Erstens: Neben dem vielen Medienschrott, den Kinder und Jugendliche über sich ergehen lassen müssen, müssen die guten Inhalte ausgebaut werden und auch wirklich erkennbar sein. Beim Fernsehen werden ja inzwischen die Zuschauer mehr oder weniger an die Werbeagenturen „verkauft“. Das Ergebnis ist eine hemmungslose Kommerzialisierung – die Sie gewollt haben. Diese Geister werden Sie jetzt nicht mehr los.
Zweitens: Medienkonsum darf das wirkliche Leben nicht ersetzen. Auch hier ist der Trend, wissenschaftlich nachgewiesen, seit vielen Jahren unverkennbar: Die einen nutzen die Medien zur Gestaltung ihres Lebens, und die anderen ersetzen mit den Medien ihr wirkliches Leben. Das heißt pädagogisch gewendet: Medienkompetenz muss ein, möglicherweise sogar d a s zentrale pädagogische Ziel aller pädagogischen Institutionen in der Zukunft werden, und zwar nicht erst in der Schule, sondern weit, weit vor Schuleintritt; denn dann beginnt ja schon der exzessive Medienkonsum. Das heißt deutlich mehr Elternbildung und deutlich mehr Kompetenzaufbau bei denen, die vermitteln, bei den Lehrenden und den Erziehenden. Es kann nicht angehen, dass in diesem Feld die Kinder die Lehrer der Eltern sind.
Drittens: Risikogruppen müssen besonders und auch besonders früh in den Blick genommen werden. Da ist es jedoch mau. Ich frage Sie: Wo ist ein Konzept zur Benachteiligtenförderung in diesem Land? Wo ist eine systematische Verknüpfung von Schule und Jugendhilfe, die auch Verbindlichkeit hat? Was geschieht denn ganz konkret, um die Zahl von 20 bis 25 % aller Kinder zu reduzieren, die im letzten Kindergartenjahr nicht schulreif sind? Das sind Zahlen, die Herr Minister Rau gestern in der „Badischen Zeitung“ nannte.
Wo sind in diesem Land die Konzepte zur Unterstützung von Jungen, wo sind die Strukturen für eine jungenspezifische Pädagogik? Diese Konzepte sind schlichtweg nicht vorhanden.
Viertens: Die Alternativen zum Medienkonsum müssen für die Kinder attraktiv sein. Ganz besonders nenne ich als Alternative die Schule. Sie könnte für viele Kinder und Jugendliche d i e Alternative sein, insbesondere dann, wenn sie als Ganztagsschule stattfindet.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation ist alarmierend. Die Experten warnen, dass übermäßiger Medienkonsum negative Auswirkungen insbesondere auf Kleinkinder, aber auch auf Kinder und Jugendliche und in der Folge dann natürlich auch auf Erwachsene haben wird. Da sind wir uns ja unter den Medienpolitikern und im ganzen Haus mit Sicherheit einig.
Die entscheidende Frage, über die man sich klar werden muss, ist bereits angesprochen worden: Die moderne Hirnforschung weist darauf hin – Professor Manfred Spitzer aus Ulm wurde zitiert –, dass es durch übermäßigen Fernsehkonsum insbesondere bei Kleinkindern zu einer Fehlprogrammierung des Gehirns kommt, also praktisch zu einer Fehlformatierung der menschlichen „Festplatte“, um es in der PC-Sprache zu formulieren.
Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Kinder lernen nicht mehr, den Spielfilm von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Sie empfinden alles, was sie erleben, als Film. Neuere Studien zeigen, dass Zweijährige in den USA zwei Stunden am Tag vor dem Fernseher sitzen, und wir wissen, dass in Deutschland Zweijährige täglich eine Stunde lang vor dem Fernseher sitzen. Da wir wissen, dass das viel zu viel ist und dass es irreversible Schäden nach sich zieht, ist in der Tat die Frage zu stellen, was getan werden kann und muss.
Die negativen Folgen wurden gerade vom Kollegen Bayer genannt, auch was den Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schulleistung angeht. Es ist alarmierend: Jedes dritte Mädchen und sogar jeder zweite Junge hat einen eigenen Fernsehapparat in seinem Zimmer. Es geht hier auch sehr stark um Einstellungen in der Familie. Ganz klar ist, dass Handlungsbedarf besteht.
Allerdings stellt sich natürlich sofort die Frage: Wie gehen wir in einer freiheitlichen Gesellschaft mit diesen Herausforderungen um? Wir können mit Sicherheit nicht davon ausgehen, dass das Problem durch staatliche Programme gelöst werden kann. Medienfreiheit, die Freiheit, sich zu informieren und Medien zu nutzen, ist ein sehr hohes Gut. Auch ist klar bewiesen, dass nicht nur Fernsehkonsum negative Wirkungen hat oder haben kann. Angesprochen wurden CD-ROMs, Videos, aber auch Hörbücher und Kassetten. Auch übermäßiger Radiokonsum kann bei den falschen Sendungen durchaus negative Wirkungen auf Kinder haben. Das heißt also, der gesamte Umgang mit Medien muss kritisch beleuchtet werden.
Wissenschaftler stellen fest, dass die heutigen Kinder zur ersten Generation gehören, die in multimedialen Erfahrungswelten aufwächst und in der der Einfluss der Medien auf das tägliche Leben allgegenwärtig ist. Wir müssen auch zugeben, dass es heute keine werbefreie Umwelt mehr gibt, auch nicht für Kinder. Deshalb fordert die FDP/DVP, mit diesem Thema differenziert umzugehen. Wir wollen die Medienkompetenz von Menschen stärken.
Wir appellieren vor allem an die Eltern. Die Hauptaufgabe muss zu Hause geleistet werden. „Mehr vorlesen statt fernsehen“, könnte hier das Schlagwort sein, meine Damen und Herren. Die Medien sollten sorgsam ausgewählt werden: „Schau hin, was deine Kinder machen!“ Mit den Kindern sollte darüber gesprochen werden.
Wer sich klar macht, welche positiven Wirkungen das Singen auf die Entwicklung von Kleinkindern hat, müsste ganz klar die Gründung von Gesangvereinen fordern, meine Damen und Herren. Es ist ja völlig klar: Wenn die Eltern nicht singen, von wem sollen die Kinder dann das Singen lernen?
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Ist das jetzt das ein- zige Konkrete, was Sie bieten? – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
Gesellschaftspolitisch geht es selbstverständlich darum – weil die Wissenschaftler klar beweisen, dass die Prägungen bis zum dritten Lebensjahr entstehen –, dass das nicht Hauptaufgabe des Staates ist, sondern Hauptaufgabe der Familien bleibt. Hier geht es um Elternerziehung und darum, wie wir vonseiten der Politik den Eltern und den Familien helfen können – durch Elternschulen und Bildungsangebote.
Darüber hinaus müssen wir natürlich auch weiterhin die Maßnahmen des Jugendschutzes verstärken. Auf diesem Gebiet sind die Landesanstalt für Kommunikation und die entsprechenden Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten tätig; sie wirken in die richtige Richtung. Wir haben einen Kinderkanal auf den Weg gebracht, der werbefrei ist, sodass die Eltern bei der Auswahl von Medien sehr wohl die richtigen Medien einsetzen können. Aber es kommt vor allem darauf an, dass diese Medien auch mit dem richtigen Maß und Ziel eingesetzt werden. Man sagt ja, bei Zweijährigen sollte es nicht mehr als eine halbe Stunde am Tag sein.
Wichtiges Thema: Baden-Württemberg ist schon heute ein kinderfreundliches Land, aber die Kinder und Jugendlichen sind neuen Gefährdungen ausgesetzt. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Menschen es schaffen können, mit diesen neuen Techniken und Medien zurechtzukommen. Genauso, wie man das sichere Verhalten im Straßenverkehr lernen muss, aber auch lernen kann, kann man auch den richtigen Umgang mit Medien lernen. Dann ist Medienkonsum gedeihlich. Er ist notwendig; in einer Wissens- und Informationsgesellschaft müssen wir uns informieren. Deshalb plädiert die FDP/DVP für ein differenziertes und sorgfältiges Umgehen mit diesem wichtigen Thema.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin der CDU-Fraktion zunächst einmal dankbar dafür, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Dabei aber, Kollege Pauli – mit Verlaub –, hätte ich schon ein bisschen mehr als einige Statistiken und ein paar Sprechblasen erwartet. Wenn das „Kinderland BadenWürttemberg“ so eine leere Hülse ist wie das, was Sie zu diesem Thema beigetragen haben, dann haben wir dazu außer einer schönen Veranstaltung in der Villa Reitzenstein nichts zu erwarten.
Meine Damen und Herren, noch 1979 hat der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einen fernsehfreien Tag gefordert. Das klingt heute schon anachronistisch – nicht, weil diese Forderung heutzutage nicht berechtigt wäre, sondern weil die Zahl der Medien massiv zugenommen hat, weil die Angebote vielfältiger geworden sind. Kollege Bayer hat schon darauf hingewiesen: Wir haben es heute nicht nur mit Fernsehkonsum, sondern auch mit Computern, mit Videos, mit Handys, mit DVDs und vielem anderen zu tun. Sehr wichtig ist auch, dass wir in der Regel drei Fernsehprogramme hatten, als Helmut Schmidt diese Forderung aufstellte, während es heute oft über 50 sind. Heute verfügt fast jeder Haushalt über ein Fernsehgerät, und – was schlimm ist – 50 % der 13- bis 15-Jährigen haben einen eigenen Fernsehapparat in ihrem Zimmer, und – was ich wirklich bedenklich finde – jeder vierte Sechsjährige – das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen – hat laut einer aktuellen Untersuchung ein Fernsehgerät im eigenen Zimmer stehen.
Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Denn diese Kinder entwickeln einen ganz eigenen Blick auf die Realität, die ihnen aus dieser „fiktionalen Kiste“ vorgemacht wird.
Die Fragen, die wir uns stellen müssen, Kollege Pauli, lauten: Wie wirkt sich das auf den Alltag aus, auf ihr Verhalten in der Schule, auf das Lernverhalten? Wie wirkt sich das auf die Psyche der Kinder aus? Diesen Fragen muss die Politik nachgehen, und darauf müssen wir Antwort geben. Kollege Bayer hat auf die Studie, die derzeit von Professor Pfeiffer in Niedersachsen erarbeitet wird, hingewiesen: Medienkonsum macht dick, dumm, krank und traurig.
Allein diese Überschrift sollte uns zum Handeln anregen. Über dicke Kinder haben wir hier bereits geredet; leider hat die Landesregierung bisher noch nicht so richtig Konsequenzen daraus gezogen, aber das lassen wir heute einmal beiseite.
Ich erinnere Sie daran, dass auch wir in diesem Landtag nach dem Amoklauf in Erfurt darüber diskutiert haben. Wir haben gesagt, jetzt müsse sich endlich etwas ändern. Das ist jetzt über drei Jahre her, und ich frage Sie: Was hat sich geändert? Gibt es an unseren Schulen eine bessere Medienerziehung? Gibt es im Fernsehen weniger Gewalt?
Ich möchte einmal ein paar Zahlen nennen: Schon 1996 konnte man im Fernsehen nach einer Zählung des SWF in einer Woche 536 Morde, 44 Folterungen und 14 Vergewaltigungen sehen, und das ist nicht besser geworden, sondern im Gegenteil schlimmer geworden. Eine neue Studie aus dem Jahr 2004 mit dem Titel „Weltbild des Fernsehens“ sagt: 78,8 % der Sendungen in unserem Fernsehen zeigen Gewalt. Zehn Jahre zuvor waren es noch 47,7 %.
Was besonders traurig und besorgniserregend ist: Die oben zitierte Untersuchung hat ergeben, dass speziell Sendungen für Kinder und Jugendliche den höchsten Anteil an Gewalt haben, nämlich 89,4 %. Das heißt, neun von zehn Sendungen, die in diesem Land für Kinder und Jugendliche produziert werden, zeigen in irgendeiner Weise Gewalt. Das ist wirklich besorgniserregend. In den USA ist es schon so, dass man mit zehn Jahren bereits ca. 100 000 Gewalttaten und 8 000 Morde gesehen hat. Welche Auswirkungen das hat, kann man ja oft beobachten.
Die Medienverwahrlosung, wie Professor Pfeiffer diese exzessive Mediennutzung nennt, findet heute mehr denn je statt. Unumstritten ist mittlerweile erstens: Gewaltdarstellung in Medien animiert zur eigenen Gewaltanwendung.
Zweitens: Es besteht ein Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und exzessivem Fernsehkonsum. Kollege Bayer hat auch schon die Zahlen genannt und dargestellt, welche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen dabei bestehen und welche Folgen es hat, dass die Jungen offensichtlich einen höheren Medienkonsum haben.
Drittens – und auch das ist vonseiten der Politik nicht zu vernachlässigen –: Die soziale Kompetenz wird nicht voll entwickelt. Das heißt, diese Kinder versäumen das reale Leben, weil sie viel zu oft vor dem Bildschirm sitzen.
Es wird aber – und darüber sind wir uns ja einig; alles andere wäre ja weltfremd – wenig bringen, den Kindern den Zugang zum Computer oder zum Fernsehgerät zu verbieten, weil sie sich diesen Konsum dann notfalls eben bei Freunden, beim Nachbarn oder sonst wo holen. Deswegen ist die erste Aufgabe, die sich uns allen stellt: Kinder müssen wieder mehr Freude an einer aktiven Freizeitgestaltung bekommen. Das ist eine Aufgabe, die gerade das Elternhaus hat.
Das Zweite – das ist die Aufgabe des Staates, und das hat letzte Woche Professor Pfeiffer deutlich gefordert –: Wir brauchen mehr Ganztagsschulen. Anstatt sich zu Hause allein hinterm Bildschirm zu verstecken, müssen die Kinder, die sonst oft keine Betreuung haben, eben eine Betreuung bekommen. Deswegen sind die von Ihnen oft bekämpften Ganztagsschulen so wichtig. Frau Schavan hat erst kürzlich wieder gegenüber der „Zeit“ gesagt, das Geld hätte man besser in die Forschung stecken sollen. Ich finde es recht abenteuerlich, wenn eine noch amtierende Kultusministerin
so viel Geld für ihre Schulen aus einem Bundesprogramm bekommen hat und das dann hinterher schlechtredet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich denke, wir alle sind sehr dankbar für diese sachliche Debatte. Die Vielschichtigkeit wird sichtbar. Ich will nicht wiederholen, was bereits gesagt worden ist. Eines ist uns klar, da sind wir uns alle einig: Die Medien sind neben der Familie, neben der Schule und neben der Gruppe der Gleichaltrigen zu einer ganz wichtigen elementaren Sozialisationsinstanz für Jugendliche geworden. Da werden Werte und Normen vermittelt. Lebenswelten werden immer mehr zu Medienwelten, die sich dann ganz konkret auf Lebensstil, auf Konsumverhalten und auf Freizeitverhalten auswirken und insgesamt natürlich prägend für den Charakter sind.
Da stellt sich die Frage, die von mehreren Rednern angesprochen wurde: Wie nutzen die Jugendlichen diese Medien? Wir wissen es: Sie sitzen stundenlang vor dem Fernsehapparat, 12- bis 19-Jährige, ja schon 6- bis 14-Jährige. Von den 6- bis 13-Jährigen sitzen bis zu 80 % täglich oder mehrmals die Woche vor dem Fernsehapparat.
Meine Damen und Herren, es ist schon die Frage, was der Staat da tun kann, wiewohl der Kollege Theurer zu Recht darauf hingewiesen hat, dass dies eine freiheitliche Gesellschaft ist. Trotzdem die Frage: Sind wir ohnmächtig, oder können wir etwas tun?
Jugend- und Medienschutz ist in aller Munde. Wir haben gemeinsam den Staatsvertrag dahin gehend geändert, dass man zunächst einmal die Rahmenbedingungen für eine Medienkontrolle effizienter und transparenter macht. Wir haben die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Trägermedien und für die Onlinemedien zusammengefasst und vereinheitlicht, wohl wissend, dass das heute nicht mehr nur das Fernsehen betrifft. Es gibt Medienträger in einer ganz, ganz großen Vielzahl, nicht mehr nur das Fernsehen, sondern – Kollege Walter hat es aufgezählt – alles, was da mitspielt.