mache ich jedem Verein vor Ort, jedem Verband landesweit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir bekommen so eine neue Qualität der Integration von Schule und Gesellschaft. Von einer „Entprofessionalisierung der Betreuung“ kann dabei keine Rede sein. Im Gegenteil, wer als Übungsleiter im Sport junge Menschen zu Leistungen anspornt, ihnen schon heute Freude und Disziplin vermittelt, wer als Gruppenleiter im kirchlichen Bereich Kinder und Jugendliche zur Reflexion über ihr Leben anregt, wer als Musiker eine Band auf die Beine stellt und aus 50 Einzelstimmen einen Chor formt – wer all das kann, der hat mit Sicherheit auch die nötige Befähigung und das Talent, um als „Jugendbegleiter“ in der Ganztagsschule Partner der Lehrerin, des Lehrers und des Schulleiters zu sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Der Staat und die Schulen wären schlecht beraten, wenn wir diese Talente in der Mitte unserer Gesellschaft nicht nutzen und fördern und in der Schule zu einem Faktor und Partner machen würden.

In unserem Land gibt es auch viele rüstige Jungsenioren, Väter und Mütter, die sich mit ihrem Können, mit ihrer Lebenserfahrung, ihrer Liebe zu Kindern, ihrer Persönlichkeit in schulische Projekte einbringen wollen.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Wir laden alle, Jung und Alt, Frauen und Männer, zur Mitwirkung bei der Betreuung in der Schule als Partner des Lehrers in der Zukunft ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Dann könnt ihr ja die Päda- gogischen Hochschulen schließen!)

Unsere neuen Ganztagsschulen sind offene Angebotsschulen. Das heißt, die Teilnahme an der Ganztagsbetreuung an diesen Schulen ist keine Pflicht. Wir werden die Freizeit junger Menschen nicht verstaatlichen, wir werden sie auch nicht ganztags verschulen. Wir bieten uns dem an, der Entlastung braucht.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Wir wollen nicht die Zwangsganztagsschule, wir wollen die Ganztagsschule als offenes Angebot, über dessen Nutzung die Familie für sich selber entscheiden muss.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Unsere Ganztagsschulen haben einen hohen pädagogischen Anspruch. Deshalb werden wir den Menschen, die hier mitwirken sollen, eine entsprechende Schulung anbieten. Im Sport gibt es schon jetzt den Übungsleiterschein, für den man sich qualifizieren muss. Es gibt im Verbandswesen Akademien, Sportschulen und anderes. Wir wollen für jeden, der in der Schule mitwirkt, als Bildungsvoraussetzung den „Qualipass“. Erst dann kann er als „Jugendbegleiter“ in der Schule ein Faktor sein.

Bei der Honorierung dieser „Jugendbegleiter“ werden wir uns an der Übungsleiterpauschale des Sports orientieren. Hier kann man mit einem überschaubaren Betrag im Haushalt erreichen, dass viele tausend Menschen im Land qualifiziert, engagiert, mit Verstand und Herz Partner der Lehrer