Protokoll der Sitzung vom 01.06.2005

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

sondern wir wollen gerade auch in Biosphärengebieten – das sage ich jetzt ganz bewusst – die Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Menschen und der Nutzungsformen und der Nutzungsarten gewährleisten.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das wäre im Reservat auch geschehen!)

Das sind im Regelfall Kulturlandschaften, und weil es Kulturlandschaften sind, bedürfen sie auch der entsprechenden Nutzung. Deshalb ist der statische Ansatz, Herr Kollege Caroli, schon falsch.

Ich brauche allein die letzten 10 bis 20 Jahre zu betrachten. Ich könnte auch 40 Jahre nennen. Dabei stelle ich fest, dass

(Minister Hauk)

sich unsere Vegetation allein durch die Klimaveränderungen, die sich in dieser Zeitspanne ergeben haben, verändert hat. Diese Klimaveränderungen sind nicht zu bestreiten. Die Klimaextreme haben zugenommen, aber auch eine sukzessive Verlängerung der Vegetationsperiode um eine Größenordnung von 14 Tagen ist in den letzten 40 Jahren eingetreten. Das ist erheblich. Zwei Wochen sind erheblich.

Dies bezieht sich beispielsweise auch auf Veränderungen im Luftstickstoffeintrag, der ja einen Einfluss auf die Vegetation und die Bodenbildung hat. Da werden wir uns dann entweder Maßnahmen eines statischen Schutzes einfallen lassen müssen, oder wir werden eines Tages zu der Überlegung kommen müssen, auch hier unter dem Strich die Dynamik zuzulassen. Auf diese Frage – das sage ich ganz offen – habe ich heute keine Antwort. Sie stellt sich jetzt noch nicht in ihrer letzten Dringlichkeit. Aber man muss zumindest darauf hinweisen, dass Dynamik auch deshalb angebracht ist.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister Hauk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Caroli?

Bitte schön, Frau Präsidentin.

Bitte sehr, Herr Dr. Caroli.

(Abg. Alfred Haas CDU: Jetzt kommt der Planwirt- schaftler!)

Herr Minister Hauk, haben Sie zur Kenntnis genommen,

(Abg. Alfred Haas CDU: Nein!)

dass es bei modernem Naturschutz keine Käseglocke mehr gibt, dass alle, die sich für den Naturschutz einsetzen, die Menschen mitnehmen wollen und insofern ein dynamisches Konzept vertreten und dies auch von der Landesregierung einfordern?

(Abg. Alfred Haas CDU: Das machen wir!)

Sind Sie deshalb mit mir der Meinung, dass sich das, was Sie an Vorwürfen angeführt haben, bereits erübrigt hat?

Herr Kollege Caroli, schon allein deshalb, weil auch Begriffe Systeme prägen, wollen wir kein Reservat, sondern ein Gebiet. Das ist die ganz einfache Antwort darauf.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Das ist keine Antwort! – Abg. Kiefl CDU: Wir machen das doch seit 30 Jah- ren!)

Meine Damen und Herren, es hätte übrigens auch nicht der Initiative durch den Antrag der SPD-Fraktion bedurft, ein solches Biosphärengebiet – Sie haben „Reservat“ geschrieben – in das Naturschutzrecht des Landes mit aufzunehmen. Wir hatten das ohnehin geplant.

Wir wollen die Gelegenheit dazu nutzen, das Gesetz zu entschlacken, also unter dem Strich auch auf Verordnungsermächtigungen und Genehmigungsvorbehalte zu verzichten. Ich sage auch ganz offen: Wir haben vor – im Gesetzentwurf ist das bereits enthalten –, auch das Parlament in den wesentlichen Teilen einer solchen Novelle, nämlich beispielsweise dann, wenn es – Stichwort Ökokonto – um die Frage des Ausgleichs und insbesondere um Ausgleichsleistungen geht, stärker mit einzubeziehen, sodass es letztendlich nicht nur auf Verordnungen der Regierung einwirkt, sondern hierzu auch parlamentarische Abläufe mit eingebaut werden.

Wer nun meint, wir würden in Baden-Württemberg nur ein Minimalprogramm fahren, den muss ich enttäuschen: Wir haben nämlich die bewährten Standards, Herr Kollege Caroli, im Landesrecht beibehalten, und zwar auch dann, wenn sie über das bisher schon geltende Bundesrecht sowie über das neue Bundesrecht hinausgehen. Dies gilt zum Beispiel bei der Verbandsbeteiligung. Darüber hinaus haben wir Bereiche in die Novellierung aufgenommen, die im Bundesrecht gar nicht erwähnt sind, wie zum Beispiel das für unser dicht besiedeltes Land so wichtige Thema des Flächenressourcenmanagements. Ziel ist dabei die Erhaltung von großflächig zusammenhängenden, unzerschnittenen Landschaftsteilen.

Ebenso haben wir in die Grundsätze den Vorrang der Innenentwicklung vor der Zersiedelung des Außenbereichs aufgenommen. Ich sage ganz offen: Dabei ist es von Vorteil, dass auch der Bereich des Naturschutzes beim Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum ressortiert, da wir die größten Flächen eben in den eher dünner besiedelten ländlichen Räumen haben. Als Erkenntnis aus unserem Modellprogramm MELAP, dem Modellprogramm zur Stärkung dörflicher Innenbereiche, haben wir die Zielsetzung, möglichst wenig Flächenressourcen im Außenbereich zu verbrauchen und daher verstärkt auf die Innenentwicklung unserer Dörfer zu setzen,

(Abg. Rüeck CDU: Das ist der richtige Weg!)

in der Konsequenz auch im Naturschutzgesetz verankert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der richtig Weg.

(Abg. Kiefl CDU: So ist es!)

Man darf den Leuten nicht nur Steine statt Brot geben, indem man Rechtsverordnungen und Gesetze erlässt, sondern man muss ihnen auch den dazu notwendigen Handlungsrahmen geben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sehr richtig!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Stillstand gibt es seit dem Jahr 2003 auch nicht beim PLENUM, einem der bisherigen Markenzeichen baden-württembergischer Naturschutzpolitik. Wir haben mit PLENUM, wenn man so will, eine neue Dimension der Naturschutzpolitik erreicht und einen integrativen Ansatz verfolgt. Mit diesem Ansatz sind wir Vorreiter in Deutschland und haben damit auch Modellwirkung für andere Bundesländer. Denn, meine Damen und

(Minister Hauk)

Herren, was ist das Programm „Regionen Aktiv“, auf das Frau Künast, Herr Kollege Walter, so stolz ist, anderes als ein abgewandeltes PLENUM-Programm?

(Abg. Walter GRÜNE: Das hat doch auch nie je- mand bestritten! Das spricht doch nicht gegen „Re- gionen Aktiv“!)

Das Programm PLENUM hat sich in den fünf Gebieten ordentlich entwickelt. Wir ermöglichen so eine nachhaltige Regionalentwicklung, von der nicht nur der Naturschutz, sondern auch die Gemeinden, das Tourismusgewerbe und nicht zuletzt die Land- und Forstwirtschaft profitieren. Ich sage aber auch dazu, dass wir natürlich die PLENUM-Projekte evaluieren müssen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wir müssen schauen, ob sie von der Größe und der Zusammensetzung her für genau die Synergieeffekte, die wir haben wollen, auch ausreichen. Und noch etwas sage ich dazu: Wir müssen auch in der Frage der Projektförderung bei PLENUM Ernst machen,

(Abg. Walter GRÜNE: Ihr habt doch gar kein Geld mehr für zusätzliche Dinge!)

indem wir in Zukunft in Teilbereichen angesichts unserer Haushaltslage Anschubfinanzierungen geben und diese unter dem Strich degressiv ausgestalten. Wenn die Anschubfinanzierung nicht dazu geeignet ist, ein Projekt zum Laufen zu bringen, dann ist das Projekt es auch nicht wert, oder es müssen besondere Gründe vorliegen, wenn man dann noch einmal „nachschießt“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Natura 2000 ist ein weiterer Schwerpunkt der Naturschutzpolitik im Land. Wir haben die Meldung der FFH-Gebiete abgeschlossen und im Januar rechtzeitig in Brüssel vorgelegt. Immerhin sind noch einmal knapp 5 % an Landesfläche hinzugekommen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Weil eingefordert!)

Was heißt „weil eingefordert“? Entschuldigung, Herr Kollege Caroli, das Problem ist doch Folgendes: Wir haben in Baden-Württemberg weite Flächen unter FFH-Schutz gestellt, die zwar – wenn man den EU-Zusammenhang sieht – als selten und deshalb schützenswert einzustufen sind, die aber bei uns keine Seltenheit sind.

Nehmen wir als typisches Beispiel dafür einmal die Buchenwälder. Buchenwälder sind bei uns weder auf der Alb noch in der Vorbergzone, noch im Unterland eine Rarität – bei Gott nicht. Das ist in Baden-Württemberg eine der normalsten Bewirtschaftungsformen, die wir haben. Insofern besteht nun wirklich kein akuter Bedarf, sie unter Schutz zu stellen.

(Abg. Kiefl CDU: Überhaupt nicht!)

Das wird Ihnen jeder vernünftige Naturschützer sagen. EUweit ist es eine Seltenheit; deshalb mussten diese Gebiete mit hinein. Einen größeren Teil haben wir zusätzlich mit aufnehmen müssen. Das haben wir auch getan. Die Landes

regierung hat mit der Nachmeldung ihre Hausaufgaben gemacht.

Übrigens muss man auch einmal eines sehen: Die Tatsache, dass wir so viele seltene Lebensräume haben, ist doch auch der Beweis dafür, dass unsere Naturschutzpolitik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so schlecht gar nicht gewesen sein kann,

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei Ab- geordneten der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Bravo!)

wie Sie das immer darstellen, denn sonst hätten wir diese Größe und vor allen Dingen auch diese Vielfalt nicht. Wir hätten nicht diese Vielfalt in einem der am dichtesten besiedelten Länder nicht nur Europas, sondern der Welt. Das ist doch das ganz Entscheidende.

(Abg. Kübler CDU: Das ist es!)

Wir leben in einer dicht besiedelten Landschaft. Wir sind an der Spitze, wir sind die Nummer 1 im Wirtschaftsbereich und haben trotzdem eine ungemeine Vielfalt und Größe im Naturschutz.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Kretschmann GRÜNE – Abg. Kübler CDU: Jawohl!)