Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Dafür gibt es hier im Moment keine Mehrheiten!)

Dazu fordere ich auf. Kollege Noll, seit sechs Jahren erzählen Sie mir – –

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abg. Lösch, Sie sind dabei, Ihre Redezeit zu verdoppeln. Würden Sie bitte zum Ende kommen!

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: 100 % kann man nicht umwidmen!)

Nur noch einen Tipp an den Kollegen Noll, der seit sechs Jahren sagt, dass er daran arbeitet, dass das Landeserziehungsgeld umgewidmet wird:

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: In sechs Jahren 10 %! In zwölf Jahren 20 %! Aber alle anderen ha- ben in dieser Beziehung nichts hingekriegt!)

Wir wollen Taten sehen, nicht nur Worte.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir haben über die geschäftsordnungsmäßige Behandlung der beiden Anträge Drucksachen 14/232 und 14/268 zu befinden. Ich gehe davon aus, dass sie als reine Berichtsanträge erledigt sind. – Sie stimmen dem zu. Das ist so beschlossen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Selten so viele Zahlen gehört, wenn es um Kinder ging! – Gegen- ruf der Abg. Marianne Wonnay SPD: Da kann man nicht genug Zahlen hören!)

Damit ist Punkt 10 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Justizministeriums – Einsatz privater Sicherheitsdienste im Strafvollzug – Drucksache 14/285

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Justizministeriums – Verzicht auf die Privatisierung der Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg – Drucksache 14/292

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu den Buchstaben a und b je fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Sakellariou.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen von der Kleinkindbetreuung zu einer anderen Betreuungsform, der Betreuung der Spitzbuben in Baden-Württemberg.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Um es einmal vorsichtig auszudrücken! – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Das ist ein erheblich grundrechtsrelevanter Bereich, dem wir uns mit der erforderlichen Gründlichkeit widmen sollten.

Wir sollen die zwei vorliegenden Anträge miteinander beraten. Nach § 78 der Geschäftsordnung sollen die Beratungsgegenstände einen gewissen Sachzusammenhang haben. Mit Verlaub, in diesem Fall trifft das nicht zu. Die beiden Anträge haben denselben Sachzusammenhang wie in der Medizin Kurzsichtigkeit und Schweißfüße. Trotzdem werden wir sie miteinander besprechen müssen, aber nacheinander.

Deshalb zuerst zu dem Antrag

(Abg. Reinhold Gall SPD: Zur Kurzsichtigkeit!)

genau – zur Kurzsichtigkeit der Privatisierung im Strafvollzug. Um welchen Vorgang geht es eigentlich? Es geht darum, dass wir mitten im Sommer dieses Jahres erfahren haben, dass in einem der grundrechtsrelevantesten Bereiche, im Strafvollzug, plötzlich private Sicherheitsdienste eingesetzt wurden. Da müssen sämtliche Alarmglocken läuten. Das kann man nicht so laufen lassen.

Die Begründung, die wir nach einer entsprechenden Abfrage erfahren haben, ist ein Verweis auf § 155 des Strafvollzugsgesetzes. Das ist eine absolut unvollständige Unterrichtung. Es ist richtig, dass in § 155 Abs. 1 Satz 2 steht, dass aus besonderen Gründen Aufgaben auch an andere Bedienstete der Justizvollzugsanstalten sowie vertraglich verpflichtetes Personal übertragen werden können. Das ist richtig. Allerdings ist damit natürlich Personal gemeint, das über den eigentlichen Vollzug hinaus, nämlich unterstützend, was die Vollzugsplanung angeht, was die Resozialisierung angeht, eingesetzt werden kann. Das ist der Sinn und Zweck dieser Vorschrift.

Was das Sicherheitspersonal angeht, haben wir die Regelung in § 155 Abs. 2 des Strafvollzugsgesetzes. Denn da steht ausdrücklich drin, dass für jede Anstalt entsprechend ihrer Aufgabe die erforderliche Anzahl von Bediensteten vorzuhalten ist. Darum geht es nämlich. § 155 Abs. 2 regelt, was ihre Pflicht gewesen wäre, und § 155 Abs. 1 Satz 2 regelt den Ausnahmefall für besondere Aufgaben im Sinne der Resozialisierung.

Deswegen ist die Stellungnahme zu diesem Antrag letztendlich ein Eingeständnis, dass wir, was die Personalsituation im Strafvollzug angeht, § 155 Abs. 2 eben nicht Genüge tun und nicht entsprechend dieser Vorschrift handeln, weil wir nicht genug Personal vorhalten, und das in einem Kernbereich der hoheitlichen Aufgaben, obwohl wir alle wissen, dass marktwirtschaftliche Erwägungen im Strafvollzug überhaupt nichts zu suchen haben. Der Einsatz privaten Sicherheitspersonals ist der Einstieg in marktwirtschaftliche Erwägungen. Denn wenn Strafvollzug unter diesen Gesichtspunkten betrieben wird, hat unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Mensch ein Interesse daran, dass diese Personen nur kurz dort verweilen, sondern daran, dass sie lange dort verweilen und nach Möglichkeit wieder

kommen, und genau das ist nicht Sinn und Zweck der Resozialisierung.

(Beifall des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Bravo! Das ist einer, der es erkannt hat

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Das zeigt nur, dass Sie von Marktwirtschaft überhaupt nichts verstehen!)

und trotz der späten Stunde zugehört hat.

Wir kommen zum zweiten Bereich, der damit nun wirklich nicht viel zu tun hat, zur Frage der Privatisierung der Bewährungshilfe hier in Baden-Württemberg. Die Bewährungshilfe ist der Bereich des der Vollstreckung Nachgelagerten, wo Bewährungshelfer eingesetzt werden, um zu überprüfen, ob diejenigen Personen – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Jetzt bist du beim zweiten Punkt!)

Jetzt bin ich beim zweiten Punkt. Sie sollten zuhören. Ich habe ausdrücklich getrennt zwischen Kurzsichtigkeit und Schweißfüßen. Das Thema Kurzsichtigkeit ist abgeschlossen; jetzt sind wir bei der Privatisierung der Bewährungshilfe hier in Baden-Württemberg.

Also: Wir sind bei diesem nachgelagerten Bereich, wo es darum geht, dass natürlich überprüft werden muss, ob die Bewährungsauflagen auch eingehalten werden. Es besteht in allen Fachkreisen letztlich Einigkeit darüber, dass dieser Bereich insgesamt reformiert werden sollte. Es war klar, dass eine neue Leitungsstruktur hermuss, es war klar, dass fachliche Standards geändert werden müssen und dass ein Qualitätsmanagement eingeführt werden soll.

Wir als SPD-Fraktion haben das Pilotprojekt mitgetragen, immer vor dem Hintergrund, dass wir uns natürlich versprochen haben, dass, wenn ein Pilotprojekt gemacht wird – dem kann man sich ja schlechterdings nicht verschließen –, hinterher gründlich geprüft wird, ob die Vorgaben und die Erwartungen letztlich erfüllt worden sind oder nicht. Mit Verlaub, meine Damen und Herren: Sie sind nicht erfüllt worden. Sie sind absolut nicht erfüllt worden. Diese Pilotphase hat ans Tageslicht gebracht, dass das Hauptziel dieser Reform, das mit dieser Privatisierung letztlich erreicht werden sollte, nämlich Kosten zu sparen, gerade nicht erfüllt werden wird. Das will ich in drei Punkten im Einzelnen begründen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Aber nur in fünf Minuten!)

Erstens: Völlig außen vor geblieben sind die Kosten der Anschubfinanzierung der EDV-Ausstattung, die aber auch auf eine Bewährungshilfe unter öffentlicher Hand und unter öffentlicher Aufsicht als Kosten zugekommen wäre. Dieser Betrag ist gar nicht eingerechnet worden. Insofern wurde kein Geld gespart, sondern Geld ausgegeben.

Zweiter Punkt: Die Idee, durch die neuen Leitungsstrukturen Personal abzuziehen bzw. einzusparen und das abgezogene Personal durch ehrenamtlich tätige Bewährungshelfer zu ersetzen, ist bei Weitem nicht umgesetzt worden. Wir

haben da in Baden-Württemberg und in Österreich völlig unterschiedliche Kulturen. Man muss wissen, dass die österreichischen Bewährungshelfer mit maximal 30 Probanden arbeiten und pro Proband 52 € im Monat erhalten, sodass diese österreichischen ehrenamtlichen Bewährungshelfer auf ein Monatseinkommen von 1 560 € kommen können. Das ist natürlich nicht damit vergleichbar, wie wir mit ehrenamtlichen Bewährungshelfern umgehen. Da haben wir auch ganz andere Zahlen im Hinterkopf, nämlich dass ein ehrenamtlicher Bewährungshelfer vier Probanden behandeln und betreuen soll – natürlich nur die einfacheren Fälle und diese jeweils ehrenamtlich.

Die Ankündigung, wie die Kosteneinsparung herbeigeführt werden sollte, nämlich durch die Ersetzung dieser Personen, die auf die Leitungsebene gekommen sind, durch Ehrenamtliche, ist bei Weitem nicht erfüllt worden. Wir haben zwar – das ergibt die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion GRÜNE, auf die in der Stellungnahme zum Antrag Drucksache 14/292 verwiesen wird – inzwischen 70 ehrenamtliche Bewährungshelfer gewonnen, aber 25 davon waren schon vorher ehrenamtlich tätig, sodass die Firma Neustart gar nicht in die Lage kam, diese zu akquirieren, was zur Folge hatte, dass das Ziel überhaupt nicht erfüllt wurde und auch in der Zukunft nicht erfüllt werden wird. Somit wird das Einsparpotenzial nicht erreichbar sein.

Der dritte Punkt – eigentlich der zentrale Punkt; denn er betrifft die Standorte, die zurückgefahren werden sollen – ist die Schaffung einer sogenannten Kommstruktur. Diejenigen, die beaufsichtigt werden sollen und deren Bewährungsauflagen überprüft werden sollen, sollen nicht mehr vom Bewährungshelfer heimgesucht werden,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: „Heimgesucht“ ist gut!)

sondern die sollen sich – sehr richtig – an wenigen Stellen zentral zusammenfinden. Dort sollen dann die Probanden hinkommen. Das mag natürlich unter dem Kostengesichtspunkt zunächst einmal – die Fahrtkosten der Bewährungshelfer sind angesprochen worden – eine sinnvolle Maßnahme sein; aber auch nur unter diesem Gesichtspunkt. Sie verkennen, dass auf diese Art und Weise viel weniger Kontakte zwischen Probanden und Bewährungshelfern stattfinden und damit natürlich die Gefahr eines Bewährungswiderrufs steigt. Mit einer steigenden Zahl von Bewährungswiderrufen entstehen natürlich wiederum Mehrkosten für die Haftunterbringung.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Letztlich ist eines der zentralen Probleme, das mit einer Kommstruktur verbunden ist, dass Sie sich nicht zunutze machen, dass die Bewährungshelfer, die sich vor Ort – bei mir in Schwäbisch Hall zum Beispiel – aufhalten, die potenziellen Arbeitgeber und damit die Möglichkeiten kennen, ihre Klienten dort unterzubringen. Da bestehen also persönliche Kontakte zwischen Bewährungshelfern und Arbeitgebern oder sonstigen Einrichtungen.

(Zuruf von der FDP/DVP)

Wenn wir das entzerren, wenn die sich nur noch irgendwo an einer zentralen Stelle zusammenfinden sollen, zerschlagen Sie diese Erfahrungen und Vorkenntnisse.

In einer Pressemitteilung des Justizministeriums vom 10. Oktober 2006 wird genau auf diese Qualifikation, dieses Netzwerk von unterschiedlichen Einrichtungen vor Ort in den Regionen verwiesen und ausdrücklich auf die Bewährungshilfe Bezug genommen. Wenn Sie das Netz entzerren, das eines der hauptsächlichen Kosteneinsparungspotenziale nach dieser Privatisierung sein soll, dann laufen wir Gefahr, dass wir in diesem Bereich wieder keine Kosten sparen.