Protokoll der Sitzung vom 14.03.2007

Mindesthaftzeit festgesetzt, und es bedarf vor einer Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung der Prüfung, ob von diesen Tätern weiterhin eine Gefahr ausgeht und sich die Gefährlichkeit, die damals bei Begehung der Straftaten zum Ausdruck gekommen ist, erneut zeigt.

Bei einer Begnadigung ist es anders. Sie steht allein dem Bundespräsidenten zu. Er ist an keine Voraussetzungen gebunden, und seine Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen. Wir sind davon überzeugt, dass der Bundespräsident diese Entscheidung nach Abwägung aller Kriterien sachgerecht trifft. In diese Abwägung einfließen können natürlich Faktoren wie Reue und Aufklärung von Straftaten, während es bei der Strafaussetzung zur Bewährung auf diese Umstände in rechtlicher Hinsicht zunächst nicht ankommt; dort ist die Gefährlichkeit des Täters entscheidend.

Die Bundesrepublik hat bewiesen, dass sie das Phänomen des Terrorismus der RAF in den Griff bekommt. Ich bin davon überzeugt, dass die zu treffenden Entscheidungen beim Bundespräsidenten und bei den zuständigen Gerichten weiterhin gut aufgehoben sind. Wir sollten nicht nachträglich den Straftätern durch eine aufgeheizte Diskussion mit markigen Worten sozusagen eine Legitimation nachliefern,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

sie wären etwas Besonderes, sie wären politische Straftäter oder Kriegführende oder gar Kriegsgefangene. Wir sollten uns auf dem sicheren Pfad unseres Rechts bewegen, und ich glaube, wenn wir uns auf die Rechtsprechung unserer Gerichte verlassen, sind wir auf der sicheren Seite.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Peter Hofelich SPD)

Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang öffentliche Ratschläge, markige Worte und die Instrumentalisierung des Leids der Betroffenen und Hinterbliebenen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmay er.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum 30. Mal jährt sich in diesem Jahr der sogenannte Deutsche Herbst. 1977 haben die der RAF angehörenden Terroristen unser Staatswesen – und das betone ich ausdrücklich – durch gemeine Mordtaten, Entführungen und andere Straftaten herausgefordert und an den Rand des Staatsnotstands gebracht.

Eines an dieser Stelle gleich vorweg: Wir nehmen Anteil an dem Leid und an den Schmerzen, die die Angehörigen der betroffenen ermordeten Menschen aushalten mussten und bis heute aushalten müssen, wozu auch eine öffentliche Debatte, wie sie im Land insgesamt geführt wird, aber auch jetzt diese öffentliche Debatte, die Sie mit Ihrem Antrag im Landtag herbeigeführt haben, beiträgt. Wir finden diese Debatte in Anbetracht des Leids der Betroffenen nicht angemessen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Wollen Sie das totschweigen?)

Es ist eine Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaats – Kollege Mappus, da gibt es nichts zum Kopfschütteln; das meine ich ganz ernst –, dass die Bestrafung, die Zur-Rechenschaft-Ziehung von Täterinnen und Tätern nicht den Betroffenen, nicht den Angehörigen obliegt und wir sie diesen nicht auferlegen, sondern dass wir dafür eine unabhängige Justiz haben und im Zweifel in diesem konkreten Fall auch das Gnadenrecht des Bundespräsidenten.

Dieser Rechtsstaat Bundesrepublik hat in der Zeit nach 1977 seine innere Sicherheit und die Gesetze dafür mehr oder weniger komplett umgeschrieben. Allein in der Zeit bis 1981 gab es insgesamt sechs Gesetzgebungsverfahren mit massiven Verschärfungen und Eingriffen in Bürgerrechte, in Freiheitsrechte, aber auch in die Rechte der Verteidigung und die Ausdehnung von Rechten der Staatsanwaltschaften und der Bundesanwaltschaft. Das hat man bis heute fortgeschrieben.

Nach dem 11. September 2001 gab es einen weiteren Einschnitt, den wir weitgehend mitgetragen haben. Als Mitglied der Grünen-Fraktion in diesem Haus habe auch ich dafür Sorge getragen, dass unsere Fraktion eine Institution wie den Verfassungsschutz zur Bekämpfung von terroristischen Straftaten mitträgt. Umso glaubwürdiger können wir, glaube ich, heute argumentieren, wenn wir sagen: Der Staat hat alle Möglichkeiten an der Hand bis hin zur Antiterrordatei, die im Moment eingerichtet wird, um sich gegen den Terrorismus zur Wehr zu setzen.

Zur Entscheidung über die Konsequenzen für die an Terroranschlägen Beteiligten, auch für die RAF-Terroristen, stehen im Rechtsstaat zwei Wege zur Verfügung: Zum einen gibt es die unabhängige Justiz. In einem jüngeren Fall hat das Oberlandesgericht Stuttgart auf der Basis seiner Erkenntnisse in Sachen Brigitte Mohnhaupt entschieden und gesagt: Der Rest der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Dazu müssen wir in diesem Haus keine Debatte mehr führen. Die unabhängige Justiz hat diese Entscheidung getroffen, und diese sollten wir akzeptieren.

(Beifall bei den Grünen)

Der nächste Punkt: Christian Klar hat im Frühjahr 2003 ein Gnadengesuch bei dem damals noch amtierenden Bundespräsidenten Johannes Rau eingereicht. Das Verfahren läuft jetzt seit vier Jahren. Es obliegt dem Bundespräsidenten, diese Gnadenentscheidung zu treffen.

Lassen Sie mich gleich zwei Punkte nennen, weil ich mit Ihnen keine inhaltliche Debatte über die Frage führen will, ob Christian Klar nun gnadenwürdig ist oder nicht. Das Gnadenrecht ist nämlich komplett bedingungslos in unserer Verfassung ausgestaltet. Es ist gerade nicht an die Fragen geknüpft: Zeigen Täterinnen und Täter Reue? Klären sie den Tatverlauf auf? Benennen sie Täterinnen und Täter? Das ist keine Kronzeugenregelung. Das Gnadenrecht in unserer Verfassung – das entspricht dem Geist der Verfassung – ist aus der christlichen Lehre abgeleitet und ist bedingungslos zu gewähren. Deswegen können wir darüber in diesem Landtag keine Debatte führen.

(Beifall bei den Grünen)

Wer diese Debatte dennoch führen will, der krittelt am Amt des Bundespräsidenten, an dessen Souveränität, auf die wir

bei dieser Entscheidung vertrauen können und vertrauen müssen, weil diese Entscheidungskompetenz so in der Verfassung geregelt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Stefan Mappus CDU: Diese Argumentation ist ja absurd! – Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Das Einzige – das füge ich noch an, Herr Präsident, auch wenn die ersten fünf Minuten meiner Redezeit schon abgelaufen sind; aber das muss im Kontext erklärt werden –, worüber dieser Landtag gegebenenfalls diskutieren kann, ist die Frage von Vollzugslockerungen für den noch inhaftierten Christian Klar. Die Vollzugslockerungen stehen deswegen zur Debatte, weil Christian Klar nach unserer Verfassung und nach unserer Verfassungsrechtsprechung spätestens im Frühjahr 2009 nach dann 26 Jahren wie Brigitte Mohnhaupt auch einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht die mögliche Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung prüft und dann gegebenenfalls auch die Aussetzung ausspricht.

Ob das Gericht eine Aussetzung ausspricht, weiß ich nicht; das will ich nicht vorwegnehmen. Das Gericht ist bei dieser Entscheidung unabhängig. Aber an dieser Stelle muss doch geklärt sein, ob jemand, der 24 Jahre in einer Justizvollzugsanstalt sitzt, nicht im Vorfeld einer solchen gerichtlichen Entscheidung auch die Möglichkeit braucht, Schritt für Schritt, Stück für Stück in die Gesellschaft integriert zu werden. Darum geht es bei der Diskussion über eine Vollzugslockerung.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Sagen Sie einmal etwas zum Grußwort!)

Ich komme darauf, Kollege Blenke. Ich lasse keine Scharte offen; Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen, welches Grußwort Christian Klar für eine PDS-Veranstaltung am 13. Januar geschrieben und dort verlesen lassen hat. Ich kenne es im Wortlaut. Dort wird Kapitalismuskritik ausgeführt. Das ist eine Meinung, die in einer offenen Gesellschaft wie unserer prinzipiell zulässig ist, egal, ob man die teilt oder nicht.

Der Streit entsteht jetzt, weil er diese Kritik auch mit dem Wort „Kampf“ umschrieben hat. Ich habe mich daran erinnert, wie oft ich schon das Wort „Kampf“ für grüne Ideen in diesem Parlament eingeführt habe.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das war dann Krampf!)

Jetzt, nachdem das Grußwort am 13. Januar gehalten worden ist, einen Tag vor der Vollzugsplankonferenz ein neues Gutachten zu dieser Frage zu fordern, nachdem ein renommierter Gutachter, Professor Kury,

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

ihm schon wohlwollend attestiert hat, dass er nicht mehr gewalttätig werden wird, halte ich einfach für eine taktische Finesse. Ich halte es für eine Art von Populismus, weil die Mehrheit der Gesellschaft, nämlich 70 %, offensichtlich gegen Vollzugslockerungen und gegen die Entlassung dieses Gefangenen spricht.

Ich will damit in der ersten Runde zum Schluss kommen und nur noch einmal betonen: Wir sind der Auffassung – das kann ich nachher in den zwei Minuten, die mir noch als Redezeit zur Verfügung stehen, ausführen –, dass wir bei drei noch verbliebenen Gefangenen – Brigitte Mohnhaupt wird in den nächs ten Tagen entlassen – zwar nicht Friede schließen mit der RAF, aber die Größe unseres Rechtsstaats dadurch dokumentieren können, dass wir ihnen die Rückkehr in unsere Gesellschaft ermöglichen, die sie zutiefst und abscheulich bekämpft haben. Das würde unseren Rechtsstaat stark machen und nicht schwächen.

Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie die öffentliche Debatte im Sinne der betroffenen Menschen, die nach wie vor aufgrund dieser Straftaten unter Schmerzen leiden.

In der zweiten Runde will ich noch erläutern, warum ich diese Auffassung für unsere Fraktion hier im Haus vertrete.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Wetzel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Gegen diesen elementaren Grundsatz unseres Grundgesetzes haben Christian Klar und seine Mörderbande in den Siebzigerjahren massiv verstoßen. Sie haben Menschen getötet und damit großes Leid über die Hinterbliebenen, Ehefrauen und Kinder, gebracht. Danach haben diese Mörder bis zum heutigen Tag nicht gefragt. Sie haben sich um die Opfer und um die Angehörigen der Opfer bis heute nicht gekümmert. Selbst in der Auflösungserklärung von 1998 hat die RAF die Opfer ihrer Taten mit keiner Silbe erwähnt.

Der Terror der Siebzigerjahre – wir haben es erlebt – war gnadenlos. In ihrer völlig abstrusen Idee eines Krieges gegen unser Land richteten die Mörder Führungspersonal unserer Republik regelrecht hin, teilweise auch im Beisein der Angehörigen. Auch der Tod von Leibwächtern und Fahrern wurde von ihnen billigend in Kauf genommen. Sie kannten keine Gnade.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Christian Klar wurde 1982 wegen der Morde an Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, Generalbundesanwalt Buback und Bankier Jürgen Ponto zu sechs Mal lebenslanger Haft und einer fünfzehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er ist ein Serienmörder, meine Damen und Herren, und muss als solcher von der Justiz behandelt werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

In diesem Sinne sollten wir mit Herrn Christian Klar, mit seiner Bande und seinen Mittätern umgehen. Aus der Grußbotschaft des Christian Klar an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz ergibt sich, dass er in der Zeit seiner Haft nichts hinzugelernt hat. Er bereut seine Taten nicht, und wir können auch nicht erkennen, dass er nicht erneut töten oder erneut zum Töten auffordern oder anstiften oder mithelfen

würde. Das ist das große Problem, vor dem wir stehen und vor dem die Justiz steht.

Unser Justizminister hat daher meines Erachtens völlig richtig gehandelt, als er ein Gutachten in Auftrag gab, um zu überprüfen, ob von Christian Klar oder von seinen Mittätern im Falle von Haftlockerungen oder auch im Falle einer Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nicht erneut Gefahren ausgehen.

Wenn dieses Gutachten vorliegt, wird die Justiz entscheiden, und sie wird richtig entscheiden.

Meine Damen und Herren, wir können heute sicherlich, wie es Kollege Palm gesagt hat, keinen Schlussstrich unter die Affäre RAF und den Terror ziehen. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten auch nicht jede Gelegenheit nutzen, um diese Herrschaften weiter bekannt zu machen und diese Herrschaften von anderen üblichen Tätern – Mördern – abzuheben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Meine Damen und Herren und Kollege Oelmayer, wenn Sie große Ausführungen zum Gnadengesuch von Christian Klar machen: Ich bin mir sicher, dass unser Bundespräsident Köhler diese Ratschläge nicht braucht. Er wird das selbst prüfen können.

Danke sehr.