Protokoll der Sitzung vom 02.06.2005

Aber der dritte Schritt ist für mich irgendwo absurd und unverhältnismäßig: Seit dem 1. April dieses Jahres hat man sie nicht nur für die Steuerverwaltung geöffnet, sondern für eine beliebige Vielzahl von Behörden. Man hat dadurch einen Zustand geschaffen, in dem eigentlich alle potenziell verdächtig sind. Wegen einiger Verdächtiger können jetzt alle durchleuchtet werden, und zwar eben nicht nur von den Steuerbehörden, sondern von einer beliebigen Vielzahl anderer Behörden. Davon ist gar nicht die Rede.

(Zurufe der Abg. Birzele und Drexler SPD)

Ja, es geht um alle Sozialversicherungsbehörden, es geht um alle Sozialhilfebehörden. Wenn jemand zum Beispiel zum Unterhalt für seine Eltern herangezogen wird, die gleichzeitig Sozialleistungen beziehen, dann heißt das nach diesem Gesetz: Alle Konten auf den Bildschirm! Mit welchem Recht eigentlich? Das geschieht ohne Anlass, ohne Verdacht, ohne irgendetwas.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/ DVP zur SPD: So sieht es doch aus! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD)

Ja, ich werde nachher aus dem Gesetz zitieren.

(Abg. Schmid SPD: Zitieren Sie!)

Ich sage Ihnen: Eine so summarische Freigabe, ein so summarisches Bloßstellen sensibler Daten hat es bei uns in der Republik noch nicht gegeben, und ich bin gespannt, wie gerade unter diesem Aspekt das Bundesverfassungsgericht

(Minister Dr. Goll)

endgültig entscheiden wird. Sich ständig auf dieses Gericht zu berufen, halte ich für gefährlich. Denn jeder Experte weiß, dass ein Gesetz nur in Extremfällen vorläufig gestoppt wird. Das Gericht sagt, es werde dieses Gesetz in Ruhe prüfen. Wir sollten einmal abwarten, was dabei herauskommt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Eines ist klar – und das muss man auch einmal sagen –: Wir sind mit unserer Position, die wir hier vortragen, der Anwalt der Ehrlichen, die nicht mit Misstrauen überzogen werden wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Lachen bei der SPD – Unruhe – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Die sich nicht unter Generalverdacht stellen lassen wollen!)

Wir stellen uns auf die Seite derer, die ihre Pflichten erfüllen, die aber eben nicht von morgens bis abends überwacht werden wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Oh-Rufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bekomme im Moment täglich Briefe in dieser Angelegenheit. Die sollten Ihnen vielleicht auch ein bisschen zu denken geben. Aus diesen Briefen geht hervor, welche Ängste die Menschen haben. Wir können nachher einmal nachschauen, ob diese Ängste wirklich so unberechtigt sind. Gestern hat mir wieder jemand aus dem ländlichen Raum geschrieben, die Hälfte seiner Verwandten und Bekannten seien im Prinzip entweder beim Finanzamt oder bei Behörden, die da aufgeführt seien, beschäftigt. Der eine möge ihn nicht, und der andere möge ihn, und er habe Angst, dass da einer auf die Idee komme, sich einmal all seine Konten anzuschauen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Wider- spruch bei der SPD – Lebhafte Unruhe – Zuruf des Abg. Birzele SPD – Abg. Schmid SPD: Das sind ja Latrinenparolen!)

Schon klar. Bei Ihnen ist jeder Steuerzahler ein potenzieller Hinterzieher, und jede Behörde macht alles richtig. Das ist doch Quatsch.

(Zurufe der Abg. Birzele und Drexler SPD – Unru- he)

Wir wissen doch, dass auch dort Menschen sind.

Jetzt hören wir uns einmal an, unter welchen Voraussetzungen – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister Dr. Goll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Birzele?

Von mir aus.

Bitte schön.

Herr Justizminister, sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie mit dieser Formulierung allen öffentlich Bediensteten vorsätzlichen Rechtsbruch unterstellen? interjection: (Beifall bei der SPD)

Verzeihung – lieber Michael Theurer, jetzt liegt es mir auf der Zunge, „Quatsch“ zu sagen –, wenn an Ihrer Position, Herr Birzele, das Geringste dran wäre, bräuchten wir für keine Behörde und für keine Polizei irgendeine Regelung. Dann bräuchten wir keinen Datenschutz, gar nichts, weil sich alle von sich aus an die Grenzen halten müssten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Birzele SPD: Sie sagen, die würden rechtswidrig abfragen!)

Stattdessen besteht der Datenschutz – dem wird sogar Herr Kretschmann zustimmen – aus nichts anderem als der richtigen Grenzziehung für das behördliche Handeln. Da muss ich klare Grenzen ziehen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Theurer FDP/ DVP: Jawohl! – Abg. Birzele SPD: Aber nicht we- gen vermuteter Rechtswidrigkeit!)

Hören Sie sich doch bitte einmal, nachdem Ihr Kollege gefragt hat, was im Gesetz steht, die Voraussetzungen an, unter denen eine Sozialbehörde, eine Wohngeldbehörde oder irgendeine andere Behörde auf die Kontendatei Zugriff nehmen kann.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Jetzt einmal zuhören!)

Da heißt es:

Knüpft ein anderes Gesetz an Begriffe des Einkommensteuergesetzes an, soll die Finanzbehörde auf Ersuchen der für die Anwendung des anderen Gesetzes zuständigen Behörde oder eines Gerichtes über das Bundesamt für Finanzen bei den Kreditinstituten einzelne Daten aus den … Dateien abrufen und der ersuchenden Behörde oder dem ersuchenden Gericht mitteilen, wenn in dem Ersuchen versichert wurde, dass eigene Ermittlungen nicht zum Ziel geführt haben oder keinen Erfolg versprechen.

(Zuruf von der FDP/DVP: Unglaublich!)

In diesem ganzen Passus erkenne ich nicht eine einzige klare Voraussetzung, außer dass an Begriffe des Einkommensteuergesetzes angeknüpft werden muss, und da kann ich Ihnen Hunderte von Gesetzen nennen. Ich kann doch ohne weiteres sagen, dass andere Ermittlungen nicht zum Erfolg geführt haben. Das wird zu einer Routinebehauptung werden.

(Abg. Schmid SPD: Was? – Weitere Zurufe von der SPD)

Übrigens muss man vorher nicht einmal den Betroffenen um Auskunft gefragt haben; auch das steht im Gesetz. Man muss den Betroffenen vorher nicht um Auskunft gefragt haben, wenn es nicht erfolgversprechend war. Und wann ist es nicht erfolgversprechend?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Zu sehr Gummi!)

An dieser Stelle noch ein Wort zur Häufigkeit der Abfragen. Dieses Gesetz gibt es seit 1. April. Sehr viele Finanzbehörden sind technisch im Moment noch gar nicht in der Lage, das zu nutzen. Sie werden aber sehr schnell dazu in

(Minister Dr. Goll)

der Lage sein. Sehr viele der anderen Behörden haben noch gar nicht gemerkt, was sie da abfragen können. Ich kann nicht nach sechs Wochen eine Bilanz ziehen. Es ist völlig klar, dass von den Möglichkeiten in dem Moment, in dem sie bekannt werden – –

(Abg. Drexler SPD: Aber Sie haben Zahlen ge- nannt! Die Zahlen sind also erfunden worden? – Weitere Zurufe von der SPD)

Nein, wir haben die Zahlen des Bundesverbandes der Banken genannt. Diese Zahlen sind für mich genauso vorläufig wie irgendeine andere Zahl, weil im Grunde genommen nach dem jetzigen Stand niemand sagen kann, wie häufig diese Möglichkeit genutzt wird. Aber ich gehe natürlich davon aus, dass es zu einer erheblichen Häufigkeit kommen wird; denn sobald die technische Ausrüstung vorhanden ist, ist es natürlich ein Leichtes, sie auch zu nutzen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Justizminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Palmer? – Bitte schön, Herr Palmer.

Herr Justizminister, mit wie vielen Einträgen in die DNA-Datei täglich rechnen Sie, wenn Ihre Vorstellungen für die Organisation dieser Datei Wirklichkeit werden?

(Abg. Zimmermann CDU: Die Leute waren doch schon bei der Polizei! Was soll denn das? – Weite- re Zurufe von der CDU)

Ich glaube nicht, dass man Zwischenfragen beantworten muss, die mit dem Thema ersichtlich nichts zu tun haben.

(Unruhe)

Ich sage Ihnen eines, und damit komme ich zum zweiten und letzten Teil: Die Menschen werden sich dieses Gesetz nicht gefallen lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Fischer SPD)