Dazu gehört u. a. auch eine Evaluierung dessen, was wir heu te beschließen. Staatsminister Reinhart hat es gesagt: Spätes tens nach drei Jahren muss natürlich evaluiert werden, ob die Maßnahmen, die wir jetzt einführen, auch funktionieren. Wenn die Entwicklung aber so weitergeht, wie wir sie heute erleben, dann – das prophezeie ich – wird der Zeitraum von drei Jahren zu lang sein. Wir müssen uns dann wahrschein lich schon zu einem früheren Zeitpunkt – ich hoffe, das ge schieht im Einvernehmen – die Wirksamkeit dieser Maßnah men genau anschauen und überlegen, wie wir gegensteuern können.
Ich appelliere an uns alle, künftig den Bereich Medienkom petenzschulung bereits als Kernbestand des Bildungskanons in unsere Schulen zu bringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es darf nicht sein, dass Medienkompetenz ein „Orchideenfach“ am Rande ist, das sich auf ein paar Unterrichtsstunden in der sechsten Klas se beschränkt.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Genau! – Abg. Gün ther-Martin Pauli CDU: Zu spät! Bereits im Eltern haus!)
Danke, Herr Kollege Pauli, für diesen Zwischenruf. Zent raler Bestandteil der Medienkompetenzschulung ist natürlich auch, die Eltern zu erreichen, die Hilfsmittel brauchen.
Damit sind wir wieder beim Jugendmedienschutz-Staatsver trag, der als ein Mittel neben verschiedenen anderen differen zierte Zugangssysteme vorsieht. Wir müssen es dennoch schaffen, sowohl bei den Eltern als auch und vor allem bei den Kindern und Jugendlichen die Fähigkeit herzustellen, sich in der heutigen medialen Welt zurechtzufinden und Werte zu er leben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ Dies könnte man über den vorliegenden Rundfunkänderungsstaats vertrag schreiben. Sicherlich besteht die Absicht, damit einen verbesserten Jugendschutz zu erreichen – das ist hoffentlich das Ziel aller, die in diesem Parlament sind. Aber ich glaube, er wird diesem Anspruch nicht gerecht werden, Herr Minis ter.
Wir alle wissen, dass die technische Entwicklung rasend vo rangeht. Es gibt nicht mehr wie früher Sendezeiten, die man beschränken könnte, sondern heute sind die Angebote durch das Internet 24 Stunden täglich abrufbar. Schon der Ansatz ist daher teilweise falsch gewählt. Bei einem globalen Medium wie dem Internet kann man den Jugendschutz nicht mehr so leisten wie früher. Deswegen müssen wir uns ergänzend zu dem, was ein Rundfunkänderungsstaatsvertrag leisten kann, überlegen, welche Probleme es darüber hinaus gibt.
Ich hoffe, Sie haben am vergangenen Sonntag und Montag die Debatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die FSK verfolgt. Dabei wurde deutlich, dass auch über das hinaus, was im Internet passiert, Jugendschutz gewährleistet sein muss. Auch dieses Thema müssen wir angehen.
In diesem Artikel wurde nachgewiesen, dass sehr viele Filme, die jetzt eine Freigabe schon ab sechs oder zwölf Jahren er halten, diese Freigabe vor einigen Jahren noch nicht erhalten hätten. Da stehen wir vor einem Problem. Natürlich ist das ein schleichender Prozess. Wenn man sich heute Fernsehfilme an sieht, findet man wesentlich mehr Gewaltszenen als noch vor 20 oder 30 Jahren.
Aber wie können wir diesen schleichenden Prozess aufhal ten? Ich finde, die FSK hat sich diesem schleichenden Prozess zu sehr angepasst. Deswegen dürfen wir uns nicht auf den Rundfunkstaatsvertrag verlassen. Von der anderen Seite her gesehen, hatten und haben gerade kleinere Anbieter die Sor ge, dass sie wirtschaftlich den Kürzeren ziehen,
dass das, was jetzt im Rundfunkänderungsstaatsvertrag vor gesehen ist, wieder hauptsächlich den großen Anbietern zu gutekommt. Dieses Argument kann man nicht einfach beisei tewischen. Wir müssen uns überlegen, wie wir einen guten Mittelweg finden zwischen unserem Anspruch, mehr Jugend schutz zu leisten, und der Zielsetzung, gleichzeitig auch ge rade den kleinen Anbietern weiterhin eine Chance zu geben.
Mein Vorredner hat schon darauf hingewiesen, dass wir nicht darum herumkommen werden, unsere Anstrengungen im Be reich Medienkompetenz zu verstärken. Das beginnt in den Kindergärten und den Schulen, aber auch die Eltern müssen einbegriffen sein. Viele Eltern beschäftigen sich nicht oder viel zu wenig mit dem, was ihre Kinder auf ihren Rechnern haben.
Sie kennen die Filme nicht, sie kennen die Spiele nicht. So lange dem so ist – es ist ohnehin sehr schwierig, an manche Eltern heranzukommen –, wird auch ein Rundfunkänderungs staatsvertrag an dem generellen Problem nichts ändern.
Herr Minister, wir werden im Ausschuss darüber diskutieren: Wie könnte der Jugendschutz besser gestaltet werden? Wir sind uns sicherlich einig, dass wir zu diesem Thema relativ schnell wieder einen neuen Änderungsvertrag bekommen wer den, eben weil die Entwicklung so rasant ist.
Auch die Debatte über Sperren oder Löschen wurde teilwei se nicht ehrlich geführt. Denn was machen Sie, wenn der Ser ver auf den Bahamas steht?
Welche Regelung wollen Sie dann treffen? Es ist leicht, zu sa gen: „Das alles wollen wir nicht. Wir brauchen die Freiheit des Netzes.“ Wir alle streiten für die Freiheit des Netzes. Das ist auch richtig. Nur: Der Rechtsstaat endet nicht beim Ein schalten des Rechners. Deswegen gibt es eben Regeln, die ein zuhalten sind. Diese zu finden wird unsere Aufgabe in den nächsten Jahren sein. Ich hoffe, wir ziehen da alle gemeinsam an einem Strang.
(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Abg. Dieter Kleinmann FDP/ DVP: Gut!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind uns in der Sache einig. Deshalb sei es mir gestattet, Herr Minister Reinhart, noch auf ein paar Schwierigkeiten hinzuweisen.
Schon die Entstehungsgeschichte der Novelle war, wie Sie wissen, relativ kompliziert. Frühere Entwurfsfassungen wa ren durchaus geeignet, auch Missverständnisse über die Zie le der Novelle aufkommen zu lassen. Eine Verbändeanhörung brachte ein relativ einhelliges negatives Echo.
Vor diesem Hintergrund erklären sich auch – wie Sie wohl wissen – die in der Anlage abgedruckten Protokollerklärun gen. Insbesondere wird bekräftigt – ich zitiere –,
dass die Kontrollpflichten von Anbietern für fremde In halte, auch im Rahmen von Foren und Blogs, durch die sen Staatsvertrag nicht erweitert werden.
Schwieriger als unbedingt notwendig wird die Auseinander setzung mit Staatsvertragsentwürfen zusätzlich dann, wenn vor einer Einigung der Ministerpräsidenten wechselnde Ent würfe verbreitet werden. Im Netz fanden sich fast alle Ent wurfsstadien, ohne dass sie eine klare und präzise Begrün dung aufwiesen. Auch dies sollte in Zukunft vielleicht geän dert werden.
Aber nun zum Inhalt selbst. Das Internet ist aus dem Alltag unserer Gesellschaft in der Tat nicht mehr wegzudenken und für viele Bevölkerungsgruppen ein zentrales Instrument ge sellschaftlicher Teilhabe.
Der freie Zugang zu Informationsquellen sowie die freie Kom munikation sind Grundpfeiler unseres demokratischen Staa tes – darin sind wir uns einig – und gleichzeitig Voraussetzun gen für unsere wissensbasierte Gesellschaft.
Gleichzeitig ist aber – meine Vorredner haben darauf hinge wiesen – der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor nicht altersgerechten Internetinhalten ein, wie wir Liberale eben falls meinen, sehr hohes Gebot und Gut.
Es geht also darum, der Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz auf der einen und dem Jugendmedienschutz auf der anderen Seite – beides sind im Übrigen verfassungsrechtlich geschützte Güter – mit den gesetzlichen Regelungen gleicher maßen Rechnung zu tragen.
Die Novelle zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zielt auf die Etablierung der Möglichkeit von Anbieterselbstkennzeich nungen ab. Anbieter von Telemedien können ihre Angebote selbst mit einer Altersstufe kennzeichnen. Die Kennzeichnung soll dabei sowohl optisch als auch elektronisch erfolgen.
Die vorhandenen elektronischen Labels können in einem nächsten Schritt von Jugendschutzprogrammen, das heißt von einer Software, die freiwillig z. B. von Eltern auf dem heimi schen Computer installiert wird, ausgelesen werden.
Insgesamt verfolgt die Novelle damit das sinnvolle Ziel, ins besondere den Eltern ein verbessertes Jugendschutzinstrumen tarium an die Hand zu geben – wenn sie es denn anwenden, Herr Kollege Pauli.
Manche Bedenken, die gegen die Novelle des Jugendmedien schutz-Staatsvertrags vorgebracht worden sind, sind aller dings, Herr Minister, inzwischen entkräftet. Das Haftungssys tem des Telemediengesetzes bleibt unberührt. Es werden kei ne neuen Kontrollpflichten in Bezug auf Inhalte Dritter ge schaffen. Auch für Blogs, Foren und Chats ist die Alterskenn zeichnung in jedem Fall freiwillig.
Last, but not least: Mit nutzerautonomen Filterprogrammen, den Jugendschutzprogrammen, soll Eltern ein Werkzeug zur Verfügung gestellt werden, um ihre Kinder vor schädlichen Inhalten im Internet effektiv zu schützen.
Gleichwohl sind aber auch Konstellationen darstellbar, die ge rade für kleine, nicht gewerbliche Anbieter – der Kollege von den Grünen hat schon darauf hingewiesen – schwer zu bewäl tigende Hürden aufbauen: Wenn es zu einer massiven Verbrei tung von Jugendschutzprogrammen kommt, werden die An bieter ein hohes Interesse entwickeln, auf die sogenannte „Weiße Liste“ zu kommen, um weiterhin für die Masse der Nutzer erreichbar zu bleiben. Wer eine entsprechende Kenn zeichnung erhalten will, ist dann auch für das Gesamtangebot unter Jugendschutzaspekten verantwortlich. Gerade für nicht gewerbliche Anbieter von Homepages mit Nutzerforen kann dies eine schwer zu erfüllende Vorgabe sein.
Ebenso ist zumindest die Frage zu stellen, ob Jugendschutz programme nicht eine eher trügerische Sicherheit verschaf fen. Kann es nicht auch sein, dass Jugendliche Möglichkeiten finden werden – Herr Walter hat schon darauf hingewiesen –, die Schutzmechanismen zu umgehen, während sich die Eltern noch in trügerischer Sicherheit wiegen? Wer wagt die Frage zu beantworten, Herr Pauli, wie viel Prozent der Eltern ein Ju gendschutzprogramm überhaupt installieren werden, instal lieren können und installieren wollen?
All dies verweist auf die Notwendigkeit einer Evaluation des neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags und auf die Not wendigkeit, dies zugleich für eine grundlegende Neukonzep tion des Jugendmedienschutzes bei Internetangeboten zu nut zen, wie sie in der Protokollerklärung des Landes BadenWürttemberg, Herr Minister, angesprochen ist.