Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

„Liberalisierung“, „Freigabe von Heroin in der Drogenpolitik“.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Das ist natürlich überhaupt nicht Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung. Das ist auch von der Kollegin Haußmann noch einmal gesagt worden.

Ich bin tatsächlich der Meinung: Wenn das Ganze in der Kommunikation „Diamorphingestützte Behandlung Schwerst

suchtabhängiger“ heißen würde, dann hätte das vielleicht niemanden wirklich so sehr interessiert.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Diamorphin ist offensichtlich nach Ansicht aller Experten – der Ärzteschaft, übrigens auch des Städtetags – das geeignete Mittel für ein ganz kleines Spektrum von schwerstsuchtkranken Menschen, mit dem wir über bisherige Behandlungsmethoden hinaus eine neue Möglichkeit zur Verfügung haben werden.

Gestatten Sie mir, dass ich da ein bisschen abschweife. Gerade Politik hat doch die Verantwortung, auch in politischen Gremien wie Parteitagen zu versuchen, wenn schon falsche Schlagzeilen da sind, dieses Denken nicht noch zu befördern, sondern auf eine sachliche Grundlage zu bringen.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und den Grü- nen)

Der Schlenker, den ich machen will, ist folgender: Ärzte haben mir immer wieder gesagt – und ich habe es auch selber erlebt –: Die sehr rigide Betäubungsmittelverordnung hat viele Ärzte in der Schmerzbehandlung sehr zurückhaltend vorgehen lassen. Dass wir in Deutschland in der Schmerztherapie weit hinten liegen, mag auch mit diesen in den Hinterköpfen verankerten und manchmal geschürten Ängsten, man könnte Süchte womöglich noch befördern, zusammenhängen. Ich glaube, dieses Denken können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und den Grü- nen)

Noch einmal Sekundärliteratur: Ich habe insbesondere von Frau Widmann-Mauz die Argumentation gehört, es sei nicht die Aufgabe der GKV, also der gesetzlichen Krankenversicherung, ein gesellschaftliches Problem zu lösen. Da stelle ich schon die umgekehrte Frage. Wir wissen, dass viele Krankheiten natürlich mit gesellschaftlichen Bedingungen zu tun haben.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: So ist es!)

Und Fakt ist, dass bei der diamorphingestützten Therapie die Krankenkassen ausschließlich den medizinischen Teil zu bezahlen haben und nicht alles, was an psychosozialer Betreuung notwendig ist.

(Zuruf von der CDU)

Zum Kostenargument möchte ich noch Folgendes zitieren – dann komme ich sofort zum Ende –:

In der Bewertung unabhängiger Experten, in der Summe – Krankheitskosten, Kosten bezüglich Delinquenz, Inhaftierung, Gerichtskosten – zusammengenommen, konnten die Studienteilnehmer der Heroingruppe/Diamorphingruppe Kostenersparnisse in Höhe von knapp 6 000 € pro Jahr generieren, während die Methadongruppe

wo ja keiner sagt, das dürfen wir nicht mehr machen –

zusätzliche Kosten in Höhe von 2 000 € pro Jahr verursacht.

Also hier minus 6 000 € und dort plus 2 000 €. Das ergibt eine Differenz von 8 000 €. Das Kostenargument kann meines Erachtens also an dieser Stelle nicht nachvollziehbar ins Feld geführt werden. Im Übrigen möchte ich kein Gesundheitswesen, das am Ende bei einzelnen sehr teuren Krankheiten aus Kosten-Nutzen-Gründen die Behandlung verweigert. Das will ich nicht bei Krebskranken, das will ich nicht bei alten Menschen, und das will ich auch nicht bei schwerstsuchtkranken Menschen.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und den Grü- nen)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die intensive und auch emotionale Diskussion der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass es sicher nicht zielführend ist, einzelne Fragestellungen der Sucht- und Drogenpolitik des Landes aus ihrem Kontext zu lösen und isoliert einer Entscheidung zuzuführen.

Ich will daher die Aufgaben der Suchtpolitik im Zusammenhang darstellen, nicht zuletzt um Missverständnisse zu vermeiden. Schließlich haben wir seit Jahren einen Konsens über die wesentlichen Inhalte der Suchtpolitik in Baden-Württemberg.

Lassen Sie mich zunächst einige Zahlen voranstellen. Wir gehen in Baden-Württemberg von über einer Million abhängigen Rauchern aus. Wir müssen mit 300 000 Alkoholkranken und 150 000 Tablettenabhängigen rechnen. Wir schätzen, dass ungefähr 20 000 Menschen im Land von illegalen Drogen abhängig sind. Davon befinden sich über 8 000 in einer Substitutionsbehandlung mit Methadon, zum kleinen Teil auch mit Buprenorphin. Nach übereinstimmenden fachlichen Schätzungen kämen in Baden-Württemberg etwa 200 Schwerstabhängige für eine Behandlung mit Diamorphin in Betracht – von 20 000 Abhängigen 200 Schwerstabhängige.

Die Suchtpolitik des Landes Baden-Württemberg basiert auf vier Säulen: der Suchtprävention, der Suchthilfe, der Repression – die eine polizeiliche Aufgabe darstellt – und der Überlebenshilfe. Ein reines Verharren in der Sucht bzw. die Legalisierung illegaler Drogen kann niemals das Ziel einer verantwortungsvollen Suchtpolitik sein.

Wichtig ist, dass die Suchtpolitik schon im Kindesalter ansetzt – mit der Suchtprävention. Wir haben uns daher mit den Krankenkassen auf einen Präventionspakt verständigt. Wir haben darüber hinaus auf Landesebene zehn Leitsätze für die Suchtprävention bei Kindern und Jugendlichen entwickelt und werden in der Suchtpolitik einen Schwerpunkt darauf legen, weil mit dem Aufkommen neuer Drogen eine Entwicklung auf uns zukommt, die nicht unterschätzt werden darf. So weit zur Prävention.

Die Suchthilfe ist gemäß § 27 SGB V aber auch Krankenbehandlung. Ich zitiere aus dem SGB V:

Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

(Ministerin Dr. Monika Stolz)

Dieser Anspruch bedeutet aber auch, das Angebot der Suchthilfe weiter auszudifferenzieren und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse in die Regelversorgung zu implementieren. Dass es dabei auch zu kontroversen Diskussionen kommen kann, liegt in der Natur der Sache.

Innerhalb der Suchthilfe hat sich die Substitution bei Drogenabhängigen bewährt. Dabei schafft die ärztliche Vergabe der Substitute die Voraussetzung dafür, dass die psychosoziale Betreuung zur Wirkung kommen kann. Letztlich müssen bei jedem einzelnen Drogenabhängigen Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit geschaffen und genutzt werden, um in einem intensiven Prozess auf ein drogenfreies Leben hinzuarbeiten.

Die psychosoziale Betreuung ist dabei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

sondern ist im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge angesiedelt. Weil sie unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen Substitutionsbehandlung ist, haben wir uns auch bei der schwierigen Aufstellung des Doppelhaushalts gemeinsam darauf verständigt, die psychosozialen Beratungsstellen weiterhin zu fördern.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Um die Substitutionsbehandlung so erfolgreich wie möglich zu gestalten, haben wir im Ministerium für Arbeit und Soziales vor einem Jahr die Arbeitsgruppe „Substitution“ eingesetzt. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang insbesondere, dass wir landesweit eine durchgängige, verbindliche Kooperation zwischen den Suchtmedizinern und den psychosozialen Beratungsstellen festigen.

Genauso wichtig ist mir, dass krimineller Umgang mit Methadon, wie er vor Kurzem auch im „Spiegel“ eindrucksvoll geschildert wurde, konsequent unterbunden wird. Auf der anderen Seite dürfen aber verantwortungsvoll und korrekt substituierende Ärzte nicht schon deshalb kriminalisiert werden, weil sie diese schwierige Aufgabe innerhalb der Suchthilfe übernommen haben.

(Beifall bei den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Aber auch eine optimale Methadonsubstitution hat ihre Grenzen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Gerade Schwerstabhängige, also Schwerstkranke, oftmals psychisch Kranke, werden durch sie oft nur eingeschränkt erreicht, weil die Anforderungen an die Veränderungsfähigkeit der Drogenabhängigen zu hoch sind.

Zur Weiterentwicklung der Krankenbehandlung von Drogenabhängigen wurde die deutsche Heroinstudie als Arzneimittelstudie durchgeführt. Sie kam zu dem wissenschaftlich eindeutigen und international anerkannten Ergebnis, dass ein Teil der Schwerstabhängigen, die von Methadon nicht mehr profitieren, durch eine diamorphingestützte Behandlung erreicht werden können und weiteren abstinenz

orientierten Behandlungsmaßnahmen zugeführt werden können.

Mit der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Regelversorgung muss verantwortungsvoll umgegangen werden. Dazu gehört für mich auch, dass es nicht zu einem reinen Vergleich der Kosten der Methadonsubstitution mit denen der diamorphingestützten Behandlung kommen darf. Ohnehin dürfen nur diejenigen Drogenkranken mit Diamorphin behandelt werden, die von Methadon nicht profitieren.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Zentrale Aussage der Studie ist für mich, dass durch die Einbindung von Schwerstkranken in ein sehr stark strukturiertes und reglementiertes Behandlungsprogramm mit Diamorphin Todesfälle vermieden und Schwerstkranken damit Chancen gegeben werden können.

Unabhängig von fachlichen und von den bekannten parteipolitischen Erwägungen wird über die Einführung der diamorphingestützten Behandlung jedoch auf Bundesebene entschieden. Das Betäubungsmittelgesetz ist eine bundesgesetzliche Regelung, deren Änderung derzeit vom Bundesministerium für Gesundheit und von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe betrieben wird. Wie sich die Mehrheitsverhältnisse auf Bundesebene entwickeln werden, bleibt abzuwarten.

Damit an dieser Stelle wirklich keine Missverständnisse entstehen: Es geht in keiner Weise um eine Legalisierung von illegalen Drogen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)