Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen – Herr Kollege Klenk hat es gerade auch angesprochen, Kollege Zimmermann –: Im Vorfeld sind viele Vorurteile gepflegt, viele Überschriften produziert worden. Aber es muss klar sein: Es geht nicht um einen Paradigmenwechsel in der Suchtpolitik. Es geht nicht um die Liberalisierung oder um die Freigabe von Heroin. Es geht nur um die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige.

Es geht auch nicht darum, dass wir uns von der Abstinenzorientierung lösen. Dabei bleiben wir. Aber die Menschen müssen überleben können. Sie müssen entkriminalisiert werden, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, wieder abstinent zu werden. Es geht um Überlebenshilfen für Menschen, die sonst nicht in der Lage sind, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Kollegin Haußmann hat das vorhin aus den beiden Briefen zitiert.

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Die wissenschaftliche Auswertung liegt vor. Sie wissen, dass darin nachgewiesen wurde, dass durch die Heroinvergabe zum einen ein Teil der Schwerstabhängigen überhaupt erst erreicht wurde. Zum anderen hat sich bei 80 % der behandelten Patienten der Gesundheitszustand verbessert. Es wurden keine anderen Drogen konsumiert, und die Kriminalität ist zurückgegangen.

Um die Diskussion zu diesem Thema führen zu können, braucht man Fakten; man muss auch Fakten diskutieren. Man braucht Sachverstand, man braucht eine Offenheit für dieses Thema. Man braucht auch den Mut, sich den Fakten zu stellen. Dazu ist ein Landesparteitag der CDU nicht der richtige Ort. Man darf einen Beschluss eines Landesparteitags nicht dazu benutzen, ein missliebiges Thema auszuräumen.

Kollege Klenk, Sie haben gesagt, dass sich die CDU-Fraktion auf das berufe, was im Koalitionsvertrag stehe, das heißt, dass man sich bis Sommer 2007 eine Meinung bilden möchte. Jetzt wissen Sie genauso gut wie ich, dass das Modellprojekt am 31. Dezember 2006 ausläuft.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Das wird verlängert! Das wissen Sie doch!)

Das wird vielleicht für diejenigen verlängert, die jetzt in dem Modellversuch sind. Aber alle anderen haben überhaupt keine Möglichkeit, an einer heroingestützten Therapie teilzunehmen. Um die geht es mir auch. Es geht nicht nur um die Personen, die jetzt in dem Modellversuch sind. Es gibt auch noch andere, Herr Mappus.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Von daher müsste die Entscheidung schon jetzt fallen, damit die Suchtabhängigen wissen, was ab 1. Januar 2007 gespielt wird.

Natürlich muss der Bund das Betäubungsmittelgesetz ändern.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Aber das ist ein Thema, das uns als Land auch angeht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Blockierer auf Bundesebene und auch auf Landesebene innerhalb der CDUFraktion sitzen. Von daher fordere ich Sie auf, diese Diskussion nicht bis zum Sommer 2007 auszusitzen, sondern sie jetzt zu führen.

Sie haben den Abschlussbericht. Sie haben Ihre Anhörung gemacht. Ich habe mich auch mit den Experten, die bei Ihrer Anhörung waren, unterhalten. 80 % der Experten haben das positive Ergebnis des Modellversuchs bestätigt.

Jetzt möchte ich in der ersten Runde nur noch auf zwei Punkte eingehen. Das sind die zwei Vorurteile oder Kritikpunkte, die es gibt. Das eine ist, dass das Ganze zu teuer sei. Das andere ist, dass sich der Staat zum Drogendealer mache.

Das Kostenargument ist vorgeschoben, Kollege Mappus. Wenn Heroinabhängigen nicht wirkungsvoll geholfen wird, sind die Folgekosten durch Kriminalität, Prostitution und Aids viel höher.

Das Argument, der Staat würde sich zum Drogenhändler machen, finde ich ziemlich heuchlerisch. Das muss ich in aller Offenheit einmal sagen.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Das hat doch niemand gesagt! Das hat von uns gar niemand gesagt!)

Natürlich ist es gesagt worden. Lesen Sie einmal die Zeitung, die Berichterstattung. Es sind immer diese beiden Punkte, die geklärt werden sollten. Das eine ist die Kostenfrage. Das andere ist das Argument, dass sich der Staat nicht zum Drogendealer machen dürfe.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Nein! Das hat niemand gesagt! Das stimmt nicht! Das war niemals ein The- ma bei uns!)

Wenn dieses Argument kein Thema mehr ist, dann ist es gut. Dann bleibt nur noch das Kostenargument. Das Kostenargument wiederum ist geregelt.

Von daher frage ich Sie in aller Deutlichkeit – die Fakten liegen auf dem Tisch; das Argument „Drogendealer“ ist kein Problem –: Wo sind dann Ihre Probleme? Wo sind die

Argumente, die dagegen sprechen, das umzusetzen, was alle Fachleute und alle wissenschaftlichen Experten sagen?

(Abg. Stefan Mappus CDU: Stimmt doch nicht! Das wissen Sie doch ganz genau! – Abg. Karl Zim- mermann CDU: Das leuchtet mir nicht ein, Frau Kollegin!)

Ich bin gespannt, was Sie in der zweiten Runde dazu sagen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion erhält Herr Abg. Dr. Noll das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Aktuellen Debatte lautet: „Nach dem CDU-Landesparteitag – Wird die Landesdrogenpolitik von Ideologie oder wissenschaftlich belegten Fakten bestimmt?“ Wenn man wissenschaftliche Bewertungen vornimmt, stützt man sich ungern auf Sekundärliteratur. Genau das Gleiche passiert uns im Moment, weil weder Sie von der SPD noch Sie von den Grünen, noch ich beim CDU-Parteitag waren,

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Da haben wir Glück gehabt!)

sondern uns auf das stützen, was berichtet worden ist.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Aber sehr einheit- lich!)

Für mich jedenfalls geht es bei diesem Thema, das wirklich Menschen direkt betrifft, überhaupt nicht um ideologische Debatten. Deswegen geht es auch nicht darum, Öl in irgendwelche Feuer zu gießen.

Aber ich darf jetzt schon einmal wieder Sekundärliteratur zitieren mit Aussagen, die ich so nie treffen würde, die ein von mir geschätzter Kollege, den ich noch kennengelernt habe, nämlich Robert Ruder, im Nachgang getroffen hat. Er nannte gerade das Argument „Der Staat als Drogendealer“, das angeblich nicht gefallen sein soll – jetzt zitiere ich mit Genehmigung des Präsidenten wörtlich –, „mit das Heuchlerischste, was mir je begegnet ist“. Zum Thema „Hohe Kosten“ sagt er – Ruder, nicht ich –: „Das Lächerlichste, Abstruseste, was ich mir nur vorstellen kann.“ So weit Ruder.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das ist Sekundärliteratur, ich gebe es zu.

Jetzt geht es aber um die wissenschaftliche Seite. Es ist doch in der Tat bemerkenswert – ich muss das einfach noch einmal sagen –, dass mein Vorgänger als suchtpolitischer Sprecher, der unvergessene Horst Glück, der sich dieses Themas seit 1996 angenommen hat,

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Qualität setzt sich durch!)

und die Sozialministerin, die bezeichnenderweise Ärztin ist – Noll ist Zahnarzt,

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Immerhin!)

aber immerhin in medizinischen Dingen auch nicht ganz unbeleckt –,

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Da gehen wir hin!)

tatsächlich zunächst einmal sehen: Wir reden hier über Menschen, die an einer Krankheit leiden, die im ICD, also im offiziellen Diagnoseschlüssel, anerkanntermaßen als schwerste Krankheit definiert ist. Das ist einmal als Erstes festzuhalten. Dann fragt der Arzt – aber ich hoffe, nicht nur der Arzt, sondern auch der Mitmensch – natürlich zu Recht: Wie kann ich einem schwerstkranken Menschen im Einzelfall helfen? Das ist die erste Frage.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und den Grü- nen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! Rich- tig!)

Mir ist wohl bekannt, dass es in all diesen Diskussionen immer ein Pro und ein Kontra gibt. Aber jetzt sind wir doch an einem Punkt, an dem wir Studien haben, die nun wirklich wissenschaftlich strengstens kontrolliert und randomisiert sind – also nach Zufall verteilt – und aus denen uns auch Ergebnisse vorliegen. Eines davon ist auch aus dem Land Baden-Württemberg.

Daraus geht nun glasklar hervor, dass alle, auch die ursprünglich skeptischen externen Experten, einhellig sagen: „Ja, wir sind dafür, dass diese heroingestützte Behandlung künftig in die Routineversorgung schwerstabhängiger, heroinabhängiger Menschen einfließt.“ Ich darf auch da zitieren:

Die Größe und die Heterogenität der Zusammensetzung der externen Experten

die dies zu bewerten haben –

spricht dafür, dass bei dieser Untersuchungsgruppe keineswegs nur eine von vornherein eindeutig positiv gegenüber der heroingestützten Behandlung eingestellte Gruppe befragt wurde.

Es ging also eben nicht nach dem Motto „Wir finden schon die Experten, die von vornherein Ja sagen“. Nein, auch skeptische Experten haben aus dieser Studie das Ergebnis – so das Fazit – gezogen, dass wir künftig vom Modellversuch zur Regelversorgung kommen sollen.

Ich gebe Ihnen, lieber Kollege Klenk, an einer Stelle recht. Ich gebe Ihnen oft recht, wie Sie wissen. Das ganze Thema leidet ein bisschen unter Schlagzeilen wie

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)