Protokoll der Sitzung vom 28.07.2005

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Seimetz CDU: Die ist lange genug tot- geredet worden!)

Meine Damen und Herren, was wir tatsächlich in diesem Land brauchen: Gute Leistungen sind das Wichtigste. Aber genauso wichtig ist, dass unser Bildungssystem human und sozial gerecht ausgestaltet werden kann. Wir haben gesehen, dass es anderen Ländern, zum Beispiel den skandinavischen, besser gelingt, hohe Leistungen mit hoher sozialer Gerechtigkeit und mit einem human ausgestalteten Bildungssystem ohne Angst, ohne Stress, ohne Druck, ohne Abwertung von Schülerinnen und Schülern zu erreichen. Wir müssen uns auf den Weg machen, und es wird die große Herausforderung der Zeit nach Kultusministerin Schavan sein, ein humanes und sozial gerechtes Bildungswesen mit guten Leistungen zu verknüpfen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Rückert CDU: Das ist aber happig! – Abg. Rüeck CDU: Sie gehen davon aus, dass Sie die Bundestagswahl gewinnen werden!)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Frau Dr. Schavan.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine Damen und Herren! Bildung und Erziehung sollen Kindern und Jugendlichen gute Möglichkeiten geben, sich zu entfalten und zu wachsen. Alles, was wir in der Bildungspolitik tun, dient diesem Ziel. Niemand darf zum Modernisierungsverlierer werden, und keiner soll seine Talente verstecken müssen. Genau an diesen beiden Maßstäben wird in Baden-Württemberg seit über 50 Jahren Bildungspolitik ausgerichtet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist Baden-Württemberg das Land mit den höchsten Investitionen in die Sonderpädagogik. Deshalb gilt in Baden-Württemberg, dass die Sonderpädagogik mit den hoch differenzierten Wegen des Lehrens und Lernens für diejenigen, die benachteiligt sind, auch im internationalen Vergleich an der Spitze steht. Deshalb haben wir eine so niedrige Zahl an Jugendlichen, die ohne Schulabschluss von der Schule gehen. Deshalb zeigt sich auch, dass da, wo gut investiert wird und richtige Konzepte in der Sonderpädagogik angewendet werden, auch am anderen Ende, wo es um die besonders Begabten geht, gute Erfolge erzielt werden. Beides sind die zwei Seiten der einen Medaille, die nicht auseinander gerissen werden dürfen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bildungspolitik darf sich nicht mit Legenden beschäftigen,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

darf nicht auf jeden Trend und jede Mode springen,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

braucht einen langen Atem, einen Kompass und konsequente, nachhaltige Entwicklungen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Deshalb sage ich bei aller Wertschätzung von Reformen, bei aller Wertschätzung dessen, was wir konkret und aktiv bildungspolitisch tun können: Unsere Schulen können nur gut arbeiten, wenn ein gesellschaftliches Klima vorhanden ist, in dem Lernen und Leistung anerkannt werden, ein Klima, das sich nicht in Beliebigkeit ergibt, ein Klima, das mit Disziplin, mit Konsequenz, mit starker Erziehung verbunden ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich sage es ganz salopp: Erst wenn in dieser Gesellschaft Schluss ist mit Disziplinlosigkeit und Lümmelei, wird Schule gut arbeiten können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Schmiedel SPD: Wer regiert denn in Baden-Würt- temberg seit 50 Jahren? Seit 50 Jahren CDU-Lüm- melei! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Was heißt denn „Lümmelei“?)

Das ist auch deshalb so, weil Bildung und Kultur zwei Seiten einer Medaille sind. Nur wenn wir bereit sind, Lehrer und Lehrerinnen als Kulturschaffende in unserer Gesell

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

schaft anzuerkennen, nur wenn wir bereit sind, diesem Berufsstand die Anerkennung zu geben,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist wohl wahr!)

die er braucht, weil die Lehrer und Lehrerinnen den Schlüssel in der Hand halten, wird Schule gut arbeiten können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass Bildungs- und Kulturpolitik in einem engen Zusammenhang stehen. In dem Maß, in dem sich eine Gesellschaft kulturell entwickelt, sich selbst ernst nimmt, einen Blick und Aufmerksamkeit für die Talente von Kindern und Jugendlichen entwickelt, wird die Qualität von Schule besser, wird Erziehung stabiler und Bildung stärker. Das zeigt sich übrigens im internationalen Vergleich gerade bei den so genannten PISA-Siegern.

Verbesserungen in Fragen der Bildung und der Erziehung dürfen nicht allein zur Sache der Schule gemacht werden, sondern sie müssen Herzensanliegen der Gesellschaft sein, die sich bewusst ist, was Bildung für sie bedeutet.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kretschmann GRÜNE: Wer könnte das nicht unter- schreiben? – Gegenruf des Abg. Döpper CDU: Dann können Sie mitklatschen!)

Deshalb war es richtig, dass die Kultusministerkonferenz in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre entschieden hat: Wir wollen nicht mehr weitermachen mit einer Entwicklung, bei der in der Bildungspolitik immer nur in den Schlagzeilen steht, wem gerade was gefällt.

Wir wollen uns die Bildungsforschung zunutze machen. Das war der Einstieg in ein neues Kapitel der Bildungspolitik in Deutschland. PISA-E 2003 – die ersten Ergebnisse, die jetzt veröffentlicht sind – zeigt: Das war in Deutschland in den letzten 30 Jahren der wohl wichtigste Schritt, um in die tiefgreifendste Reform des Bildungssystems einzusteigen. Es gilt nicht mehr, wem was gefällt, sondern es gilt das, was uns an Fakten vorgelegt wird. Die Fakten beschreiben nicht schon Bildung, aber die Fakten beschreiben wichtige Voraussetzungen für Bildung.

Das System bewegt sich. Die Schulen in Deutschland sind besser geworden. Die 15 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit in meinen Augen wichtigste Botschaft ist doch in Wirklichkeit, dass die Schere zwischen Ost und West zusammengeht. Das ist die zentrale Botschaft dieser Studie 15 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Damit komme ich zu der Frage: Warum Veröffentlichung jetzt?

(Abg. Dr. Caroli SPD: Hier ist nicht der Bundes- tag!)

Ich bekenne mich dazu: Ich gehöre zu denen, die das ganz klar vorangetrieben und gesagt haben, die ersten Ergebnisse müssten jetzt vorgelegt werden. Warum? Weil mit der Le

gendenbildung doch schon begonnen worden war und auch in Baden-Württemberg schon die ersten Pressemitteilungen erschienen,

(Abg. Kiefl CDU: So ist es!)

in denen es hieß: Das ist doch völlig klar; da, wo es viel Wohlstand gibt, wo es wenig Jugendarbeitslosigkeit und hohe Familieneinkommen gibt, da gibt es gute Bildung, und wo es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und geringe Familieneinkommen gibt, gibt es schlechte Bildung. Das heißt, der ganze Fatalismus

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

war da schon in die Öffentlichkeit gezerrt worden. Das heißt auf gut Deutsch: Die Schulen können tun, was sie wollen; haben sie reiche Kinder, haben sie eine gute Bildung, haben sie arme Kinder, haben sie eine schlechte Bildung.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das war der Beginn einer neuen Legende.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Ich habe alles hier drinnen. „Das stimmt überhaupt nicht“? Das werde ich Ihnen gleich erklären.

Das heißt, wenn die Studie am 15. September, also drei Tage vor der Bundestagswahl, erschienen wäre, wäre den ganzen Sommer hindurch an Legenden gestrickt worden. Jeder in Deutschland hätte sich an der Bildungsdiskussion beteiligt und erklärt, die Wirtschaft habe erklärt, es werde alles immer schlimmer,

(Zuruf von der SPD: Ach was!)

die Schulen würden immer schlechter, die Kinder könnten immer weniger lesen, schreiben und rechnen. Die GEW und die mit ihr Verbündeten hätten erklärt, das sei doch völlig klar,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

das sei eine Frage des sozioökonomischen Kontextes. Deshalb mussten die Fakten – jedenfalls die ersten Ergebnisse – jetzt auf den Tisch gelegt werden. Deshalb gibt es übrigens, Herr Zeller, erstmals – –

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Ich weiß, wie man sie werten kann, das ist alles wahr. Nur, Sie können das Ding so viel drehen und wenden oder auch werten, wie Sie wollen, es bleibt dabei: Die Spitzengruppe hat sich verdoppelt. Die Spitzengruppe besteht aus vier Ländern, die CDU- bzw. CSU-regiert sind.