Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

Wem darf ich das Wort erteilen? – Frau Abg. Lösch, bitte sehr.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal liegt uns eine Aufstellung der Stadt- und Landkreise über den aktuellen Ausbaustand bei der Kleinkindbetreuung vor. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz sind die örtlichen Jugendhilfeträger verpflichtet, jährlich zum 15. März den Ausbaustand festzustellen und im Rahmen der Jugendhilfeplanung für den Übergangszeitraum bis 2010 Ausbaustufen zu bestimmen, um bis zum Jahr 2010 ein bedarfsgerechtes Angebot für die Kleinkindbetreuung zu haben.

Anhand der Aufstellung zeigt sich nun, dass wir landesweit eine durchschnittliche Versorgungsquote von 8,7 % erreicht haben. Das ist zwar ein Anstieg um 60 % seit 2003, doch man muss feststellen, dass der Anstieg von einem sehr niedrigen Niveau aus erfolgt. Wir sind mit 8,7 % immer noch meilenweit von einem bedarfsgerechten Ausbaustand bei der Kleinkindbetreuung entfernt und haben im Ländervergleich nach wie vor die rote Laterne.

Innerhalb der Aufstellung hat sich auch gezeigt, dass es eine sehr große Spannbreite im Ausbaustand bei den Stadtund Landkreisen gibt. Wir haben z. B. 2,7 % in Tuttlingen,

2,8 % in Göppingen, 18,5 % in Stuttgart und 21,6 % in Heidelberg erreicht. Wer nun denkt, dass wir parallel zu dem niedrigen Betreuungsstand vor allem im ländlichen Raum noch die heile Welt mit nicht berufstätigen Müttern erwarten können, den muss man eines Besseren belehren. Wir haben vor allem im ländlichen Bereich eine sehr hohe Erwerbstätigkeit von Frauen. Das hat das Statistische Landesamt kürzlich ermittelt. Der Anteil der unter Dreijährigen mit aktiv erwerbstätigen Eltern liegt in Kommunen mit weniger als 5 000 Einwohnerinnen und Einwohnern über dem Landesdurchschnitt.

Das heißt, wir haben ein sehr großes Defizit im Bereich der Kleinkindbetreuung im ländlichen Raum, in den Flächenlandkreisen, und deshalb müssen die Anstrengungen um den Ausbau der Kleinkindbetreuung vor allem auch im ländlichen Bereich verbessert werden. Dem widerspricht bisher auch niemand.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Die Bedarfsplanung, Kollege Zimmermann, auch des Landkreises Esslingen, zeigt auf, dass die Stadt- und Landkreise einen Bedarf von 16 % bis ins Jahr 2010 erwarten. Das Statistische Landesamt hat in einer Bedarfsanalyse einen Bedarfskorridor zwischen 16 und 23 % ermittelt, je nachdem, wie umfangreich die Erwerbstätigkeit der Eltern gemessen in Wochenarbeitszeit ist. Das heißt, dass wir zu den im Augenblick verfügbaren 25 000 Plätzen bis 2010 rund 22 000 bis 43 000 zusätzliche Kleinkindbetreuungsplätze brauchen.

Andere Studien sehen sogar einen noch höheren Ausbaubedarf vor. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung einen Bedarfskorridor von 15 bis 30 % errechnet, und laut der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts wünschen sich die befragten Eltern aus BadenWürttemberg für 30 % ihrer unter Dreijährigen Betreuungsplätze, einen Kinderbetreuungsplatz innerhalb der Kindertagespflege oder der Krippe.

Deshalb fordern wir als Grünen-Landtagsfraktion das Land auf, bis zum Jahr 2010 in Baden-Württemberg Betreuungsmöglichkeiten für jedes vierte Kind unter drei Jahren bereitzustellen. Das ist keine utopische Zahl, sondern das ist eine realistische Zahl, wenn man sich die Erwerbstätigkeit der jungen Eltern in Baden-Württemberg anschaut. So haben Umfragen gezeigt, dass bei einem Viertel der Eltern von unter Dreijährigen in Baden-Württemberg beide Elternteile erwerbstätig sind; das ist im Vergleich aller westdeutschen Flächenländer die höchste Quote.

Das heißt, wir brauchen in Baden-Württemberg endlich ein solides Ausbaukonzept, damit alle Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind brauchen, bis spätestens 2010 auch einen Betreuungsplatz haben, und zwar einen qualitativ guten Betreuungsplatz, der auch dem Elternwunsch entspricht, sodass sie sich entscheiden können zwischen Kindertagespflege und einem Krippenplatz.

Diesem Wunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen, widersprechen die aktuellen Entwürfe der Verwaltungsvorschrift zur Kleinkindbetreuung. Schaut man sich einmal die Verwaltungsvorschrift für die Kinderkrippen an, muss man zum einen zur Kenntnis nehmen, dass im Augenblick 74 % der Betreuungsangebote Angebote zwischen 15 und 50 Stunden

sind, die bisher mit 13 400 € bezuschusst wurden. All diese Betreuungsangebote, also 74 % aller Betreuungsangebote, sollen nun ab dem 1. Januar 2007 weniger Zuschüsse bekommen. 37 % der Angebote liegen im Augenblick zwischen 40 und 50 Stunden und sollen zukünftig 13 380 € bekommen, also weniger als bisher, 15 % liegen zwischen 30 und 40 Stunden und sollen zukünftig nur noch 11 760 € bekommen, und 22 % der Betreuungsangebote liegen zwischen 15 und 30 Stunden und sollen zukünftig nur noch 9 780 € bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wahrlich kein Anreiz dafür, dass Kommunen und Träger die Betreuungsangebote ausbauen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das sehen übrigens nicht nur die Grünen, die Kommunen und die Träger so, sondern das sieht auch Ministerpräsident Oettinger so. Gestern hat er in Heidelberg bei einer Wahlkampfveranstaltung für den Oberbürgermeisterkandidaten Eckart Würzner zugesagt, dass Heidelberg eine Bestandssicherung erhalte.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ich dachte schon, für Boris Palmer!)

Kollegin, ich rede von Heidelberg.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ach so!)

Er hat erklärt, dass Heidelberg eine Bestandssicherung erhalte, nachdem sowohl der Sozialbürgermeister als auch der evangelische Stadtdekan dargelegt haben, dass der Stadt Heidelberg zukünftig 160 000 € fehlen werden. „Wir kriegen weniger für das Gleiche“, so der evangelische Stadtdekan: „Das ist eine schallende Ohrfeige für uns.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen nicht, dass nur Heidelberg Bestandsschutz kriegt, sondern wir wollen, dass alle Kommunen in Baden-Württemberg die gleichen Möglichkeiten haben und dass allen Kommunen weiterhin mehr Mittel für die Kleinkindbetreuung zur Verfügung gestellt werden.

Wenn Sie in den nächsten Wochen die Verwaltungsvorschriften behandeln, Frau Sozialministerin Stolz, dann nehmen Sie bitte die Kritik der Verbände und auch die Kritik Ihres Ministerpräsidenten ernst und überarbeiten Sie die Verwaltungsvorschriften im Bereich der Kinderkrippe und im Bereich der Tagespflege, weil wir sonst nie ein bedarfsgerechtes, qualitativ gutes Angebot für die Kleinkindbetreuung in Baden-Württemberg bekommen werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Klenk.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Alles wird gut! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ir- gendwie, irgendwann!)

Ich verstehe ja, dass man über dieses wichtige Thema – darin sind wir uns vermutlich alle einig – nicht oft genug sprechen kann. Aber ständig zu kritisieren, es würde nichts oder nicht genug unternommen, ist langsam, aber sicher, auch nicht mehr zielführend. Uns beruhigt dabei, liebe Kollegin Lösch, dass wir auf dieses Thema selbst gekommen sind und nicht durch Ihre ständigen Hinweise.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Na, na! – Abg. Reinhold Gall SPD: Da kann ich mich aber an an- dere Debatten hier im Haus erinnern!)

Anstatt sich über die Bilanz von einem Jahr „Kinderland“ gemeinsam zu freuen – da gibt es eine gute Bilanz –, nennen Sie es eine leere Worthülse.

(Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das steht aber nicht im Antrag!)

Wir lesen auch in der Zeitung, was die Grünen von sich geben. – Ich vermute eher, dass es Ihnen schwerfällt, dieser prägnanten Formel etwas entgegenzusetzen.

Ich möchte heute nicht schon wieder auf die Notwendigkeit, den Bedarf und die aktuellen Zahlen hinweisen. Wir haben das erst bei der Plenarsitzung am 27. Juli und in der letzten Ausschusssitzung getan. Dies, denke ich, ist allen hinlänglich bekannt.

Aber ein paar Aussagen von Ihnen, liebe Kollegin Lösch, ob in den letzten Tagen in der Presse oder heute in Ihrer Rede, kann ich nicht unkommentiert stehen lassen. Sagen Sie uns doch auch bitte einmal klar und deutlich, was Sie eigentlich genau wollen. Wollen Sie die Zahl der Betreuungsplätze bedarfsgerecht – die Betonung liegt auf „bedarfsgerecht“ – ausbauen? Oder wollen Sie den Einrichtungen mehr finanzielle Unterstützung geben?

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Beides!)

Einmal reden Sie von mehr Geld, um die Strukturen auszubauen,

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

um jedem vierten Kleinkind einen Platz zu bieten. Da sind wir ja noch größtenfalls bei Ihnen.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Frau Lösch will alles!)

Dann reden Sie wieder davon – so war es wenigstens der Presse zu entnehmen –, dass Sie statt 10 lieber 30 % Zuschüsse – wie bei den Kindergärten – geben möchten.

Sie implizieren uns, die Kommunen bei dieser Aufgabe weitestgehend alleine zu lassen, anstatt einen ordentlichen Beitrag dazu zu leisten. Da muss ich Sie zur alten Bundesregierung, bei der auch die Grünen dabei waren, fragen: Haben Sie denn die Kommunen gefragt, als das Tagesbetreuungsausbaugesetz beschlossen wurde? Ich glaube nicht.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Doch!)

Wenn Herr Stehle vom Städtetag mit Ihnen einer Meinung ist, dass sich Kleinkindbetreuung rechne, dann hatte ich in

meiner letzten Rede zu diesem Thema recht. Dort habe ich gesagt, dass die Kommunen längst selbst erkannt haben, dass Betreuungsangebote auch ein Standortfaktor sind. Deshalb muss ich Sie fragen: Was hindert eigentlich unsere Kommunen, unsere Städte daran, wenn der Bedarf vor Ort so groß ist – Bedarf heißt für mich, dass Eltern, dass Mütter aufs Rathaus kommen und sagen: wir brauchen eine Betreuungseinrichtung –, bereits heute mehr zu investieren?

(Abg. Reinhold Gall SPD: Weil sie kein Geld ha- ben! Weil Sie sie abkassieren! – Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Moment einmal! Jetzt bin ich gespannt, lieber Kollege Knapp – Kollege Metzger ist jetzt nicht mehr da –, was wir in den nächsten Wochen hören werden, wenn es um den Haushalt hier im Land geht. Das Land gibt seinen finanziellen Beitrag, aber für den Ausbau vor Ort sind einfach andere Zuständigkeiten gegeben. Und das ist bei einer Mehrzahl der Kommunen auch angekommen.

Ich sage Ihnen einmal etwas anderes. Uns als Landespolitikern würde es nicht schaden – viele tun es ja –, uns vor Ort kommunalpolitisch oder in Verbänden entsprechend zu engagieren. Dann würden Sie mitkriegen, was Sache ist, wie viele Eltern nachfragen und wie sie zum Teil auch reagieren, wenn entsprechende Kostenersätze genannt werden. Oder aber: Es gibt auch Unternehmen in diesem Land, die das Thema Kinderbetreuung durchaus als wichtig erkannt haben und auch als Standortfaktor sehen.

Kollegin Lösch, es gibt ja nicht viele grüne Oberbürgermeister in diesem Land.

(Abg. Hans Heinz CDU: Gott sei Dank! – Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Fragen Sie einmal einen von ihnen, wie er sich kürzlich verhalten hat, als in seiner Stadt ein Unternehmer eine Kinderbetreuung anbieten wollte, und welche Resonanz dieser da von kommunaler Seite erfahren hat.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Weil es auf Landes- ebene nicht geklärt ist! – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Ich nenne Ihnen als anderes Beispiel die Stadt Ulm. Dort gibt es eine Initiative der Stadtverwaltung, ein lokales Bündnis für Familien zu gründen, ohne dass das Land da etwas tun müsste. Zentrales Vorhaben ist in diesem Fall, zusammen mit ortsansässigen Firmen neue Kindergartengruppen einzurichten. Die IHK sagt: Es gibt genügend Unternehmen, die bereit sind, sich hier einzubringen.