Protokoll der Sitzung vom 14.03.2007

Im Übrigen hat er – wie jeder andere Täter – natürlich die Möglichkeit, vor ein Gericht zu gehen und überprüfen zu lassen, was wir tun. Was wir tun, ist transparent und kontrollierbar. Es ist auch vor Gericht anfechtbar; und es ist durchaus auch damit zu rechnen, dass er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.

Etwas völlig anderes, meine Damen und Herren, ist das Gnadenverfahren. Ich habe es vorhin angedeutet: Das Gnadenverfahren läuft auf einer anderen Schiene.

Weil wir über Gleichbehandlung oder Nichtgleichbehandlung reden, ist ein Blick darauf interessant, was aus den verurteilten Terroristen geworden ist. Es gab im Zusammenhang mit den RAF-Taten 26 Mal „lebenslänglich“. Unter diesen 26 Ver

urteilten gab es seinerzeit drei Suizide in Stammheim. Vier Verurteilte sind noch in Haft. Bisher sind also 19 entlassen worden, entweder durch Gnadenentscheidungen oder durch Gerichtsentscheidungen, wobei man in Zahlen nicht genau sagen kann, wie viele Gnadenakte es waren. Es waren aber sicherlich wesentlich mehr, als es sonst in der Gnadenpraxis der Länder bei Kapitaldelikten üblich ist.

Die durchschnittliche Haftzeit bei den 19 bisher Entlassenen beträgt 18,5 Jahre. Ich kann Ihnen sagen, dass es bei Kapitaldelikten im Normalfall in Baden-Württemberg eine Haftdauer von deutlich mehr als 20 Jahren gibt. Bei den RAF-Terroristen waren es im Schnitt 18,5 Jahre. Auch hier muss man Klarheit schaffen, bevor jemand von irgendeiner Form von Benachteiligung redet.

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

Was bei Herrn Klar anders sein mag als bisher bei den anderen – auch das muss man deutlich ansprechen –, ist das Gepräge einer bestimmten Unbelehrbarkeit, was durch das angesprochene Grußwort entstanden ist. Dazu muss man klar sagen: Dieses Verhalten kommt natürlich gerade bei den Opfern als nackte Provokation an – im 30. Jahr nach diesem dunk len Herbst. Da gilt einfach, was sinngemäß die Tochter von Jürgen Ponto einmal ausgedrückt hat: Exterroristen mag es geben; Exopfer gibt es nie.

Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch mit einem Wort an die Opfer schließen und deutlich sagen: Wir haben die Opfer nicht vergessen, und wir werden sie nicht vergessen – auch nicht im 30. Jahr nach diesen Taten.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Palm.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, jeder der Redner in der bisherigen Debatte kann für sich in Anspruch nehmen, dass er zum Aufheizen der Situation nicht beigetragen hat.

Herr Kollege Stickelberger, es wäre in diesem Punkt besonders schade, wenn Sie mich missverstanden hätten. Ich habe nicht von „Verantwortungsgesülze“ gesprochen, sondern habe die Publizistin Frau Röhl mit dem Wort „Versöhnungsgesülze“ zitiert.

Ich bemerke ausdrücklich, dass ich – und auch andere – die Unabhängigkeit der Gerichte und des Bundespräsidenten respektiere. Ich bemerke aber genauso, dass der Landtag von Baden-Württemberg kein Organ der Rechtspflege und der Jus tiz ist. Deshalb kann ich manches krampfhafte Festhalten an Formaljuristischem nicht so richtig verstehen.

Es ist auch unsere Aufgabe, nach vielen Jahren und Jahrzehnten, in denen man sich fast ausschließlich mit den Tätern beschäftigt hat, auch auf die Opfer hinzuweisen und dies hier in diesem Hause als Volksvertreter kundzutun.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die rechtliche Abstraktion kann missverstanden werden als ein Ablenken oder als ein Verdrängen. Ich möchte an dieser Stelle deshalb die Opfer aus der Abstraktion herausnehmen. Es waren konkrete Personen, die Namen haben und hatten. Ich erinnere an Hanns-Martin Schleyer. Ich erinnere an die Bilder vom Staatsakt hier in Stuttgart, von der Trauerfeier in der Domkirche St. Eberhard.

Wir erinnern uns dabei daran, dass es eben nicht nur HannsMartin Schleyer war, der zu Grabe getragen wurde. Es waren vielmehr auch sein Fahrer Heinz Marcisz und seine drei Personenschützer Helmut Ulmer, Reinhold Brändle und Roland Pieler. Reinhold Brändle war 41 Jahre alt, als er starb, Helmut Ulmer war 24 und Roland Pieler 20.

Ich nenne diese Personen stellvertretend für die vielen Opfer. Hier ist der richtige Ort, um in aller Sachlichkeit auch darauf hinzuweisen, dass es sich um unschuldige Menschen handelte, die diesem Wahnsinn zum Opfer gefallen sind.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Wort zu dem Thema „Gnade und Recht“. Wenn Frau Mohnhaupt Errungenschaften dieses Rechtsstaats für sich in Anspruch nimmt, dann steckt darin ein Stück weit auch Akzeptanz des Rechtsstaats und der Gesellschaft. Das ist eine völlig andere Haltung als die eines Christian Klar, der doch deutlichst zum Ausdruck bringt, dass er mit dieser Gesellschaft überhaupt nichts zu tun haben will. Wie wollen Sie einen solchen Menschen integrieren? Wie wollen Sie das machen? Diese Frage ist offen, bleibt offen und wird so lange offen bleiben, bis Christian Klar das richtige Zeichen setzt. Das ist unsere Überzeugung, und dafür stehen wir in der CDU auch weiterhin.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Stickelberger.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir sind uns in dieser Debatte darin einig, dass wir zu Recht der Opfer gedenken. Davon sind keine Abstriche zu machen.

Ich möchte nur nicht, dass wir dieses Gedenken instrumentalisieren, um vielleicht alte Feindbilder zu pflegen oder sie wiederzuerwecken. Wenn wir uns gegenüber ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass wir uns in unserer Gesellschaft und auch in diesem Haus und in unseren Fraktionen in den letzten Jahren recht wenig mit den Opfern befasst haben. So gesehen, mag manche Äußerung zum Gedenken – nicht von heute, aber in der allgemeinen Diskussion – doch etwas aufgesetzt klingen.

Eines möchte ich auch betonen: Wir gliedern uns nicht in die Reihe derjenigen ein, die in dieser Frage Kritik am Herrn Jus tizminister üben – ich betone das ausdrücklich –, weil wir der Auffassung sind: Dieses Parlament sollte sich auch in diesen Fragen eine Selbstbeschränkung auferlegen, wie wir dies umgekehrt von Gerichten, von der Justiz – etwa vom Bundesverfassungsgericht – häufig verlangen. Diese Selbstbeschränkung

steht bei diesem Thema auch uns gut zu Gesicht – aus Respekt vor der Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten und aus Respekt vor den Entscheidungen, die die Gerichte zu treffen haben.

Wir vertrauen da auf die Rechtsprechung, was Hafterleichterungen, was die Strafaussetzung zur Bewährung angeht. Wir vertrauen auch auf die souveräne Entscheidung des Bundespräsidenten.

Eines muss ich natürlich schon sagen, Herr Justizminister: Wenn in diesem Prozess der Diskussion über Hafterleichterungen oder die Strafaussetzung zur Bewährung – sie muss ja in einem langwierigen Prozess vorbereitet werden – sozusagen aus einem Gutachten eine öffentliche Diskussion entsteht, dann halte ich das mit Blick auf eine Gesamtbewertung der Vorgänge wiederum nicht für hilfreich. Auch da wäre im einen oder anderen Fall sicher Zurückhaltung am Platz gewesen.

In einem Punkt kann ich Ihnen nicht ohne Weiteres folgen, weil mir das zu kurz gegriffen scheint. Wenn Sie die Ursachen der terroristischen Aktivitäten der Rote-Armee-Fraktion allein auf Mordlust und Größenwahn zurückführen, muss ich sagen:

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Auf was denn sonst?)

Das sind zwar Faktoren, die dabei eine Rolle gespielt haben, Herr Zimmermann. Aber wenn Sie sich in den letzten Jahren mit dem Thema Terrorismus beschäftigt haben, haben Sie erkannt: Dieser hat in der Regel auch psychologische, gesamtgesellschaftliche Ursachen.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP/DVP – Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Das können Sie nicht bestreiten. Sie sollten vielleicht das eine oder andere an öffentlichen Diskussionen rekapitulieren.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Soll das jetzt ei- ne Rechtfertigung sein?)

Damit rechtfertige ich keineswegs diese Taten, Frau Berroth. Das ist ja das, was dann passiert: Wenn man darüber nachdenkt, wird einem schnell unterstellt, man würde zum Sympathisanten von Terroristen. Das kann nicht sein.

Mir geht es vielmehr darum, etwas hinter die Dinge zu blicken und auch hier in diesem Haus wegzukommen von der Betrachtung der Einzelfälle zweier Straftäter, bei denen es um die vorzeitige Entlassung bzw. um die Begnadigung geht, hin zu einer – wenn man sich schon mit diesem Thema beschäftigt – tiefschürfenderen Diskussion, bei der man nach Ursachen forscht. Insbesondere im Zuge der Terrorismusdiskussion, die wir aktuell erleben, sollte man einmal Revue passieren lassen, was in den Siebzigerjahren in Deutschland geschehen ist. Denn wir haben – wenn wir uns gegenüber ehrlich sind, müssen wir das zugeben – ein Stück unserer neueren Vergangenheit verdrängt. Wenn diese Debatte neben dem Gedenken an die Opfer – das Gedenken erfolgt zu Recht – einen Sinn haben soll, dann sollte man vielleicht auch darüber nachdenken, warum dies alles so entstanden ist und welche Vorkeh

rungen dieser Rechtsstaat in Zukunft treffen muss, um solche Gewaltentwicklungen zu verhindern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch ein paar ergänzende Bemerkungen:

Herr Justizminister, über Rechtsverfahren, über die Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet, brauchen Sie mich nicht aufzuklären, weil ich selbst Jurist und Anwalt bin und seit vielen Jahren und Jahrzehnten auch engagiert für die Verfassung eintrete, die wir in diesem Land haben. Darüber weiß ich Bescheid. Ich weiß zu unterscheiden zwischen der Strafprozessordnung und dem Grundgesetz und dem darin geregelten Gnadenverfahren. Das, was Sie mir unterstellt haben, war gar nicht meine Intention. Es trifft mich einfach immer wieder, wie Sie hier auch persönlich argumentieren. Das ist – wie Sie selbst sagen – dieser Debatte nicht angemessen.

(Beifall bei den Grünen)

Es muss doch bei allem Respekt vor dem Amt des Justizministers im Land Baden-Württemberg ein Zweifel erlaubt sein, wenn Sie justament einen Tag vor der Vollzugsplankonferenz, nämlich – wenn ich es richtig im Kopf habe – am 27. Februar, auf die Idee kommen, ein Grußwort, das am 13. Januar bei einer PDS-Veranstaltung verlesen worden ist, aufzugreifen, um dann im Rahmen dieser Vollzugsplankonferenz ein neues Gutachten zu fordern. Das muss doch zumindest Nachfragen gestatten. Das muss doch zumindest einen Nachdenkprozess auslösen dürfen, ohne dass Sie hier mit persönlichen Angriffen argumentieren. Dann erklären Sie doch, wieso Sie sechs Wochen brauchen, um aus diesem Grußwort die Konsequenz zu ziehen, dass ein neues Gutachten notwendig ist! Das hätte ich von Ihnen erwartet. Das haben Sie nicht getan.

(Beifall bei den Grünen)

Auch ich habe meine Möglichkeiten und meine Quellen, Informationen über den Vollzugsverlauf beim Gefangenen Chris tian Klar einzuholen. Herr Minister, Sie haben selbst mehrfach betont – auch heute –, dass es für die RAF-Gefangenen im Vergleich zu anderen Mördern, Serienmördern und schwe ren Straftätern keine Unterschiede geben solle. Mir ist kein einziger Fall aus elf Jahren Landtagszugehörigkeit, auch nicht aus der Zeit davor – aber so lange sind Sie noch gar nicht Minister –, bekannt, in dem Sie als Minister sich im Rahmen einer Vollzugsplankonferenz mit der nochmaligen Einholung eines Gutachtens an die Öffentlichkeit gewagt hätten. Das ist meines Erachtens der erste Fall, den Sie dann auch öffentlich präsentieren. Das macht eben den Unterschied aus zwischen den Straftätern, die Sie benennen, und den RAF-Straftätern. Deswegen glaube ich einfach, dass es so, wie Sie es vorgetragen haben, nicht ehrlich gemeint war, sondern dass es einen Grund hat, warum Sie das an dieser Stelle tun. Sie wollen

nämlich hier ein politisches Ziel erreichen. Das ist aber der Sache nicht angemessen.

(Beifall bei den Grünen)

Noch eines, Kollege Mappus, weil Sie schon wieder so kritisch gucken:

(Vereinzelt Heiterkeit)