In § 5 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags steht unter der Überschrift „Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote“:
Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen.
Was heißt das? Heißt das, dass entsprechende Sendungen nur um Mitternacht gesendet werden dürfen, so wie es jetzt der Fall ist? Wir wissen aber, dass Kinder nicht nur Kindersendungen, „Teletubbies“ oder so etwas, sehen. Vielmehr findet Kinderfernsehen dann statt, wenn Kinder fernsehen. Das wiederum tun sie auch nach 22 Uhr und sogar um Mitternacht.
Das heißt doch, dass wir, wenn wir dies vor dem Hintergrund der heutigen Analyse überprüfen wollen, wesentlich mehr darüber nachdenken müssen, was wir da ändern müssen.
Die eigentlich wichtigste Erkenntnis aus der neueren Forschung ist, dass es überhaupt nicht nur um Inhalte gehen kann. Vielmehr geht es darum, zu fragen, warum Kinder überhaupt fernsehen. Es geht darum, dass Fernsehen überhaupt schädlich ist und die Industrie schon damit beginnt, zweijährige Kinder mit für sie gemachten Fernsehsendungen, zum Beispiel „Teletubbies“, zu ködern, um sie zu konditionieren, immer weiter und künftig immer mehr fernzusehen. Denn das Programm wird ja eigentlich nicht zugunsten der Kinder gemacht, sondern es wird gemacht, um Gewinnmaximierung zu betreiben, indem man eine möglichst hohe Quote an Personen, an Kindern und Jugendlichen, an die Werbeindustrie verkauft.
Das eigentliche Thema lautet also: Wie kommen wir dazu, dass Kinder überhaupt weniger fernsehen, dass Menschen begreifen, dass Fernsehen genauso schädlich ist wie meinetwegen erhöhter Alkoholkonsum, Tabakkonsum oder Zuckerkonsum? Deshalb ist es richtig, zu sagen: Kinder, die viel fernsehen, werden dick, dumm und unglücklich. Da haben wir eine große Verantwortung.
Ich denke, das Thema geht über die Überprüfung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags hinaus – hin zu mehr Medienkompetenz. Im Übrigen – das wurde ja auch schon gesagt –: Was Medienkompetenz betrifft, so darf ich die CDU-Fraktion auffordern, einmal nach Rheinland-Pfalz zu schauen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die unterschiedlichen Initiativen der Bundesländer zusammenzufassen. Dabei habe ich festgestellt: In Rheinland-Pfalz passiert in Sachen Umsetzung von Medienkompetenz an Schulen, für die Eltern wesentlich mehr als in unserem Land.
Man muss sich innerhalb der Landesmedienanstalten, die dafür zuständig sind, über gemeinsame Ziele Gedanken machen. Man muss sich im Hinblick auf die Lehrerausbildung und die Implementierung dieses Themas an den Schulen Ziele setzen und versuchen, diese auch zu erreichen.
(Abg. Fleischer CDU: Das hat er ja gesagt! Das hat er ganz genau gesagt! Müller hat es vor fünf Minu- ten gesagt! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Nein, er hat „wegnehmen“ gesagt!)
Herr Kollege, da müssen Sie sich intern verständigen. Müller hat gesagt: Ganztagsschulen nehmen den Familien die Kinder weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU – Abg. Fleischer CDU: Nein! Völli- ger Blödsinn!)
(Abg. Fleischer CDU: Völliger Blödsinn, was Sie reden! Eine ergänzende, keine ersetzende Aufgabe, hat er gesagt! Sie leben in einem anderen Film! – Abg. Drexler SPD zur CDU: Früher habt ihr noch „Freiheitsberaubung“ gesagt!)
Ganztagsschulen beleben das Familienleben, weil sie wesentlich kompetentere Kinder zurück in die Familien schicken. Das können Sie in Schweden sehen. Gucken Sie da mal hin.
(Abg. Dr. Scheffold CDU: Dann machen wir die Schule doch 24 Stunden! Das ist doch Ihre Logik! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Das ist Blöd- sinn, Herr Scheffold!)
Das ist ja Quatsch, Herr Kollege. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich fände es nicht schlecht, wenn der Landtag über eine Aktuelle Debatte hinaus einmal eine Anhörung mit Forschern, mit Pädagogen, mit kompetenten Sachverständigen durchführen würde, um dann die Regierung in die Lage zu versetzen, alles, was sie nebulös angekündigt hat, auch in die Tat umzusetzen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Den klugen Analysen will ich jetzt nichts mehr hinzufügen – sie sind hier in aller Regel einmütig vorgetragen worden –,
sondern ich will noch einmal versuchen, den Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten zu werfen und darzustellen, welche Folgerungen wir daraus zu ziehen haben.
Erste Realität: Jeder und jede möge in sich gehen und den eigenen Umgang mit den Medien, insbesondere mit dem, was jetzt sehr im Mittelpunkt steht, nämlich dem Fernsehen, betrachten. Das Fernsehen ist zunehmend zum Nebenbeimedium geworden. Am meisten lernen Kinder natürlich vom Vorbild, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Wer als Erwachsener nicht den Ausschaltknopf kennt, sondern das Ding ständig nebenbei laufen lässt, der muss sich nicht wundern, wenn das auf die Kinder abfärbt.
Man sollte also nicht alles auf den Staat abwälzen, sondern erst einmal sehen, wo wir Vorbild sein können.
Die Familie ist natürlich zuallererst gefordert, den Kindern den richtigen Umgang mit den Medien, insbesondere mit dem Fernsehen, vorzuleben und ein Stück weit in der Realität zu leben. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir überall da, wo wir in der Pädagogik ausschließlich mit dem erhobenen Zeigefinger und mit Totalverboten argumentieren, Schiffbruch erleiden. Ich erinnere mich, wie oft wir, als meine Kinder klein waren, Besuch einer fernsehfreien Familie hatten. Denn es reizt ja nichts mehr als das, was total verboten ist. Es geht nicht um eine Verteufelung, sondern es geht darum, den Umgang mit diesen Medien so zu gestalten, dass man Kinder eben nicht alleine sozusagen vor dem Fernsehgerät als einer Art „Beruhigungspille“ sitzen lässt.
Ich komme zum nächsten Thema. Es ist gesellschaftspolitische Realität, dass manche, ob sie es wollen oder nicht, eben nicht den ganzen Tag über die Betreuung und damit Medienbegleitung ihrer Kinder leisten können. Da will ich nicht den ideologischen Gegensatz haben, dass man Kinder aus der Familie herausnimmt, sondern will ich, dass man Angebote schafft. Gerade nachmittags, wenn Kinder unbegleitet fernsehen oder Video schauen, ist die kritische Zeit. Wenn man abends gemeinsam bewusst bestimmte Sendungen anschaut, ist das überhaupt nichts Schädliches, sondern stärkt den Umgang miteinander.
Deswegen müssen wir Familien in diesem Sinne stärken. Wo kommen wir am besten an Familien heran? Es geht ja nicht um die Familien derer, die hier sitzen, sondern es sind häufig Familien, die berühmte bildungsferne Schicht, an die wir auch mit Familienbildungsstätten relativ schwer herankommen. Wo kommen wir am besten heran? Da, wo die Kinder in Betreuungseinrichtungen sind. Das wird die Zukunft sein: dass wir bei der Ganztagsbetreuung stärker alle beteiligen, also auch die Familien einbinden.
Gerade für den Bereich der Ganztagsbetreuung hat der Ministerpräsident einen notwendigen Dialogprozess angestoßen, der das Ziel hat, statt Verboten Angebote für Alternativen zu schaffen. Herr Kollege Theurer hat auf das Singen hingewiesen, auf den Gesang, auf die Musikvereine und auf die Sportvereine
mit dem positiven Nebeneffekt, mehr Bewegung hineinzubringen. Da schließt sich doch das Gesamtkonzept an, das wir in der Ganztagsbetreuung gemeinsam – ich denke, über alle Fraktionen hinweg – anstreben wollen, dass wir dies als Chance, als Zusatz für Familien sehen sollten, um ihre Erziehungskraft zu ergänzen und zu stärken.
Von daher nehmen Sie da bitte die ideologischen Gegensätze ein Stück weit weg und sehen Sie die gesellschaftspolitischen Realitäten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf ein Thema eingehen. Wir fokussieren das alles jetzt natürlich sehr stark auf das Medium Fernsehen. Aber Medienkompetenz ist mehr. Die Zeitung ist auch ein anerkanntes Medium.
In der KJM-Studie – sie ist mehrfach genannt worden – habe ich das interessante Ergebnis gelesen, dass 12- bis 18Jährige bei der Befragung, was sie für das glaubwürdigste Medium halten, die Tageszeitung genannt haben.